Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Sozialprotest in Frankreich

02/2020

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Bericht vom 03. Januar 2020

Was sagen überhaupt die Neofaschisten im Land zu der aktuellen Streik- und Protestwelle?

Es läuft nicht immer so rund für die französischen Neofaschisten wie am 30. November des abgelaufenen Jahres im normannischen Lisieux. An jenem Tag, den 30.11.19, gingen dort mehrere Gewerkschaften – CGT, FO und SUD – zusammen mit Einwohnerinnen auf die Straße, um gegen die drohende Schließung des örtlichen Krankenhauses zu protestieren. In Anbetracht der näher rückenden Kommunalparlamentswahlen, die am 15. und 22. März 2020 in ganz Frankreich stattfinden werden, kamen auch verschiedene Stadtrats- und Bürgermeisterkandidaten. Die CGT stieß sich dabei an der Anwesenheit des Spitzenkandidaten des rechtsextremen Rassemblement National (RN, „Nationale Sammlung“), des früheren Front National, mit Namen Alain Angélini. Schlussendlich war es dann die CGT, die die Demonstration unter Protest verließ und kurz darauf eine Presseerklärung dazu veröffentlichte – der RN-Kandidat blieb. (Vgl. https://actu.fr/)

Bei den Demonstrationen in rund 250 französischen Städten gegen die Renten-„Reform“pläne der Regierung, die am 05. Dezember 19 anfingen [wir berichteten wiederholt] wiederholte sich dieses Szenario jedoch nicht. Dabei bemühte sich die dereinst durch Jean-Marie Le Pen und heute durch Marine Le Pen geführte Partei in noch nie dagewesener Art und Weise, als vermeintliche Unterstützerin der Sozialprotestbewegung zu erscheinen.

Tatsächlich tritt die mit Abstand stärkste Partei der extremen Rechten in Frankreich zum ersten Mal, mindestens verbal, als Unterstützer von Streikbewegungen in Erscheinung. Ohne selbst an Protestdemonstrationen teilzunehmen, behauptet Marine Le Pen seit Ende November 19, sie unterstütze die Streik- und Protestwelle gegen die Regierungspläne zur Rente.

Demagogische „Unterstützung“

In der Vergangenheit hatte die Partei bzw. ihre Vorläuferorganisation, obwohl sie sich seit den frühen 1990er Jahren – in der Hoffnung oder Spekulation darauf, eine nach dem Berliner Mauerfall und dem Wegfall der UdSSR desorientierte Wählerschaft der französischen KP übernehmen zu können – erkennbar um einen „sozialen“ und kapitalismuskritisch klingenden Tonfall bemühte, eine solche Positionierung stets verworfen.

Bis dahin behauptete man zwar, eine Alternative zum Wirtschafts- oder Neoliberalismus darzustellen, scheute jedoch Gewerkschaften und Streikende oder lehnte ihre Methoden und Anliegen ab. Auch wenn es Ausnahmen gab; so war es für die extreme Rechte stets leichter, an den Rändern des christlichen Gewerkschaftsbunds (CFTC; vgl. Fußnote 1) oder des drittstärksten Gewerkschaftsdachverbands Force Ouvrière (FO, 1947/18 aus einer antikommunistischen Abspaltung der CGT heraus entstanden) Anklang zu finden, als bei den stärksten Gewerkschaften. Insbesondere beim historisch ältesten Gewerkschaftsbund in Frankreich, das ist die CGT, fand der FN bzw. der RN kein Gehör, und wo er auf lokaler Ebene einzelne Einflusspositionen gewinnen konnte, reagierte der Dachverband mit Ausschlüssen wie 2011 gegen den örtlichen Vertrauensmann Fabien Engelmann in Lothringen. Engelmann ist nun seit 2014 FN- bzw. RN-Bürgermeister im ostfranzösischen Hayange.

Dieser Spagat zwischen „sozialem“ Anspruch einerseits und Abstand zur existierenden Arbeiterbewegung auf der anderen Seite erschwerte es dem FN oder RN jedoch, konkret Fuß zu fassen. An Wahlsonntagen geben zwar auch gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte – dies erkennen längst nahezu alle Verbände an, vielleicht mit unrühmlicher Ausnahme jedenfalls der offiziellen Stellungsnahmen von FO, und betrachten es als Problem (vgl. bspw. https://www.labournet.de/ ) – in nicht unbeträchtlicher Zahl, neben noch wesentlich mehr unorganisierten, Marine Le Pen und ihren Leuten eine Stimme. Außerhalb von Wahltagen blieb die Partei dennoch im sozialen Alltagsleben außen vor, die meisten abhängig Beschäftigten kommunizieren mit der ihr nur über das Fernsehen.

Dies ist für eine Partei, will man die Gesellschaft auch real durchdringen, auf Dauer nicht genug. Zumal die Entwicklung des aktuellen Mitgliederbestands aus Sicht ihrer Führung derzeit eher besorgniserregend ist, denn der RN tendiert derzeit dazu, zur reinen Wahlkampfmaschine und Präsidentinnenwahlpartei zu mutieren und ansonsten passiv zu bleiben – zum Verdruss vieler Leitungsmitglieder. Ende Oktober 19 schlug Marine Le Pen deswegen persönlich Alarm.

Die Zahl der Beitragszahler/innen ohne Rückstände, so zitierte das Wochenmagazin Le Point am 02. November 19 eine Quelle aus der Parteispitze, sei von angeblich - mutmaßlich übertriebenen - „83.000“ im Präsidentschaftswahljahr 2017 auf „unter 30.000“ zum Jahreswechsel 2018/19 gesunken. ( Vgl. https://www.lepoint.fr/politique/pour-s-imposer-en-2022-marine-le-pen-pourrait-s-affranchir-du-rn-02-11-2019-2344840_20.php ) Darin liegt auch ein Unterschied beispielsweise zur historischen NSDAP: Auch wenn der französische RN sich heute aktiv um soziale Demagogie bemüht, dann tut er dies nicht aus der Position einer vergleichbaren tatsächlichen Massenbewegung mit entsprechender aktiver sozialer Basis heraus. Obwohl zumindest viele seiner Führungsmitglieder Anderes anstreben möchten, bleibt er bislang im Wesentlichen ein Wahlverein.

Eine mehrheitlich gegen die antisoziale „Reform“ eingestellte Wähler/innen/schaft

Die RN-Wählerschaft zählt unterdessen zu jenen Teilen der französischen Gesellschaft, die die aktuellen Reformpläne des Regierungslagers klar ablehnen. Zwar ist die Unterstützung für die Protestierenden dort nicht so stark wie in der Wähler/innen/schaft der Linkspartei LFI von Jean-Luc Mélenchon - laut dem Institut IFOP herrschen dort 90 % Zustimmung zum Sozialprotest - oder auch in jener der Sozialistischen Partei (66 %), doch fällt sie mit 58 % mehrheitlich aus. ( Vgl. https://actu.orange.fr/) Hingegen lehnt die Wählerschaft der konservativen Partei LR/Les Républicains (laut IFOP zu 62 %) und jene der Regierungspartei Emmanuel Macrons, LREM (dort zu 78 %), die Proteste ab, da man dort die Reform mindestens in ihrem Kerngehalt befürwortet.

Innerparteiliche Dissonanzen

Bereits in den Tagen vor dem Beginn der Demonstrationen und Streiks am 05. Dezember 19 ( vgl. u.a. https://actu.orange.fr/und https://www.lesechos.fr/ ) erklärte Marine Le Pen sich explizit zu ihrer „Unterstützerin“, gab jedoch zugleich an ( vgl. bspw. https://actu.orange.fr/), sich selbst von der Straße fernhalten zu wollen: „Dies ist nicht die Rolle einer politisch Verantwortlichen.“ Auch aus ihrer Partei, die seit langen Jahren zwischen einem wirtschaftsliberalen und vor allem „mittelstandsfreundlichen“ Flügel einerseits und einem stärker strategisch auf die Wählerschaft in den sozialen Unterklassen schauenden Lager andererseits gespalten ist, musste sie Kritik deswegen einstecken. Ihr Vize-Parteivorsitzender und mehr oder frisch getrennter Ex-Lebensgefährte Louis Aliot, welcher bei den Kommunalwahlen im März 2020 das Rathaus von Perpignan erobern möchte, nahm daran Anstoß. Er erklärte, die Aktivitäten der Gewerkschaften seien „wirkungslos“, und: „Die Stimmzettel regeln die Probleme, nicht die Straße“. (VgL. zu ihm auch: https://actu.orange.fr/)

Einige RN-Vertreter versuchten sich gar, am Rande von Sozialprotestdemonstrationen blicken und ablichten zu lassen. Bspw. der Abgeordnete Sébastien Chenu – vor einigen Jahren ein Überläufer von den Konservativen -, der ein Selfie von ihm veröffentlichte, auf dem er im Industriegebiet von Prouvy in der Nähe des nordfranzösischen Valenciennes im Gespräch mit Demonstranten in Gewerkschaftsjacken zu sehen ist. Was er nicht dazu schrieb, war freilich, dass er keine fünf Minuten später hochkant aus der Demonstration hinausgeworfen wurde. Gewerkschaftsmitglieder hatten ihn provozierend befragt, wie viel er pro Monat einstecke, riefen „Wir wollen keine Faschos!“ aus und schickten ihn „zum Kaviaressen mit Marine“. (Vgl. auch: https://www.mediapart.fr/)

Auf örtlicher Ebene waren ebenfalls einige, nicht so sehr (auf nationaler Ebene) prominente, Vertreter zumindest kurzzeitig bei Sozialprotestdemonstrationen anzutreffen. Vgl. dazu eine Aufstellung in einer linken Publikation: https://npa2009.org/

Eine erfreulich klare Position der CGT

(Vgl. dazu bitte auch unser im Anhang veröffentlichtes Dokument, ein Papier der CGT, zum Thema)

CGT-Generalsekretär Philippe Martinez hatte noch vor den ersten Demonstrationen gewarnt, man wolle nicht „zusammen mit Rassisten“ demonstrieren, und: „Der RN ist nicht willkommen!“ // Vgl. https://actu.orange.fr und https://www.lefigaro.fr/ sowie: https://www.liberation.fr/ und https://www.liberation.fr/ // Ein RN-Sprecher, Nicolas Bay, kofferte giftig zurück, man wolle auch gar nicht mitmachen, die CGT solle „lieber weiterhin mit Islamisten demonstrieren“ (vgl. https://www.lemonde.fr/) – eine Anspielung auf eine freilich mitnichten durch Islamisten, sondern durch Linke organisierte Demonstration gegen anti-muslimische Gewalttaten wie das Attentat von Claude Sinké in Bayonne und gegen und gegen Rassismus am 13. November 19 in Paris, an welcher Philippe Martinez teilgenommen hat. Ähnlich äußerte sich i.Ü. auch Marine Le Pen selbst; vgl. dazu: https://actu.orange.fr und AFP-Meldung : https://www.lefigaro.fr/

Martinez bekräftigte am 20. Dezember 19 erneut die ablehnende Position gegen einen gemeinsamen Protest mit dem RN: „An dem Tag, an dem ich deren Aussagen gutheiße, muss man mich aus der CGT ausschließen!“ ( Vgl. https://www.lci.fr/)

Doch in Fernsehsendern wie bei der privaten, wirtschaftsliberal geprägten Sendeanstalt BFM TV werden in diesen Tagen wiederholt RN-Politiker, wie am Wochenende des 21./22. Dezember 19 der frühere Abgeordnete im Nationalparlament (2012 bis 17) und jetzige Europaparlamentarier Gilbert Collard, als vermeintliche Sprecher des Lagers der Reformgegner eingeladen und hofiert. Collard, aber auch Marine Le Pen nutzen unterdessen die Gunst der Stunde, um einen Schwenk gegenüber der öffentlichen Meinung zu vollziehen: Lautstark forderten sie nun eine „Weihnachtspause“ im Streik, die auch durch das Regierungslager gefordert, durch die Hauptkräfte bei den Streikenden jedoch beim aktuellen Stand der Auseinandersetzung abgelehnt wurde.

Unterdessen versucht ein früheres Leitungsmitglied des damaligen Front National – Florian Philippot, vormaliger Chefideologe der Partei mit eher keynesianisch-nationalistischen Positionen, welcher selbst nicht aus einem originär faschistischen Spektrum kommt, im September 2017 aus der Partei gedrängt wurde und seitdem seine eigene Splitterpartei Les Patriotes anführt -, diese „Zögerlichkeiten“ seiner früheren Formation politisch auszuschlachten. (Vgl. dazu ausführlich: https://www.francetvinfo.fr/ ) Die Abspaltung vom FN / RN unter Philippot verfügt über einen eigenen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung (im Juni 2017 noch für den damaligen FN dorthin gewählt), José Evrard, einen früheren Kader der französischen KP vor dem Jahr 2001 übrigens, danach 2013 dem damaligen FN beigetreten. Der bei Twitter höchst aktive Evrard versucht sich seinerseits zum Unterstützer der Streikbewegung aufzuschwingen und faselt dort gar von „Revolution“ (Vgl. sowie https://twitter.com/). Vgl. zu ihm bspw. Auch https://twitter.com/Joseevrard62/9 und https://twitter.com/Joseevrard62/status/

Und inhaltlich?

Was aber sagt die Hauptpartei der französischen extremen Rechten -also der RN – überhaupt inhaltlich zur Renten„reform“? Gar nicht so viel, abgesehen davon, dass er gegen die Regierungspläne und für ein Referendum (eine Volksabstimmung) darüber eintritt. Selbst jedoch propagiert er eine Art sozialdemagogischen Hexeneinmaleins als „Alternativvorschläge“.

So ging es Marine Le Pen bei einem ihren medialen Auftritte bspw. darum, dass Einsparungen „bei den französischen Beiträgen zur Europäischen Union sowie bei den Kosten der Immigration“- also bei angeblichen Ausgaben für das Ausland und die Ausländer, kurz und bündig zusammengefasst – schon zur Finanzierung alternativer Rentenpläne führen würden: „Und dann wird man sehen, ob es passt. Ich denke, das passt.“ (Vgl. dazu: https://www.lemonde.fr/ ) Und wenn’s dann halt nicht hinhaut, finanziell?

Ansonsten soll „die Natalität“ angekurbelt werden, also die französische Geburtenrate – bitte mit echten Franzosen und nicht mit Ausländerkindern, natürlich…. -; und zwar Modell nehmend an… Saudi-Arabien. ( Vgl. dazu: https://www.lepoint.fr/ )

Andere Positionen im Spektrum der extremen Rechten

Andere Teile der extremen Rechten positionieren sich durchaus anders. Nationalistische Monarchisten der Action française (AF) attackierten studentische Streikposten an mehreren Universitäten, in Strasbourg kam es dabei am 12. Dezember 19 zu gewalttätigen Vorfällen. (Vgl. dazu: https://www.lefigaro.fr/ - Siehe auch ein gewerkschaftliches Pressekommuniqué dazu: https://www.visa-isa.org/)

Und die fanatisch anti-muslimische, tägliche Internetpublikation Riposte Laïque entdeckte eine eigene Angriffsfläche für ihre Agitation, die in ihrem Falle deutlich gegen die Gewerkschaften gerichtet ist: Diese seien bereit, auch in die Weihnachtspause zu Ende des Jahres 2019 hinein zu streiken, weil sie den Muslimen gegenüber willfährig seien, die ohnehin christliche Traditionen ruinieren möchten – eine Idee, die man allerdings bei einer zuvor zur Regierungspartei LREM gehörenden Lokalpolitikerin abkupfern konnte; vgl. http://trend.infopartisan.net/trd0120/t320120.html .

Am 23. Dezember 19 setzte die aggressiv-rassistische Publikation erneut zu einem Generalangriff an mit dem Argument, ihre Gegner respektierten das christliche Abendland nicht: „Macron, Mélenchon und Martinez ist Weihnachten wurst!“ Gemeint waren Staatspräsident Emmanuel Macron, Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon und der Anführer der CGT. ( Vgl. https://ripostelaique.com/ oder https://ripostelaique.com/lislamiste ) Allerdings versucht auch diese Publikation, ihre eigene, spezifische soziale Demagogie zu entwickeln, allerdings immer verbunden mit der Aufforderung an die Lohnabhängigen, sich gefälligst von den (bestehenden) Gewerkschaften abzulösen. (Vgl. und https://ripostelaique.com/grevistes und https://ripostelaique.com/les-populistes)

Post scriptum: Der führende Kopf der Internetpublikation Riposte Laïque ist übrigens ein früherer radikaler Linker und CGT-Gewerkschafter, Pierre Cassen.

Man möge nun nicht einwenden, eine solche Laufbahn sei auf Deutschland nicht übertragbar. Urheber von rechtem Schmutz, die früher einmal exponierte Vertreter/innen der (radikalen) Linken waren, gibt es auch hier zur Genüge; man denke nur an Horst Mahler, Justus Wertmüller oder natürlich an Jürgen Elsässer, das GröGraZ (Größte Großmaul aller Zeiten). Letzterer vergleicht sich in einem kürzlich publizierten Interview selbst – neben Horst Mahler, mit Abstrichen – unter anderem mit früheren Kommunisten, die in die NSDAP eingetreten seien, „vor allem an der Basis“; vgl. wörtlich in folgendem Video vom September 2019, von Minute 2 und 10 Sekunden bis zu 2 Minuten und 17 Sekunden: https://www.youtube.com/watch?v=D0OjJF0RCkQ - Daran darf man gerne erinnern, sobald dieser werte Herr einmal wieder bei einer Gliederung der AfD eingeladen sein wird ;

Hauptberufliche Mistkäfer, die tüchtig im braunen Dreck wühlen, gibt es wohl auch im deutschsprachigen Raum in hinreichender Anzahl…

Fußnote

1 Vgl. auch zu einem jüngsten Interview mit einem CFTC-Führungsmitglied in einem rechtsextremen Presseorgan ; und man wüsste schon gerne, was den Knaben dazu treibt : https://lincorrect.org/analyse-edouard-philippe-reforme-retraites/


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Editorische Hinweise

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.