trend spezial: Die Organisations- und Programmdebatte

Eine Konstellation begrenzter Möglichkeiten !

01-2013

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onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Vormerkung red. trend:  Ergänzend zu der Erklärung der Sozialistischen Kooperation (SoKo) vom 11.01.2013 zum Ausscheiden aus der aktiven Trägerschaft des naO-Prozesses und einem Verbleib lediglich noch als Beobachterin, äußern sich zwei Aktive aus der SoKo wie folgt:

Es sieht so aus, als waberte die naO-Initiative (naO = ‚neue antikapitalistische Organisation’) in eine Richtung zwischen Hinwarten in praktischer Hinsicht und andererseits einem Sektierertum in einer Theoriediskussion, die den Namen nicht verdient. Beides ergänzt sich quasi dialektisch - zum Nachteil von naO.

Nach einem ansprechenden ersten Aufschlag im März 2011 mit der Herausgabe des ‚Na-endlich-Papiers’, einem eher feuilletonistisch aufgesetzten Bekenntnis von ein paar Leuten aus der Berliner antikapitalistischen Szene, nach ein paar positiven Reaktionen einzelner Gruppen, begann etwa ab Frühjahr 2012 auch eine Art programmatischer Diskussion. Diese war begleitet von praktischen Versuchen gemeinsamer Aktivität mit leider nur sehr mäßigem Engagement der meisten Beteiligten.

Zunächst galten ‚Fünf Essentials’ aus dem ‚Na-endlich-Papier’ als verbindliche Orientierung, aber wegen ihres bloß formellen Charakters und ihres Eklektizismus` reichte – wie zu erwarten war - ihre Brauchbarkeit nicht weit. Die programmatische Diskussion dieser Tage sollte also dazu führen, diese fünf Essentials zugunsten gehaltvollerer und treffenderer Leitgedanken abzulösen. Dies, so der Beschluß, zugunsten eines agitatorisch formulierten Manifests und einer dann wenigstens vollständigeren Liste programmatischer Leitgedanken.

Beide Ausarbeitungen sollten die naO-Initiative einerseits befähigen, weitere Gruppen und Einzelpersonen zur Mitarbeit zu bewegen und auch in der Breite der AntikapitalistInnen bekannt zu machen. Andererseits sollte damit auch die Bedingung für eine politische Interventionsfähigkeit des naO-Ensembles hergestellt werden.

Soweit die Theorie. Angesichts des skurril wirkenden Meinungsaustausches im naO-blog können aufmerksam Beobachtende von außen allerdings leicht den Eindruck gewinnen, daß dem ursprünglich im ‚Na-endlich-Papier’ vorangestellte dringenden Bedürfnis nach antikapitalistischer Wirkmächtigkeit gar nicht und vor allem nicht ernsthaft entsprochen wird. Von innen betrachtet wird nämlich faktisch eine Posse in der Art ‚Heilloses Durcheinander, aber klassenlos, bitte sehr !’ aufgeführt.

Einige nämlich werfen sich mit Worthülsen wie ‚klassenlose Gesellschaft’, ‚Kommunismus’ und ‚revolutionäre Kaderorganisation’ heftig ins Kreuz und verkünden, dies seien in ihren Augen notwendige und verbindliche programmatische Essentials. Sie teilen dabei aber noch nicht einmal eine Vermutung mit, wie denn eine nennenswerte gesellschaftliche Organisationskraft für diese ‚Gewißheiten’ zu mobilisieren wäre. Da wird bloßer Wille zur Richtschnur des Handelns.

Andere argumentieren eher ‚kleinteiliger’: Sie verweisen auf gesellschaftliche Rollenzuschreibungen als Ausdruck, wie sie meinen, anhaltendem männlichen Chauvinismus und Sexismus. Sie verweisen darauf, daß die genannten Zuschreibungen ja schließlich schon länger existierten als der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, auch zu wenig beachtet würden und erklären – bewußt oder unbewußt - das Private zum Politischen.

Denn freilich könnten derartigen „viel zu wenig beachteten“ Widerspruchslagen viele weitere hinzugefügt werden, ohne daß daraus sozusagen ein antikapitalistischer und revolutionärer Schuh wird. Um es salopp zu formulieren: Es kann niemand behaupten, das Aufeinanderstapeln oder Nebeneinanderstellen solcher Art Widersprüche machte bereits eine antikapitalistische oder revolutionäre Strategie und Taktik aus. Es ist nämlich unmöglich, z.B. Wesentliches am männlichen Sexismus oder am latenten Rassismus ändern zu wollen, wenn nicht die kapitalistischen Produktions-, Eigentums- und ihre Herrschaftsverhältnisse aufs Korn genommen werden.

Aber Achtung, es kommt noch toller ! Denn wieder andere treibt die seltsame Idee, die Wahlunterstützung für die Partei Die Linke.(PDL) bei den Bundestagswahlen in diesem Herbst solle ein naO-Leitgedanke sein. Ein Leitgedanke ? Ein Treppenwitz !

Ein Treppenwitz, weil Gruppen der naO-Initiative sich ja gerade deswegen auf den Weg machten, weil sich die PDL als antikapitalistische Alternative längst als ein Totalausfall herausgestellt hatte.

Nun kann es durchaus sein, daß einzelne Gruppen im kommenden Herbst zur Wahl der PDL - wohl als kleinerem Übel - aufrufen werden. Dies jedoch als strategisches oder taktisches Essential, als Leitgedanke erklären zu wollen, macht aus dem naO-Gedanken eine Farce.

Schließlich wird das ganze Bild sozusagen negativ abgerundet durch den Umstand, daß die meisten Gruppen im naO-Ensemble eher einer trotzkistischen Orientierung wie aus den 1970er-Jahren anhängen. Dies führte z.B. in der programmatischen Diskussion zu solchen seltsamen Aussagen wie ‚Keine nationale Befreiung ohne soziale Befreiung!’

Als ob den Völkern z.B. im Nordafrika dieser Tage, die sich gegen imperialistische Einmischung wehren, nicht die gleichen Rechte zustünden, wie denen des alten Europas, die nach bürgerlichen Revolutionen ihre nationale Integrität errungen hatten. Oder wie den Menschen Polens und anderer osteuropäischen Staaten, die ihre Unabhängigkeit immer wieder gegen den sowjetischen Imperialismus erkämpfen mußten.

Sollen denn die Tunesier warten bis sie einen blitzblanken und natürlich permanent-revolutionären Arbeiterstaat ihr eigen nennen, bevor sie wenigstens bürgerlich demokratische Rechte genießen dürfen ?

Wahrlich, ein skurriles und offenbar heilloses Durcheinander. Es scheint, als biete die spezielle Konstellation des naO-Gruppenensembles nicht die Chance, eine überzeugende programmatische Grundlage zu generieren. Nicht für eine naO als Organisationenbündnis und erst recht nicht als ein denkbares Produkt der Verschmelzung der Gruppen zu einem einzigen Kollektiv.

Wer heute eine naO ins Leben rufen und also auf allen Politikfeldern antikapitalistisch wirken will, ohne dabei auch antiimperialistisch zu sein, verabschiedet sich aus dem Feld aktiver Politik. Da hilft auch kein scheinlinkes Verweisen auf irgendein Traum von ‚Arbeiter-Weltrevolution’, die dann überhaupt erst alle Glücksverheißungen einlösen soll.

Diesem Irrtum, das eine ginge ohne das andere, sind schon ganz andere Spezialdemokraten anheim gefallen, da muß nicht nur auf die Bewilligung der Kriegskredite von 1914 durch die Sozialdemokraten hingewiesen werden. Die Wandlung der Grünen zu einer aktiven Kriegspartei im Feldzug gegen Jugoslawien und heute das obszön anmutende Herbeischreien imperialistischer Aggression gegen Libyen, Syrien und den Iran seitens ‚aufgeklärter Linker’ sollten doch da längst Klarheit geschaffen haben.

Die Mitglieder der ‚Sozialistischen Initiative Berlin’ (SIB) trugen als InitiatorInnen des naO-Prozesses eine besondere Verantwortung, der sie leider nicht gerecht geworden sind. Sie haben politisches Treibgut an Land gezogen und dabei nicht bemerkt, daß ‚ihre’ Initiative dann qualitativ auch im Treibsand der Beliebigkeit stecken blieb. Denn ein enorm linkes Maulheldentum ist genauso wenig mit einer naO-Initiative vereinbar, wie ein Zentrismus, der glaubt, alle Widersprüche aussitzen zu können. Beides klebt wie Mehltau an naO.

Unter den beschriebenen Voraussetzungen ist naO für uns kein unterstützenswertes Projekt mehr. Andere Gruppen und sicher auch Individuen haben schon vor uns diesen Schluß gezogen (*) Wir bleiben gleichwohl an der Idee einer strömungsübergreifenden antikapitalistischen und revolutionären Formation interessiert.

Köln, den 13.01.2013
Frank Braun, SoKo, Köln
Jürgen Suttner, SoKo, Siegen

Kontakt unter: frank.braun@netcologne.de

*) Als Beispiel vgl. dazu die Stellungnahme von AKKA zum naO-Prozeß: Good Bye NaO 

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von den Autoren zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.