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M.I.S.S. meint

ÜberLebensfragen

zur Subsistenzperspektive

Eine Kritik des Buches: "Eine Kuh für Hillary" von Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies
7/8-99
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Seit nunmehr 15 Jahren begleiten uns die Autorinnen Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen in der fem. Bewegung. Damals, zusammen mit Claudia von Werlhof, schufen sie den sog. Bielefelder Ansatz. Sie gingen von einer Veränderung der Lohnarbeitsverhältnisse aus, in der die tariflich abgesicherte männliche Facharbeiterschaft und die dazugehörige Hausfrau zum Auslaufmodell würden, zugunsten prekärer Arbeitsverhältnisse (Hausfrauisierung). Aus diesem Grunde erklärten sie das Streben nach gleichberechtigter Teilnahme am Erwerbsleben und der Teilung von Hausarbeit zwischen den Geschlechtern für obsolet. Als Alternative entwickelten sie ein Modell der Subsistenzwirtschaft, in der Gebrauchswerte ohne Lohnarbeit hergestellt und auf dem Markt getauscht werden gegen Geld, das als reines Zirkulationsmittel benutzt wird ohne, sich in verselbständigtes Geldkapital zu verwandeln. Für die Mehrheit der Menschen konstatierten sie Produktionsverhältnisse, die nach diesen Prinzipien funktionierten und ihnen das Leben sicherten. Diese galten ihnen fortan als die eigentliche lebenserhaltende Ökonomie. Statt der Perspektive Lohnarbeit für alle prophezeite der Bielefelder Ansatz die weitere Ausbreitung und Wiederaneignung subsistenzwirtschaftlicher Bereiche, gerade für Frauen.

Seit Ende 1997 liegt das Buch "Eine Kuh für Hillary" vor, das frühere ökofeministische Positionen aufgreift, um sie mit der aktuellen Debatte um Globalisierung und der Krise der tariflich abgesicherten Lohnarbeit zu verknüpfen. Gegen Ohnmacht und lethargisches Festhalten an der Lohnarbeitsplatzperspektive soll das Buch die Leserin überzeugen, dass Menschen auch hier, wie in vielen Ländern des Südens, ihr Leben neben oder ohne Lohnarbeit sichern könnten.

Die zwei Autorinnen, Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, sprechen den Zustand der feministischen Bewegung - die Vorstellung einer Befreiung im globalen Markt, die Akzeptanz von Kommerzialisierung und Geld - unverblümt an. Sie werfen den Resten der Frauenbewegung vor, die gesellschaftlichen Folgen des Strebens nach Geld nicht zu reflektieren.

Trotz der harschen Kritik mag es auf den ersten Blick verwundern, dass sie eine Befreiungsperspektive bevorzugen, die als Widerstand gegen das Lohnarbeitsregime die Selbstversorgung mit Nahrungsmittel auf kommunalem Land propagiert. Eine Perspektive, die nicht von Lohnarbeit und Geld befreit, sondern allenfalls von dem Zwang, ungesunde Nahrungsmittel zu kaufen. Wie keine andere feministische Theorie betont der Subsistenzansatz die Erpreßbarkeit der hausfrauisierten und niedrig entlohnten Menschen durch die Eigentumslosigkeit an Subsistenzmitteln. Schlußendlich gipfelt ihre Erkenntnis in der Forderung "Lokale Gemeinwesen müssen versuchen, wieder Kontrolle über die Produktionsbedingungen und Ressourcen zu gewinnen". (S. 164)

Der richtige Umgang mit den so angeeigneten Ressourcen soll mit Hilfe einer Moralökonomie gelingen, die dem kapitalistisch produzierten "Ramsch" die Stirn bietet, die "wirklichen Bedürfnisse" (S. 60) durch Eigenproduktion befriedigt und mit weniger Geld auskommt. Die Autorinnen entdecken eine solche moralische Ökonomie in den Ländern der sogenannten 3. Welt, wie auch in den traditionellen Verhältnissen der hiesigen Bauernschaft (siehe Bauernstudien in Borgenteich, Westfalen S.94/95).

Nachbarschaftshilfe, Selbstversorgung oder Tauschgeschäfte, z. B. Lebensmittel gegen Dienstleistungen, gehörten zum festen Bestandteil der dörflichen Ökonomie. Trotzdem verlief der Umbruch der dörflichen Gemeinschaft zu industrieller Landwirtschaft, Supermarkt und Eigenheim völlig unspektakulär. Die Zwänge des einfachen Lebens tauschten sich mit den ökonomischen Sachzwängen der Verwertung des investierten Geldes. Die angeblich andere Lebensmoral der ländlichen BewohnerInnen versagte kläglich gegen die Kapitalisierung von Land- und Hauswirtschaft.

So versucht das Buch eine ganz dringende Frage zu beantworten: Wie kann die Subsistenzperspektive als neue Moral des Lebens das Lohnarbeits-Kapitalverhältnis zähmen, zugunsten lokaler Wirtschaftskreisläufe und Eigenproduktion. Die Subsistenztheoretikerinnen sehen in dem Glauben der Frauen in den kapitalistischen Ländern an Geld und Kapital die Ursache der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Ihre Lösung sieht vor, das große Geld und den Weltmarkt auf ihre Keimformen zurecht zu stutzen.. Wie sie ihren Subsistenzansatz entwickeln, wollen wir auf den nächsten Seiten kritisch begleiten.

Der Geldmythos

Die Frauen in den westlichen Ländern befänden sich auf einem Irrweg, der sie immer weiter vom Pfad feministischer Tugend wegführt. Sie seien dem narzißtischen Bewußtsein moderner Geldsubjekte verfallen und könnten sich nicht mehr vorstellen, ohne Lohnarbeit und Geld zu leben.

"Die Hochschätzung der Lohnarbeit heute liegt offenbar in der Hochschätzung und im Mythos des Geldes. Nicht des Geldes als einfachem Tauschmittel oder als Wertmesser, sondern des Geldes, das immer mehr Geld gebiert, als Grundlage und Sicherung des Lebens, als Hoffnung auf Fortschritt, auf Emanzipation, auf Kultur, auf das "gute Leben". Wer kein Geld hat, kann nicht leben. An diesen Satz glauben heute die meisten Menschen in den Industriegesellschaften. Der Mythos des Geldes geht einher mit dem Mythos der Lohnarbeit. Wer keine (Lohn) Arbeit hat, kann nicht leben... " S. 23

Die Autorinnen beschreiben ganz richtig unsere allgemeine Wahrnehmung, die Arbeit nicht mehr als menschliche Lebensäußerung begreift, sondern als bloßes Mittel, um Geld zu verdienen. Sie gilt gemeinhin als Job. Die Produktion und Reproduktion von Menschen im Stoffwechselprozeß mit der Natur gestaltet sich unter der Wertlogik, die aus einer Mark zwei machen will, als allgemeine Interesselosigkeit gegenüber der unmittelbar stofflich-materiellen Seite der (Re)Produktion. Übrig bleibt die Arbeit als Geldlieferant zur Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs. So ist das Bewußtsein der Lohnabhängigen, - wir brauchen das Kapital um zu leben – kein Ergebnis des Glaubens an das Geld. Es ist eine Folge der tatsächlichen Enteignung von ProduzentInnenwissen. Doch statt diese Interesselosigkeit zum Thema zu machen und eine kritische Reflexion der eigenen produktiven Tätigkeiten von den Lohnarbeitenden einzufordern, begehen sie einen entscheidenden theoretischen Fehler. Da der subjektive Wille der Akteure in der kapitalistischen Warenproduktion vom Tauschwert dominiert ist, ziehen sie den falschen Schluß, daß die kapitalistische Ware keinerlei Gebrauchswert mehr hat. Sie definieren den Gebrauchswert aus der so produzierten Ware heraus und weisen sie allein der Subsistenzproduktion zu. Bei den Waren, die dem Zusammenwirken von Lohnarbeit und Kapital entspringen finden sie nur Tauschwerte. Deutlich sprechen sie von einer Aufspaltung in Gebrauchswert- und Tauschwertproduktion (S.61f), die sie verschiedenen Ökonomien zuordnen. Ihr Begriff der Gebrauchswerte herstellenden Subsistenzwirtschaft krankt zudem daran, daß er kaum mehr umfaßt als die Herstellung von Nahrungsmitteln. ( Schon der Buchtitel möchte suggerieren, daß eine Kuh für Hillary auch der Frau des US- Präsidenten eine sichere Existenzgrundlage böte.) Ein u. E. wichtiger Ansatzpunkt, nämlich zum Nachdenken und zur Debatte anzuregen über gesellschaftliche Bedürfnisse und was wir brauchen zu deren Befriedigung, wird leider allzu schnell verschenkt Häufig gerät ihnen ihre theoretische Konstruktion völlig aus den Fugen, wie das Kapitel über "Die Stadt – ein Parasit "(S.139) zeigt. Das Hinterland erscheint hier als der Ort der Gebrauchswertproduktion, den die städtische Bevölkerung hemmungslos ausplündert, während die Stadt nur Maschinen exportiert. Was ihnen mit dieser Zweiteilung allerdings gelingt, ist eine saubere Aufteilung in gut und böse und dieses Schema ist besonders beliebt, wenn es ums Geld geht. Schauen wir uns obiges Zitat noch einmal an, so ist schon in der Art der Kritikführung die Lösung der Probleme enthalten. Nicht von ungefähr wird in der Kritik der Unterschied zwischen dem Geld als einfachem Tauschmittel und dem Geld als Kapital betont. Ersteres kann durchgehen. Doch wo Geld zum Kapital wird, da wird die Kritik wahrhaft "fundamental"! Will sagen: Kapital ist für die Autorinnen die pure Negation alles Lebendigen, das – frau höre und staune – nur wiedergewonnen werden kann, durch die Besinnung auf das Geld als einfachem Tauschmittel.

Was uns die Autorinnen als verheißungsfähige Perspektive anbieten, ist eine (angebliche) Subsistenzproduktion mit einfachem Warentausch auf lokaler Ebene.

Das gute Geld...

Für ihr Anliegen, dass Menschen ihr Leben und Überleben auch ohne Lohnarbeit sicherstellen können, sammelten sie eine Reihe uns unbekannter Geschichten über verwirklichte Subsistenzproduktion.

Sie beschreiben Frauen, die sich noch auf einen weiblichen Lebenszusammenhang beziehen. Die Gemeinschaft von Frauen ist zwar dem übergreifenden Patriarchat untergeordnet, bedeutet aber zugleich eine Grenze der Verfügbarkeit von Frauen für Männer.

All diese Verhältnisse sind in einer kapitalistisch entwickelten Gesellschaft patriarchalisch dominiert. Familie und Hausarbeit sind das glatte Gegenteil eines weiblichen Lebenszusammenhangs.

Den Geschichten aus Kenia, Nigeria, Guatemala, Papua Neuguinea, der Inselgruppe Belau aus dem südlichen Pazifik und Mexicos ist eins gemeinsam: Frauen engagieren sich im Überlebenskampf gegen drohende Landenteignung, ökologische Zerstörung, Völkermord, Verarmung und Entrechtung. Sie wehren sich gegen die Auswirkungen der zerstörerischen Politik der transnationalen Konzerne, die Hand in Hand mit den einheimischen politischen Eliten die Existenzgrundlage der Menschen vernichten. Die Autorinnen versichern uns: die widerständigen Frauen besitzen, im Gegensatz zu westlichen Feministinnen, noch eine "Vision einer anderen Gesellschaft" (S. 28) Es ist eine Gesellschaft, in der die vorhandenen Geldeinkommen noch nicht vollständig in einem kapitalistischen Wirtschaftskreislauf mit industriell gefertigter Massenproduktion zirkulieren. Sie sind ein Teil der Nachfrage nach Gebrauchsgütern, die durch Kleinproduktion für den lokalen Markt befriedigt wird.

... bei den Frauen von Juchitan

Um der Vision einer anderen Gesellschaft näher auf die Spur zu kommen, ist die Geschichte der Frauen von Juchitan ein zentrales Beispiel, auf das wir genauer eingehen möchten. "Die Männer sind Bauern, Fischer, Handwerker und Lohnarbeiter. Frauen sind Händlerinnen". (S.120). Innerhalb dieser arbeitsteiligen Gesellschaft bildet der Tausch schon die Grundlage der Produktion, d. h. es wird produziert, was nachgefragt wird. In dem erwähnten Abschnitt findet sich diese Tatsache wie folgt beschrieben: "Die Subsistenzorientierung wird in diesem Fall nicht direkt von der landwirtschaftlichen Produktion getragen, sondern von der Art, wie Frauen den Handel begreifen und gestalten." (S. 130).

Die Autorinnen behaupten, den Subsistenzhändlerinnen sei der Gebrauchswert der Waren, die sie auf den Märkten anbieten, wichtiger als das Geld, dass sie damit erzielen. Eine gewagte These, denn die Händlerin ist auf den Umgang mit Geld spezialisiert und trägt die Waren dahin, wo sie ihr abgekauft werden.

Wir haben von den Subsistenztheoretikerinnen bisher gelernt, daß Geld, insbesondere in Männerhänden, nur Unheil stiftet ( vgl. 128). Jetzt begegnen wir Frauen, die nichts "Böses" damit anfangen wollen oder können. Die soziale Vor- und Einsicht der Frauen wird dermaßen überzeugend beschrieben, daß wir uns fragen, warum diese Frauen sich über Preise den Kopf zerbrechen, die je nach Gefälligkeit/ Freundschaft variieren (Fremde zahlen also immer mehr).

Soviel Aufwand, warum dann nicht gleich die Produkte verteilen?

Wo Wert in Geld gemessen wird, stellt sich sofort die Frage, wodurch dieser Wert bestimmt wird. Würde der Wert einer Ware in sozialer Verantwortung festgelegt und bestünde seine Substanz in wechselseitiger Wertschätzung der tauschenden Personen, dann stellt sich doch die Frage, warum diese solidarischen Warenproduzentinnen nicht gleich gemeinsam produzieren und verteilen. Das Tauschen und Wertmessen und damit das Geld würden sich erübrigen.

Ein wesentlicher Grund für das Festhalten am Geld findet sich in den gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen die kleinen Warenhändlerinnen oder Produzentinnen agieren. Privateigentum an Land und Produktionsmitteln und unabhängige voneinander betriebene kleine Privatarbeiten bedeuten ein Wirtschaften in die eigene Tasche. Überschüsse werden zwar in großen Verdienstfesten kollektiv konsumiert und so dem lokalen Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt, die privaten Einkommen zwischen arm und reich bleiben aber unangetastet.

In dieser - von den Autorinnen auch Prestigeökonomie genannten- Wirtschaftsweise kommt es wesentlich darauf an, Unvorstellbares an "Kleidung, Essen und Trinken, Schmuck, Musik und Geschenken" (S. 120) für "Verdienst (!) feste" aufzuwenden, da die Frauen nur so Prestige und Ansehen gewinnen.

Halten wir fest: Die Quelle des sozialen Prestiges der Frauen von Juchitan heißt, Anerkennung bekommt diejenige, die sich viel leisten kann.

In dieser Beziehung ist kaum ein Unterschied zu den Frauen in den Industrieländern zu entdecken.

In beiden Fällen treibt der mächtige Drang nach einem unabhängigen Einkommen die Frauen an. Die Händlerinnen wirtschaften in die private Tasche und die Lohnarbeiterin verkauft ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt. Wenn von den Frauen in Juchitan behauptet wird, sie "wirtschaftet nicht, um zu akkumulieren und andere für sich lohnarbeiten zu lassen, sondern um den Unterhalt zu garantieren und vor allem, um Ansehen innerhalb der Gemeinschaft, insbesondere der Frauengesellschaft, zu erwerben." (S. 120), so kann das in gewissem Sinn auch für die Lohnarbeiterin gelten.

Beide stellen weder Geld noch Kapital, noch die ungerechte Verteilung von Produktionsmitteln, Land oder auch Lebensmitteln in Frage. Indem sie dies anerkennen, tun sie noch weit mehr, als allein ihren Bedürfnissen zur individuellen Lebensgestaltung zu folgen. Sie gehen zur Erhaltung ihres Lebens ganz bestimmte Beziehungen ein, die sich dann in der Betrachtung als kapitalistisch oder patriarchal herausstellen.

Ernten einerseits westliche Frauen mit ihrer Forderung nach gleich viel Geld eine harsche Kritik, so beruhigen sich andererseits die Gemüter beim Geldumlauf auf lokalen Märkten. Wird den westlichen Frauen ihr Konsumrausch zum Verhängnis, so wird den Frauen in Juchitan ein immaterielles Interesse beim Geldverdienen nachgesagt und allen Zweifeln zum Trotz behauptet, den Frauen in Juchitan sei Geld nicht so wichtig.

Fazit: die Subsistenzperspektive kritisiert das Geldinteresse nur soweit, wie es den Moralökonominnen in die Theorie paßt. Das kleine Geld für's unmittelbare Überleben ist o. k., das Geld aus dem Bereich der Lohnarbeit, das wieder zurück in neue Lohnarbeit fließt, ist des Teufels. Also es geht gar nicht um den Mythos Geld, es geht nur darum, wie es verdient und ausgegeben wird.

Vom guten und bösen Geld

Gehen wir noch einmal zurück zum Juchitan- Beispiel. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es schon längst nicht mehr um eine Produktion für Selbstversorgung geht. Die Produktion ist schon ganz auf den Markt bezogen, es wird produziert, was Geld verspricht. Marktwirtschaft ist ein sozialer Zusammenhang, in dem voneinander unabhängige PrivatproduzentInnen ihre Produkte für den Tausch erzeugen. Ein sozialer Zusammenhang entsteht bei solchen Produktionsverhältnissen – sofern alle noch im Besitz der Produktionsmittel sind - überhaupt erst durch den Tausch der Waren und niemals in der Arbeit selbst. Insofern die Wohlfahrt jeder einzelnen von erfolgreichem Tausch der eigenen Ware abhängt, dominiert das egoistische Sonderinteresse in einer solchen Gesellschaft immer den Gemeinsinn. Soziale Rücksichtnahme ist immer nur Korrektiv an der spontan sich entwickelnden Ungleichheit zwischen Arm und Reich.

Frau sagt uns, daß in der Gesellschaft von Juchitan nicht gewirtschaftet wird, um zu akkumulieren, vielmehr die Überschüsse in großen Verdienstfesten kollektiv konsumiert werden. Das wäre in der Tat ein beachtlicher Sozialtranfer, um die spontan entstehende Ungleichheit zu korrigieren. Sofern eine Gesellschaft aber ihre gesamten Überschüsse kollektiv verkonsumiert und nichts davon akkumuliert, kann sie nicht einmal Reserven zugunsten aller bilden. Z. B. den Kindern Schulbildung geben und nicht, wie in Juchitan, dieses Privileg der privaten Finanzkraft der Händlerin zu überlassen oder einen Ausgleich schaffen für durch Unwetter vernichtete Ernte etc. Die Perspektive einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung ist bei diesem Beispiel nicht mitgedacht.

Es ist eine "tote" Gesellschaft, mögen ihre Produkte noch so lebendig sein. Daran knüpfen die Autorinnen ihre Perspektive. Sie wünschen sich eine Gesellschaft des Stillstandes, die trotz des im Geld verselbständigten Tauschwertes sich nicht zum Kapitalismus mit seinem Zwang zur Verwertung von Wert entwickelt.

Der viel gescholtene Marx hält es für einen ebenso frommen wie dummen Wunsch, "dass der Tauschwert sich nicht zum Kapital entwickle, oder die den Tauschwert produzierende Arbeit zu Lohnarbeit".(S. 160).

Die Autorinnen leugnen dagegen, dass es einen logischen und historischen Zusammenhang geben könnte, der die Menschheit schnurstracks vom unschuldigen Geld zum bösen Kapital geführt hätte. Ihr Blick auf Frauen und Geschichte bleibt selbst merkwürdig zeit- und geschichtslos. Nur vordergründig argumentieren die Autorinnen historisch. Die Subsistenzgesellschaften entdecken sie als "Norm", " nach der die Mehrzahl der Menschheit seit Jahrtausenden gelebt hat..." S. 233. Ob Sklaven, Clangemeinschaften, Scheichtümer, Wandervölker, Buschmenschen, ob antike, patriarchale, feudale Gesellschaften, Frauen bleiben die ewigen Nahrungsmittelbeschafferinnen. Frauen machen Subsistenz, Männer schlimme Geschichte(n)? "Bis zum Beginn des Industriezeitalters hat die Subsistenzproduktion das Leben und Überleben der Menschen gesichert." (S.26). Das Subjekt Frau als vielfältiges Wesen erscheint bei den Autorinnen also erst mit der Industriegesellschaft, wenn frau den Drang entwickelt, das gleiche tun zu wollen wie Männer.. Tatsächlich hat die geschichtliche Frauenforschung dieses Modell von "Frau" nicht gefunden. Frauenforschung, die den Anteil der Frauen an der menschlichen Entwicklung von vielfältigen Bedürfnissen betont, die überhaupt die Diskussion um die Kategorie "Frau" entfacht, wird von den Autorinnen als Ideologie gebrandmarkt, die das globale patriarchale Kapital braucht (S.223).

Schon am Beispiel der Frauen von Juchitan drängte sich bei der Leserin der Eindruck auf, als sei mit ihrer Wirtschaftsweise der Endpunkt der Geschichte erreicht und so, wie es ist, könne es die nächsten Jahrhunderte weitergehen. Ob die Frauen das auch so sehen, darf bezweifelt werden. Das dahinterstehende theoretische Modell jedenfalls schließt alle Widersprüche aus, setzt enge Grenzen und scheint keinen Platz mehr für Veränderungen zu haben.

Der Widerspenstigen Zähmung

Was dem Modell der Subsistenzperspektive innewohnt, ist die Neubewertung geschlechtlicher Arbeitsteilung. Über die Frauen von Juchitan heißt es:

"Anstelle des Einfraubetriebes Haushalt gibt es vielfältige Spezialisierungen von Frauen auf bestimmte Produkte, vor allem was Kochgerichte und Konservierungen anbelangt, die sie auf dem Markt verkaufen." (S.120)

Frau hat keinerlei Probleme mehr damit, daß Frauen auf Kochgerichte spezialisiert – anders ausgedrückt: beschränkt – sind. Schließlich ernten sie dafür "weibliches Selbstwertgefühl" und "Hochachtung". Was wäre wohl in dieser schönen friedlichen Welt der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung los, wenn Frauen auf den Trichter kämen – Selbstwertgefühl hin und Hochachtung her – sich auf andere Tätigkeiten zu verlegen und deshalb das Kochen den Kerlen überließen?

Zu Beginn der Debatten um Frauenarbeit, an der beide Autorinnen massgeblich Anteil hatten, wurde die Hausarbeit und die geschlechtliche Arbeitsteilung als Zwangsarbeit charakterisiert. Die Zuordnung weiblicher Attribute sah frau als nicht von Natur aus gegeben an, sondern als Resultat männlicher Zurichtung. Vollständig anders argumentieren sie dagegen in dem vorliegenden Buch. Sie konstruieren in Anlehnung an die traditionelle weibliche Haus- und Hofwirtschaft ( als freie Bäuerin versteht sich ) eine "Bäuerliche Wirtschaft", die von der "Anlage her nicht kolonialistisch " ist, gleichberechtigt auf die Menschen einwirkt und Männern und Frauen kooperative Arbeitsstrukturen "diktiert" (S. 110, 111). So kommt die angeblich natürliche Arbeitsteilung in Form der "sinnvollen geschlechtlichen Arbeitsteilung " (S. 134) wieder zu Ehren, sobald es Frauen gelingt, dem männlichen Geld- und Besitzpatriarchat ein weibliches Nahrungsmittelmonopol entgegenzustellen vgl. (S.132 ) und Markt und Handel als menschliche Beziehungen zu begreifen.

Innerhalb des natürlichen Arbeitsdiktats finden Frauen eine durch Last und Lust befriedigende handwerkliche und kleinbäuerliche Arbeit vor, die sie davor schützt, die gleiche Ökonomie betreiben zu müssen wie die Männer. "Wir können, was unseren Körper, unsere Landschaft und unsere Stärke anbelangt, "bei uns bleiben.".( S. 225) "Zentral dabei ist unsere Autonomie, d. h. unsere Kontrolle über Arbeit und Produkte, so daß wir sie stolz, großzügig und gütig anbieten können". S. 225 Die weiblichen Individuen liefern – mit Besitz von Land/Produktionsmitteln- in überschaubaren Gruppen ein fix und fertiges Produkt. Allein in diesen Produktionsverhältnissen liege die Gewähr für Gebrauchswertorientierung, ökologische Nachhaltigkeit und gleichberechtigtes Nebeneinander voller sozialer Fürsorge. Eine solche Produktionsweise verlangt aber auch die Beschränkung der Bedürfnisse auf das, was individuelle Geschicklichkeit zu liefern imstande ist. Zu haben ist diese zweifelhafte Idylle nur um den Preis eines enormen Verzichts, nicht nur auf "Weltgesellschaft" und auf Menschen, die ohne Technik heute nicht überleben könnten, sondern auch auf Tätigkeiten, die anscheinend als unweiblich gelten z. B. Maschinen konstruieren. Auf diesem Gebiet ist das fehlende Produktionswissen enorm, doch für Subsistenztheoretikerinnen kein Anlaß zur Sorge. Für Frauen, die stolz und gütig ihre hergestellte Dreschmaschine anbieten wollen, ist einfach kein Platz vorgesehen.

Das Beispiel der Bäuerinnen Agnes und Lisbeth (vgl. Subsistenz und bäuerliche Ökonomie S. 69) zeigt: Traktoren, Mäher, Ladewagen, Heupresse, Heumaschinen zum Wenden und Zusammenschlagen, Melkmaschine und Miststreuer zählen zum Besitz und werden benutzt. Das Wissen um Konstruktion und Produktion dieser Mittel gehört nicht zur Subsistenzperspektive und kann getrost den lohnarbeitenden Männer überlassen werden.

Insgesamt bleibt das Thema Arbeitsmittel nebulös. Zum einen wird die handwerkliche Technik bevorzugt, zum anderen steht die Anhängerin der Subsistenztheorie Computern, Flugreisen und der Universitätsausbildung aufgeschlossen gegenüber, wenn es sich um die eigene Forschungstätigkeit dreht. (siehe Erklärung zum Institut für Theorie und Praxis der Subsistenz e. V. im Anhang des Buches).

Jeder ihre Nische... oder?

Bei der Frage, wie die westliche Frau den " Weg ins Freie" ( S. 21) beschreiten kann, bleibt vom Modell der Subsistenzwirtschaft nicht mehr übrig als ein neues Hobby.

Die Oasen der Subsistenz in den Industrieländern, von denen die Autorinnen jedenfalls berichten, sind weder Widerstandsnester gegen Landenteignung noch verfolgen sie "Visionen einer anderen Gesellschaft". Alles dreht sich um den Erhalt ihrer Nischenökonomie. Die reichen Subsistenz-AktivistInnen sind meist gut ausgebildet und verfügen über Lohnarbeitjobs, wie z. B. die gut bezahlten Angestellten unter den japanischen Yaboo-Bauern (S. 156). Die Subsistenzperspektive in den industrialisierten Ländern versteht sich mehr als neue Wirtschaftsmoral für den Abschied vom Weltmarkt. Dieser haftet ein unangenehmer Geruch nach Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit an, wenn lokale Bedürfnisse (S. 68) im Kontext der Begriffe eigenes Territorium ( S. 67) und eigene Bevölkerung ( S. 46) angesprochen werden. Die Grundprinzipien der anderen Moral lauten:

Subsistenzarbeit soll neben Lohnarbeit stehen, Männern und Frauen wird Kooperation diktiert, Gebrauchswert gleichwertig neben Tauschwert, Konkurrenz neben Fürsorglichkeit, Geld neben Kapital, die regionale Ökonomien im Nationalstaat und die Nationalstaaten nebeneinander auf der einen Welt. Friedliche Koexistenz! Ein Weltmarkt noch für Luxusgüter (für wen wohl?), gezähmte Konzerne, die der Landwirtschaft dienen, freundliche Nationalregierungen, die sich um die Schwachen im Gemeinwesen kümmern (wie soll das ohne Überschuss geschehen?). Wahrlich, ein vom linken bis zum rechten Rand offenes Befreiungsmärchen (vgl. S. 66 bis 68). Ein Märchen, das überall und sofort verwirklicht werden kann, wo vorhandene Wirtschaftskreisläufe noch nicht vollständig in den Weltmarkt integriert sind oder wo die Kapitalakkumulation zu tiefgreifenden Krisen führt. Diesen Formen der "Subsistenzproduktion" gemein ist die Tatsache, daß sie den darin aktiven Menschen in den armen Ländern vielleicht das Lebensnotwendige liefert, aber auch kein bißchen mehr. Was sie am meisten kennzeichnet ist die Beschränktheit, sowohl die Beschränktheit des materiellen Reichtums, wie auch die Beschränktheit der immateriellen Kultur.

Auf all dies und noch viel mehr müssen die Menschen in den armen Ländern unter den herrschenden Verhältnissen sowieso verzichten, ob sie sich bewußt für die gepriesene "Subsistenzproduktion" entscheiden oder nicht. In den reichen Industrienationen dagegen ist ein solcher Verzicht nur als "Befreiung von den geistigen und kulturellen Fesseln der Wachstumsideologie"vorgesehen. Hier steht Reform des Verhaltens statt Revolutionierung der Verhältnisse im Vordergrund.

Überwindung der Lohnarbeit

Wir sind mit den Autorinnen darin einig, daß der Kapitalismus eine lebensbedrohende Dynamik entwickelt. Die handlungsbestimmenden Motive der menschlichen Akteure sind in aller Regel weder auf soziales Wohlergehen noch auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet.

Vieles ist jedoch nicht so eindeutig und einfach, wie es erscheint.

Beispiel Lohnarbeit:

Die Lohnarbeit mißachten unsere Theoretikerinnen als "Totenreich des Kapitals". Die Lohnarbeiterin verkommt zu einem willenlosen Objekt, das durchs Geld korrumpiert und ohne erkennbaren Zwang das Kapital "durch das Hinzufügen menschlicher Arbeit" ( S. 61 ) in Waren verwandelt, "die dann auf dem Markt als Tauschwerte verkauft werden, wodurch mehr Geld erwirtschaftet werden soll als am Anfang dieses Prozesses verausgabt wurde" (S. 61)

Wo Menschen tagtäglich Lebensverhältnisse reproduzieren, in denen Freud und Leid erfahren wird, wo sie sich praktische und theoretische Fertigkeiten aneignen, ohne die sie auch unter andern Umständen nicht leben könnten, da entdecken Subsistenzlerinnen " nichts als totes Zeug und Geld" (S. 61)

Hier meinen wir, fallen sie auf den kritisierten Geldmythos nicht nur selbst herein, sondern machen ihn auch noch zum Kern ihrer theoretischen Aussagen. Denn das Verrückte an ihrem Bemühen, den Menschen ihre Produktivität vor Augen zu führen und diese nicht dem Geld anzudichten, führt dazu, dass bei ihnen die industriell gefertigte Ware keinen Gebrauchswert hat.

Dieser erscheint kurioserweise erst wieder, wenn die Hausfrau die gekaufte Ware verarbeitet.

Wie kann eine Henne, die auf einem Stein sitzt, jemals ein Küken ausbrüten? Wie kann die Hausfrau etwas Totes verlebendigen? Das bleibt das Geheimnis der Autorinnen. Wir zumindest meinen, daß das Wiederauffinden des Gebrauchswertes durch die Hausarbeit nur gelingen konnte, weil in der Ware selbst " subsistenzwirtschaftliche" Anteile, sprich Gebrauchswerte stecken. In der kleinen wie großen Welt der Produktion und des Tausches besteht jede Ware aus Gebrauchswert und Tauschwert, ganz unabhängig, wieviel Sorgfalt auf ihre Herstellung verwendet wurde. Leider ist das auf den 1. Blick für die kapitalistische Ware nicht zu erkennen, durchlaufen doch fast alle Güter zur Lebensreproduktion in den industrialisierten Ländern den tauschwertsetzenden kapitalistischen Produktionszusammenhang. Das bedeutet die Dominanz des Tauschwertes über den Gebrauchswert und die Herrschaft der Kapitalverwertung über die menschlichen Bedürfnisse und die gesellschaftlichen Erfordernisse.

Der von Menschen gesetzte Zwang zur Geldökonomie ist in allen kapitalistischen Ländern durch die Integration der Lohneinkommen in den kapitalistischen Warenmarkt vollbracht.

Ohne Einkommen, egal welcher Art auch immer, kommt niemand in den Genuß lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen. Die Autorinnen behaupten in ihrer Argumentation gegen den Geldmythos, Menschen könnten sich im kapitalistischen Produktionsprozeß nicht produktiv wahrnehmen, weil sie angeblich keine Gebrauchswerte herstellen, sondern nur noch Tauschwerte. Deshalb seien die Menschen dem Geldmythos verfallen und schreiben dem Geld oder dem Kapital die Reproduktion von Leben zu. Den wahren Kern dieses "Mythos" führen wir jedoch auf die totale Abhängigkeit der Lohnabhängigen vom kapitalistischen Warenmarkt und ihrer Eigentumslosigkeit an Produktionsmitteln zurück.

Mit keinem Wort erwähnen sie diesen gesellschaftlichen Zwang zur Geldökonomie. Jegliches Streben nach Geld wird mit dem bewußten Inkaufnehmen von Naturzerstörung oder Armutsentwicklung gleich gesetzt.

Wenn wir dem Trugbild nicht aufsitzen, wonach in der Lohnarbeit die Arbeit bezahlt wird, und an der gut begründeten Position festhalten, dass Lohnarbeiterinnen unbezahlte Mehrarbeit leisten (Springquell des Profits), dann erscheinen die vom Geld verführten Lohnarbeiterinnen als Weltmeister im Verzichten, weil sie das von ihnen produzierte Mehrprodukt freiwillig abtreten. Wie würden wir es denn bezeichnen, daß Menschen jeden Tag nur einen kleinen Teil ihrer Arbeitszeit – sagen wir mal 2 Stunden – auf die eigene Reproduktion verwenden und den Rest – sagen wir mal 6 Stunden – für das Wohlergehen anderer – nämlich alle die, die nicht produktiv sind (vom Börsenspekulanten bis zur Ideologieproduzentin) – arbeiten?

Bei aller Verwerflichkeit der Motive, ist das nicht wirklich die praktizierte "Selbstlosigkeit"? Für das Bestreben nach sozialer Emanzipation käme es darauf an, diese praktizierte "Selbstlosigkeit" zu erhalten und sie in den Dienst einer Solidargemeinschaft zustellen, in der sich alle auf produktive Arbeit nach ihren individuellen Vorlieben verpflichten und zugleich die Möglichkeit der zeitlich begrenzten Freistellung besteht!

Von vielseitigen Individuen

Wir geben zu, daß mit dem Scheitern sozialistischer Versuche und der zerstörerischen Potentiale des Kapitals, es schwerfällt eine Perspektive von sozialer Emanzipation zu denken, die an dem in den Kernländern des Kapitalismus erreichten kulturellen Niveau ansetzt.

Der kapitalistische Reichtum wird heute in einer bis ins absurde gesteigerten Arbeitsteilung durch eine Masse lohnabhängiger Menschen erzeugt, die unter dem erdrückenden Sachzwang der Verwertung kooperieren und als produktive "GesamtarbeiterIn" funktionieren.

Heute entstammt praktisch kein Gebrauchsgegenstand, der über den Warenmarkt angeboten wird, mehr aus der Arbeit eines einzelnen Individuums. Die Suche nach dem eigenen Arbeitsprodukt als Bezugspunkt von Selbstwertgefühl, Selbstbewußtsein etc. in der hoch komplexen Arbeitsteilung ist völlig aussichtslos. Der durch Anwendung von Technologie geprägte Produktionsprozeß hat sich längst von den beschränkten Fähigkeiten und Grenzen des einzelnen Menschen emanzipiert. Moderne Technik ist nur anzuwenden in Kombination vieler Menschen und der Arbeitsprozess verlangt eine Kooperation von Menschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Alle sind in der Arbeit und in ihrer Reproduktion völlig aufeinander verwiesen.

Die Chance sozialer Emanzipation liegt allein darin, daß in jedem lohnabhängigen Individuum das Wissen dieser wechselseitigen Abhängigkeit wächst und sie sich sozusagen bewußt als produktive "GesamtarbeiterIn" verstehen und verhalten. In diesem Zusammenhang ist tatsächlich der subjektive Wille zur Gebrauchswertproduktion gefragt.

An die Stelle der erzwungenen Kooperation unter dem Druck der Eigentumslosigkeit und der Verwertung von Kapital muß die freiwillige, gewollte Kooperation der gesellschaftlich bewußten Individuen treten. Die zwanghaft durchgesetzte Arbeitsteilung, die Unterwerfung der Individuen unter diese Arbeitsteilung kann ohne eine noch größere soziale Katastrophe, als die des Kapitalismus selbst, nicht einfach zurückgenommen werden. Die Arbeitsteilung muß der sozialen Kontrolle der kombinierten "GesamtarbeiterIn" zugänglich gemacht werden. Nur so wird es möglich sein, die Exzesse dieser Arbeitsteilung zu beseitigen und sie auf ein Maß zurückzuführen, das dem Individuum vielseitige Entwicklungsmöglichkeiten einräumt und es so zu verantwortlicher und kooperativer Mitgestaltung bei der Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums befähigt.

Wir sind überzeugt davon, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Massenkommunikation der Menschheit – jenseits aller politischen Demokratie- und Partizipationsmodelle – Mittel zuwachsen, die eine direkte und intensive Kommunikation zwischen großräumig vergesellschafteten Individuen ermöglichen, ohne die die bewußt kooperierende (und nicht kommandierte) "GesamtarbeiterIn" tatsächlich bloße Utopie bliebe.

Der Arbeitsbegriff der Subsistenzperspektive ist dagegen jedenfalls eine unbrauchbare Utopie, die nicht einmal für die Verhältnisse stimmt, aus der sie angeblich gewonnen ist. Es ist immer bloße Einbildung von Marktsubjekten – gleichgültig ob es ein lokaler oder der Weltmarkt ist –, daß sie durch "sich selbst existieren". (S.27). Diese Vorstellung ist Ausdruck davon, daß in der Marktökonomie der gesellschaftliche Zusammenhang sich im Nachhinein herstellt, als ein verdinglichter Zusammenhang, der den einzelnen als äußerer Zwang aufgedrückt wird. Marktsubjekte leiden daher an der Wunsch- und Wahnvorstellung eines "autonomen Individuums.".

Für uns hat das Wissen über Subsistenzfähigkeit weniger damit zu tun, wie ich der Natur helfe, eine Tomate wachsen zu lassen, sondern eher damit, daß wir es leid sein müssen, uns von fähigen Managern, Ehemännern oder Vorgesetzen vorschreiben zu lassen, wie, was und mit welchen Mitteln gearbeitet werden soll. Das Selbstbewußtsein müßte sich soweit ändern, daß wir uns selber vorstellen können, eine technisch komplexe Produktion im Sinne einer bewußten Lebensreproduktion in Kooperation zu leiten.

Basisinitiativen aus den sogenannten Ländern der 3. Welt weisen seit Jahren darauf hin, daß die Lösung der Probleme ihrer Länder in den Industriestaaten liegt. So vehement die feministische Theorie, gerade auch initiiert durch die genannten Autorinnen, die Ausplünderung der Ressourcen der sogenannten 3. Welt kritisiert, sowenig scheint bewußt zu sein, daß der Reichtum der kapitalistischen Länder in erster Linie auf dem hohen Entwicklungsstand der Arbeitsproduktivität beruht. Eine nachholende Industrialisierung erscheint deshalb für viele genauso aussichtslos wie eine Neuauflage ihrer alten Lebensweise. Die Autorinnen betonen am Ende ihres Buches die geringe Anziehungskraft der Subsistenzperspektive auf alle diejenigen deren "Denk- und Erfahrungshorizont durch das herrschende Paradigma "eingehegt" ist"( S 229) Der Subsistenzansatz erscheint uns dagegen selbst eingezäunt in die altbekannten Sachzwänge und bietet keinen alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwurf, auch nicht aus der Sicht von Frauen.

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