trend spezial: Die Organisations- und Programmdebatte

"Deshalb war es gut so, dass wir ausgestiegen sind."

10-2012

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Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Anlässlich des Ausscheidens aus dem NaO-Prozess führte TREND am Oktober 2012 ein Gespräch mit drei Genossen des AKKA.

TREND: Im Sommer 2012 tretet Ihr als AKKA dem SiB-Nao-Prozess bei und im August 2012 seit Ihr schon wieder ausgetreten, das ist für Außenstehende aber schwer nachzuvollziehen?

K.: Unser Beitritt vollzog sich inhaltlich im Herbst letzten Jahres, nachdem wir durch etliche Beiträge und Aktivitäten  deutlich gemacht hatten, dass die fünf Eckpunkte(1) für uns eine angemessene Matrix der Diskussion über Programm und Organisation darstellen. Wir wurden daher zur Teilnahme des 1. bundesweiten Treffens der „SiB-Nao-Gruppen“ nach Hannover eingeladen, konnten diesen Termin aber wegen anderer kurzfristiger Termine nicht wahrnehmen. Auf dem 2.Treffen im Januar 2012 in Berlin nahmen wir teil. Wir legten dort klar, dass wir aufgrund unserer (damaligen) organisatorischen Verfassung - als einzelne Mitglieder der Trend-Redaktion - grundsätzlich formal kein Teil eines Zusammenschlusses von politischen Organisationen sein können, ansonsten würde TREND damit quasi als eine Art NaO-Parteiorgan erscheinen, was von der Gesamtredaktion - wie Du selber weißt - aufgrund des strömungsübergreifenden Konzepts nicht gewünscht war. Eine baldige Lösung dieses formalen Problems stellten wir in Aussicht. Die Genossen akzeptierten unsere Entscheidung und behandelten uns gleichberechtigt wie zuvor.(2) Wir brauchten zur Schaffung dieser formalen Voraussetzungen - nämlich die Konstituierung des AKKA als politische Gruppe einiger TREND-GenossInnen, die den NaO-Prozess mittragen wollten - bis zum Sommer 2012 und verkündeten auf der 1. VV der Berlin-Brandenburger SiB-NaO- Gruppen den Beitritt des AKKA.

TREND: Okay - aber warum seid ihr ausgetreten?

G.: Zunächst stellten wir fest, dass im Protokoll dieser VV, welches als Mail von der SiB verbreitet wurde, unser (formaler) Beitritt nicht erwähnt wird. Wir kritisierten dies und ergänzten das Protokoll dementsprechend per Mail. Wir veröffentlichen dann Anfang August unsere programmatische Empfehlung „Schaffen wir ein „politisches Kartell“ der Gruppen, die den NaO-Prozess tragen“. Im Sib-NaO-Blog wurde er weder als Erklärung einer NaO-Gruppe gelabelt, noch wurde nun der AKKA als „NaO-Gruppe“ wie alle anderen aufgeführt.

K.: Ich habe gleich wenige Tage nach Erscheinen unserer Erklärung von der Nao-Blog Admistration verlangt, beides nachzuholen. Schließlich hatte bereits die vielgelesene Onlinezeitung Scharf-Links von unserem (formalen) Beitritt berichtet. Dies führte zum Bestreiten unserer Mitgliedschaft seitens der SiB-NaO-blog-Administration und dem Verweis, dass im Oktober ein weiteres bundesweites Treffen geplant sei, wo wir dann aufgenommen werden könnten.

G.: Um die Klärung dieser Aufnahmefrage entspann sich ein Disput in der internen Mailing-Liste, wo deutlich wurde, dass es der Administration gar nicht um eine Formalität geht, wie wir zunächst annahmen, sondern um den Versuch mit Formalien unsere politisch-strategische Position aus dem NaO-Prozess auszuschließen.

R.: Wir halten solch ein Politikverständnis für schädlich, wenn die gemeinsam gewählte politische Aufgabenstellung lautet, einen antikapitalistischen Pol zu formieren, der sich in den Parteibildungsprozess des Proletariats einbringt und ihn vorantreibt. In diesem Prozess, der erst an seinem Anfang steht, muss es um die Organisierung von gemeinsamen politisch praktischen Erfahrungen mit der Klassenwirklichkeit und um ihre kollektive theoretische Durchdringung gehen. Beides - Theorie und Praxis des Klassenkampfes - müssen kollektiv und miteinander verzahnt angegangen werden. Davon war und ist der SiB-NaO-Prozess Lichtjahre entfernt. Unter solchen Voraussetzung mit inquisitorischen Aufnahmebedingungen, wir wollen wissen, ob der AKKA sich „als revolutionärer Zusammenhang“ versteht, zukommen - so der SiB-Nao-Blog-Adminstrator, ist irgendwo zwischen Omnipotenzphantasien und Sektierertum angesiedelt.

G: Aus meiner Sicht war das Aufnahmeverfahren wirklich der zentrale Punkt. Dabei ging es in erster Linie nicht um unsere eigene Aufnahme, sondern darum, ob in der jetzigen Phase ein Aufnahmeverfahren politisch Sinn macht. Meiner Meinung nach schottet sich der NaO-Prozess dadurch unnötig ab. Die Gefahr, dass man sich von der bundesweit existierenden Tendenz zur Schaffung eines antikapitalistischen Pols selbst abkoppelt, stufe ich als ziemlich groß ein.
Zudem fehlen dem NaO-Prozess die politischen, programmatischen und organisatorischen Voraussetzungen, um ein Aufnahmeverfahren inhaltlich und formell ausreichend zu definieren und zu legitimieren. Unter solchen Umständen ist die Aufnahme eine intransparente Aktion, die Platz bieten würde für allerlei Mauscheleien und bürokratische Gemeinheiten. Gegen einen solchen Polit-TÜV, der allerlei Mätzchen ermöglicht, haben wir selbstverständlich Front gemacht. Eine letzte Sache erscheint mir noch wichtig: Ich war ziemlich enttäuscht darüber, dass die Organisationen, die den SiB-NaO-Prozess tragen, über das eigentliche Problem des Aufnahmeverfahrens so gut wie gar nicht inhaltlich diskutierten. Die meisten GenossInnen haben sich eigentlich rausgehalten und die wenigen, die an der Diskussion teilnahmen, versuchten hin und wieder, das Problem in eine unpolitisch-psychologische Angelegenheit zu transformieren.

TREND: Was heißt rausgehalten, wie ist das zu verstehen?

K.: Wir haben auf der sogenannten NaO-Sommerdebatte ein Referat gehalten, dessen Manuskript wir zur Veröffentlichung bei TREND freigegeben haben. In dem skizzieren wir die Entwicklung und den gegenwärtigen Zustand des SiB-NaO-Prozesses, um davon abzuleiten, dass es für ein Aufnahmeverfahren und darüberhinaus zusätzlich noch gestufte Mitgliedschaften (Vollbeteiligte, weitere Vollbeteiligte, BeobachterInnen, PapierautorInnen, VeranstaltungsteilnehmerInnen) keinerlei politische Legitimation gibt. In den Diskussionen um das Aufnahmeverfahren behaupteten SoKo-GenossInnen, es gäbe kein Aufnahmeverfahren, während Interkomm gleichzeitig den Polit-TÜV bestätigte und ihn weiterhin forderte. Stattdessen rügte die SoKo die Polemik in der Auseinandersetzung. In dieses Fahrwasser begaben sich ISL-GenossInnen und Teile der SiB, indem sie die Angelegenheit zu personalisieren und zu psychologisieren versuchten. Der RSB schwieg dazu, ebenso wie die MI und Scharf-Links. Die GAM hielt ein Aufnahmeverfahren nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt. Was alle jedoch einte, keine Gruppe war bereit, in irgendeiner Weise auf unsere Argumentation - Zustand des SiB-NaO-Prozesses - einzugehen.

TREND: Warum sprecht Ihr nicht vom NaO sondern vom SiB-Nao-Prozess?

G.: Wir wollen damit deutlich machen, dass es in Teilen der BRD-Linken eine Tendenz gibt, das Zirkelwesen zu überwinden und dass die die SiB-Initiative mit dem Na endlich Papier nur ein Teil davon ist. Jedoch ein Teil der sich vom Anspruch her aber von anderen Versuchen dadurch unterscheidet, nicht nur die eigene Strömung zusammenzuschließen zu wollen, sondern den Zusammenschluss über das eigene in dem Fall trotzkistische Spektrum hinaus anzustreben.

TREND: Von außen betrachtet mag dies so scheinen, aber wenn man die Debatte auf dem Nao-Blog  verfolgt oder die wenigen Flugblätter liest, dominieren trotzkistische oder trotzkistisch grundierte Zirkel?

G: Das ist aber nur im Augenschein richtig. Aus der SiB - von Interkomm argumentativ unterstützt - wurden in die NaO-Debatte zunehmend sogenannte poststrukturalistische Postitionen eingeführt. Der AKKA hat dagegen von Beginn an versucht, marxistische Grundpositionen in der Debatte um Programm und Organisation zu verankern.

TREND: Was heißt denn in diesem Zusammenhang „poststrukturalistisch“?

K: Na verkürzt gesprochen, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht mehr polit-ökonomisch als Klassengesellschaft analysiert, sondern stattdessen als ein Ensemble von Herrschaftsstrukturen begriffen wird, wo es halt allerlei Konfliktpotential gibt und immer wieder irgendwelche Personengruppen entstehen, die gegen ihre Unterdrückung revoltieren. Durch diese Herangehensweise an die heutige Klassenwirklichkeit werden die objektive Stellung des Proletariats als ausgebeutete und unterdrückte Klasse und die damit verbundene historische Aufgabe der Aufhebung des kapitalistischen Lohnsystems zu einem Konflikt unter vielen herabgesetzt. So wird die Aufhebung des Kapitalismus auf eine reine Frage des Willens verkürzt und die mit dem angeblich besonders radikalen Kampfeswillen erscheinen dann nicht mehr als bürgerliche, kleinbürgerliche oder proletarische Subjekte, die so oder so praktisch handeln, sondern unter Ausblendung ihrer Klassenlage und ihrer Praxis als DIE subjektiven Revolutionäre sui generis.

TREND: Und das tragen die trotzkistischen Gruppen mit?

K: Der Begriff des subjektiven Revolutionärs wurden von der trotzkistischen RSO (3) übernommen und in die NaO-Debatte eingeführt. Die „Poststrukturalisten“ haben sich dieses Begriffes in der Debatte bemächtigt und ihn durch eine ekklektische Leninrezeption scheinbar in einen marxistischen Kontext gestellt, um damit die  „Klassenorientierung“ im marxistischen Sinne als programmatischen Eckpunkt einer zukünftigen politischen Plattform zu entsorgen (4). Gegenüber dieser ideologischen Entwicklung haben sich die trotzkistischen Gruppen bisher schlicht opportunistisch verhalten, indem sie nicht in diese Debatte mit einer eindeutigen Stellungnahme eingriffen haben.

TREND:  Es gibt aber keinen Opportunismus ohne Grund?

R.: Ich glaube, dass die „Trotzkisten“, die sich am SiB-NaO-Prozess beteiligen, dies nur aus taktischen Erwägungen tun. Das ist eine Vermutung, die aber naheliegend ist, wenn man bedenkt, dass sowohl der RSB als auch die ISL die deutschen Mitgliedsorganisationen der 4. Internationale sind und damit deren Weisungen zu erfüllen haben. Eine Weisung könnte doch lauten: Genossen schließt Euch doch wieder zu einer Sektion zusammen. Nun ist das aber nicht so einfach, denn dem steht der Entrismus der ISL entgegen. Wie bringt man also die Genossen organisatorisch zusammen, wenn ein Teil im Apparat der Linkspartei verankert ist? Deshalb spricht man von einer Umgruppierung der revolutionären Kräfte statt von einer Überwindung des Zirkelwesens. Mit diesem schwammigen Begriff dockt man sich begrifflich - aber nicht inhaltlich - an die poststrukturalistische Argumentskette an.

TREND:  Wie wird sich Eurer Meinung nach der SiB-NaO-Prozess in der nächsten Zeit entwickeln?

R.: Wenn die Gruppen des SiB-NaO-Prozesse bisher irgendetwas politisch Praktisches gemeinsam unternommen haben, dann war es immer, sich bei reformistisch grundierten Kampagnen dranzuhängen, wie erst letztens bei der Umfairteilungskampagne. Dazu streiten sie sich vorher wochenlang darüber, welches der korrekte revolutionäre  Flugblatttext für das Mitmachen sein soll. Ich glaube, dass wird sich bei ihnen nicht ändern. Sie sind für mich ein esoterischer Theoriezirkel, der meint als ideologisches Aufklärungsprojekt irgendetwas voranzubringen. An so einem Anspruch sind seit "68" schon viele gescheitert.

K.: Ganz klar nach 1 1/2 Jahren stagnieren sie. Dafür gibt es eine Reihe von sichtbaren Indizien. So z.B. wer oberlehrerhaft Gruppen oder Einzelpersonen aus anderen Spektren abwatscht, so wie unlängst die SiB mit einer Bremer Gruppe ideologisch Schlitten gefahren ist(5), der mag sich zwar im Licht der reinen Lehre wähnen, doch der eigene Anspruch auf Schaffung von etwa Neuem wird dafür ordentlich ramponiert und man bleibt unter sich.  Daher macht sich mittlerweile dort auch Frust breit. "Wenn wir vor lauter Nicht-Einigsein kaum was zu Papier bringen (können), müssen wir den Laden eben wieder zu machen." Das habe ich heute im NaO-Blog als Statement eines führenden SiB-Genossen gelesen. Andererseits sind die Pläne riesig:  ein NaO-Manifest erarbeiten und einen NaO-Strategie-Kongress mit denPostautonomen veranstalten. Wie das inhaltlich gehen soll ist mir ein Rätsel. Gerade auch wenn man liest, was jetzt der Genosse Tino P. über die zwei Linien im SiB-NaO-Prozess geschrieben hat (6).

TREND: Wie sieht es denn mit Eurem Frust aus; Ihr habt ja doch etliche Kraft in diesen NaO-Prozess investiert?

G.: Der hält sich bei mir in Grenzen. Ich bin ja ziemlich spät in diese NaO-Debatte eingestiegen. Da war der AKKA für mich die richtige Lösung, um am SiB-NaO-Prozess teilnehmen zu können, der ja nur auf feste Gruppen und Organisationen abgestellt war (und ist).  Wir als Arbeitskreis verstehen uns dagegen als offener Zusammenhang auf marxistischer Grundlage, dessen Motto es ist,  sich für „eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Kommunistisches Manifest) zu engagieren. Und das bedeutet politisch praktisch und theoretisch, sich auf den Prozess der Selbstermächtigung des Proletariats zu beziehen und sich daran zu beteiligen. Deshalb werden wir auch gemeinsam weiterarbeiten und die Kontakte, die wir mit und durch den SiB-NaO-Prozess bekommen haben, pflegen und vertiefen.

K: Dem kann ich nur beipflichten. Mein Frust ist deshalb nicht groß, weil mir von Anfang an klar war, dass der SiB-NaO-Prozess ein ambivalenter werden würde, wo es darum gehen wird, die Angriffe des Poststrukturalismus auf den Marxismus abzuwehren und stattdessen zu versuchen,  Programm- und Organisationsentwicklung auf die Kämpfe der Klasse zu orientieren. Womit ich nicht gerechnet habe, dass die trotzkistischen GenossInnen ihre eigenen politischen Fundamente, so sie sich denn auf das Proletariat als historisches Subjekt beziehen, einfach preisgeben. Ich denke sie haben der Sache einen Bärendienst erwiesen, wenn sie versuchen, mit Kräften, die sektiererisch und unwiderruflich eine Politik der ersten Person betreiben, gemeinsame inhaltliche ideologische Schnittstellen zu finden und im Gegenzug auf eine sichtbare kollektive NaO-Praxis in Betrieb und Stadtteil verzichten.

R: Wie ich eben schon sagte, das SiB-NaO-Projekt war bisher nichts weiter als ein esoterischer Theoriezirkel und wird es aller Voraussicht auch bleiben. Deshalb war es gut so, dass wir ausgestiegen sind.

Anmerkungen Zwei Wege, zwei verschiedene NaO-Konzepte

1) Gemeint ist hier das so genannte "Na endlich Papier" der SiB.

2) Für die Kommunikation zwischen den Gruppen, die sich dem SiB-NaO-Prozess angeschlossen hatten, gab es eine Mailingliste zur internen Diskussion zwischen allen NaO-Beteiligten und eine separate Entscheidungsliste, die nur von den jeweiligen Gruppenbeauftragten gebildet wurde. AKKA gehörte von Anfang an beiden Listen an.

3) http://www.sozialismus.net//content/view/21/170/

4) Inzwischen ist man dabei, sich im SiB-NaO-Spektrum stattdessen auf "Parteilichkeit / antagonistische Orientierung" als unverhandelbaren Eckpunkt zu einigen. (siehe dazu den BLOG bei www.nao-prozess.de )

5) siehe dazu: Bärendienste und was daraus folgt. Wie die SIB mit einem Strategievorschlag aus Bremen umgeht.

6)siehe dazu Zwei Wege, zwei verschiedene NaO-Konzepte