Zweiter Brief an einen sozialdemokratischen Genossen

von Antonín Dick

11-2013

trend
onlinezeitung

Berlin-Steglitz, den 29. Oktober 2013

Sehr geehrter, lieber Herr Buchmann(*),

vor über zwei (!) Monaten hatte ich Ihnen einen ausführlichen Brief zu grundsätzlichen Fragestellungen der Zeitgeschichte geschrieben, vor allem auch zum Schutz von Juden in der Bundesrepublik Deutschland sowie zur demokratiebewußten, kritischen Darstellung des Wiedererstarkens des Faschismus in der deutschen Gesellschaft. Inzwischen sind in der ganzen Welt die erschütternden Ereignisse um den Verrat an den Flüchtlingen in Berlin-Hellersdorf ruchbar geworden. Es ist immerhin der Stadtbezirk, in dem Sie lange Zeit kulturpolitisch und ideologisch federführend gewirkt haben.

Wir beide haben seinerzeit eine Debatte um die dubiose Figur des Literaten Peter Huchel, den Kapp-Putsch-Teilnehmer und Profiteur des Dritten Reiches, geführt, der obendrein, wie ein britischer Literaturwissenschaftler recherchieren und darstellen konnte, seine beiden einstigen Mitstreiter Hans Arno Joachim und Alfred Kantorowicz, die aus Deutschland, konkret aus Berlin-Steglitz bzw. Berlin-Schmargendorf, fliehen mußten, aus Opportunismus im Stich gelassen hatte.

Sie, sehr geehrter Herr Buchmann, hatten in dem Hellersdorfer Straßennamenstreit den verfolgten Juden und aktiven Antifaschisten Alexander Abusch ausgetauscht gegen den Profiteur des Nazireiches Peter Huchel. Sie erinnern sich doch an meine beweiskräftige Argumentation, damit diese obszöne politische Intrige nicht den Sieg über historische Wahrheiten davontragen kann? Eine Argumentation, die auf dem Höhepunkt unserer Auseinandersetzungen den Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses erreichte? Im Jahre 1934 schrieb Huchel für die Sendereihe „Horchposten“ des Reichssenders Berlin das Hörspiel „Ballade im Eisfenster“, das gegen die politische und antirassistische Emigration gerichtet war. Anfang Februar 1936 gab Huchel beim Reichssender seine „Ariererklärung“ ab. Mitte Februar 1936 schrieb Huchel an den Reichssender einen Honorarerhöhungsbrief, den er mit „Heil Hitler!“ unterschrieb. Er war schließlich staatstragender „Arier“ geworden. Er erhielt Honorarerhöhung. Nach dem faschistischen Überfall der Deutschen auf Frankreich im Jahre 1940 arbeitete Huchel an dem Filmskript „Das Fräulein von Soor“, um die antifranzösische Kriegspropaganda Hitlers zu unterstützen. Einem solchen „Edelarier“ und literarischen Parteigänger Hitlers haben Sie den Weg zu einer amtlichen Würdigung geebnet. Trotz meiner Warnung!

Und jetzt stehen wir erneut am erinnerungspolitischen Scheideweg, sehr geehrter Herr Buchmann

Und Sie ignorieren erneut meine Opposition zu Ihrer über weite Strecken mit dem Programm der SPD unvereinbaren Position.

Es entspräche m. E. den Regeln des Anstands, von Ihnen eine adäquate Antwort auf meinen kritischen Brief vom August 2013 zu erhalten, meinen Sie nicht auch? Ich ersuche Sie jedenfalls höflichst um eine Reaktion, auch wenn es nicht einfach ist, auf oppositionelle Positionen argumentativ zu reagieren. Aber wenigstens das sollte aus der Oppositionsbewegung der DDR, der ich aktiv angehörte, gelernt sein. Einen Andersdenkenden zu ignorieren, ist eines Mitglieds der ältesten Arbeiterpartei in deutschen Landen unwürdig, denke ich.

Mit freundschaftlichen Grüßen

Antonín Dick
Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Landesverband Berlin

*Der authentische Name wurde durch ein Pseudonym ersetzt.

Editorische Hinweise
Wir erhielten den Brief vom Autor und werden dazu - je nach Fortgang der Dinge - weiter berichten.

Der Kasten ist eine Ergänzung der Redaktion.

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Ein Essay von Antonín Dick