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Media Correctness
Von der Säuberung der Medien und der Gesellschaft

von Florian Rötzer

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Allmählich scheint sich in den USA political correctness auf media correctness zu erweitern. Neben Bill Clintons Versuche, während des Kosovo-Krieges und nach dem Massaker von Littleton die Medienindustrie unter Druck zu setzen, weil sie die Gewaltbereitschaft fördere, haben sich nun auch zwei ehemalige Präsidenten, Jimmy Carter und Gerald Ford, dafür stark gemacht, daß Hollywood Gewalt- und Sexszenen eindämmen soll.  

Die von den beiden Ex-Präsidenten unterschriebene Petition an die Filmindustrie, die unter anderem an Rupert Murdoch, Michael Eisner und Time Warners Gerald Levin ging, wurde seltsamerweise auch von den ehemaligen Generälen Colin Power und Norman Schwarzkopf unterzeichnet. Tatsächlich glaubt die überwiegende Mehrheit der Amerikaner, daß Filme, die Gewalt darstellen, auch Gewalt bei Jugendlichen fördert. Auch der republikanische Senator Sam Brownback aus Kansas unterstützt die Petition und begründet dies mit einem Argument, das bereits aus Platons Politeia kennt: "Der wirkliche Sitz der Macht in unserem Land ist nicht in Washington, sondern in Hollywood. Was es im Fernsehen, in den Kinos oder über die Funkwellen gibt - die Geschichten und Songs von Amerika -, formt und gestaltet die Einstellungen weitaus stärker als das, was hier geschieht."

Der Druck auf die Unterhaltungsindustrie zeigt auch bereits erste Wirkungen, auch wenn sie manchmal so klein sind, daß nur ein Titel verändert wird. So taufte man einen Film über einen Lehrer, der zunächst "Killing Mrs. Tingle" hieß, in "Teaching Mrs. Tingle" um, was möglicherweise ja schon andere Erwartungen weckt. Die versuchte Reinigung der Bildschirme und Kinoleinwände findet auf dem Hintergrund einer anderen Entwicklung statt, die keineswegs mit einer steigenden Gewaltbereitschaft zu tun hat, sondern, eher umgekehrt, mit einer steigenden Bereitschaft, immer schneller Menschen hinter Gitter zu bringen. Die USA sind in vieler Hinsicht führend, aber sie werden hinsichtlich des Anteils von Gefängnisinsassen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nur von Rußland übertroffen ( Weniger Arbeitslose, mehr Gefängnisinsassen ). Pro 100000 Menschen sitzen in den USA 668, in Rußland 690 Menschen hinter Gittern. In Westeuropa hingegen sind es nur zwischen 50 und 100 pro 100000 Menschen, und auch im Nachbarland Kanada nur 115.

Erstaunlich sind diese Zahlen deswegen, so ein Artikel in der Augustausgabe des Scientific American , weil die Kriminalitätsrate in den USA etwa genauso hoch wie in Westeuropa ist. Allerdings wird zwei bis acht Mal mehr gemordet, möglicherweise nicht wegen Hollywood, sondern weil Waffen viel leichter zu erhalten sind. Seit Ronald Reagan ist die Zahl der Gefängnisinsassen kontinuierlich angestiegen, auch Clinton hat sich diesem Trend nicht entzogen und ein Gesetz zur Verbrechensbekämpfung unterschrieben, das den Bau weiterer Gefängnisse erforderlich macht. Das seit 30 Jahren härtere Vorgehen gegen Kriminalität bringt mehr Menschen schneller und mit höheren Strafen hinter Gittern. Von 1972 bis 1998 hat sich die Zahl der Eingesperrten verfünffacht und beträgt jetzt etwa 1,8 Millionen Menschen. Die meisten Gefangenen sitzen nicht wegen Gewalttaten ein, sondern wegen Vergehen wie beispielsweise dem Besitz von Drogen. Das Wachstum der Gefängnisbevölkerung wurde begleitet von einem scharfen Abfall der Eigentumsdelikte und einem kontinuierlichen Rückgang der Gewalttaten. Möglicherweise hat das schärfere Vorgehen für einen Rückgang der Kriminalität gesorgt: "Ein schlüssiger Beweis dafür fehlt genauso wie für die Behauptung", so Scientifc American, "ob strenge Urteile der Abschreckung vor Kriminalität dienen." Dafür aber hat sich die Säuberungspolitik vor allem auf die Schwarzen ausgewirkt. Man vermutet bereits, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Zerfall der Gemeinschaft und damit dem Steigen der Kriminalität und der Höhe derjenigen geben könnte, die in Gefängnissen sitzen. Jedenfalls sind nur 13 Prozent der Drogenbenutzer in den USA Schwarze, der Anteil derjenigen aber, die mit Gefängnis bestraft werden, beträgt 74 Prozent. Und einer von sieben erwachsenen Schwarzen hat wegen seiner Vorstrafen bereits das Wahlrecht eingebüßt.

Zwei britische Kriminologen, Leslie Wilkens und Ken Pease von der University of Huddersfield, haben die These aufgestellt, daß Gesellschaften, in denen eine höhere Ungleichheit herrscht, auch härtere Strafen aussprechen: "Die Theorie erklärt vielleicht, warum es in den USA eine größere Zahl von Gefängnisinsassen als in anderen westlichen Gesellschaften gibt, wo die Einkommensunterschiede weniger extrem sind, und warum die Zunahme zu Beginn der 70er Jahre einsetzte, kurz nachdem die Einkommensunterschiede stärker zu werden begannen." Und möglicherweise ist das schärfere Vorgehen gegen Kriminelle und auch kleine Vergehen verbunden mit den zunehmenden Säuberungsversuchen der Medien. Die von Carter und Bush unterzeichnete Petition, die in vielen Zeitungen in den USA erschienen ist, will die Unschuld der Kinder erhalten und sucht sie mit Filtern, Ratingsystemen und Verboten hinter Gittern vor der bösen Welt einzuschließen. Zu vermuten ist allerdings, daß weder durch Gefängnisse noch durch Säuberung der Bildschirme die Gewalt aus der Wirklichkeit verschwindet.

Quelle: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5108/1.html

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