Agit 883 - Lesebuch
Wertfreie Wissenschaft
Stellungnahme zur 833-Herausgebererklärung
an die TREND-Redaktion

01/07

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Hartmut Rübner, Markus Mohr und Knud Andresen haben um die Veröffentlichung einer Erklärung in dieser Ausgabe gebeten. Dieser Bitte nachzukommen versteht sich von selbst, ist doch die TREND Onlinezeitung ein Projekt, das für einen Widerstreit der Meinungen unter Linken eintritt. Da ich im 883-Lesebuch in der Danksagung (S.2) persönlich in Verbindung mit der TREND Onlinezeitung genannt werde, halte ich es für geboten, mich in dieser Auseinandersetzung um die politische Einschätzung des 883-Lesebuchs in Absprache mit Rolf-Dieter Missbach als TREND-Herausgeber zu Wort zu melden.

Im Jahre 2005 wurde ich von Markus Mohr gebeten, bei der Recherche über die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Agit 883 behilflich zu sein. Geplant sei die kommentierte Herausgabe der kompletten Agit 883 in virtueller Form als CD - hieß es. Da ich zu diesem Zeitpunkt mit einer Kritik des Kraushaarschen Bombenbuches befaßt war, erbat ich im Gegenzug die Scans aller Agit 883´s. Die bekam ich dankenswerter Weise und wurde gebeten, diese zu kontrollieren. Dazu gab es etliche Mails und auch persönliche Kontakte.

Im September 2006 wurde mir die Einleitung des 883-Lesebuches, welches zur Buchmesse erscheinen sollte, verbunden mit der Bitte, diese in der Nr. 10-06 abdrucken zu lassen, zugeschickt, was postwendend geschah. Dieser Einleitung war nun zu entnehmen, dass hier nicht mehr eine CD mit Booklet erscheinen wird, sondern eine Aufsatzsammlung, in der "Bewegung, Revolte, Underground in Westberlin 1969–1972" auf unterschiedliche Weise besichtigt werden und dass diesem Lesebuch eine CD mit der kompletten Agit 883 beigepackt wird.

Die Einleitung reizte mich zu einer Rezension und ich bestellte ein Besprechungsexemplar, welches ich Mitte Oktober 2006 erhielt. Während ich mich noch durch die Redundanzen in jener Aufsatzsammlung quälte, rief mich ein Genosse aus der Redaktion an und empfahl mir dringend, vor Fertigstellung meiner Buchbesprechung die CD anzusehen, von der ich glaubte, sie bereits seit einem Jahr zu kennen. Dort befänden sich - so sein Hinweis - Texte aus dem "braun-anarchistischen Spektrum", die mit der eigentlichen Agit 883 der Jahre 1969-1972 rein gar nichts zu tun hätten, außer das Klaus Schmitt, Duz-Freund von Rabehl, sie unter dem Namen Agit 883 1981/1983/1998 herausgegeben habe.

Ich war entsetzt, als ich bei Durchsicht der CD tatsächlich jene geklonten 883-Ausgaben des Klaus Schmitt fand, der darin für Steiner, Gesell und Konsorten Werbung machte und damit Ansichten verbreitete - und eben heute noch verbreitet und politisch organisiert - die zurecht als Politische Ökonomie des Antisemitismus bezeichnet werden können.

Als nicht nachvollziehbar empfand ich schließlich die Tatsache, dass die Herausgeber zur Aufnahme dieser Texte an entsprechenden Stellen des 883-Lesebuches (z.B. in dem Kapitel 1, S. 17-47, oder auch S.111ff) keine inhaltlichen  Hinweise geben, sondern sich mit einer  formalen Anmerkung auf Seite 293 begnügen: "Von Personen aus dem letzten Herausgeberkreis der Agit 883 wurden in den Jahren 1981, 1983 und 1998 drei weitere Ausgaben produziert. Auch wenn diese Publikationen außerhalb des Untersuchungszeitraums dieses Projektes liegen, werden sie auf der CD präsentiert."

Diese inhaltliche Enthaltsamkeit öffnet meines Erachtens nicht nur Türen zu Spekulationen über vermeidliche politische  Absichten und Verbindungen der Herausgeber, sondern führt vor allem dazu, dass in der Rezeptionen jene Texte als politisch akzeptabel erscheinen müssen, wenn andere, äußerst problematische, die zur eigentlichen Agit 883 gehören, statt dessen kritisch im Lesebuch beleuchtet werden. Dennoch wollte ich erstmal die Herausgeber selber hören und verzichtete auf eine diesbezügliche Aktualisierung meiner  Rezension Lufthoheit über linken Stammtischen gefährdet.

Die Auskunft, die mir die Herausgeber auf der Veranstaltung im Berliner Mehringhof am 27.10.2006 gaben, war inhaltlich deckungsgleich mit der, die sie in ihrem Statement ("Dokumentationsabsicht mit Anspruch auf möglichst große Vollständigkeit") bringen und  erhebt sich nicht über den formalen Hinweis im Buch. Kurzum: Eine Null-Antwort, drapiert mit allerlei flotten Sprüchen. Doch jene Eloquenz kann nicht verbergen, was sie tatsächlich meinen: Man könne wissenschaftlich arbeiten, ohne sich zu dem bearbeiteten Gegenstand in einen parteilichen bzw. interessengebundenen Zusammenhang zu stellen bzw. gestellt zu werden. Einen Theorie-Exkurs über "wertfreie Wissenschaft" erspare ich mir, denn Hartmut Rübner, Markus Mohr und Knud Andresen als promovierte Sozialwissenschaftler verstehen sehr wohl, was ich meine, und ist es doch auch ihre eigene Argumentation, die dies verrät ("Vielleicht handelt es sich hier um eine Art von symbolischer Machtfrage gegen uns").

Schlussendlich muss betont werden, dass alles, was die TREND-Redaktion an Kritik am 883-Lesebuch bisher vorgebracht hat, von den Herausgebern, wenn auch nicht unbedingt der Form aber sehr wohl dem Inhalt nach, ungeteilte Zustimmung findet.

Da ich dem Statement von Hartmut Rübner, Markus Mohr und Knud Andresen entnehme, dass sie auch in einer möglichen zweiten Auflage die von Klaus Schmitt als Agit 883 herausgegeben Texte von 1981,1983 und 1998 weiterhin unbewertet verbreiten werden, erkläre ich von dieser Stelle aus öffentlich, dass ich verlange, dass mein Name und die TREND Onlinezeitung in der Danksagung der 2. Auflage nicht mehr genannt werden.

Der Vollständigkeit halber bleibt noch zu erklären, dass ich die Arbeit an diesem 883-Projekt nicht unterstützt hätte, wenn mich die Herausgeber von Anbeginn an darüber informiert hätten, dass mithilfe des 883-Lesebuches der politische Praxis des Klaus Schmitt und seiner "Politischen Ökonomie des Antisemitismus" eine Veröffentlichungsplattform  gegeben wird.

Karl-Heinz Schubert
3. Januar 2007