Ökonomenlexikon
Lenin, Wladimir lljitsch
(Uljanow)

von Peter Hofmann & Horst Richter

02/06

trend
onlinezeitung

22.4.1870 Simbirsk - 21.1.1924 Gorki bei Moskau; bedeutender Fortsetzer der Lehre und des Wirkens von Marx und Engels; Theoretiker des Marxismus, Revolutionär, herausragender Politiker und Staatsmann, Gründer und Führer der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und des ersten sozialistischen Staates der Welt, Führer des Weltproletariats und der internationalen kommunistischen Bewegung.

L. wuchs in einer Familie auf, in der demokratische und progressive Anschauungen und Ideale die Atmosphäre prägten. Frühzeitig wurde L. mit der unterdrückten und ausgebeuteten Lage des Volkes, auf dem das Joch der zaristischen Selbstherrschaft lag, und mit den revolutionär-demokratischen Traditionen bekannt. Durch seinen älteren Bruder Alexander, einen Narodowolzen, der 1887 wegen der Organisierung eines Attentats auf den Zaren hingerichtet wurde, kam L. mit marxistischer Literatur in Berührung.

L. beendete 1887 das Gymnasium von Simbirsk und begann anschließend mit dem Studium an der juristischen Fakultät in Kasan, wo er seine ersten revolutionären Erfahrungen sammelte. 1887 wurde er verhaftet, verbannt und unter Polizeiaufsicht gestellt. L. studierte politische Literatur, insbesondere die Werke der russischen revolutionären Demokraten. Nach der Rückkehr nach Kasan 1888 machte sich L. mit den Werken von Marx, Engels und Plechanow vertraut. Nach seiner Übersiedlung nach Samara trat L. als Propagandist auf. 1891 legte er das Staatsexamen an der juristischen Fakultät der Petersburger Univ. ab. 1892/93 als Jurist in Samara und Petersburg tätig, widmete sich L. bald völlig der praktisch-revolutionären Tätigkeit, dem Kampf gegen Zarismus und Kapitalismus, für die Befreiung des Volkes von Ausbeutung und Unterdrückung.

In drei Jahrzehnten seiner theoretisch-wissenschaftlichen und praktisch-revolutionären Arbeit schuf L. ein gewaltiges Werk. Die heute vorliegende Gesamtausgabe seiner Werke umfaßt etwa 9000 Arbeiten, Artikel, Briefe und andere Dokumente. Sie widerspiegeln, wie in enger Wechselwirkung von revolutionärer Praxis und Theorie bei L. neue Erkenntnisse reiften, die ihn zur Ausarbeitung einer erfolgreichen Strategie und Taktik des proletarischen Kampfes befähigten. L. hatte sich die marxistische Methodologie der Erforschung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu eigen gemacht, wodurch er in der Lage war, den Marxismus gegen alle bürgerlichen und revisionistischen Angriffe zu verteidigen und ihn unter den neuen historischen Bedingungen schöpferisch weiterzuentwickeln.

Die Fortsetzung und Weiterentwicklung der marxistischen Philosophie, der politischen Ökonomie, des .wissenschaftlichen Sozialismus durch L. ermöglichte die Schaffung einer den neuen historischen Bedingungen entsprechenden revolutionären Theorie, die die Arbeiterklasse und ihre Parteien mit einer zuverlässigen Orientierung im Kampf gegen die Herrschaft des Kapitalismus ausrüstete. Damit wurde eine neue Etappe in der Entwicklung des Marxismus eingeleitet. Der Marxismus wurde zum Marxismus-Leninismus.
L.s wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der politischen Ökonomie aus den 90er Jahren des 19. Jh. sind vor allem der Untersuchung der Entwicklung des Kapitalismus in Rußland und, damit verbunden, den Problemen der Reproduktion des Kapitals gewidmet. Der Klärung der Frage nach dem Schicksal des Kapitalismus in Rußland kam damals größte Bedeutung zu, da von ihr maßgeblich die Ausarbeitung der programmatischen Grundsätze der russischen Arbeiterbewegung abhing.

In Zirkeln und Publikationsorganen entlarvte L. einerseits die reaktionären Vorstellungen der Volkstümler über die angebliche Unmöglichkeit des Kapitalismus in Rußland, andererseits galt es, die apologetischen Theorien der »legalen Marxisten« zu zerschlagen, die den Kapitalismus beschönigten. In seinen Arbeiten »Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben« (1893), »Zur sogenannten Frage der Märkte« (1893), »Was sind die »Volksfreunde« und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?« (1894), »Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve« (1894) und insbesondere in seinem 1899 in sibirischer Verbannung beendeten Buch »Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland« wies L. anhand tiefgründiger Analysen der ökonomischen Wirklichkeit Rußlands die Allgemeingültigkeit der von Marx und Engels aufgedeckten Entwicklungsgesetze des Kapitalismus nach. Zugleich bereicherte er die Marxsche Reproduktionstheorie sowie die Krisentheorie um wichtige bis in die Gegenwart gültige theoretische Leitsätze. In seinen Arbeiten begründete L. das revolutionäre Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft und die Lehre von der Hegemonie des Proletariats im revolutionären Kampf.

Um die Jahrhundertwende nahm in  L.s wissenschaftlichem Schaffen die Agrar- und Rententheorie breiten Raum ein. Mit der Entwicklung des Kapitalismus hatten sich weitreichende Veränderungen in der Lage und Stellung der Bauernschaft vollzogen, und es war für die Ausarbeitung des revolutionären Kampfprogramms der Arbeiterklasse besonders dringlich, die Rolle der Bauernschaft angesichts der heranreifenden revolutionären Situation allseitig zu klären. Außerdem war es erforderlich, das sich nach dem Tode von Engels verstärkt entwickelnde revisionistische Gedankengut in der Agrarfrage zu zerschlagen. Beginnend mit der Arbeit »Der Kapitalismus in der Landwirtschaft« (1899), vor allem aber in der Artikelfolge »Die Agrarfrage und die Marxkritiken« (1901-1907) entlarvte L., gestützt auf die Marxsche Theorie der Grundrente, die Auffassungen der russischen und westeuropäischen Revisionisten. Von besonderer Bedeutung ist der Nachweis, daß das von der bürgerlichen Ökonomie aufgestellte »Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag« wissenschaftlich unhaltbar ist und die Theorie der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals auch auf die Landwirtschaft zutrifft. L.s Untersuchungen der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft führten zur Bestätigung und Bereicherung der Erkenntnisse von Marx über die Existenz zweier Monopole in der Landwirtschaft, zur Aufdeckung des Konzentrations- und Zentralisationsprozesses in der Landwirtschaft, der Ruinierung der Bauernschaft, was für die Enthüllung der sich entwickelnden Klassenantagonismen in der Landwirtschaft von fundamentaler Bedeutung war. Vor allem in seiner Arbeit »Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen Revolution von 1905 bis 1907« (1907) legte L. die zwei Wege der kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft und deren Bedeutung für die Lage der Bauernschaft sowie für die Ausarbeitung des Agrarprogramms der Partei dar. Zu den wichtigsten Leistungen L.s auf dem Gebiet der politischen Ökonomie gehört die in diesem Zusammenhang vorgenommene Analyse des Charakters und der Bedeutung einer Nationalisierung des Grund und Bodens.

L.s Verdienste um die Weiterentwicklung der politischen Ökonomie des Kapitalismus sind vor allem mit der Schaffung einer wissenschaftlichen Theorie vom Imperialismus, dem höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus, verbunden. Seine Imperialismustheorie stellt die direkte Fortsetzung und Weiterentwicklung des »Kapitals« von Marx dar.

L. verfolgte aufmerksam die Entwicklung des Kapitalismus in den hochentwickelten Industrieländern und setzte sich konsequent mit dem sich verbreitenden Revisionismus auseinander, der sich bemühte, die neuen Entwicklungen im kapitalistischen Wirtschaftsleben zur Revision der Lehren von Marx und Engels auszunutzen. 1908 schrieb er seine Arbeit »Marxismus und Revisionismus«. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges wandte sich L. stärker der Analyse des neuen Entwicklungsstadiums des Kapitalismus zu. Die Hauptarbeit leistete er in den Jahren 1915/16, als die Untersuchung der neuen Erscheinungen und Prozesse auf ihren inneren Zusammenhang mit dem ausgebrochenen Weltkrieg zu einem für die Arbeiterbewegung besonders dringenden Erfordernis wurde. In diesen Jahren lebte L. in der Emigration in der Schweiz, von wo aus er den Kampf der Bolschewiki und der proletarischen Internationalisten gegen den imperialistischen Krieg organisierte und die Auseinandersetzung mit dem Opportunismus und Reformismus führte.

Noch vor der Ausarbeitung seines Hauptwerkes zum Imperialismus gelangte L. in Zusammenhang mit der Bestimmung der Aufgaben der Sozialdemokratie in der damaligen historischen Situation zu bedeutenden Erkenntnissen über das erreichte Entwicklungsstadium des Kapitalismus und die neuen Bedingungen des revolutionären Kampfes. In seiner Arbeit »Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa« (1915) begründete er erstmalig die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Land. Die umfassende wissenschaftliche Charakteristik des Imperialismus und die Bestimmung seines historischen Platzes nahm L. in seinem im Jahre 1916 abgefaßten Werk »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« vor. Darin deckte er fünf ökonomische Merkmale dieses besonderen kapitalistischen Entwicklungsstadiums auf -wobei er die Herrschaft des kapitalistischen Monopols als die wichtigste Veränderung der Produktionsverhältnisse erkannte - und wies nach, daß der Imperialismus die Fortsetzung und Weiterentwicklung von Grundeigenschaften des Kapitalismus auf einer solch hohen Stufe darstellt, auf der einige Grundeigenschaften des Kapitalismus bereits beginnen, in ihr Gegenteil umzuschlagen. Die Erkenntnis des Imperialismus als »Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats«, mit der L. die internationale Arbeiterbewegung orientierte, ergab sich aus der Bestimmung des historischen Platzes des Imperialismus als monopolistischer, parasitärer oder faulender und sterbender Kapitalismus (»Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus«, 1916). In seinen Werken setzte sich L. unter anderem mit Hilferding und mit Kautsky auseinander. Kautskys Darstellungen zum Imperialismus waren mit dem Marxismus unvereinbar und bildeten eine Grundlage für die opportunistische Politik der Rechtssozialisten. L. deckte allseitig den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Opportunismus auf.

In den Arbeiten aus dem Jahre 1916, in denen sich L. mit der ökonomischen und politischen Analyse des Imperialismus beschäftigte (»Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung«, »Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den >imperialistischen Ökonomismus<«, »Das Militärprogramm der proletarischen Revolution«), führte L. die Analyse des Imperialismus weiter und enthüllte dessen Tendenz zur politischen Reaktion und Aggressivität.

L. setzte seine theoretische Arbeit nach seiner Rückkehr nach Rußland im April 1917 in der Periode der unmittelbaren Vorbereitung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und in der anschließenden Periode fort. Die Verallgemeinerung der historischen Erfahrungen in den Kriegsjahren brachten ihm neue Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten des Imperialismus. Auf der Siebenten Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR(B) (Aprilkonferenz) im Jahre 1917, in deih Referat L.s zur Revision des Parteiprogramms, in seinen Aufsätzen »Krieg und Revolution« sowie »Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll« (1917) entwickelte L., daß der monopolistische Kapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus hinüberwächst und sich der Kapitalismus in einer neuen historischen Situation befindet, in der der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems bereits begonnen hat und der Kapitalismus in eine Systemkrise geraten ist. L. erarbeitete in diesen und in anderen Analysen darunter sind seine Arbeiten für die III., die kommunistische Internationale, um deren Gründung L. jahrelang gerungen hatte, hervorzuheben - die Grundlagen für die Theorie der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Seine Erkenntnisse über den staatsmonopolistischen Kapitalismus und über die allgemeine Krise des Kapitalismus vertieften die Charakteristik des Imperialismus als sterbender Kapitalismus und entwickelten die Theorie der sozialistischen Revolution weiter.

L. leistete einen fundamentalen Beitrag zur politischen Ökonomie des Sozialismus. Er vertiefte die von den Begründern des Marxismus geschaffene allgemeine theoretische Konzeption von der kommunistischen Gesellschaftsformation mit ihren zwei Phasen Sozialismus und Kommunismus vor allem in dem Werk »Staat und Revolution« (1917) und schuf im untrennbaren Zusammenhang mit der Lösung praktischer Aufgaben theoretische Grundlagen des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft.

Bereits vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution beschäftigte sich L. mit ökonomischen Fragen des sozialistischen Aufbaus, so mit der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats als Voraussetzung für die Errichtung einer sozialistischen Ökonomik, mit der Gesetzmäßigkeit einer Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, der Nationalisierung der Produktionsmittel, der Einführung einer Arbeiterkontrolle über Produktion und Verteilung der Erzeugnisse u.a.

L. hat als erster wissenschaftlich nachgewiesen, daß aufgrund der ungleichmäßigen politischen und ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen Ländern oder sogar in einem einzelnen Land möglich ist. Dieser theoretische Nachweis wurde durch den praktischen Aufbau des Sozialismus in der UdSSR bestätigt. L. wandte die materialistische Dialektik auf die Analyse der konkreten gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in Sowjetrußland an. So war er einerseits in der Lage, konkrete Formen, Mittel, Methoden und Wege zu bestimmen, die der sozialistischen Umgestaltung dieser Verhältnisse entsprachen, andererseits erkannte er allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die von allen Ländern zu beachten sind, die den Sozialismus aufbauen. L. entwickelte somit die von Marx und Engels geschaffene ökonomische Theorie schöpferisch weiter, fügte neue Seiten hinzu und begründete maßgeblich die politische Ökonomie des Sozialismus.

Die Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen vom ökonomischen Aufbau des Sozialismus verband L. mit der Verteidigung wichtiger Erkenntnisse yon Marx und Engels über die neu zu schaffende, von Ausbeutung freie Gesellschaftsordnung, so über die Unmöglichkeit eines automatischen Hinüberwachsens des Kapitalismus in den Sozialismus, über die Schaffung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, die rasche Entfaltung der Produktivkräfte, die konsequente Ausrichtung der Produktion auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen, die Organisierung der Wirtschaft als Planwirtschaft, die Verteilung nach der Arbeitsleistung u. a.

Von L. stammt die für den gesamten Aufbau des Sozialismus wesentliche Erkenntnis, daß die »Arbeitsproduktivität ... in letzter Instanz das allerwichtigste, das ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung« ist (LW 29, 416). Von großer Bedeutung für die Formulierung der politischen Ökonomie des Sozialismus war der von L. ausgearbeitete Plan des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR. Dieser Plan sah auf wirtschaftlichem Gebiet die Errichtung sozialistischer Produktionsverhältnisse durch Nationalisierung der wichtigsten Produktionsmittel und der Banken, die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft durch genossenschaftlichen Zusammenschluß der Bauern, den Aufbau einer modernen materiell-technischen Basis durch die Industrialisierung des Landes sowie die Schaffung eines Systems der Leitung, Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung vor. Wichtigster Bestandteil dieses Planes war die Meisterung der Dialektik von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften, die in der L. sehen Forderung zum Ausdruck kam, die Produktion »tatsächlich zu vergesellschaften«.

Beim Aufbau der materiell-technischen Basis schenkte L. der Elektrifizierung des Landes große Aufmerksamkeit. Auf dem VIII. Gesamtrussischen Sowjetkongreß (1920) prägte L. die Formel: »Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.« (LW 31, 513.)

Der auf seine Initiative und unter seiner Leitung ausgearbeitete Plan zur Elektrifizierung Rußlands (GOELRO-Plan) war der erste staatliche Perspektivplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft, Er war für einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren berechnet und enthielt erstmals wichtige Prinzipien und Methoden der Volkswirtschaftsplanung, wie das Prinzip des demokratischen Zentralismus, das Prinzip der Wissenschaftlichkeit der Planung, das Prinzip der Einheit von Politik und Ökonomie, das Prinzip des Hauptkettengliedes, das Prinzip der organischen Verbindung von langfristiger Planung, Fünfjahrplanung und laufender Planung, das Prinzip der laufenden Kontrolle und Rechnungslegung über die Planerfüllung. Als Methode fand die Bilanzierungsmethode Anwendung.

Bei der Herausbildung der politischen Ökonomie des Sozialismus war die wissenschaftliche Beantwortung der Frage nach der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen, des Marktes und des Handels im Sozialismus, überhaupt der Nutzung der Instrumentarien der Wertkategorien von außerordentlicher Bedeutung. Unter Berücksichtigung der ersten Erfahrungen der jungen Sowjetmacht, besonders der Lehren aus der Politik des Kriegskommunismus (Herbst 1919 bis Dezember 1920), begründete L. im Frühjahr 1921 die Neue Ökonomische Politik (NÖP) und wies nach, daß der Aufbau des Sozialismus ohne Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen, des Marktes und des Handels nicht möglich ist. L. erkannte in diesem Zusammenhang die große Rolle der materiellen Interessiertheit. Er begründete die wirtschaftliche Rechnungsführung (September 1921) und erhob die Forderung, daß die Betriebe mit Gewinn arbeiten. L. erkannte die Notwendigkeit, die Wirtschaft nicht nur mit administrativen, sondern vor allem mit ökonomischen Methoden zu leiten. Er rief dazu auf, solche ökonomischen Hebel wie Lohn, Prämien, Gewinn usw. gezielt einzusetzen, damit die Werktätigen materiell an der Steigerung der Produktion und der Erhöhung der Arbeitsproduktivität interessiert sind. In der von L. begründeten Neuen Ökonomischen Politik bildet die einheitliche Volkswirtschaftsplanung und die im Rahmen und auf der Grundlage des Planes stattfindende Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen eine untrennbare und dialektische Einheit. L.s Beitrag zur Formierung der politischen Ökonomie des Sozialismus als Wissenschaft entstand in heftigen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Auffassungen und Strömungen. So sah sich L. bereits unmittelbar nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution gezwungen, sich mit »linken« und kleinbürgerlichen Auffassungen auseinanderzusetzen (»Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht«, März/April 1918 und »Über >linke< Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit«, Mai 1918), deren Vertreter nicht begriffen, daß der weitere erfolgreiche Verlauf des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft in erster Linie von der richtigen Organisation der Produktion, von der Rechnungslegung und Kontrolle, von der disziplinierten Arbeit, von der Steigerung der Arbeitsproduktivität abhing und nicht von der weiteren »entschlossenen Fortsetzung« der Nationalisierung und Konfiskation.

In der Auseinandersetzung mit »linken« Auffassungen entwickelte L. seine Lehre von der »tatsächlichen Vergesellschaftung der Produktion«.

L. widerlegte auch die Auffassung, wonach ökonomische Gesetze nur in Gesellschaftsformationen existieren und wirken, in denen es Privateigentum und Warenproduktion gibt, daß mit dem Verschwinden der kapitalistischen Warenproduktion die politische Ökonomie ihre Aufgabe erfüllt habe und daher mit dem Verschwinden der kapitalistischen Warenproduktion auch die politische Ökonomie verschwinden würde.

Die Konzeption von der Negierung des Wirkens ökonomischer Gesetze unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und damit auch des Gegenstandes einer politischen Ökonomie des Sozialismus wurde von L. 1920 in seinen Bemerkungen zum Buch Bucharins »Die Ökonomik der Transformationsperiode« widerlegt, die 1929 veröffentlicht wurden. L. nahm Bezug auf die Bemerkungen von Engels im »Anti-Dühring« zur politischen Ökonomie im weitesten Sinne und traf die Feststellung, daß bestimmte ökonomische Gesetze auch im Kommunismus Gültigkeit haben werden. L. verallgemeinerte in seinen Werken die Erfahrungen der jungen Sowjetmacht in den ersten Jahren des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft. Seine Arbeiten sind ein epochaler Beitrag zur Entwicklung und Bereicherung der von Marx und Engels geschaffenen politischen Ökonomie. L. hat theoretische Grundlagen des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft ausgearbeitet, die mit das Fundament für die politische Ökonomie des Sozialismus bilden.

Werke: Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben, 1893, LW 1; Zur sogenannten Frage der Märkte, 1893, LW 1; Was sind die »Volksfreunde« und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten? 18.94, LW 1; Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve, 1895, LW 1; Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland, 1896-1899, LW 3; Der Kapitalismus in der Landwirtschaft, 1899, LW 4; Die Agrarfrage und die »Marxkritiker«, 1901/07, LW 5, LW 13; Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen Revolution von 1905 bis 1907, 1907, LW 13; Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, 1915, LW 21; Neue Daten über die Entwicklungsgesetze des Kapitalismus in der Landwirtschaft, 1915, 'LW 22; Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 1916, LW 22; Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, 1916, LW 23; Staat und Revolution, 1917, LW 25; Wie soll man den Wettbewerb organisieren?,. 1918, LW 26; Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht, 1918, LW 27; Die große Initiative, 1919, LW 29; Über die Naturalsteuer, 1921, LW 32; Über die Neue Ökonomische Politik, 1921, LW 33; Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution, 1921, LW 33; Über die Bedeutung des Goldes jetzt und nach dem vollen Sieg des Sozialismus, 1921, LW 33; Über das Genossenschaftswesen, 1923. LW 33; Tagebuchblätter, 1923, LW 33; Wie wir die Arbeiter- und Bauerninspektion reorganisieren sollen, 1923, LW 33; Lieber weniger, aber besser, 1923, LW 33; W.I. Lenin; Werke (LW), 40 Bde., 2 Ergänzungsbde., Berlin 1955 ff., ins Dt. übertragen nach der 4. russ. Ausgabe; Ausgewählte Werke in drei Bdn., Berlin 1961 ff.; Ausgewählte Werke in sechs Bdn., Berlin 1970 ff; Briefe, Bd. I-X, Berlin 1967ff.

Literatur: W. I. Lenin Biographie, Berlin 1961; Die Grundlagen der sozialistischen Wirtschaftsführung in den Werken Lenins und ihre aktuelle Bedeutung. Beiträge anläßlich des 100. Geburtstages W.I. Lenins, von H. Koziolek u.a., Berlin 1970; G. Hoell/R. Steding: Der Lenin- j sehe Genossenschaftsplan und seine Verwirklichung in der Sowjetunion und in der DDR, Berlin 1970; G. A. Koslow: W.I. Lenin und die politische Ökonomie des Sozialismus, Berlin 1970; Lenin und der heutige Imperialismus, Berlin 1970; M. N. Laptin/J.I. Ponomarjow: Lenin zur sozialistischen Wirtschaftsführung, Berlin 1970; Lenins Lehre lebt. Beiträge zum 100. Geburtstag von W.I. Lenin, hg. j von A. Heinze u. S. Tjulpanow, Berlin 1970; Zum 100. Geburtstag Wladimir II- : jitsch Lenins. Thesen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1970; W. I. Lenin 1870-1970. Tafelwerk zum 100. Geburtstag W.I. Lenins, Berlin 1970; Lenin und die Wissenschaft, Bd. l, Berlin 1970; Der Leninismus - der Marxismus unserer Epoche (Wissenschaftliche Konferenz), Berlin 1970; Lenin und die KPdSU über die sozialistische Umgestaltung in der Landwirtschaft, Berlin 1974; G. Fabiunke: Geschichte der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus. Anschauungsmaterial, Bd. 2, Berlin 1979; Lenins Lehre von den ökonomischen Grundlagen des Sozialismus, Moskau, Berlin 1984; Geschichte der politischen Ökonomie. Grundriß, Berlin 1985; Philosophenlexikon, Berlin 1986.

Editorische Anmerkungen

Der Text stammt aus: Krause, Werner; Graupner, Karl-Heinz & Sieber, Rolf (1989). Ökonomenlexikon. Berlin: Dietz. S. 277ff

OCR-Scan by red. trend