Die zwei Türme im Kopf
Die Mythen-Verkitschung Tokiens beglückt Millionen

von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN DEZEMBER 2002.
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Ein Film verdrängt die Weihnachtsgeschichte: ‚Der Herr der Ringe - Die zwei Türme’. Und in der Tat haben der abgetakelte Joseph und seine jungfräuliche Gespielin, Maria, keine Chance mehr, die Hobbits, die Saurons, Frodo Beutlin, Sauron, Aragorn, Legolas, Saruman und seine Super-Orks Armee, oder Gandalf zu verdrängen. Die Saga vom Träger des Rings, die nicht die letzte sein wird, (1) macht grosse Kasse: Action-Figuren, CDs, DVDs, Computerspiele, Bücher, Musik- und Hörspiele, gibt es zu bewundern und zu kaufen.

Der ist kein echter Fan, der das nicht besitzt. (2) Und im Kino geht es weiter: die Tolkien-Fans stolpern zu Tausenden bundesweit in die rund 1.000 Kopien, in ein Fantasy- Abenteuer, das von seinen visuellen Effekten lebt, von computergenerierten Pixel-Kriegern, der beeindruckenden  Kulisse Neuseelands, einer düsteren Stimmung, die selbst einen  James CAMERON, (3) der die ‚Titanic’ (4) sinken liess, vor Neid erblassen lässt.  Die Experten der CGI-Company WETA und ihre Grosscomputer haben ganze Arbeit geleistet.

Die Geschichte vom Kampf um die Mittelerde geht tapfer in die zweite Runde, und die Sucht nach heilen Bildern im Kino geht weiter. Hollywood hat gemerkt, dass sich mit Riesenprojekten und  ‚grossem Kino’ viel Geld machen lässt. Und Peter JACKSON, der Regisseur von ‚Der Herr der Ringe’ meinte in einem Interview: ‚Der zweite Teil ist in jeder Trilogie die grösste Herausforderung, und ich bin mir sicher, dass wir sie gemeistert haben.’ (5) Die Meisterung ist die Kostenspirale. So soll der Film weit mehr als 1 Milliarde Dollar einspielen, und wäre damit der erfolgreichste Film aller Zeiten. Und das Filmbudget kann sich auch sehen lassen: ca. 300 Millionen US-Dollar soll das gesamte Mammutprojekt gekostet haben. (6)

Die amerikanische Filmindustrie, die den Weltmarkt dominiert,

hat sich seit ‚Citizen Kane’ mit Orson WELLES (7) darauf eingerichtet,

dass die Globalisierung der Trend im Film ist. Sie hat auf einfache,

aber nachdrückliche Weise auf die Schaulust, die Visualität und die

Überwältigung gesetzt, und damit die zwischenmenschliche

Kommunikation in einem ‚Clip’ erstarren lassen.

Seine technologischen Potenzen, die elliptischen Montagen, die

ausdrucksstarken Bildkompositionen, die raschen Perspektivwechsel,

die WELLES andeutete, und damit bahnbrechend wirkte, haben unaufhörlich

einen digitalen Quantenschub eingeleitet. Ein Film, etwa wie

‚Chinatown’ mit Jack NICHOLSON, (8) wäre ohne die heutige

Computer-Software nahezu undenkbar.

Darin liegt die Crux. Die Mechanik der wehrlosen Klassiker (9)

ist vorbei. ‚Lebloses’ Zelluloid will niemand mehr sehen:

Städte müssen brennen, Menschen müssen gefoltert, gemartert

und schliesslich auf grausamste Art gemeuchelt werden,

Schiffe müssen im Meeresgetöse gekonnt untergehen können,

gedungene Mörder werden Helden, und der Krieg im Kino hat das

Ende der Zivilisation eingeläutet.

Hier irgendwo ist der ‚Der Herr der Ringe’ anzusiedeln. Er setzt

einfach die Schübe des Dreistundenkinos fort, (10) und die neueste

Technik hilft, das Bild des Alten, des Guten, des Bösen, zu bewahren.

Die siegreichen Ring-Träger( Frodo und Sam) haben die neue

Dogmatik gefunden: sie brauchen sich nicht mehr zu verständigen,

denn die visuellen Attraktionen, die ohne wenn und aber der Film zu

bieten hat, ersetzt ihr schauspielerisches Können. Eine gewöhnliche

Geschichte, die Tolkien zu bieten hat, wird ein Stoff, aus dem die

Träume sind.

In JACKSONs Film dient der gewaltige digitale Aufwand nur dazu,

einen Versuch des Triumphs der Verzauberung zu starten, um dadurch

einen Bilder- und Blutrausch zu erzeugen, der letztlich die Mächte der

Finsternis auf der Strecke bleiben lässt. Aus diesen tragischen Irrläufern,

die uns hier begegnen, entsteht die Verwässerung, jene Mischung

aus Untergangsangst und Augenlust, die jeden ins Kino treibt, der auch

Gollum sehen will: jenes Fabelwesen, das die Animations-Standards

der heutigen Technik verkörpert und als Digitalkreatur herumgeistert.

‚Der Herr der Ringe - Die zwei Türme’ ist die dramatische Fassung des

menschlichen Schicksals auf diesem Planeten: lieben, hassen und

töten. Und diese Trilogie wird auch im Film immer dichter.

Triple X und der Bond-Zirkus (11) können die künftigen Verteilungskämpfe

und Krisen nicht mehr auffangen.

Und nach dem Zerfall des Marxismus als ganzheitliche Ideologie ist der

eigentliche Angriffsgegner im Film nicht mehr greifbar.

Die Hobbits, die Menschen, Zwerge und Elfen sagen eine einfache

Weisheit aus: nur als Bild, als digitalen Schnitt kann man diese Welt

noch verstehen.

Aber das Ziel wird nicht mehr erreicht. ‚Die zwei Türme’, das ist der

Geist des 21. Jahrhunderts: die Starken siegen, die Schwachen gehen

unter.

Was der Film transportiert, das hat mehr Schatten als Licht: er

suggeriert eine Ganzheit, die wir verloren haben. Er ist soviel Mythos,

von dem die Geschichte zehrt, dass dabei die konventionellen

Bilder des Kinos, die nur tragische oder liebreizende Vertrautheit

vortäuschen, wie auf einmal weggeblasen werden.

Mythos im Film ist auch blindes, kindliches Vertrauen. Wer darauf

setzt, für den ist der ‚Herr der Ringe - Die zwei Türme’ kein

kurzsichtiger Heimatfilm.

Doch die Wahrheit des realen Lebens gibt es weder bei JACKSON,

noch bei CAMERON.

Und ein Kinos des Herzens ebenso wenig.

Wenn auch permanent die ewigen Symbole von Recht, Unrecht,

Glauben und Gehorsam beschworen werden, so bleibt doch unter

dem Strich festzuhalten: die Krisengespenster des tatsächlichen

Lebens bilden sich in der Verwilderung der gesellschaftlichen

Paranoia. Und nur dort finden die entscheidenden Schlachten statt.

Das Kino reproduziert nur ihr System. Das ist die Umhüllung, die

ihm seine Faszination verleiht.

Das Potpourri der Heldenlieder entsteht so in einem Sog der Gleichzeitigkeit,

in einem Wechsel von Story, history und Mythos. Zum Raum wird der

gewaltige Bilderbogen. Das erzeugt die traumwandlerische Kamera,

die wie ein allgegenwärtiges Auge, jede Klippe nimmt. Ein Protokoll

der hohen Kunst.

Mit gnadenloser Geduld blickt sie sanft, mitleidig, todesstarr in das

Weltspektakel des ‚Herrn der Ringe’. Fast ist man geneigt mit

Franz KAFKA zu sagen:

Wie schrecklich ist es, in der Welt zu sein’.

Anmerkungen:

(1) Die Trilogie ‚Der Herr der Ringe’ von Ronald Reuel Tolkienist ein sog. Dreiteiler:
- Der Herr der Ringe - Die Gefährten
- Der Herr der Ringe - Die zwei Türme
- Der Herr der Ringe - Die Wiederkehr des Königs
Teil I kam am 19. 12. 2000 in die Kinos, Teil II startet schon am 18. 12. 2002, Teil III kommt zu Weihnachten 2003 in die Kinos.

(2) Der Markt ist mit allerlei Firlefanz zum ‚Herr der Ringe’ mit Büchern, Musikhörspielen, Computerspielen, DVDs und Soundtracks überschwemmt. Hier eine kleine Auswahl.

Als DVD:

- Herr der Ringe: Die Gefährten - Special Extended Edition (4 DVDs)
 - Herr der Ringe: Die Gefährten - DVD Sammlerbox (4 DVDs + Bonus-DVD)
 - Herr der Ringe: Die Gefährten (2 DVDs)

- Der Herr der Ringe, der Zeichentrickfilm, von Ralph Bakshi

Als Musik- und Hörspiel:

- Der Hobbit, Audiobook, (4CDs)
- Der Herr der Ringe, Audiobook, limitierte Sammleredition (11
-  The Hobbit. Audiobook, (4 CD. Englische Fassung)
- Der Herr der Ringe, (Die zwei Türme (Soundtrack)
- Der Herr der Ringe, (Limited Edition - Soundtrack)
- The Lord of the Rings, Boxed Set with CD (audio)

Als Spiel:

- Der Herr der Ringe, (Spiel. Für 2 bis 5 Spieler ab 10 Jahren)
- Der Herr der Ringe, (Die Suche - Spiel. Für 2 Spieler ab 10 Jahren
- Der kleine Hobbit (Spiel)
- Der Herr der Ringe - Die zwei Türme von Eloctronic Arts (für PS2)
- Der Herr der Ringe - Die Gefährten (für Xbox)

Als Buch:

- Der Herr der Ringe. Die Gefährten/die zwei Türme/Die Wiederkehr des Königs
- Der Herr der Ringe. Das offizielle Filmbuch
- Das große Tolkien- Lexikon
- Der Herr der Ringe. Die Gefährten. Das offizielle Begleitbuch zum Film
- Das Silmarillion - Das Tolkien Quizbuch. 1200 Fragen und Antworte
-
Das vierte Zeitalter
- Der Herr der Ringe (Spiel) Die Entscheidung
- Der Herr der Ringe (Spiel) Die Feinde

- Der Herr der Ringe, Bd. 1, Die Gefährten
- Der Herr der Ringe, Bd. 2, Die Zwei Türme
-
Der Herr der Ringe, Bd. 3, Die Rückkehr des Königs
-
Der Herr der Ringe, Das offizielle Filmbuch
- Der Herr der Ringe (2002).

Darsteller:
Frodo Beutlin (Elijah WOOD), Gandalf (Ian MCKELLEN), Aragorn (Viggo MORTENSEN), Boromir (Sean BEAN), Legolas (Orlando BLOOM), Arwen (Liv TAYLER), Saruman (Christopher LEE), Gollum (Andy SERKINS). Regie: Peter JACKSON. Musik: Howard SHORE, Kamera: Andrew LESNIE.

(3) James CAMERON: amerikanischer Filmregisseur.
-Terminator, USA,1984,
-Rambo II, USA, 1985,
-Aliens - Die Rückkehr, USA,1986,
-Abyss - Abgrund des Todes, USA,1989,
-Terminator II, USA, 1990,
-True Lies, USA 1993/94,
-Strange Days, USA, 1994,
-Titanic, USA, 1997.

(4) Titanic: Regie: James CAMERON. Katastrophenfilm mit der Neuverfilmung des Mythisch besetzten Stoffes vom Untergang des Passagierschiffes ‚Titanic’ (15. April 1912). Mit Kate WINSLET und Leonardo DICAPRIO.

(5) Peter JACKSON in PRINZ, Stadtmagazin für das Ruhrgebiet, Ausgabe 12/002.
Filme u. a: -Bade Taste, Neuseeland, 1987 -Braindead, Neuseeland, 1991 -Heavenly Creatures, Neuseeland, 1994 -The Frighteners, Neuseeland, 1996 -Der Herr der Ringe - Die Gefährten, USA, 2000 -Der Herr der Ringe - Die zwei Türme, USA, 2002

(6) Die Kosten für das Gesamtprojekt, an dem fast 6 Jahre lang gearbeitet wurde werden mit ca.270-300 Millionen US-Dollar beziffert.

(7) Citizen Kane, Regie: Orson WELLES, USA (1941), mit Orson WELLES als Charles Forster KANE, eine fiktive Liebesgeschichte, erzählt aus der Perspektive von Augenzeugen.

(8) Chinatown, Regie: Roman POLANSKI, USA (1974), mit Jack NICHOLSON. Der Film erzählt eine Geschichte über die Nachforschungen eines Privatdetektivs In einer kalifornischen  Korruptionsaffäre.

(9) Etwa Casablanca, Regie: Michael CURTIZ, USA (1942), mit Humphrey BOGARD und Ingrid BERGMAN. Kriegsfilm, Liebesfilm, Literaturverfilmung, Melodrama.  Eine Gruppe von Flüchtlingen, Abenteurern, Agenten und  Vinchy-Polizisten, trifft während des Zweiten Weltkrieges in  Rick’s Bar in Casablanca aufeinander. In diesem internationalen  Halbweltmilieu voller Spannungen, Intrigen und politischen Repressionen, sieht der zynische Barbesitzer unversehens seine grosse Liebe wieder, die Frau eines ungarischen Widerstandskämpfers (Viktor LAZLO). Die Wiederbelebung der Romanze scheitert an der Notwendigkeit, den Ehemann vor seinen Nazi-Verfolgern zu retten. Das spannende und zum Teil witziges Melodrama mit zeitgeschichtlichem Hintergrund besticht durch optisches Raffinement, guten schauspielerischen  Leistungen, dramaturgisches Timing und dichter Atmosphäre.

(10) Vgl. etwa: Der mit dem Wolf tanzt, USA (1990). Literaturverfilmung, Western, mit Kevin COSTNER, Heat, USA (1995), Polizeifilm mit Robert DE BIRO Al PACINO. Casino, USA (1995), Gangsterfilm, mit Robert DE NIRO, Sharon STONE.

(11) Stirb an einem anderen Tag, (USA ) 2002, Regie: Lee TAMAHORI. Darsteller: Pierce BROSNAN(als James BOND) und Halle BERRY. Im Kampf gegen den nordkoreanischen Fiesling Rick YUNE, bleibt BOND natürlich der Sieger. Diesmal sind keine Russen im Spiel. Doch wer sich näher mit den BOND-Streifen beschäftigt, dem wird klar, dass der Russen Bonus nun endgültig verspielt ist. Schon krampfhaft muss die Filmindustrie nach neuen Betätigungsfeldern für ihren Superstar, BOND, suchen. Auf dem Weg dorthin verfängt sie sich in nichtssagende Manöver, doch wieder irgendwo die Welt im Alleingang gegen die Bösewichte zu retten. Ein James BOND muss nun gegen eine Horde Koreaner antreten, die nichts mehr mit dem ‚Kalten Krieg’ und dem darin gross gewordenen BOND gemeinsam haben. Ähnlich agiert ‚xXx - Triple X’, Regie: Rob COHEN. Mit Vin DIESEL, USA (2002), Agententhriller. Der smarte BOND, der Coctails schlürft, ein Frauenheld ist, und im Anzug daherkommt, der ‚berühmteste Spion’ der Welt, ein Engländer, ist Vin DIESEL (ein Amerikaner) ein Dorn  im Auge. Als Topagent Xander CAGE, alias Triple X, wird er von der US-Regierung angeheuert, um einen ‚schweren Fall’ zu übernehmen. Als Pläne über die Zerstörung der Welt bekannt werden, die die feindlichen Organisationen schmieden, kommt sein Einsatz. ‚Triple X’ nimmt bewusst die BOND-Streifen aufs Korn. In dem Anfangsschnitt wird nicht rein zufällig, ein Engländer, der BOND täuschend ähnlich sieht, ermordet. Damit soll ‚Tripl X’ wohl eine neue Ära in Sachen Agentenfilme einleiten, und eine andere Generation von Weltenrettern hervorbringen, die sich deutlich von ‚der Bond-Generation  abheben will’ (so: Vin DIESEL). Herausgekommen ist ein plumper, platter  Verschnitt herkömmlicher Actions-Streifen, die man bei  Arnold SCHWARZENEGGER besser bewundern kann.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings Hollywood und der Krieg

Dietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:

ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE

Das "Bündnis für Arbeit" Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999