Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Sozialprotest in Frankreich

01/2020

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Bericht vom 18. Dezember 2019

Streik wird fortgesetzt, mutmaßlich auch über die Schwelle des Feiertagsbeginns hinweg – Allerdings bleiben vorläufig nur lokale Aktionen geplant, und kein neuer zentraler Aktionstag seit dem gestrigen – Am gestrigen Dienstag, den 17.12.19: Zuwachs bei Demonstrationen oder nicht?: Unterschiedliche Zahlenangaben kursieren – Emmanuel Macrons Sonderbeauftragter für Rentenpolitik muss vom Amt zurücktreten und wird durch einen Kapitalfunktionär ersetzt

Und die Radfahrer sind schuld!

Ha, auf eine solche Idee musste man auch erst einmal kommen: Die vormals der Regierungspartei [LREM] Emmanuel Macrons angehörige Lokalparlamentarierin Agnès Cerighelli, Mitglied des Stadtrats im Pariser Nobelvorort Saint-Germain-en-Laye [circa 45.000 Einwohner/innen], hatte eine Erklärung für die anhaltenden Streiks beim Pariser Nahverkehrsbetreiber RATP parat. Die RATP habe zu viel Muslime eingestellt, twitterte sie am 13. Dezember d.J. drauf los, und diese seien gegen Weihnachten allergisch. Deswegen komme es nun zu Arbeitsniederlegungen, um den Französinnen und Franzosen die Weihnachtsferien zu verderben. [Vgl. dazu bei einer muslimischen Quelle: https://oumma.com , und aus einer rechtsextremen Quelle: https://www.fdesouche.com/]

Zwar blieben diese, landesweit ziemliches Aufsehen hervorrufenden, Ausfälle nicht unwidersprochen – der Bürgermeister von Saint-Germain-en-Laye [Mitglied der konservativen Partei LR, Les Républicains, welcher Cerighelli vormals angehörte, bevor sie sich Macron & Co. anschloss, vgl. dazu https://www.europe1.fr/] schaltete sogar die Staatsanwaltschaft deswegen ein [vgl. http://www.leparisien.fr/ und http://www.leparisien.fr/yvelines]; diese nahm auch tatsächlich Ermittlungen wegen des möglichen Vorliegens eines Verhetzungsdelikts auf. [Vgl. http://www.leparisien.fr ] Und Agnès Cerighelli ist auch nicht repräsentativ für das Regierungslager, zumal die Partei LREM sie bereits 2018 ausschloss, damals wegen homophober Aussprüche... [vgl. http://www.leparisien.fr/yvelines-78] – solche werden definitiv nicht toleriert, da die Regierungspartei sich ein modernes und linksliberal wirkendes Aussehen verleihen möchte. Auch deswegen läuft übrigens bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die werte Dame.

Dennoch zeigt die Episode, wie ein Teil der Oberklasse zu denken scheint, der skrupellos bereit ist, auf alle rassistischen und anderen Spaltungsmechanismen zu setzen, um Mechanismen sozialer Solidarität zu bekämpfen.

Die extreme Rechte, die politisch und ideologisch von solchen Mechanismen profitiert, kam dieses Mal nicht auf eine solche Idee (jedenfalls nicht in ihrer Mehrheitsfraktion): Rund um Marine Le Pen versucht sie sogar, sich in der Öffentlichkeit als Unterstützerin der laufenden Streiks und Sozialproteste aufzuspielen. Ohne allerdings an den Demonstrationen selbst teilzunehmen. In ihnen hatte etwa die CGT, der stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, den Rassemblement National (RN, ungefähr „Nationale Sammlungsbewegung“) unter Marine Le Pen auch ausdrücklich für unerwünscht erklärt; vgl. bspw. https://www.rtl.fr/ -Allerdings hat eine im rechtsextremen Spektrum bzw. seinem fanatisch anti-muslimischen Teil mehr oder minder einflussreiche Publikation, Riposte Laïque, inzwischen den Ball aufgegriffen und macht gegen den Streik in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit ähnlichen „Argumenten“ wie Agnès Cerighelli Stimmung. Vgl. dazu :https://ripostelaique.com und: https://ripostelaique.com/la-greviste

Weder auf Macrons wirtschaftsliberale Gefolgsleute noch auf die neofaschistische Schein-Alternative vertraut unterdessen jener beträchtliche Teil der französische Gesellschaft, der in soziale Bewegung geraten ist.

Demonstration

Ein Zuwachs, oder keiner? Die Frage ist nun seit dem gestrigen Dienstag, den 17. Dezember 19 aufgeworfen. An diesem dritten zentralen Aktionstag gingen wiederum zahlreiche Menschen zum Massenprotest auf die Straßen. Am Abend sprach das Innenministerium von „615.000“ Teilnehmenden in ganz Frankreich; das wären mehr als am zweiten Aktionstag (10. Dezember) mit damals lt. Regierungsangaben „339.000“ Teilnehmer/innen, jedoch weniger als am ersten Aktionstag (05. Dezember) mit „806.000“. Die Union syndicale Solidaires ihrerseits gab die Teilnehmer/innen/zahl in ganz Frankreich mit „1,6 Millionen“ an (vgl. https://solidaires.org/La-force-est-avec-nous ), die CGT ihrerseits mit „1,8 Millionen“. Dies entspricht wiederum jeweils einem Zuwachs auch gegenüber dem ersten und bis dato stärksten Aktionstag am 05. Dezember, mit damals 1,5 Millionen Teilnehmenden lt. CGT.

Wie es nun genau quantitativ aussieht, lässt sich freilich objektiv nur schwer einschätzen.

Bezogen auf Paris sprach ein Medienkollektiv (Occurrence) von „72.500“ Teilnehmenden, die Polizeiführung am Abend von „76.000“, die CGT von „350.000“.

Aufgrund eigener Informationen des Verf. gesichert ist unterdessen, dass die Demonstration extrem kompakt ausfiel, zeitweilig gingen über fünfzig Personen auf dem breiten Boulevard – zwischen der place de la République und der place de la Bastille – plus den angrenzenden Trottoirs gleichzeitig nebeneinander.

Um 14 Uhr war die Spitze, vorne liefen die Eisenbahner/innen vom Pariser Ostbahnhof (der Gare de l'Est) sowie streikende Métrobeschäftigte – hier lief die Linie 4, dort die Linie 13... -, bereits auf der place de la Bastille angekommen. Unterdessen standen die Menschen auf der 1,7 bis 1,8 Kilometer Luftlinie entfernten place de la République und auf den angrenzenden Boulevards dicht gedrängt. Um 15.30 Uhr war die CGT, als stärkste teilnehmende Organisation, vom Ausgangsort noch nicht losgelaufen, zu dem Zeitpunkt waren erst der Spitzenblock (Unorganisierte & Linksradikale), die Bildungsgewerkschaften-Vereinigung FSU sowie der Dachverband FO losgelaufen. Noch nach 16 Uhr waren die zeitlich Letzten noch nicht in Bewegung gekommen.

Räumlich hinten liefen die „moderaten“ Gewerkschaften UNSA, die in Paris rund 200 bis 300 Mitglieder, mobilisiert hatte, sowie die CFDT (an der Spitze rechtssozialdemokratisch). Letztere hatte immerhin an die 1.000 Menschen mobilisiert, jedoch vorwiegend aus innerhalb des Dachverbands CFDT oppositionellen (progressiveren) Teilverbänden wie der Bildungsbranche SGEN-CFDT sowie der Metallindustrie der Hauptstadtregion, und kaum aus Teilverbänden, die „auf Linie“ (des CFDT-Vorstands) liegen.

Anfänglich dominierte vor allem das Weiß, da Tausende von Krankenpflegern und -schwestern mobilisiert hatten. Aus den Krankenhäusern, wo bereits seit März d.J. wiederholt gegen schreienden Personalmangel und unzureichende Mittelausstattung mobilisiert wurde, war bereits Mitte November d.J. (in Antwort auf den damaligen, als völlig ungenügend betrachteten „Notplan“ der Regierung für das Krankenhauswesen; vgl. u.a. https://www.lemonde.fr/ und https://www.lemonde.fr/societe/ sowie https://www.lemonde.fr/idees/ ) zu einem Aktionstag für diesen 17. Dezember d.J. aufgerufen worden. Also noch bevor also die intersyndicale dieses Datum zu ihrem zentralen Aktionstag erhob. Später kamen, aus der Menge vielfach applaudierte, Feuerwehrleute mit CGT-Aufklebern sowie, natürlich, die Beschäftigten der Eisenbahn und Transportbetriebe an prominenter Stelle hinzu. Aus dem öffentlichen Bildungswesen liefen zahllose Delegationen unter dem Transparent ihrer jeweiligen Schule oder Universität.

Vor allem in den Reihen der CGT war aber auch eine, im Vergleich zu früheren Bewegungen ähnlicher Natur, spürbar stärkere Präsenz der Privatwirtschaft zu verzeichnen: Chemiewerker aus den Raffinerien des Erdölgiganten TOTAL, eine Abordnung von Alstom aus dem Pariser Vorort Saint-Ouen oder von Safran in Villaroche (Safran ist ein Großunternehmen der Metallindustrie, Flugzeug-, Raumfahrt- und auch Rüstungsproduktion).

Paris im Streik

Derzeit geht es in Paris in manchen Stadtteilen und auf manchen Straßenkreuzungen [ wie etwa Strasbourg-Saint-Denis im zehnten Pariser Bezirk ] ein bisschen zu wie in der VR China in den 1970er Jahren. Nein, nicht im Hinblick auf die dort verfolgte Gesellschaftspolitik, wie immer man diese nun bewertet. Aber im Hinblick auf die Anzahl der Fahrräder. Halb Paris scheint sich nunmehr ans Fahrrad-, Tretroller- und Mofafahren gewöhnt zu haben. Auch ungewöhnlich viele Fußgänger/innen sind unterwegs. Klar, die Ursache ist bekannt: Die öffentlichen Transportmittel verkehren nicht in der üblichen Art & Weise. Bei diesem Publikum geht es sogar, allem Anschein nach, relativ entspannt zu [trotz mancher hektisch und genervt wirkender Fußgänger/innen]. Wesentlich gestresster und aggressiver wirken unterdessen viele Autofahrer/innen. Denn auch deren Zahl hat innerstädtisch zugenommen, doch nun stehen sie in größerer Anzahl im Stau und im Hupkonzert, gerne auch auf belebten Kreuzungen.

Auch in manchen anderen Sektoren bestehen Beeinträchtigungen gegenüber dem „Normalbetrieb“. Beispielsweise in vielen Schulen und auch Kindergärten. Am gestrigen Dienstag, den 17. Dezember 19, einem neuen Höhepunkt der Streikbewegung [dem dritten zentralen Aktionstag nach dem 05. sowie dem 10. Dezember dieses Jahres], blieben etwa viele Klassen geschlossen. Bereits am Vortag ging es etwa in dem Kindergarten, den der Autor dieser Zeilen – als Elternteil - aufsucht, am frühen Vormittag ein wenig zu wie auf eine studentischen Vollversammlung: Im Warten auf das Eintreffen der Erzieherinnen, mit streikbedingter Verzögerung (einzelne blieben auch zu Hause), hockten die Leute in Stühlen und auf dem Boden und quatschten in durchaus entspannter Atmosphäre. Nur die kleinen Schätzchen schlugen irgendwann ziemlichen Radau.

Die Mehrzahl der Pariser/innen nimmt dies alles mit ziemlichem Gleichmut hin; von Ärger geprägte Äußerungen über die Streikenden kommen ebenfalls vor, bleiben jedoch erkennbar in der Minderheit. Außer auf den Bildschirmen einiger TV-Sender jedefalls. In der ersten Streikwoche (vorige Woche) wuchs die Unterstützung für den Ausstand in der öffentlichen Meinung bis um Wochenende sogar noch spürbar. (Vgl. https://www.marianne.net/ sowie https://www.nouvelobs.com/ ; vgl. auch zu Anfang dieser Woche : https://www.rtl.fr/ )

Und betrachtet man die Umfragen – sofern man den demoskopischen Instituten überhaupt Glauben schenkt -, dann ist zwar die öffentliche Meinung bezüglich der Renten„reform“ in zwei große Blöcke gespalten. Zu denjenigen sozialen Milieus, in denen eine gewisse Unterstützung für die Regierungspläne zur „Reform“ zu existieren scheint, zählen jedoch vor allem jene, die nicht von ihnen betroffen sind. Etwa derzeitige Rentner/innen, die von den Änderungen beim künftigen Renteneintritt nichts mehr zu befüchten haben (höchstens für ihre Kinder & Enkel!) und die sich – grundsätzlich verständlicherweise - eher darum sorgen, wer ihre heutigen und künftigen Pensionszahlungen finanziert oder finanzieren wird. Unter den Bevölkerungsteilen im aktiven Erwerbs-Alter überwiegt hingegen die Ablehnung. (Vgl. https://www.huffingtonpost.fr und https://fr.sputniknews.com/ oder http://www.economiematin.fr)

Allerdings wäre es eine Fehlannahme, zu glauben, der gesamte öffentliche Verkehr sei blockiert. Anders als bei den massiven Herbststreiks im November & Dezember 1995 (mit denen die mittlerweile vor-, vor-, vor- vorletzte Renten„reform“ in Frankreich vom Tisch gefegt werden konnte) ist etwa nicht das gesamte Pariser Métro-Netz lahmgelegt. Im Unterschied zu damals verkehren zwei Linien der Pariser Métro inzwischen fahrer/innen/los, und es genügte eine kleine Anzahl qualifizierter Techniker/innen, um sie verkehren zu lassen. Es handelt sich um die Linien 1 und 14, die allerdings Paris nur in Ost-West-Richtung durchfahren: Die Linie 1 verkehrt in beinahe in gerader Linie von West-Nord-Westen in Richtung Ost-Süd-Osten, die Linie 14 beschreibt eine Diagonale ebenfalls von Nord-West nach Süd-Ost. Hingegen bleibt der öffentliche Nahverkehr in Nord-Süd-Richtung aus. Auch dies könnte sich in Zukunft ändern: Seit Herbst 2018 laufen die Bauarbeiten, um die Linie 4 der Pariser Métro (die in gerader Linie vom Nordrand der Stadt in die südliche Peripherie durchfährt) in eine „automatisierte“, also fahrer/innen/lose Linie umzuwandeln. In einigen Monaten könnte der Bereiber also sowohl auf der West-Ost-Achse als auch entlang der Nord-Süd-Achse den Verkehr mindestens auf manche Linien aufrecht erhalten.

Von den übrigen Linien der Pariser Métro verkehren ansonsten einige gar nicht (8 von 13, anfänglich waren es sogar 9 von 13), andere nur zu „Stoßzeiten“ des Pendler/innen/verkehrs. Die Busse verkehren hingegen teilweise. An mehreren Tagen, so am gestrigen Dienstag etwa an der porte de Clignancourt (im Pariser Norden) oder in der Vorstadt Saint-Denis und anderswo, kam es allerdings früh morgens zu Blockadeaktionen an Busdepots, aus denen Nichtstreikende die Fahrzeuge gegen 05.30 Uhr auszufahren versuchte. An der porte de Clignancourt war die Blockade am gestrigen Dienstag, den 17.12.19 erfolgreich, auf mehreren Linien verkehrte kein Bus. Hingegen kam es in Saint-Denis zu polizeilichem Knüppeleinsatz und zu Festnahmen in diesem Zusammenhang.

Jedoch, auch wenn der öffentliche Verkehr komplett lahmliegen würde (wie es im Dezember 1995 real drei Wochen lang der Fall war), wäre eine Stadt wie Paris dadurch nicht vollständig paralysiert. Allein schon deswegen, weil die Stadt – auch im Vergleich zu London und Berlin – sehr kompakt ist, die Bebauung ist erheblich dichter und die Einwohner/innen/zahl pro Quadratmeter drei mal höher als in London und fünf mal höher als in Berlin. Der Radius (Entfernung vom Zentrum bspw. zum Nord- oder Südende der Stadt, ohne banlieues) beträgt insgesamt sechs Kilometer, der Durchmesser (die Distanz von einem Ende zum anderen) zwölf Kilometer. Die Stadt lässt sich also, sofern man eine Motivation dafür aufweist und dem keine gesundheitlichen Gründe entgegen stehen, in zwei Stunden komplett zu Fuß durchqueren – dem Verf. dieser Zeilen widerfuhr dies in diesen Tagen mehrfach. Der Transportstreik liefert also eine Initialzündung für den Massenprotest, vermag es jedoch nicht für sich allein, die wirtschaftliche Aktivität „lahmzulegen“.

Ansonsten sind jedoch die allermeisten Geschäfte geöffnet, aber auch Postbüros (mit zeitlichen Verzögerungen am Morgen oder früheren Schließungszeiten am Abend). Gerichte und Behörden funktonieren weitgehend normal. Es besteht jedenfalls kein Vergleich zu dem – damals im buchstäblichen Sinne bestehenden – Generalstreik im Mai und Juni 1968. Damals verkehrte im öffentlichen Transportsektor überhaupt nichts, der Müll stapelte sich im Laufe der Wochen meterhoch (damals streikte natürlich auch die Müllabfuhr; OK, dies soll nun kein Plädoyer für Abfallberge darstellen, Müllvermeidung tut's auch...), und Post wurde seinerzeit keine ausgetragen. Die heutige Situation ist mit solchen Zuständen, also einem Generalstreik im Wortsinne, nicht zu vergleichen.

(NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Ab der zweiten Hälfte der dritten Dezemberwoche beginnt sich nun in einigen Ecken von Paris jedoch die Präsenz von nicht abgeholten Müllbergen bemerkbar zu machen, auch wenn die Stadtverwaltung einige Maßnahmen dagegen ergriff... Vgl. https://www.lefigaro.fr/ )

Die Regierung scheint zum jetzigen Zeitpunkt bereit, den Massenprotest auszusitzen, um auf die Weihnachtspause zu warten. Nachdem mehrere Gewerkschafter wie etwa die Eisenbahner-Branche der CGT klar zu erkennen gaben, dass man notfalls „keinen Weihnachtsfrieden einhalten“ werde, versucht nun die Regierung, daran zu appellieren, dass relevante Teile der Gesellschaft mit einem Ausfall des Familienreiseverkehrs um die Feierwege unzufrieden könnten. In dieser Perspektive riefen etwa Premierminister Edouard Philippe und Transportministerin Elisabeth Borne, taktisch nicht ungeschickt zu einer Streikpause auf – im Januar 20 könnten die Beteiligten ja weiterstreiken, fügten sie in Engelszungen redend hinzu. Wohl darauf bauend, dass die Dynamik eines einmal unterbrochenen Streiks in sich zusammenfallen könnte.

Unterdessen hat die intersyndicale, also das Treffen der den Streik und Protest organisierenden unterschiedlichen Gewerkschaftsverbände, am heutigen Mittwoch angekündigt, dass man den Protest zum Beginn der Weihnachtsperiode nicht unterbrechen werde, sofern die Regierung ihr Vorhaben nicht zurückzieht. (Vgl. https://solidaires.org/Pas-de-treve-jusqu-au-retrait und https://actu.orange.fr/france/greve-contre-la-reforme-des-retraites-l-intersyndicale-exclut-toute-treve-de-noel-jusqu-au-retrait-du-projet-magic-CNT000001mccAh.html ) Die CFDT dürfte in dieser Frage jedoch auf einer anderen Position stehen.

Allerdings wurden zugleich erst einmal nur lokale, dezentrale Aktionen etwa am morgigen Donnerstag, den 19. Dezember angekündigt, jedoch bisher kein neuer zentraler Aktionstag mit konzentrierter Mobilisierung wie am gestrigen Dienstag, den 17.12.19 angesetzt.

Zasterkönig Delevoye hat einige Problemchen – Es tritt ihn zurück

Unterdessen steckt der bisherige Sonderbeauftragte der amtierenden Regierung für die Renten„reform“ – der frühere konservative Spitzenpolitiker Jean-Paul Delevoye – in besonderen Schwierigkeiten. Zunächst war ruchbar geworden, dass er seit circa drei Jahren 5.300 Euro monatliche Nebenbezüge seitens einer Allianz von Versicherungskonzernen bezogen hat (angeblich bloß für einen symbolischen „Ehrenvorsitz“ eines Instituts für berufliche Fortbildung im Versicherungswesen, IFPASS), und dies neben anderen Einkünften und Rentenansprüchen, die er aufweist.

Dies ist ihm gesetzlich verboten, da er den Status eines Regierungsmitglieds innehat. Vor allem lenkte es, in politisch wohl inopportuner Weise, das Augenmerk auf die klar definierten Interessen, die hier eindeutig bedient werden. Längst sitzen nämlich die Versicherungskonzerne in den Startlöchern, um endlich, endlich auch in Frankreich einen „Markt“ für private, kapitalgedeckte Rentenversicherungen oder Zusatzabsicherungen zu eröffnen.

Im Laufe des Wochenendes des 14./15. Dezember 19 kamen jedoch neue Einzelheiten zum Tageslicht. Nun kamen noch weitere, unerlaubte Nebentätigkeiten des Sonderbeauftragten Emmanuel Macrons und seiner Regierung – für Kapitalverbände, Kapitalgesellschaften sowie die Bahngesellschaft SNCF – zum Vorschein. Dreizehn Mandate Delevoyes wurden publik, ein paar davon „ehrenamtliche“ (jedoch mit ausgezeichneten und ihm längerfristig nützlichen Kapitalverbindungen), andere mit Nebeneinkünften verbunden. Leider hatte der Mann „vergessen“, die Mehrheit von ihnen anzugeben. Dabei besteht seit der „Cahuzac-Affäre“ (von 2013, um den Steuern hinterziehenden damaligen Finanzminister François Hollandes) eine gesetzliche Offenlegungspflicht für solche Angaben.

Am Montag, den 16. Dezember d.J. musste er daraufhin nun zurücktreten. Macron verlor damit einen wichtigen Mann an zentraler Stelle. [Nachträgliche Anmerkung: Einige Tage später, nach seinem Rücktritt, wurde dann auch noch ruchbar, dass der Versicherungsgigant AG2R das Sümmchen von einer Million Euro für einen privaten Verein unter Vorsitz Jean-Paul Delevoyes spendiert hatte. Vgl. dazu: https://lemediapresse.fr ]

Zu seinem Nachfolger wurde alsbald der LREM-Abgeordnete Laurent Pietraszwksi (vgl. https://actu.orange.fr/ ) bestellt, ein Macron-Mann der ersten Stunde, der dessen neugegründeter Partei LREM – damals noch lediglich EM, wie En marche (oder wie die Initialien Emmanuel Macrons) bereits am ersten Tag ihres Bestehens im Aril 2016 beitrat. Laurent P. war in seinem vorherigen Berufsleben Leiter der Personalabteilung der Supermarktkette Auchan, ihm unterstanden 46.000 Lohnabhängige, also ein hoher Kapitalfunktionär. Er war aber auch parlamentarischer rapporteur („Berichterstatter“, also jenre Abgeordneter des Regierngslagers, der einen Gesetzentwurf im Namen der Mehrheitsfraktion ins Plenum einbrachte und in den Debatten verteidigte) bei der, inhaltlich katrastrophalen, Arbeitsrechts„reform“ 2016/17. Also ein vielversprechendes Profil... in den Augen des organisierten Kapitals. Allerneuersten Informationen zufolge hat aber auch er bereits ein Problem mit fetten Nebeneinkünften als Politiker, von seinem ehemaligen Arbeitgeber... (Vgl. https://www.ladepeche.fr/ )

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Beitrag vom Autor dfür diese Ausgabe.