Repression & Widerstand unter Hartz IV

Publizistische Absichten und Pläne

von
Anne Seeck

03/11

trend
onlinezeitung

Im März 2011 startet die TREND Onlinezeitung mit einer neuen Rubrik: Repression & Widerstand unter Hartz IV. Redaktionell betreut wird sie durch Anne Seeck. Sie schreibt über ihre publizistischen Absichten und Pläne für die neue Rubrik:

Die TREND Onlinezeitung will sich den Problemen Erwerbsloser zu wenden, die als Subjekte in den politischen Mainstream-Debatten nicht vorkommen und ausgeblendet werden.

Die Rubrik soll folgende Themen umfassen:

  • Hartz IV (Regelsatz, Schikanen, Sanktionen, Bürgerarbeit, Beschäftigungsindustrie, Neuregelung der Jobcenter, Aufstocker etc.)

  • Auswirkungen (Armut, Verschuldung, Armut macht krank, Anstieg psychischer Erkrankungen, Knast z.B. wegen Schwarzfahrens, Fatalismus, Apathie, Verdrängung)

  • Hetze (Stigmatisierung, Unterschichtendebatte, Selbstverschuldungsthese, Spaltung zwischen NiedriglöhnerInnen und Hartz IV- BezieherInnen, Rechtspopulismus)

  • Von Arbeit soll man leben können, ohne auch (Arbeitsbegriff, Kritik der Arbeit etc.)

  • Funktionen von Arbeitslosigkeit im Kapitalismus (Drohpotential, Reservearmee, Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft etc.)

  • Perspektiven/ Proteste (individueller Protest wie Klagen, kollektiver Protest z.B. Krachschlagen- Bündnis, Zahltag, Begleitung, Versammlungen etc.)

  • Perspektiven/ Alternativen (Sofortforderungen wie Mindestlohn, 80 Euro für Lebensmittel, Triade etc., BGE, anders leben, Aufstand der Armen, revolutionäre Forderungen)

  • Globale Arbeitslosigkeit und Armut 


„Spätrömische Dekadenz“ - Aktion der Arbeitsloseninitiative Galida in einer FDP-Geschäftsstelle

Ich denke, die soziale Frage wird zur entscheidenden Frage in der Bundesrepublik werden. Hartz IV- BezieherInnen sind das Drohpotential für alle Lohnabhängigen, denn es geht um die Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft.

Am 25.2. 2011 endete der Kuhhandel um die Hartz IV- Reform mit der Bundestagszustimmung nach einem mehr als 8 Wochen dauernden Streit. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband sagte:„ Das Geschacher der letzten Wochen und Tage um drei Euro mehr oder weniger ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat.“ Das Ganze sei ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Die SPD hatte ihre „soziale“ Ader entdeckt und glaubte, wir leiden alle unter Gedächtnisverlust, denn sie hatte 2005 Hartz IV erst eingeführt.

Das zynische Ergebnis der „harten“ Verhandlungen mit CDU und FDP sind 5 Euro mehr ab 1.1.2011 und 3 Euro mehr ab 1.1.2012 für Hartz IV- BezieherInnen. Pro Kind von Hartz IV-BezieherInnen, GeringverdienerInnen und WohngeldempfängerInnen gibt es 10 Euro im Monat. Zum Bildungspaket gehören zudem ein warmes Mittagessen, ein Zuschuss für eine eintägige Klassenfahrt und 100 Euro pro Schuljahr für Schulsachen. Für 1,2 Millionen ArbeitnehmerInnen gibt es künftig einen Mindestlohn (Wach- und Sicherheitsgewerbe, Aus- und Weiterbildung, Zeitarbeit ab 1. Mai).

Hartz IV- BezieherInnen werden nicht nur in Armut gehalten, es wird auch noch Druck auf sie ausgeübt. Die Jobcenter sanktionieren immer häufiger, das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei. Obwohl es 2010 weniger Erwerbslose gab, waren mehr Hartz IV- BezieherInnen von Kürzungen betroffen, die Zahl der Sanktionierten stieg um ca. 12% auf 610 599 Personen, das waren 3% der Hartz IV- BezieherInnen. Begründet wurde das bei mehr als der Hälfte mit verpassten Terminen und Fristen. Zudem wurden auch die Kriterien der Zumutbarkeit von Arbeit verschärft, so seien schlecht erreichbare Orte für Menschen ohne Auto zumutbar. Auch die Zahl der Sperrfristen beim Arbeitslosengeld stieg in den vergangenen Jahren von 18 auf 24 Prozent.

Trotz der Hartz IV-Reform und der zunehmenden Sanktionen gibt es in diesem Lande zur Zeit keine Sozialproteste. Geht es den hiesigen Armen noch zu gut? Für viele Menschen auf der Welt sind Deutschland und Europa Orte des Wohlstandes. Angesichts der Aufstände in Nordafrika schottet sich die EU mit ihrem Grenzregime weiter ab. Die EU hatte totalitäre Regime wie Libyen dafür bezahlt, dass sie Flüchtlinge aus Afrika abhalten, in die EU zu flüchten. Laut UNO sterben pro Jahr 500 Menschen bei dem Versuch, die EU über das Wasser zu erreichen.

Weltweit hoffen Menschen auf ein besseres Leben. Laut eines Berichtes der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind ca. 205 Millionen Menschen auf der Welt ohne Erwerbsjob, damit lag die Arbeitslosenrate 2010 bei 6,2 Prozent. Es ist natürlich schwierig, die tatsächliche Arbeitslosenzahl in der Peripherie zu ermitteln, denn viele arbeiten dort in der informellen Ökonomie. Sie stehen morgens auf und wissen nicht, was der Tag bringt. Sie müssen Arbeit suchen, um nicht zu verhungern. Die Hälfte aller Beschäftigten auf der Welt arbeitet unter ungesicherten Bedingungen. 20,7 Prozent der Arbeitenden verdienen am Tag 1,25 US Dollar. Das sind 630 Millionen Menschen.

Auch in Deutschland nimmt die Armut weiter zu. Im Jahre 2009 war Vorpommern die ärmste Region Deutschlands, dort lebten ca. 27 Prozent an und unter der Armutsschwelle. In Ostdeutschland befanden sich 19,5 Prozent, im Westen 12,9 Prozent unter der Armutsschwelle. Laut einer Studie des DIW aus dem Jahr 2010 lebten 11 Millionen Menschen, also ein Drittel mehr als vor zehn Jahren unter der Armutsschwelle. 40 Prozent der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern sind am stärksten von Armut betroffen.

Erkennbar ist die zunehmende Armut auch an der Verschuldung. Nach Untersuchungen des Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) stieg die Zahl der Privatinsolvenzen im ersten Halbjahr 2010 um 11,6% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. In Deutschland sind etwa drei Millionen Haushalte insolvent. Hauptgrund für die Verschuldung ist Arbeitslosigkeit. Insbesondere ältere ArbeitnehmerInnen, die arbeitslos werden, sind schließlich zahlungsunfähig, können z.B. den Kredit für das Haus nicht mehr abzahlen. Bei Jüngeren, die arbeitslos sind oder wenig verdienen, sind es oft Ratenkäufe, die nicht mehr bedient werden können. Zu 11% sind es gescheiterte Existenzgründungen, die in eine Verschuldung führen. Etwa 33.000 Euro an Schulden hat ein verschuldeter Privathaushalt im Durchschnitt.

In Berlin wird die Armut immer sichtbarer. Menschen, die in Papierkörben wühlen. Flaschensammler, Bettler in der U-Bahn, Fahrkartenan- und verkäufer, Straßenmusiker, Obdachlose. Menschen, die sich verwirrt (psychotisch) durch die Gegend bewegen. Der Berliner Kindernotdienst ist überlaufen. In Neukölln lange Schlangen vor der Schuldnerberatung „Neue Armut“, vor den Lebensmittelausgaben und vor den Geldautomaten, wenn Auszahltag der Jobcenter ist.

Die zunehmende Armut wird auch in den Berliner Knästen sichtbar. An einem Stichtag im August 2009 saßen 457 Personen wegen nicht gezahlter Geldstrafen in Haft. 2010 waren es 422. Im Jahre 2009 wurden 8511 Schwarzfahrer in Berlin verurteilt, dabei wurden fast 480 Haftstrafen verhängt. Ein Drittel der Inhaftierten der JVA Berlin-Plötzensee sitzt wegen "Beförderungserschleichungen" ein. Immer mehr Arme können ihre Geldstrafen nicht zahlen, eine Entkriminalisierung von Bagatell„delikten“ wie Schwarzfahren ist notwendig.

Mobilität ist ein Menschenrecht, das fordert die Initiative „Berlin fährt frei“.

In den USA sitzt ein großer Teil vor allem der schwarzen Armutsbevölkerung in einem riesigen Gefängniskomplex. In Deutschland landen viele Arme in der Psychiatrie. Krankenkassen warnen vor einem enormen Anstieg der psychischen Erkrankungen. Laut einer DGB-Studie aus dem Jahr 2010 sind Arbeitslose teilweise doppelt so häufig krank wie Erwerbstätige. Der Einstieg in einen neuen Job wird durch den schlechten Gesundheitszustand vieler Betroffener erschwert. Im Juni 2010 hatten danach fast 540 000 Arbeitslose vermittlungsrelevante Gesundheitsprobleme. Arbeitslose zwischen 55 und 59 Jahren sind rund 2,2 Mal so häufig krank wie Beschäftigte, die Krankenstandsquote liege in dieser Gruppe bei 15,2 Prozent.

Armut macht krank und ist für viele bedrohlich. Insbesondere die unteren sozialen Schichten fühlen sich bedroht und entsolidarisieren sich mit den EinwanderInnen. Aus einer Presseinformation zur Präsentation der Langzeitstudie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vom 3.12.2010 geht hervor, dass Arme weniger für EinwanderInnen, aber mehr für deutsche Arbeitslose fordern. GutverdienerInnen, die für das Leistungsprinzip sind, verweigern jeglichen „Hilfsbedürftigen“ zunehmend ihre Unterstützung. Sie werten jene Gruppen ab, denen mangelnde Leistungsfähigkeit oder –bereitschaft unterstellt wird. Rechtspopulistische Einstellungen nehmen in höheren Einkommensgruppen deutlich zu, sie verbinden sich mit islamfeindlichen Einstellungen und sind aggressiv aufgeladen.

Die ungeheuerliche soziale Spaltung ist es, die zum zunehmendem Rechtspopulismus in diesem Land führt. Europaweit nimmt der Rechtspopulismus dramatische Züge an.

Zustände wie in den Banlieues in Frankreich können wir auch bald in Deutschland haben. So werden Arme in Berlin zunehmend aus der Innenstadt in die Randgebiete (oft Plattenbausiedlungen) verdrängt. Mittlerweile müssen auch Arme in Neukölln, das republikweit als Symbol für Gewalt, Hartz-IV-Milieu und gescheiterte Integration steht, ihren Kiez verlassen, der zunehmend attraktiver für Kreative und Studenten wird. Hartmut Häußermann warnt:  „In den Berliner Vorstädten drohen sich die Slums des 21. Jahrhunderts zu entwickeln“. In der Studie „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2010“ gelten die Vorstadtviertel als „Gebiete mit niedrigem Entwicklungsindex“ und hoher „sozialer Problemdichte“. Plattenbausiedlungen wie das Kosmos- Viertel im Ostberliner Treptow- Köpenick haben einen Migrantenanteil von unter fünf Prozent und liefern die Gegenthese zu Thilo Sarrazin, der behauptet, Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit seien insbesondere das Merkmal türkisch oder arabisch geprägter Bezirke. Übrigens muss der Sohn Thilo Sarrazins als Hartz IV- Bezieher in einer Lichtenberger Plattenbauwohnung leben. Thilo Sarrazin hetzt während dessen gegen Hartz IV- BezieherInnen und schreibt ihnen vor, wie sie zu leben hätten. Die NPD erzielte bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006 rund um die Venusstraße im Kosmosviertel fast 20 Prozent der Stimmen: Berlin-weit das höchste Ergebnis. Rassistische Pöbeleien und Angriffe gehören zum Alltag in diesen Vierteln. Zur zunehmenden Gentrifizierung, den Mieterhöhungen und der Verdrängung von armen Bevölkerungsschichten hat auch die Berliner Wohnungspolitik des rot-roten Senats beigetragen, der zwischen 2002 und 2007 rund 110 000 stadteigene Wohnungen verkaufte. Für 28 000 Sozialwohnungen wurde zudem die Anschlussföderung gestrichen. So lebt es sich in einer Stadt, in der die Linkspartei mit regiert. Wir können uns nur selber helfen! Wir müssen uns gemeinsam wehren! 

Weitere Artikel, die ich zu dem Thema im Trend veröffentlicht habe:

Zum Schluß noch einige Veranstaltungshinweise:

WAS TUN?
Umbrüche in der Arbeitswelt und die Zukunft des Sozialstaates
18./19. März: Was tun, wenn ich kein Geld habe...- und zur Lebensmittelausgabe muß?
im Mehringhof, Gneisenaustr.2a, Berlin- Kreuzberg

Freitag 19 Uhr 
Diskussionsveranstaltung mit Stefan Selke: Grenzen der guten Tat - Kritik der Tafeln

1963 gab es die erste Tafel in den USA, 1993 wurde die erste in Berlin gegründet. Inzwischen existieren fast 900 Tafeln in Deutschland, die von einer Millionen Menschen genutzt werden. Stefan Selke hat die Tafeln in Deutschland untersucht und kommt zu folgendem Urteil: Die Tafeln stabilisieren die Gesellschaft, weil sie ganz offensichtlich eine Leerstelle füllen. Sie erzeugen damit aber auch Armut und ‘zementieren’ den Staus quo...Statt an einer Abschaffung der Armut mitzuwirken, beteiligen sich die Tafeln- sicher unintendiert- an einer Segmentierung der Gesellschaft in ‘Oben’ und ‘Unten’. Bedürftige Menschen werden durch ein gut funktionierendes Tafelsystem zwar nicht vom Staat, dafür aber umso effektiver von freiwilligen Hilfsorganisationen ‘ruhig gestellt’.

Samstag:
13 Uhr Zurück in den Almosenstaat? (Dieter Hartmann, Sozialforum Berlin)

Das Berliner Sozialforum hat sich kritisch mit der Vertafelung der Gesellschaft auseinandergesetzt. Das Sozialforum: Die ‘großzügigen’ Spender aus der Wirtschaft, die ja von der wachsenden sozialen Ungleichheit profitieren, können sich vor laufenden Kameras als Wohltäter darstellen, obwohl ihre Spenden lächerlich sind im Vergleich zu ihren Profiten – und die Besucher der Tafeln müssen sich als Almosen-Empfänger auf der Straße in die Schlange stellen. Und Politiker – wie etwa Sarrazin, der meint, dass man von Hartz IV ja toll leben kann - erhöhen die Regelsätze nicht, weil die Tafeln ja schon helfen werden...Den Ärmsten helfen und die Umwelt schützen- und dies kostenneutral für den klammen Vater Staat. Eine klassische Win-Win-Situation. Die Frage ist nur: Für wen?

15 Uhr Anders leben. Aber wie? (Anne Seeck)

Dieser Teil des Seminars ist die Fortsetzung der „Tipps für Erwerbslose„ in dem Seminar „Was tun, wenn ich nicht gebraucht werde„ vom 17./18. Dezember 2010.

Was können wir tun, um nicht um Almosen betteln zu müssen. Und was nützen uns Forderungen an den Staat, die die Herrschenden ignorieren. Wir müssen in unserem Alltag beginnen, „anders zu leben„. Wir werden gemeinsam erarbeiten, wie wir in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Essen, Arbeiten, Wirtschaften etc. mit dem anderen Leben beginnen können. Tolle Ideen und konkrete Vorschläge für die Umsetzung sind herzlich willkommen

17-18 Uhr Abschlussdiskussion

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Was tun, wenn ich lohnarbeite und mich trotzdem nicht dem Proletariat zugehörig fühle?
25./26. März im Mehringhof, Gneisenaustr.2a, Berlin- Kreuzberg

Freitag 19 Uhr Diskussionsveranstaltung " Wo ist das Proletariat bloß abgeblieben?"
Aspekte einer marxistischen Klassentheorie
Vortrag mit Diskussion
Referent: Karl-Heinz Schubert


Die zeitgenössische Soziologie spricht nicht mehr von sozialen Klassen, sondern von Schichten und sozialen Milieus, die sich vor allem über Geschmack, Vorlieben, Konsumgewohnheiten und Bildung aber auf keinen Fall durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft unterscheiden.

Doch der Marxsche Werkzeugkoffer zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft ist im Spätkapitalismus nach wie vor aktuell, weil sich das Grundverhältnis von Lohnarbeit und Kapital im seinem ökonomischen Kern überhaupt nicht verändert hat. Das aufzuzeigen wird Gegenstand des Vortrages sein. Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise diese ökonomische Kernstruktur die Oberfläche der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Hinblick auf Produktions- und Reproduktionsverhältnisse formt.

Samstag 13 Uhr
Ein halbes Leben. Biographische Zeugnisse aus einer Arbeitswelt im Umbruch
Die Arbeitswelt im Sozialbereich und der Arbeitsagentur (Anne Seeck)

In dem Buch „Ein halbes Leben„ werden ein Arbeitsvermittler und eine Sozialarbeiterin interviewt, die berichten, wie ihre Arbeitsbereiche nach betriebswirtschaftlicher Logik umstrukturiert werden. Durch die Ökonomisierung des Sozialen verändert sich nicht nur ihre Arbeitsrealität, sondern auch die Beziehung zur Klientel bzw. den „Kunden„.

Typische Frauenerwerbsarbeit (Sarah Heselhaus)

Drängt die Hartz-Reform Frauen selbst aus den typischen weiblichen Berufen im Gesundheitswesen und im Dienstleistungsbereich heraus? Bleibt für die Frauen ohne Papiere nicht einmal der Reinigungs- und Haushaltsbereich übrig? Aus einzelnen Biographien ergeben sich Vermutungen für den Frauenerwerbsbereich, die weiter zahlenmäßig untersucht werden.

Samstag 15 Uhr
Die Arbeitswelt bei Kreativen (Patricia Schwindkowski)

Anhand von drei ausgewählten Interviews mit Akteuren aus dem Bereich der Creativ-Industrie (Mediengestaltung, DTP Design und Neue-Medien-Kunst), entsteht der Eindruck, dass eine kritische Auseinandersetzung mit prekären Arbeitsverhältnissen, durch den steigenden Anteil der eigenen kreativen Tätigkeit abzunehmen scheint. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie fragil dieser kreative Anteil im Gesamtgefüge der Tätigkeiten ist. Neben der Anerkennung von außen – Ökonomie des langen Zyklus (Bourdieu), spielt die eigene Sichtweise auf die Tätigkeit eine wesentliche Rolle.

Postmoderne und alternative Arbeitswelten (Wolfgang Ratzel)

Welche Strukturmerkmale unterscheiden vormoderne von modernen und postmodernen Arbeitswelten? Der Übergang von der vormodernen zur modernen Produktionsweise zeigt sich beispielsweise in der Enteignung des Handwerker-Arbeiters von seinem Produktionswissen. Im Übergang und zu Beginn der Moderne kontrollierte der Typus des Handwerkers und später des Handwerkerarbeiters (dessen Inbegriff „der Werkzeugmacher„ und „der Dreher„ sind) den wirklichen, unmittelbaren Produktionsprozess. Sie waren somit im buchstäblichen Sinne die Herren der Werkstatt, der Manufaktur, ja die „Herren der Fabrik„. Die Handwerksmeister, Manufaktur- und Fabrikunternehmer waren zwar Ausbeuter und Nutznießer der Arbeitskraftsentfaltung – sie waren aber nicht Herren über den unmittelbaren Produktionsprozess. Das änderte sich um die Jahrhundertwende zum 20. Jh mit der Durchsetzung des Taylor-Systems, der Wissenschaftliche Betriebsführung (scientific managemement), einem Managementkonzept, mittels dessen der Handwerkerarbeiter seines Produktionswissens und damit der Herrschaft über den Arbeitsprozesses beraubt wurde, und zwar gewaltsam und gegen erbitterten Widerstand. Das Fachwissen war nunmehr in der Arbeitsvorbereitung konzentriert, die Arbeiter hingegen verrichten extrem detaillierte und zerlegte Arbeitsaufgaben, deren Zielvorgaben dem einzelnen Arbeiter aufgezwungen und nicht mehr bekannt waren. Ergebnis: Der Herrscher der Fabrik wurde zum Anhängsel des Bandes, wurde zur Marionette eines komplexen, undurchschaubaren Produktionsprozesses.

In der Gegenwart beobachten wir eine Vergleichzeitigung der drei Formen des Arbeitsprozesses:

(1) Das Taylor-System lebt einerseits in roher Form weiter (Weltmarktfabriken), andererseits wird es vervollkommnet (Just-in-time-Produktion).

(2) Gleichzeitig wird das Taylor-System ersetzt durch „postmoderne„ flache, integrierte Arbeitsabläufe, die auf mentaler und technischer Selbststeuerung beruhen – genauer gesagt auf der Fähigkeit, Fremdanforderungen zu verinnerlichen.

(3) Und schließlich kehren massenhaft vormoderne Arbeitsweisen wieder, die auf einer Vermischung von Subsistenz- und Lohnarbeit beruhen.

Unterhalb all dieser Vergleichzeitigungen ausbeuterischer Produktionsweisen keimt schwach und im Verborgenen eine neue Produktionsweise, die sich „solidarische„ oder „moralische„ Ökonomie bzw „care-economy (Ökonomie der Sorge)„ nennt. Welche Strukturmerkmale bestimmen nun diese andere Produktionsweise?

Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich mitten im postmodernen kapitalistischen Arbeitsprozess Strukturmerkmale dieser neuen postkapitalistische Produktionsweise zeigen?

Zersetzt sich die postmoderne Arbeitsweise zu etwas Neuem, oder repräsentiert sie nur eine Steigerungsform der Ausbeutung menschlicher (und nichtmenschlicher) Arbeitskraft?

17-18 Uhr Abschlussdiskussion

Veranstalter: Teilhabe e.V.
Unterstützt von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt

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Veranstaltungen in der Lunte jeden 3. Montag im Monat um 19 Uhr
Weisestr.53, U-Bhf. Boddinstr., Berlin- Neukölln

  • 21.3. um 19 Uhr Die Organisierung von Hartz IV- BezieherInnen in Neukölln (Jobcenterversammlung

  • 18.4. um 19 Uhr Wie weiter mit den Sozialprotesten? (Rainer Wahls, AG Soziales Berlin)

Veranstalter: Teilhabe e.V.
Unterstützt von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt

Editorische Hinweise

Wer Anregungen oder/und Kritik zur Rubrik Repression & Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will, der wende sich per Email an Anne Seeck (anne.snk44[at]yahoo.de