EDITORIAL
Blick zurück nach vorn

von Karl-Heinz Schubert

03/2019

trend
onlinezeitung

Unsere Onlinezeitung entstand 1996 als die von mir und anderen Kolleg*innen 1985 gegründete gleichnamige Zeitung der GEW Kreuzberg nicht mehr durch die Berliner GEW-Führung finanziert wurde, weil ihr unsere antirassistische und kapitalismuskritische Linie nicht passte. Die damalige TREND-Redaktion war vom "1968er" Impetus geprägt und begann nun die "Freiheit" des Internets zu nutzen, um diese Prägung von Geldgebern unabhängig publizistisch zur Geltung zu bringen. Kapitalismuskritik mit dem Ziel seiner Aufhebung bilden seitdem den roten Faden unseres Projekts - gut nachzuvollziehen in dieser Ausgabe.

Ruth Wilma Albrechts wissenschaftshistorische Erinnerung, Max Bryms "Mao in Altötting und Waldkraiburg" oder Richard Albrechts biografische Notizen über einen deutschen Kommunisten könnten entsprechend der TREND-Geschichte als nostalgischer Blick zurück aus "Alt-68er"-Perspektive betrachtet werden. Doch diese Beiträge verstehen sich vielmehr als ein "Blick zurück nach vorn". Oder wie Max Brym trefflich formuliert:

"Die Geschichte der Linken in der Bundesrepublik gehört aufgearbeitet, um daraus zu lernen."

Nach dem Zusammenbruch des "Realsozialismus" geht die Geschichte nicht im Kreis. Die Aufhebung des Kapitalismus steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Das Scheitern der realsozialistischen Projekt aufzuarbeiten und die geschichtlich gewachsene politische Marginalisierung sozialrevolutionärer Kräfte in den Metropolen zu analysieren bilden eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer revolutionären Aufhebungsstrategie. Sie wiederum ist der Garant für eine flexible Taktik, die gesellschaftlichen Widersprüche zu nutzen, um die moderne proletarische Klasse aus einer "an sich" zu einer "für sich" werden zu lassen. Auf diesem Weg wird es unverzichtbar sein, sich theoretisch zu qualifizieren - nicht nur um die Bewegung des gesellschaftlichen Ganzen mit seinen Widersprüchen begrifflich zu fassen, sondern um auf dieser Grundlage die revolutionäre Politik durch ideologische Auseinandersetzung mit den Gegner*innen zu stärken.

Ein ausgemachter Gegner des Proletariats als "historisches Subjekt" des Aufhebungsprozess des Kapitalismus ist Stefan Meretz. Wir veröffentlichen in dieser Ausgabe seine Thesen zur "Kritik der traditionellen Klassentheorie", um zu zeigen, dass zur Widerlegung seiner Thesen es nicht zielführend erscheint, ihn mit der Empirie der Verhältnisse auskontern zu wollen. Seinen "dritten Weg" zur Überwindung des Kapitalismus versteht er nämlich als Aufhebung von "Realkategorien" wie z.B. "Warenproduktion" oder "Wert-Geldvermittlung", die sich angeblich klassenunspezifisch aus den "Bedürfnissen der Menschen" ergeben, die durch "Struktureinheiten" und "Hierarchieebenen" geformt werden.

Ausstellungstafel im Museum FHXB (Friedrichshain-Kreuzberg)

Mit folgendem Erläuterungstext: Eine Methode die i-Päd benutzt, um einen
Überblick zu verschiedenen Kategorien zu geben, Begriffe zu klären und
Intersektionalität visuell darzustellen, ist die Schaufensterpuppe Deniz.

Die Klassen werden bei Meretz also nicht empirisch sondern auf begrifflichem Wege entsorgt . Seine Begriffe verstehen sich nicht als Widerspiegelung von objektiven, vom Bewußtsein des erkennenden Subjekts unabhängigen Prozessen, sondern als gedankliches, die Wirklichkeit schaffendes Instrument. Zu allem Ärgernis wird zudem die wechselseitige Bedingheit zwischen dem erkennenden Subjekt und seinem Erkenntnisgegenstand, die eine praxisvermittelte und damit Erkenntnis stiftende ist, durch eine mechanistisch-strukturalistische Betrachtung ersetzt. Aus diesem Mangel an materialistischer Dialektik ergibt sich folgerichtig, dass zwar viel vom "Wert" die Rede ist, aber nicht vom Mehrwert. So wird das "Kapital" zu einem geschichtlosen Strukturelement und der damit historisch zusammenhängende Begriff der Lohnarbeit wird durch  einen geschichtslosen Begriff von "Arbeit"  paraphrasiert.

Mit dieser Denke steht Meretz nicht allein - ganz im Gegenteil die bundesdeutsche Linke, die ihre politische Praxis von einer Klassentheorie leiten lässt, die in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie gründet(*), bildet leider die Minderheit. Dies zeigt sich zum Beispiel aktuell an Aufrufen zum 8. März, wo "Intersektionalität" die ideologische Hauptseite bildet.

Wenn es um Wohnungsnot und Mietpreistreiberei geht, dann sucht mensch auch hier vergebens eine Klassenlinie in den einschlägigen linken Publikationen - aktuelles Beispiel: die im Februar 2019 bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Schriften zur Wohnungsfrage. Wir werden sie in der kommenden Ausgabe vorstellen.

Um für ideologiekritische Dispute gewappnet zu sein, bildet m. E. Lenins Schrift "Materialismus und Empiriokritizismus" eine gute Grundlage. In der letzten Ausgabe stellten wir im Hinblick darauf  zwei Beiträge vor, die aus verschiedenen Rezensionsepochen stammen. In dieser Ausgabe geht Richard Albrecht zwei linkskommunistische Kritikern an Lenins Behandlung des dialektischen Materialismus nach und arbeitet dabei dessen Kernaussagen überzeugend heraus.

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Der "Kommunistische Aufbau" gehört zu den wenigen Grüppchen, für die die Arbeiter*innenklasse weiterhin das "revolutionäre Subjekt" ist. In der TREND-Ausgabe 12/2018 veröffentlichten wird dessen Schrift "Erste Schritte zur Klassenanalyse". Der TREND-Herausgeberkreis begann 2019 mit der Diskussion dieser Schrift.

Im Sinne einer Zwischenbilanz ist zunächst einmal positiv hervorzuheben, dass der "Kommunistische Aufbau" an zentralen Prinzipien der kommunistischen Arbeiter*innenbewegung festhält, wenn er schreibt, dass erstens das Programm, das erarbeitet soll, auf Wissenschaft gründet. Zweitens, dass dieses Programm nicht ohne Klassenanalyse entstehen kann. Und drittens, dass die Klassenanalyse, die den "subjektiven Faktor" zum Hauptuntersuchungsgegenstand hat, nur durch eine entsprechende Verbindung von Theorie und Praxis erarbeitet werden kann. 

Unsere bisherige Diskussion befasste sich mit der Methode ihrer Klassenanalyse und deren zentralen Begrifflichkeiten wie z.B. Klasse, Monopol und Staat. Ein erster Eindruck davon lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Es überwiegt ein eher mechanistisches, denn dialektisches Herangehen bei der Arbeit am Begriff. Die heutige Empirie der Verhältnisse erscheint als positivistische Füllmasse für bereits zuvor mit anderem Material formulierte Begriffshülsen. Dabei wird zudem übersehen, dass jede begriffliche Widerspiegelung sozialer und ökonomischer Verhältnisse selbst in einem Klassenkontext steht, den es bei Wiederverwendung des Begriffs zu dechiffrieren gilt. Oder anders ausgedrückt: Diese Schrift liest sich teilweise wie eine DKP-Stamokap-lightversion. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben unsere Diskussionspunkte präziser darstellen.

*) Siehe dazu: Lohnarbeit & Kapital - Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als Grundlage der Klassentheorie

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Stand 04.03.2019

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