Agit 883 - Bewegung, Revolte,
Underground in Westberlin 1969–1972 

herausgegeben von
Knud Andresen, Markus Mohr, Hartmut Rübner

11/06

trend
onlinezeitung

883-Buch erschienen
Lufthoheit über linken Stammtischen gefährdet

Für die einen war die Agit 883 ein Unter- grundblatt oder eine Sponti-Zeitschrift, für andere ein Anarchoblatt oder schlicht eine Szenezeitung.. Für Andresen & Mohr & Rübener,, Herausgeber des „883-Buches“, handelte es sich bei der Agit 883 um ein „Sprachrohr der politischen Subkultur“(S.22). In ihrem „thematisch aufgefächerten Lesebuch“ (S.10) besichtigen sie die Revolte der Jahre 1968-72 in Westberlin und regen damit zum Lesen der Agit 883 an, die nun - durch bibliografische Hinweise ergänzt – endlich nach fast 35 Jahren auf einer beigelegten CD komplett vorliegt.

In den verflossenen Jahrzehnten vermengten sich zusehends Geschichten und Legenden zu einem Knäuel, das mit dem Begriff „Mythos 883“ zu Recht belegt werden kann. Hasch- rebellen – oder solche, die sich dafür hielten – strickten fleißig an den Knäuel,um sich wenigstens posthum ordentlich wichtig machen zu können. Ein Ex-883-Handverkäufer aus der Niedergangsphase der Zeitung etikettierte etliche Jahre später seine Werbeversuche für braunanarchistisches Gedankengut mit dem Label 883. Ein Ex-883-Stammautor, der sein Geld bei der „Jungen Freiheit“ verdient, liefert heute bei jeder Gelegenheit den nationalen
Blick auf die Vorgänge rund um die Agit 883. Schließlich entdeckten in jüngster Zeit Koenen, Kraushaar und Co. für ihre staatsbürgerkundlichen Unterweisungen eine antisemitische Grundierung in der Agit 883.

Eigentlich konnte sich bisher jede/r in Sachen 883 wichtig machen und irgendwelche Behauptungen aufstellen, wenn sie/er nur wollte, war sie/er letztlich vor Nachprüfbarkeit und Widerlegung dadurch geschützt, dass die Agit 883 weder einfach zugänglich war noch vollständig vorlag.

Dieses Manko beheben nun Andresen & Mohr & Rübener mit der Herausgabe des „883- Buches“, und leisten damit einen unschätzbaren Beitrag. Nicht nur, weil sie damit die ideologische Lufthoheit über jenen linken Stammtischen gefährden, wo liebgewonnene Märchenstunden in Sachen Agit 883 dargeboten werden, sondern vor allem wird es nun eher möglich, im Sinne von Agnoli die hinterlassenen richtigen Fragen zu stellen. Das wollen auch die Herausgeber und hoffen, "gleichzeitig etwas von der Lust an der Revolte zu vermitteln, die sich in der Agit 883 artikulierte.“ (S.9)

Wer das „883-Lesebuch“ ein wenig genauer unter die Lupe nimmt, wird auf einige begriffliche Mängel, Ungereimtheiten und leider auch auf die Reinterpretation gängiger Mythen stoßen. Diese Mängel werden allerdings durch die bibliografische Leistung der Herausgeber mehr als aufgewogen, wenngleich nicht zu übersehen ist, dass das Lesebuch sich in Themenbereiche gliedert, die eher dem subjektiven Erkenntnis- und Berufsinteresse der AutorInnen und Herausgeber geschuldet sind und weniger durch den historischen Gegenstand selber strukturiert werden.

Besonders deutlich wird dies an der im Prinzip richtigen Feststellung, dass das Jahr 1969 ein Jahr der Suche war. Doch sie bleibt inhaltsleer, wenn nicht klar herausgestellt wird – und dazu gibt es reichlich Material in der 883 – dass die Suche die Suche nach dem revolutionäre Subjekt war, aus der sich logischerweise der „Aufbruch zum Proletariat“ ableitete, so dass alle damit zusammenhängenden Fragen („Kämpfen - Untersuchen – Organisieren“) zum praktischen und theoretischen Gravitationszentrum wurden, worauf sich alle anderen Politikansätze jener Zeit bezogen und sich dem unterordneten.

Karl-Heinz Schubert, Oktober 2006

Editorische Anmerkungen

rotaprint 25 (Hrsg.)
Agit 883
Bewegung, Revolte, Underground in Westberlin 1969–1972 

Assoziation A

ISBN 3-935936-53-2
ca. 288 Seiten
Beigelegte CD mit sämtlichen Ausgaben der Agit 883

erschien im Oktober 2006 |  24.80 €