Leserbrief in Replik auf jenen v. Anton Holberg und zum Editorial (09/2013)

von Bernard Schmid

10-2013

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Anton Holberg schrieb in der Ausgabe 09/2013 einen Leserbrief, welcher sich an einem Halbsatz in einem zuvor von mir publizierten Artikel "Extreme Rechte mobilisiert gegen eventuelle Syrien-Intervention" aufhängt. Es handelt sich um folgende Passage, welche eine von mehreren möglichen Optionen der Positionierung zum syrischen Bürgerkrieg umreißt: Und drittens kann man auch versuchen, eine Position einzunehmen, die vorrangig von den Interessen der syrischen Opposition oder ihres progressiven Teils auszugehen versucht. Also in dem Sinne, das Alles, was den Sturz des Regimes begünstigt, theoretisch von Nutzen sein kann (…)

Anton Holberg hat grundsätzlich Recht darin, dass dieser mögliche Nutzen eben ein potenzieller ist, eben nur eine unter mehreren Möglichkeiten der künftigen Entwicklung darstellt. Soweit trifft sein Kommentar völlig zu; deswegen hatte ich auch das Adverb „theoretisch“ (vor den Worten „von Nutzen“) gewählt. Ein Umsturz in Syrien ist nötig, um die Voraussetzungen für politische und soziale Verbesserungen – nach dem Abgang des amtierenden Folterregimes – zu schaffen, er garantiert aber sicherlich nicht automatisch einen positiven weiteren Entwicklungsweg: Er ist NOTWENDIGE, ABER NICHT HINREICHENDE Voraussetzung dafür. Ansonsten wird es natürlich auch weiterhin ein Ringen zwischen unterschiedlichen Kräften, die heute (da allesamt unterdrückt) alle in der Opposition sind und das ganze Spektrum von weit links bis weit rechts abdecken, um die weitere Zukunft des Landes.

Im Weiteren scheinen Holbergs Äußerungen allerdings doch verharmlosend, was seine Charakterisierung des bestehenden Regimes betrifft – er bezeichnet es etwa ohne weitere spezifische Kennzeichnung einfach als „bürgerlich“, wie bspw. auch die Merkel-Regierung eine bürgerliche ist (auch wenn er spezifiziert, dass es „schwerlich einfach abgewählt werden kann“, wie es in einer ordinären bürgerlichen Demokratie gälte). Und er spricht von seinem „grundsätzlichen Säkularismus“, was wiederum durchaus in Zweifel zu ziehen ist: Erstens ist es just dieses Regime, das immer wieder die konfessionellen Partikularismen aufleben ließ und lässt, um sich als vermeintliche Schutzmacht starker konfessioneller Minderheiten (besonders Alawiten und Christen-Christinnen) aufzuspielen. Zweitens wird das syrische Regime aus Gründen konfessionialisierter „regionaler Geopolitik“ von Akteuren wie dem iranischen Regime und der libanesischen Hizballah (eingedeutscht Hezbollah) unterstützt, die garantiert nicht säkular orientiert sind – islamistisch ist also keineswegs nur ein Teil der Opposition… Und zum Dritten ist bislang das syrische Zivil- und Familienrecht durchaus kein egalitäres, was die Rolle der Frau betrifft, auch wenn in der gesellschaftlichen Praxis syrische Frauen vor dem Bürgerkrieg weitaus besser gestellt waren als etwa jene in Saudi-Arabien.

Ansonsten noch kurz zum Editorial in Ausgabe Nummer 09/2013. Dort steht zu lesen: Allein die  Möglichkeit des Umbaus des gelenkten syrischen Kapitalismus in eine neoliberale kapitalistische Marktwirtschaft rief sogleich die entsprechenden Klassenkräfte auf den Plan. Der Bürgerkrieg als Umverteilungskrieg nahm seinen Lauf.“

Es ist selbstverständlich grundsätzlich richtig, sich an einer Klassenanalyse zu versuchen, welche die Hintergründe des syrischen Bürgerkriegs auf sozio-ökonomischer Ebene besser ausleuchten könnte. Nur: Diese hier erscheint denn doch gar zu holzschnittartig. Unter anderem projiziert sie die Vorgänge im früheren „Ostblock“, die insbesondere in den 1980er Jahren zum Tragen kamen und zu politisch-ökonomischen Umwälzungen führten (deren Ursachen aber bereits vorher gelegt wurden), auf die Verhältnisse in Syrien. Allerdings scheint dies an der Wirklichkeit vor Ort, die Gegenstand einer präzisieren Realanalyse sein sollte, doch einigermaßen vorbeizugehen.

Konkret wurden in Syrien nämlich bereits um 1991, also als das damalige Regime – unter dem Vater des jetzigen Präsidenten – seinen geostrategischen Verbündeten in Gestalt der UdSSR einbüßte, eine Privatisierungswelle und ein Übergang vom weitgehend staatlich gelenkten zum Privatkapitalismus eingeleitet. Auf einem anderen Blatt steht, dass die damals durchgeführten Privatisierungen weitgehend auf mafiöse Art & Weise verliefen, und als Aufkäufer in hohem Ausmaß Mitglieder des erweiterten Familienclans um Al-Assad berücksichtigt bzw. manifest begünstigt wurden. Ein leiblicher Vetter des jetzigen Präsidenten Baschir Al-Assad, mit Namen Rami Makhlouf, kontrollierte deswegen bis im Frühjahr 2011 direkt oder indirekt rund 60 Prozent der syrischen Ökonomie. (Danach, unter dem Druck der Massenproteste sowie auf seine Person gemünzter gezielter EU-Sanktionen, musste sein Anteil leicht zurückgeführt und abgebaut werden; vgl. etwa http://syrie.blog.lemonde.fr/2011/05/28/rami-makhlouf-inaugure-la-saison-des-soldes-en-syrie/ ) Der syrische Kapitalismus ist, namentlich in der arabischsprachigen Weltregion, freilich nicht der einzige auf solche Weise funktionierende.

Ein Vergleich zur sowjetischen Staatsökonomie von vor 1991, in deren Windschatten zwar ebenfalls eine mafiöse „Schattenökonomie“ gedieh (welche sich dann unter Boris Jelzin von ihren vormaligen Fesseln befreien konnte), die jedoch in ihren „offiziellen Sektoren unter kollektiver Kontrolle der Bürokratie als sozialer Klasse - und nicht einzelner Individuen oder Familien – stand, geht insofern fehl. Die syrische Ökonomie seit 1991 hat längst weitaus mehr mit jener in der „deregulierten“ Ex-Sowjetunion in den Neunziger Jahren, als mit der vormaligen sowjetischen Staatsökonomie gemeinsam.

Deswegen ist es falsch, den aktuellen Bürgerkrieg als gewaltförmige Konfrontation etwa zwischen an einer offen kapitalistischen Umwälzung arbeitenden Kräften auf der einen, und an einer Staatsökonomie festhaltenden Kräften auf der anderen Seite zu analysieren. In die richtige Richtung ginge es viel mehr, davon auszugehen, dass Widerstände sich an der mafiösen Kontrolle dieser (formal bereits weitgehend privatisierten, als Mix aus Privat- und Staatsökonomie funktionierende) Wirtschaft durch den Assad-Clan entzünden.

Grundsätzlich dürfte es zwischen dem Mainstream in der syrischen Opposition/ Rebellion und dem aktuellen Regime keinen scharfen Klassenunterschied geben – es sei denn, er macht sich an der Nähe zur oder Ferne vom Zugang zu Ressourcen(kontrollpositionen) fest -, da die Opposition insgesamt kein klassenpolitisch definiertes Projekt verfolgt. Private Händler finden sich ebenso in der bewaffneten Opposition wie in jenen Schichten, die nach wie vor das Regime unterstützen, weil sie sich durch Konflikt und Bürgerkrieg nicht das Geschäft kaputtmachen lassen wollen. Der Konflikt ist im Kern ein politischer, geprägt vom Ringen um (derzeit monopolisierte) Machtpositionen, und nicht der Gegensatz zwischen zwei Klassenantagonismen oder jedenfalls deutlich definierbaren Klassenblöcken.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Leserbrief für diese Ausgabe.