Editorial
Schmick, Strieder & trend

von Karl Müller

11/03
 
 
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Lehrer Schmick aus Berlin gilt als rechtsradikal. So jedenfalls bewerten KollegInnen, SchülerInnen und deren Erziehungsberechtigte Schmicks dienstliches und außerdienstliches Verhalten. Schmick, Geschichts-, Sport- und Politiklehrer am Gymnasium Steglitz, so hieß es, relativiere die Verbrechen des Nationalsozialismus und mache fremdenfeindliche Aussagen. Eine Elterninitiative gründete sich, zeitweise auch von Fernsehmoderator Günther Jauch unterstützt, dessen Tochter die Schule besuchte, und machte den Fall publik. Wegen des öffentlichen Drucks wurde Schmick im Dezember 2000 zunächst für drei Monate vom Dienst suspendiert. Mitte März 2001 lag der Bericht der Vorermittlungen vor. Kernaussage: "Der Beamte sei hinreichend verdächtig." Dann werden 19 Vorwürfe aufgelistet, unter anderem eine angebliche Äußerung Schmicks im Unterricht einer zehnten Klasse im Jahre 1994, Auschwitz sei eher ein Arbeitslager gewesen, in dem nur wenige Leute auf der Stelle getötet worden seien. Ein Mädchen asiatischer Herkunft soll Schmick als "Korea-Import" bezeichnet haben.

Im Mai 2001 wird das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet, das Schmick selber gegen sich beantragt hat. Seitdem ist Schmick mit vollen Bezügen zu Hause und kann sich als deren Direktor voll den Aufgaben seiner Forschungsstelle für Militärgeschichte in der Krottnauererstr. 14A in 14129 Berlin widmen. Dazu gehören Vorträge auf Symposien, an der Berliner Urania und bei öffentlichen Gedenkfeiern, Lehrveranstaltungen an Humboldt-Universität und an der Landesuniversität Potsdam ebenso wie sein regelmäßiges Auftreten als Referent in rechten Zusammenhängen und an deren Stammtischen. Schmicks Hauptthema: Geschichtsrevisionismus ("Der Preussische Militarismus als Garant des Friedens", "Traditionsprobleme im Zusammenhang mit der Reemtsma-Ausstellung") .

Anläßlich seines geschichtsrevisionistischen Referats über die Wehrmachtsausstellung bei der Pommerschen Aktionsfront im Sommer 2003 verlautbart diese auf den Seiten von WiderstandNord ("Bei uns spiegeln sich relevante Aktivitäten des nationalen Widerstandes."):

"Wir Danken Karl-Heinz Schmick, dass er unserer Einladung gefolgt ist und diesen Vortrag hielt! Wir fordern: Schluss mit den Lügen und setzen uns ein, für die sofortige Schließung dieser Schandaustellung, denn die Deutsche Wehrmacht war die Ehrenvollste und Ruhmreichste Armee der Welt!"

Oder die Kameradschaft Bergstrasse, die zu einer braunen Aktion in Schwäbisch Gmünd folgende Gruppen mobilisiert: JN-Verbände, das Aktionsbüro Süddeutschland, die Kameradschaft Karlsruhe, das Forum Südwest, Demokratie Direkt, Sturm Baden, Aktionsbüro Niederbayern und die Kameradschaft Straubing, zitiert dazu Schmick:  

"Es ist müßig, darüber zu räsonieren, ob Vorgaben Reemtsmas oder vorauseilender Gehorsam der Mitarbeiter oder fachliche Unzulänglichkeiten des Personals die Ursache für diese Fehlleistungen sind. Es genügt, sich in Erinnerung zu rufen, daß der Hamburger Multimillionär von den Kernthesen seiner ersten Ausstellung nie Abstriche machen wollte, daß derjenige, der eine Karawane zusammenstellt und finanziert gemeinhin auch die Richtung bestimmt, in der sie sich bewegt, daß im Beirat nur zwei Militärhistoriker sitzen, im Mitarbeiterstab sogar kein einziger und daß zur Geschichte der Wehrmacht kaum einer aus beiden genannten Gremien als ausgewiesen gelten kann. In allen drei Körperschaften - Ausstellungsteam, wissenschaftlicher Beirat und Überprüfungskommission - haben fast ausschließlich Vertreter jener Historikerzunft gesessen, die von manchem Geschichtswissenschaftler und Journalisten recht nonchalant als Teil der "Holokaust-Industrie" und des "Shoa-Business" bezeichnet werden."

Nach drei Jahren Ermittlungen und Befragungen von rund 50 Zeugen meandert das Disziplinarverfahren jetzt einem Ende zu gunsten von Schmick entgegen. Bald darf Kamerad Schmick wieder als Lehrer arbeiten. Doch das allein reicht ihm nicht. Er verlangt noch eine Ehrenerklärung und Schadensersatz. Und er kann guter Dinge sein. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte im Sommer 2003 die im Disziplinarverfahren zusammengetragenen Beweiseinreden zurückgewiesen. Zur gleichen Zeit erstritt Schmick vor dem Kammergericht, dass er nicht als Auschwitz-Leugner bezeichnet werden darf.

Dass sich die Berliner Schule nicht von Rechten und Rassisten trennen kann oder besser will, ist nicht verwunderlich, sondern hat Tradition. Diese Traditionslinie stiftete 1982 Herbert Bath (SPD) der oberste Landesbeamte der Schulbehörde: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder und Kindeskinder als Deutsche in ihrem Vaterland friedlich und unangefochten leben können, und wir dürfen ihnen nicht ein Land mit unlösbaren Problemen hinterlassen.“ Damit begründete er einen "Ausländerstopp" und warnte rassistisch und fremdenfeindlich vor "Überfremdung" und "Landnahme". Die deutsche Jugend, hetzte er, habe ein Recht darauf, "unbehelligt von Fremden" aufzuwachsen.  

In Erfüllung jenes vom obersten Dienstherrn propagierten Rassismus gelangte der Kreuzberger leitende Schulrat  Peter Radusch (CDU), heute in der Senatsschulverwaltung zuständig für Suchtprophylaxe, zwischen 1990 und 1994, zu zweifelhaftem Ruhm.

Ein Dienstgespräch mit einer schwarzen Kollegin eröffnet er mit den Worten: "Du bist hier nicht im Busch, Wenn Du Dich hier so benimmst, mußt Du zurück in den Busch." VietnamesInnen sind für Peter Radusch "Fidjies" und der Antrag einer ausländischen Kollegin wird, handschriftlich kommentiert, folgendermaßen zurückgewiesen: "Nix Begründung - Nix Genehmigung". 
1994 ist selbst bei der GEW Berlin das Maß voll. Ihre Kreuzberger Personalräte beschweren sich dienstlich beim Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD), heute Senator und SPD-Landesvorsitzender, der damals als "links" gilt. 

Für Strieder reicht es völlig aus, dass Radusch seine rassistische Anmache zynisch in "auflockernde Bemerkungen" umdeutet und legt die Sache ad acta. Dass Strieder, der Jahre später zu NPD-Gegenkundgebungen aufrufen wird, hier untätig bleibt, mag verwundern. Mangelndes Fingerspitzengfühl ist es jedoch nicht, was ihn hindert gegen Radusch vorzugehen, sondern eher eine Mischung aus taktischer Blindheit und konkludenter Ignoranz.

2000 wird Strieder nämlich ganz im Geiste jenes behördlichen Rassismus vorschlagen, ausländische StudentInnen künftig in leer stehenden Plattenbauten der Berliner Aussenbezirke unterzubringen. Dazu stellte der FU-ASta am 20.11.2000 klar:  

"Mit Bestürzung reagiert der AStA FU auf den Vorschlag des Stadtentwickungssenators Peter Strieder (SPD), StudentInnen künftig in leer stehenden Plattenbauten der Berliner Aussenbezirke unterzubringen. Die bestehenden StudentInnenwohnheime in Berlin werden zu 44 Prozent von "ausländischen" StudentInnen genutzt, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens und Diskriminierung am freien Wohnungsmarkt auf dieses Angebot angewiesen sind. Angesichts dieser Tatsache ist Strieders Vorschlag an Realitätsfremdheit kaum zu überbieten, denn dass Menschen nicht-weisser Hautfarbe sich in den östlichen Aussenbezirken Berlins kaum frei bewegen können, dürfte selbst ihm nicht entgangen sein. Den Lippenbekenntnissen gegen Rassismus, die in den letzten Wochen von allen grossen Parteien abgelegt wurden, sind leider noch keine Taten gefolgt, die tatsächlich zu einem Rückgang rassistischer Gewalt geführt hätten. Die Wahrscheinlichkeit rassistischer Übergriffe ist im Ostteil der Stadt fast dreimal so hoch wie im Westteil, und BewohnerInnen der Wohnheime in den östlichen Bezirken haben bereits in der Vergangenheit immer wieder über rassistische Pöbeleien und Schmierereien (z.B. "Schwarze raus") durch AnwohnerInnen berichtet. Strieders Vorschlag würde bei uns nur Heiterkeit auslösen, fügte er sich nicht nahtlos in eine Politik ein, die einerseits offensiv um "ausländische" StudentInnen wirbt, diese aber andererseits durch strukturelle und rechtliche Diskriminierungen wie Arbeitsverbote, restriktive Aufenthaltsregelungen, Höchstzulassungsquoten und die Nichtanerkennung ausländischer Schulabschlüsse systematisch abschreckt."

Der trend - zur Zeit des "Radusch-Skandal" noch Organ der GEW Kreuzberg - berichtet ausführlich in mehreren Ausgaben 1994 und 1995 über diese skandalösen Vorgänge. Dann kommt es in Sachen Rassismus zum Eklat in der GEW.  

Im trend 2/95 soll eine Erklärung des Personalratsmitglied Günter Langer abgedruckt werden, der eine weitere Zusammenarbeit mit Radusch als Behördenvertreter im Personalrat wegen dessen rassistischer Äußerungen ablehnt. Keiner der Kreuzberger GEW-Personalräte hatte sich zuvor Langers Erklärung angeschlossen. Statt dessen reicht ihnen Strieders Schreiben vom 7.4.1994 völlig aus, um eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit Radusch fortzusetzen. Auch darüber soll im trend berichtet werden.  

Als dem GEW-Vorstand vor der Auslieferung der Nr. 2/95 jener Artikel zur Kenntnis gelangt, wird der trend-Redaktion die Verbreitung der Nr. 2/95 untersagt. Die damalige trend-Redaktion handelt konsequent. Sie holt die Zeitung (5.000 Auflage) aus der Druckerei ab und vertreibt sie in eigener presserechtlicher Verantwortung. Im GEW-Funktionärskörper werden Forderungen laut, die damaligen trend-Redakteure aus der Gewerkschaft auszuschließen. Dies läßt sich jedoch angesichts des für die GEW heiklen Themas (Rassismus) nicht durchsetzen und wird fallengelassen. Statt dessen wird der trend, der noch bis Ende 1995 von der gemobbten Redaktion auf eigene Kosten herausgeben wird, nicht mehr von der Gewerkschaft finanziert. So emigriert der trend im Januar 1996 aus Kosten- und Vertriebsgründen ins World Wide Web und erscheint seitdem ausschließlich online. Eine neue, andere Kreuzberger GEW-Zeitung hat es in der Folgezeit nicht mehr gegeben.    

Bereits durch diesen kleinen Ausflug in den rassistischen Teil der neueren Berliner Schulgeschichte dürfte hinlänglich klar geworden sein, warum die Kritik des Sprechers der Eltern des Steglitzer Gymnasiums,  Eckart Frantz,  völlig folgenlos bleiben wird, die Verwaltung würde das Verfahren nicht intensiv genug und "dilettantisch" führen.   

Schmick wird Lehrer bleiben, weil es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ihm und einigen seiner Vorgesetzten in Sachen Fremdenfeindlichkeit gibt, die wie er („Korea-Import“) ebenfalls "auflockernde Bemerkungen" lieben. Kurzum: Die deutsche Staatsschule, deren Struktur von Aussonderung und Ausgrenzung geprägt ist, braucht ein, zwei, drei, viele Schmicks um zu funktionieren.

Spätestens seit dem 11. September 2001 haben nicht wenige unter den Linken den Kampf gegen den Islamismus als politisches Betätigungsfeld entdeckt und schaffen damit Schnittstellen zu einem „differentiellen Rassismus“ (Balibar), der in der Vermischung  „höherstehender“ Kulturen mit „barbarischen“ vom „geistigen Tod“ der „höherstehenden“ ausgeht – also im vorliegenden Fall vom Untergang des Abendlandes durch Osama Bin Ladens „Kreuzzügler“, die eben nicht nur mit der Waffe in der Hand sondern - hinterhältig wie die Fehresta Ludin  - auch mit dem „Kopftuch als Kampfmittel“ arbeiten. 

Zu dieser Fraktion der Linken gehört Günter Langer, dessen Artikel wir auf seinen Wunsch hin in der Nr. 11-03 veröffentlichen. Gleichsam als Gegengewicht dazu ein Artikel von Marlies Wehner zur „Kopftuchfrage“ aus der Zeit vor dem 11. September und als Dokument die aktuelle Stellungnahme von Fehresta Ludin zum Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts. 

Durch diesen Paradigmenwechsel auf Seiten der Linken droht heute, antirassistische Politik, wo sie denn noch stattfindet, im notwendigen Kampf gegen den Antisemitismus aufzugehen oder/und als Anti-Islamismus zum verlängerten Arm des herrschenden politischen Personals zu mutieren. Mit diesen Fragen beschäftigt sich in der vorliegenden Ausgabe das Café Morgenland.

Ebenfalls nicht ohne Widerspruch dürften in Zukunft Jürgen Fahlbuschs postmoderne Abrechnung mit Marx sowie Robert Kurzens Verballhornung der Marxschen Werttheorie bleiben. 

Daher gilt auch für die 11-03 wie in allen bisher erschienenen gedruckten und virtuellen Ausgaben: Im trend findet nicht der „Kampf zweier Linien“, sondern mehrerer Linien statt. Und das schon deshalb, damit Meinungen nicht wie Tatsachen behandelt werden können. 

Von daher haben wir uns auch gefreut, dass Hannes, Mele, Roman & Sven uns ihre Kritik an den Wertkritischen Kommunisten zur Veröffentlichung gegeben haben. Und selbst im Lager der Antideutschen gibt es endlich den ideologischen Schlagabtausch mit allem was dazugehört. Wir dokumentieren und überlassen der LeserInnenschaft dieses zu bewerten.