Nahost – Staatengleichgewicht und System der friedlichen Koexistenz
Anmerkungen zur Kontroverse zwischen Peter Nowak und Hartmut Barth-Engelbart

von Antonin Dick

03/09

trend
onlinezeitung

Red. Hinweis: Die Anmerkungen beziehen sich auf Peter Nowaks Legt endlich die NS-Vergleiche beiseite! und Hartmut Barth-Engelbarts Artikel Pragmatismus in Sachen Israel ?

Es sollte eigentlich zu den positiven Beiträgen der Europäer, der Deutschen und der deutschen Linken gehören, die Erfahrungen eines vierzigjährigen Kalten Krieges in Europa, vor allem die positiven Erfahrungen mit dem System einer kollektiven Sicherheit, das mit dem KSZE-Prozess seine völkerrechtliche Fixierung erreichte, den Repräsentanten der Staaten und politischen Gruppierungen in Nahost bereitzustellen. Dies geschieht in der Regel auch, so zum Beispiel dann, wenn die Französische Republik die Gründung einer Mittelmeerunion initiiert, in der erstmals in der modernen Geschichte alle Anrainerstaaten des Mittelmeers vereinte Anstrengungen zum Aufbau eines kollektiven Systems der friedlichen Koexistenz unternehmen. Auch die Nahostpolitik der neuen US-Administration weist mit Zustimmung Russlands, dem Kernland der ehemaligen UdSSR, in die KSZE-Richtung. Um so mehr verwundert es, wenn ausgerechnet Aktivisten der deutschen Linken mit dieser neuen Friedensstrategie, die vor allem ein Ergebnis des beharrlichen Kampfes der Linken aller Länder ist, nicht rational umgehen können. So beispielsweise Hartmut Barth-Engelbart in seiner Kritik an den Positionen von Peter Nowak, die dieser in seinem Beitrag „Legt endlich die NS-Vergleiche beiseite!“ entwickelt hat.

Barth-Engelbarts Artikel „Pragmatismus in Sachen Israel?“ trägt im Untertitel den Satz „Der kann tatsächlich nur darin bestehen, eine friedliche Koexistenz zweier Staaten zu erreichen“. Ganz abgesehen davon, dass dieses System der friedlichen Koexistenz schon aus rein statischen Gründen ganz sicher nicht, wie Hartmut Barth-Engelbart behauptet, auf zwei Staaten, sondern vielmehr auf allen Staaten der Nahost-Region fußen wird, wird diese Ankündigung von ihm mit keiner Zeile seines Beitrags eingelöst, im Gegenteil, sein gesamter Beitrag erschöpft sich in Schuldzuweisungen an den Staat Israel, den er geradezu dämonisiert. Dem widerspricht Peter Nowak vehement, indem er im Marxschen Sinne auf einer Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung auf die ständig wechselnden Konfliktlagen in Nahost besteht, fern aller Religionen und Ideologien, und von den deutschen Linken den Abschied von der mittelalterlich-christlich anmutenden Einbildung, es gäbe „dort … die gute und die böse Seite“, fordert, denn Mitschuldige dort sind nachgewiesenermaßen alle. Was in der gegenwärtigen verfahrenen Nahost-Situation aus diesem Rationalismus für die von der Furie blutiger Auseinandersetzungen heimgesuchten Menschen praktisch folgt? Auch dies kann man bei Peter Nowak nachlesen: ein Minimum, das gerade noch Machbare, kleine praktische Lösungen für das Überleben der Menschen diesseits und jenseits aller dort bestehenden Grenzen, kurz, ein „Konfliktmanagement“, wie es der israelische Historiker Tom Segev, auf den sich Peter Nowak explizit beruft, vorschlägt.

Wir können bei der Betrachtung dortiger Staatenbewegungen, wozu selbstverständlich auch die bevorstehende Gründung eines eigenständigen Palästinenserstaates gehört, keinesfalls zurückfallen in Epochen der Voraufklärung. Marx dazu in der Rheinischen Zeitung, Nr. 195 vom 14. Juli 1842: „Gleich vor und nach der Zeit der großen Entdeckung des Kopernikus vom wahren Sonnensystem wurde zugleich das Gravitationsgesetz des Staats entdeckt, man fand seine Schwere in ihm selbst, und wie die verschiedenen europäischen Regierungen dieses Resultat mit der ersten Oberflächlichkeit der Praxis in dem System des Staatengleichgewichts anzuwenden suchten, so begannen früher Machiavelli, Campanella, später Hobbes, Spinoza, Hugo Grotius, bis zu Rousseau, Fichte, Hegel herab, den Staat aus menschlichen Augen zu betrachten und seine Naturgesetze aus der Vernunft und der Erfahrung zu entwickeln, nicht aus der Theologie, so wenig Kopernikus sich daran stieß, daß Josua der Sonne zu Gideon und dem Mond im Tale Ajalon stillezustehen geheißen.“

Und weil wir uns gerade mit Marx in Gideon und im Tale Ajalon aufhalten, abschließend noch eine unerlässliche Anmerkung zu einer konstitutiven Prämisse der theologischen Geschichtsbetrachtung von Hartmut Barth-Engelbart: Es gab in Nahost im engeren Sinne des Wortes, im Lebensgebiet von Palästinensern, Arabern und Juden, mitnichten einen „bereits seit Jahrhunderten existierenden Staat“, wie Hartmut Barth-Engelbart in seinem Beitrag kurioserweise behauptet. Vor 1948 gab es dort das Britische Mandatsgebiet, davor das Osmanische Reich, davor etliche andere Reiche, wie das syrische und die Kreuzfahrerreiche, und davor das große Römische Reich, und immer, auch und gerade vor Rom, haben dort Araber, Palästinenser, Religiöse und Nichtreligiöse verschiedener Nationalitäten und auch Juden gesiedelt, und was letztere anbetrifft, so sind sie nach Beginn unserer Zeitrechnung als ganzes Volk von den Römern verbannt worden, ins Exil, in die Diaspora, in die ganze Welt, und auch wenn Hartmut Barth-Engelbart mit Hilfe eines geschickten Hantierens mit solchen gefühlig aufgeladenen Wörtern wie „Heimat“, „überfallen“, „Besetzung“ und „Unterdrückung“ die empirisch nachgewiesene Tatsache, dass bis zu seiner Verbannung dort u. a. auch das jüdische Volk über Jahrhunderte seinen kulturellen und staatlich gesicherten Ort des gesellschaftlichen Lebens gehabt hatte und nun die von der UNO auf Grund des Holocaust eröffnete Möglichkeit zu seiner Rückkehr nutzt, verschweigt, so ändert dies nichts an eben dieser empirisch nachgewiesenen Tatsache, die wir zusammen mit den anderen Regionaltatsachen via Marx, Machiavelli, Campanella, Hobbes, Spinoza, Grotius, Rousseau, Fichte, Hegel und in Einheit mit den anderen Ergebnissen der empirischen Geschichtsforschung zur Kenntnis zu nehmen haben, wenn wir über heutige Nahost-Konstellationen, über die dortigen Schwierigkeiten mit Frieden und Gerechtigkeit, wissenschaftlich seriös sprechen wollen.

Nichts anderes bewegte ganz offenbar den Publizisten und Journalisten Peter Nowak bei der Niederschrift dieses und anderer Nahost-Beiträge. Nichts anderes als die Notwendigkeit der Einführung eines kalkulierbaren Staatengleichgewichts in Nahost nach dem Vorbild der KSZE, das unbedingt eben alle dortigen Staaten umfasst, möglichst unabhängig von externen Großmachtinteressen, will er dem Leser, zumal dem linken, bewusst machen – im Interesse einer Mindesthumanität für alle Menschen dort, im Interesse eines zukünftigen dauerhaften Friedens auf Basis gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen allen in dieser Region lebenden Völkern und Nationalitäten.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir am 16.3. 09 vom Autor per Mail.

Siehe zu dieser Thematik auch den Aufsatz von Karl-Heinz Schubert: Der Weg wird ein langer sein