Der Namen des Ende Februar
zurückgetretenen Oberbürgermeisterkandidaten der Linken für
Düsseldorf wird kaum länger im Gedächtnis bleiben, der Grund
für seinen Rücktritt wohl schon. Hermann Dierkes hatte am
18.Februar auf einer Veranstaltung vor dem Hintergrund des
Nahostkonflikts zum Boykott israelischer Waren aufgerufen und
sich dabei auf Forderung des Weltsozialforums in Brasilien
bezogen. Nachdem diese Äußerungen bekannt geworden waren, gab
es ein vielstimmiges Echo. Am lautesten meldeten sich
Vertreter der Union zu Wort. Deren NRW-Generalsekretär
attestierte nicht nur Dierkes, sondern der Linken insgesamt
„puren Antisemitismus“. Der Vizepräsident des Zentralrats der
Juden Dieter Graumann sprach von einem Israelhass, der aus der
alten DDR kommt. Doch wer die Gedankenwelt des westdeutschen
Gewerkschaftlers Dierkes verstehen will, muss einen Blick in
die posttrotzkistische Sozialistische Zeitung (SoZ) werfen.
Sie hatte in ihrer vorletzten Ausgabe dem Nahostkonflikt einen
Schwerpunkt gewidmet und ist dabei in mehreren Artikeln auch
auf die Boykottforderung eingegangen. Auf der Titelseite war
ein Zitat von Naomi Klein abgedruckt, das sich positiv auf die
Boykottforderung bezog. Hermann Dierkes kommt in der SoZ öfter
zu Wort und bewegt sich theoretisch auf dieser Linie.
In der SoZ wird auch heute noch ein
Antizionismus vertreten, wie er in der Arbeiterbewegung der
20er Jahre üblich war. Mit Recht kann man kritisieren, dass
genau dieser Antizionismus nach der Shoah nicht mehr vertreten
werden kann.
Es ist bedauerlich, dass sich in der ganzen Debatte kaum ein
Kritiker sich die Mühe machte, bei der Kritik an Dierkes
Äußerungen auf diesen Hintergrund einzugehen.
Konjunktur der NS-Vergleiche
Stattdessen wurde mit einem Nazivergleich gearbeitet und die
Boykottforderung zumindest in die gedankliche Nähe der
NS-Parole „Deutsche, kauft nicht bei Juden“ gestellt. Nun
haben israelsolidarische Gruppen jahrelang mit Recht
kritisiert, dass alles Schlechte in der Welt mit NS-Analogien
belegt wurde. Besonders gerne werden tatsächliche oder
vermeintliche Auswirkungen der israelischen Politik mit
solchen Vergleichen bedacht. Da wird der Gazastreife in das
Warschauer Ghetto umgelogen. Wobei bei einem solchen Vergleich
die israelischen Soldaten die Rolle der NS-Soldaten bekommen
und die Palästinenser zu den neuen Juden werden. Dabei handelt
es sich um bestenfalls geschichtsblinde, oft auch latent
antisemitische Vergleiche.
Aber auch proisraelische Kräfte und
selbst israelische Politiker sparen nicht mit NS-Analogien. Da
werden bestimmte palästinensische Gruppen zu NS-Nachfolgern
erklärt. Der ehemalige israelische Ministerpräsident Begin
verglich in den 80er Jahren Arafat als Hitler, heute wird vor
allem die Hamas in die NS-Nähe gerückt. Wie konjunkturell
solche Vergleiche verwendet werden, zeigt sich schon daran,
dass das saudi-arabische Soft-Taliban-Regime, das zudem
weltweit islamistische Bewegungen fördert, kaum mit dem NS
verglichen wird. Es steht in Puncto reaktionärem Islamismus
nach Innen und Antisemitismus nach Außen Bewegungen wie der
Hamas nicht nach, gilt aber als prowestlich, weil es mit den
USA verbündet ist.
Nun steht die Israel-Boykott-Parole unter
NS-Verdacht. Damit wird aber die reale NS-Politik verharmlost
und relativiert. Der Boykott von Produkten eines Landes ist
eine schon häufiger praktizierte, bürokratische Angelegenheit
und richtet sich gegen die Politik eines Landes und nicht eine
ethnische Gruppe. Die Nazikampagne war aber ein Pogrom, das
sich gegen jüdische Menschen richtete. Schon bei der ersten
deutschlandweiten Kampagne am 1.April 1933 kam es zu Angriffen
auf jüdische Menschen und auf Kunden von jüdischen Länden
durch den antisemitischen Mob. Genau so wenig wie Gaza das
Warschauer Ghetto ist, ist die Boykottforderung israelischer
Waffen eine Fortsetzung der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden“.
Konfliktmanagement statt Friedensvertrag
Trotzdem ist die Boykottforderung meines Erachtens falsch. Das
kann ich aber ohne NS-Vergleiche kritisieren. Ein Boykott
setzt Voraus, dass Israel im Nahostkonflikt der Schuldige und
die Palästinenser die Opfer sind. Eine solches
Schwarz-Weiß-Bild hat aber mit der Realität wenig zu tun. Wer
beispielsweise den israelischen Gazaangriff verurteilt, ohne
die Hamas-Raketen aus dem Gazastreifen auch nur zu erwähnen,
macht sich einer solch einseitigen Sicht der Dinge schuldig.
Auch die Relativierung, es handele sich nur um primitive
Raketen und hinterlasse wenig Opfer, argumentiert am Kern der
Angelegenheit vorbei. Kein Land würde es hinnehmen, wenn sein
Territorium von einem Nachbarland beschossen wird, auch wenn
die Waffen nicht auf den neuesten technischen Stand sind.
Ähnlich kann man für die gesamte Geschichte des
Nahostkonflikts Beweise finden, dass es dort nicht die gute
und die böse Seite gibt. Ein Boykott Israels aber geht von
dieser Dualität aus. Ich schließe mich dem postzionistischen
israelischen Historiker Tom Segev an, der wie viele
Intellektuelle in Israel, wenig Hoffnung auf einen
grundlegenden Friedensvertrag zwischen beiden Seiten in der
nächsten Zeit hat.
Er schreibt in der aktuellen Ausgabe der Le Monde
Diplomatique: „Während viele Menschen in Israel wie in Europa
und anderen Teilen der Welt müßige moralische Diskussionen
über die Frage führen, welche Seite recht und welche unrecht
hat, haben immer mehr Israelis aufgehört, an den Frieden zu
glauben. Sie wissen, dass Israel ohne Frieden womöglich nicht
überleben kann, aber mit jedem Krieg haben sie ein Stück von
ihrem Optimismus eingebüßt. Das gilt auch für mich.“
Segev schlägt statt neuer auf Sand
gebauter Friedenshoffnungen ein Konfliktmanagement vor. Es
sollen ganz konkrete Probleme gelöst werden, die ein
erträglicheres Zusammenleben aller Menschen in der Region
ermöglichen, ohne gleich wieder mit einer großen
weltpolitischen Friedensutopien aufgeladen zu werden, die dann
bei einem Scheitern zu noch größerer Enttäuschung führen
könnten. Zur Lösung solcher konkreter Probleme könnte auf
Seiten Israels ein definitives Ende des Beschusses aus dem
Gazastreifen ebenso gehören wie die Freilassung des von der
Hamas entführten Soldaten. Im Austausch damit könnte eine
Öffnung der Grenze im Gazastreifen erfolgen. Solche ganz
konkreten Schritte sind mit Boykottforderungen und
martialischen Schuldzuweisungen nicht zu vereinbaren. Hinzu
kommt, dass ein Boykott Israels durchaus Antisemitismus wecken
kann, wie sich anlässlich des jüngsten Nahostkonflikts in
mehreren Ländern zeigte. So könnte im Bild eines neuen
Antisemitismus Israel zum Juden der Nationen werden.
Bei zukünftigen Auseinandersetzungen um
den Nahen Osten sollten beide Seiten beherzigen, was der
Taz-Kommentator Stefan Reinecke kürzlich nur den
Boykott-Befürwortern ans Herz legte. Legt endlich die
NS-Vergleiche beiseite.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.