Editorial
Reflex statt Reflektion


von Karl Müller
09/04

trend

onlinezeitung
Anfang Juli angekündigt, erhielten wir von Michael Heinrich gerade noch rechtzeitig am 31.8.2004 für die Nr.9 seine Antwort auf die Kritiken, die Daniel Dockerill und Robert Schlosser an seinen Positionen im trend 6-04 und 7-04 formuliert hatten. Da ich mir im Editorial 7/04 erlaubt hatte im Hinblick auf Dockerills kritische "Skizzen" bereits von einer "schlüssigen Widerlegung" zu sprechen, wurde ich in seine Replik mit aufgenommen.

Dass Michael Heinrich Kritik nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch in einen Disput darüber eintritt, indem er für den trend schreibt, hat die trend-Redaktion - dies sei den folgenden Anmerkungen vorausgeschickt - sehr gefreut. Auch dass er als Wissenschaftler die Verbreitung Marxschen Gedankenguts auf seine Fahnen geschrieben hat, macht ihn uns sympathisch. Schließlich verdienen promovierte Politologen ihr Geld gewöhnlich auf anderen Gebieten wie etwa auf dem Feld der betriebswirtschaftlichen Vernutzung abhängig Beschäftigter.

Ich hatte anläßlich der von der jungle world organisierten Postone-Lesereise und auch während der Berliner Linken Buchtage bereits Gelegenheit, Michael Heinrichs dreiste Art und Weise im Umgang mit anderen zu erleben, deren Ansichten ihm nicht passen. Insofern empfinde ich seinen Umgang mit mir als milde. Schließlich lasse ich mich gerne als MLer labeln, wenn damit gemeint ist, dass ich jemand sei, der sowohl bei Marx als auch bei Lenin wichtige Erkenntnisse (noch heute) findet, weil für ihn der Sozialismus eine Wissenschaft ist. Das Psychogramm, das Michael Heinrich diesbezüglich von mir erstellt ("dogmatisch, oberlehrerhaft, autoritätsfixiert, arrogant") spricht eher für einen Reflex statt für Reflektion. Schließlich hätte dem guten Mann - der ja selber in einer Redaktion (Prokla) arbeitet - doch klar sein müssen, dass ein "Editorial" kein wissenschaftlicher Text ist, sondern die Aufgabe hat, eine bestimmte Auswahl von Texten anzumoderieren. Texte, die seitens der Redaktion als lesenswert eingestuft werden. Und gewöhnlich geschieht dies durch die Formulierung von pointiert formulierten (Denk-)Resultaten, die durch ihre bewußte Kantigkeit LeserInnen zur Auseinandersetzung mit jenen Texten, zu motivieren suchen, auf die sich beziehen oder für die sie Partei ergreifen.

Daniel Dockerills Skizzen, deren Kernaussagen ich teile, laufen darauf hinaus, dass aus einer monetär verkürzten Marxschen Werttheorie, wie sie Heinrich pflegt, eine kommunistische Gesellschaft nicht abgeleitet werden kann. Logischer Weise muss Michael Heinrich statt dessen für ein Genossenschaftsmodell werben, wenn er mal versucht, mit seiner Kritik an der bürgerlichen-kapitalistischen Gesellschaft Konturen einer nichtkapitalistischen Gesellschaft zu formulieren.

Die Auseinandersetzung darüber scheut er ebenso, wie die mit Schlosser, der mit seiner Argumentation aufzeigen wollte, dass Michael Heinrich irrt, wenn er die Ansicht vertritt, dass der „allgemeine Nachweis“ einer gesetzmäßigen Tendenz des Fallens der Profitrate „gar nicht möglich“ ist. Zwar hält Heinrich wortgewaltig dagegen; inklusive solcher Pöbeleien, dass Schlosser weder Bruchrechnen könne, noch die Grundrechenarten beherrsche, doch am Kern der Auseinandersetzung mogelt sich Michael Heinrich damit vorbei.

Es geht nämlich darum, dass Michael Heinrich Marx wissenschaftliche Erkenntnis, dass das Kapital sich selbst die "wahre Schranke" ist, revidiert. Diese Revision und seine monetär verkürzte Wertkritik transportieren zusammen ein Konglomerat von Ideen, mit denen man in akademischen Debatten, bei der PDS, den JUSOS, der DKP und Attac durchaus reüssieren kann, weil sie zu deren sozialreformerischer Politik kompatibel sind. Insofern ist es einfach albern von ihm mit Bezug auf Dockerill, Schlosser und mich auf dem Vorwurf des "Traditionsmarxismus" herumzureiten. Zöge ich meinerseits diese Schublade, dann läge zu oberst Michael Heinrich selber drin.

Auch Petra Haarmanns Versuch einer Kritik an Stefan Meretz Überlegungen "What´s Copyleft?" fällt in die Rubrik "reflexartig". Es ist keine Frage, dass auf 2 1/2 Druckseiten keine erschöpfende Darstellung gegeben werden kann, wie Reichtum produziert werden könnte, ohne eine "Wertform" anzunehmen. Für Petra Haarmann ist es daher ein Leichtes, das Wolkenkuckucksheim des Stefan Meretz zu zerpflücken. Damit handelt sie sich nicht den Vorwurf des Unbedachten ein. Sie entwertet ihre über weite Strecken zum Nachdenken anregenden Ausführungen durch die unvermittelte Hineinnahme von Behauptungen über Sinn und Unsinn so genannter traditionsmarxistischer Essentials. Damit erfüllt sie zwar linke Debatten-Standards, die durch die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion mit Michael Heinrich belohnt werden könnten, doch einer fruchtbaren  Auseinandersetzung stehen solche Schubladen im Wege.

Die Kommunistischen Streitpunkte "basteln" z. Z. an einer neuen Onlineausgabe. Erste Artikel sind bereits online. Wir haben mit deren Zustimmung Klaus Braunwarths Kommentar zu Rubin und Projekt Klassenanalyse Wert und Arbeit im trend gespiegelt, weil mit ihm ein anderer, u. E. angemessenerer Zugang zur Marxschen Werttheorie eröffnet wird; einer, der sich wohltuend von den bekannten Verkürzungen abhebt.

Des weiteren begrüßen wir die Entscheidung von Thomas Brunft, uns ab dieser Ausgabe regelmäßig seine SAFERCITY-Nachrichten zur weiteren Veröffentlichung zu überlassen.

Und last not least melden wir, dass Bernard Schmid aus seinem Sommerurlaub zurück ist, und uns wieder mit Hintergrundinformationen aus dem französischsprachigen Raum versorgt.