Editorial
Theoriearbeit

von Rebecca Epstein

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Die fünfte Linke Literaturmesse vom 17. bis 19. November 2000  in Nürnberg war nicht nur gut besucht, hatte nicht nur ein interessantes Begleitprogramm, sondern war vor allem auch Spiegel des Zustands der linken&radikalen Kräfte in diesem Land. Gemeint ist hier nicht ihre Bedeutungslosigkeit auf dem Felde der Realpolitik, sondern ihr theoretischer Zustand. 

Quasi exemplarisch standen für diese Zustände im Begleitprogramm Ralf Reinders ("Bär") und Jutta Ditfurth. "Bär" war als "Zeitzeuge" in der Eröffnungsveranstaltung tätig und hatte die Aufgabe die Geschichte des bundesdeutschen Linksradikalismus seit 1968 nebst Vorläufern zu schildern. Dies tat er - frei sprechend - anschaulich und facettenreich fast zwei Stunden lang. Detailfehler blieben daher nicht aus. Nach dieser Quasi-Vorlesung wollte natürlich keine rechte Diskussion aufkommen. Sein 20 bis 30 Jahre jüngeres Publikum stellte lediglich nur schüchterne Verständnisfragen. 

Ralf Reinders Antwort auf die Frage, warum er nicht wie viele andere seiner Generation heute mit seinen Ansichten gebrochen habe, ließ dann die ganze Theorie-Misere deutlich werden. Reinders Welt hat sich trotz der Niederlage des Realexistierenden Sozialismus prinzipiell nicht verändert. Die alten Einschätzungen stimmen im Kern noch und folglich heißt seine revolutionäre Perspektive  immer noch wie 1917 Sturm aufs Winterpalais.

Jutta Ditfurth - gleichsam das Promi-Highlight der Messe - referierte die Geschichte der Grünen unter dem ausschließlichen Aspekt des Verrats. Zwischenfragen waren nicht zugelassen. Obgleich thematische Welten zwischen beiden Referenten zu liegen schienen, waren Juttas Argumentationsfiguren zu "Bärs" kongruent: Sie beschrieb den Kapitalismus als Anhäufung von Reichtum, dessen gerechte Verteilung von bestochenen Müßiggängern permanent verhindert wird, weil sie die Massen pausenlos von hinten bis vorne belügen und betrügen - übrigens alles nachzulesen in ihrem neuen Buch, welches im Anschluss an ihren Vortrag handsigniert käuflich zu erwerben war.

Die Naturalisierung des Kapitalverhältnis durch Verkürzung auf die Stofflichkeit war beiden gemein. Gesellschaftliche Widersprüche reduzierten sie auf interpersonale Strukturen, worin die Schurken immer das Sagen haben. Eine theoretisch hergeleitete Beweisführung kam nicht vor, da beide Deskription für Analyse halten. So ließ sich Jutta Ditfurth z.B. zu dem Klops hinreißen, dass der ökonomische Zweck des Imperialismus der Warenexport sei.

Nun gut, der trockene Schiffszwieback der Theorie wurde nicht geboten. Anderes ließ jedoch wieder Hoffnung machen. So die zahlreichen Gespräche, die wir trendies während und entlang der Messe mit etlichen Personen und Gruppen führten. Darin zeigte sich, dass revolutionäre Theorie nicht nur nachgefragt wird, weil sie Mangelware ist, sondern weil sie zunehmend als die notwendige Voraussetzung für eine sozialemanzipatorische Praxis angesehen wird.

Von daher sind wir hochmotiviert, zum fünften Geburtstag des trend am 18.1.2001 ein Internet-Projekt vorzustellen, dass ausschließlich für diese Theorierarbeit eingerichtet wird. Uns liegt dazu bereits ein hervorragender Text von Ulrich Weiß ("Kapitalismus - Sintflut oder Arche?) vor, der die theoretischen Herausforderungen des Robert Kurz aufgreift, um sie als "Sackgasse" zu werfen und um sich so den tatsächlichen materiellen und subjektiven Voraussetzungen für die Aufhebung des Kapitalismus zuzuwenden. Zum "Anwürzen" fügen wir einen kurzen Leseauszug aus seinen "Notizen zum Schwarzbuch des Kapitalismus von Robert Kurz" an.

Aber nicht nur im Anhang des Editorials geht es in dieser Ausgabe um die Kritik der Politischen Ökonomie sowie um die theoretischen Eckpunkte eines zeitgenössischen Marxismus. Die Artikelauswahl dieser Ausgabe hat ganz eindeutig ihren Schwerpunkt darin. So kritisiert  das "Krisis"-Mitglied Ernst Lohoff seinen Kollegen Robert Kurz an dessen zentralen Schwachpunkten, die demnächst bei der Debatte um Ulrich Weiß Aufsatz auch eine wichtige Rolle spielen werden.

Ob immaterielle Arbeit die Wertschöpfungskette dominiert, fragt Carola Möller; und behandelt mithin Fragen, die für die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft auch nicht ganz unwichtig sind.    

So - mehr wird nicht verraten, denn selber lesen ist Trumpf.