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HERZBERG (Vogelsberg/Hessen)
OPEN AIR FESTIVAL 1999
15.-19. Juni 1999

WHATTA DAY, WHATTA NIGHT, WHATTA SUN-DAY!
7/8-99
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Dass da mehr als 40.000 in einem Kaff in der Naehe des hessischen Staedchens Alsfeld den Mega-Hippie-Event des Jahres abgefeiert haben, wird dem Rest der Welt weitgehend verborgen geblieben sein. Aber das Aufgebot an Weltstars der Rockszene war ebenso bemerkenswert, wie schon in den drei vorangegangenen Jahren. Die Namen Eric Burdon, Iron Butterfly, Magma, Taj Mahal, The Supremes u.v.a.m. werden den KennerInnen der Rockgeschichte wie Musik in den Ohren klingen.

Dass da leicht der Verdacht aufkommen koennte, da haetten sich die gammeligen Greise und Greisinnen der 60er und 70er Jahre versammelt um nochmal hueftlahm auf ihre mehr oder weniger senilen Superstars abzurocken, liegt auf der Hand. Statt dessen bot sich ein springlebendiges Bild von weit ueberwiegend jungen und juengsten Leuten, die dem Underground, dem guten alten Schweinerock, dem Blues, Reggae, Jazzrock und der psychedelischen Musik Marke handmade noch immer einiges abgewinnen konnten. Angesichts von so viel Jugend merkte mensch es auch den SaengerInnen nicht an, dass Jahrzehnte zwischen den Spitzen ihres Ruhms als Super-Groups und heute lagen. Die Kleinstadt an farbigen Zelten, Tipis und Wohnwaegen - "Freak City" - kam derart bunt, frisch und lebensfroh daher und lag so natuerlich, ja selbstverstaendlich an den sanften waldbestandenen Haengen der Vogelsberggegend unterhalb der Burg Herzberg (Landkreis Hersfeld-Rothenburg), dass mensch gar nicht auf die naheliegende Idee haette kommen koennen, dass "The Movement of the Hippies" in dieser weltvergessenen Ecke der Fachwerkidylle dort eine Nostalgieveranstaltung abzoege. Alles war voellig praesent und jetzig. Wie konnte es jemals eine Pause, ein Vergessen, ein Absterben gegeben haben? Das war alles nur ein schlechter Traum. Peace, Love & Happiness und auch Ché gruessten unverholen und alive von der Buehne und jedes Individuum war ein weiterer Farbtupfer im grossartigen selbstinszenierten Pop-Gemaelde. Sogar die unvermeidlichen Hare-Hare-Krishnas fehlten nicht und liessen tatsaechlich nostaligische Gefuehle aufkommen ...

Und dann standen sie da als Life-Act, die Stars von gestern und vielleicht die Wieder-Stars von morgenfrueh und zwar auf einer Buehne, die sich wohltuend einfach vom ueberladenen Kommerz-Pop abhob. Hier ging es um Musik pur, und nicht um glitternde Fassaden und millionenschweres Equipment - hauptsache der Sound stimmte! Eric Burden (demnaechst Konzerte in Leipzig und Berlin) spielte am zweiten Tag nach einer langdauernden Generatorenpanne, die dem Publikum gut vier Stunden Geduld im fast Sackdunkeln bei ziemlich schattigen Nachttemparaturen abverlangte, gegen vier Uhr morgens auf, und praesentierte sich dank der mexikanischen Marie und dem guten deutschen Weisswein in Hoechstform. Sein Auftakt-Song ueber den Kampfjetpiloten, der egal wie hoch er fliegt, den Himmel nie erreichen kann, war nicht das einzige eindeutige Votum Burdons aus aktuellem Anlass fuer Rebellion und Gesellschaftsveraenderung - "... we'll never give up!" Der Funke sprang solcherart ueber, dass bei Sonnenaufgang und Abtritt der Band das reichliche Publikum noch eine halbe Stunde um die zweite Zugabe tobte, die nicht mehr kam, weil Eric schon alles gegeben hatte. Seine instrumental erstklassige junge Band "New Animals" hatte seiner nicht weniger erstklassigen unverbrauchten Stimme und seinem beruehmten Improvisationsvermoegen einen derartigen Background gegeben, dass der Grasboden vor der Buehne brannte - methaphorisch gesehen, versteht sich. Auch bei Iron Butterflys "In-a-Gadda-da-Vida" blieben keine Wuensche offen. Der Schlagzeuger hatte in seinen 30 Jahren Berufspraxis nichts verlernt, legte einen souveraenen Longtime-Solo hin und ueberzeugte mit dem Rest der Band schlagartig. Playback-Feelings kamen da nicht auf. Hier war das Kontrastprogramm zu stumpf-synthetischen Tekno-Rythmen aus der Konserve augen- und ohrenfaellig, ebenso wie am naechsten Tag bei Taj Mahal. Deren pure South Bluesrock, Reggae und mit Hawaigitarre unterlegten Jazz/Country-Rythmen gingen ebenso ins Blut, dass die VeranstalterInnen nach inzwischen erfolgtem Sonnenuntergang nur mit sofortigem Buehnenabbau zum Finale kontern konnten. Ueber allem aber lag zuvor die Stimme von Mari Boine, deren meditative Songs auch ohne verstanden zu werden, die Menschen in Trance schwangen. Ringsgwandls Bayernrock fiel dagegen und gegen Sunya Beat etwas plump aus dem Rahmen, wurde aber dennoch mit stuermischem Applaus bedacht.

Auch die Supremes, Fairport Convention und Pentangle setzten am ersten Tag zusammen mit den Flowerkings Highlights und Magma bewies am zweiten Tag, dass nicht nur die Sonne vom Himmel gluehen konnte, sondern auch ihre Sounds noch "the heat" haben. Am Abend zuvor hatten die Ur-Krautrocker von "Faust" schon den Murnau-Stummfilmklassiker "Nosferatu" live vertont. Fuer die kleinere Nebenbuehne hatten sich im Vorfeld 200 Nachwuchsbands beworben.

Selbst der kalte Kommerz machte vor den Toren der Herzfeld-Wiesen halt. Neben der Kommune Niederkaufungen gab es eine ganze Reihe Ess- und Trink- Staende mit Selbstgemachtem, die zwar gerne die gegebenen Verdienstmoeglichkeiten in Anspruch nahmen, aber sich das Festival einmal im Jahr auch "gaben". Auch der viele Fernost- und Indianer-Hippiekram kam mit zivilen Preisen und etlichen "Schnaeppchen-Angeboten" daher. Und am Ende waren alle, alle gluecklich und zufrieden, sogar die Polizei, die nicht umhinkam festzustellen, dass sie "auf jeder Dorfkirmes mehr Probleme hat" als am Hippie-Herzberg. Die letzte Nacht auf dem Gelaende war die jointdurchgluehte Nacht der selbstorganisierten Party, denn viele reisten erst am Montag ab, waehrend die ersten schon fuenf Tage vor Festivalbeginn angereist waren. Auch 2000 werden eine Menge davon auf das zehnte Herzberg- Festival fahren und abfahren auf die Musik und Bands, die der Mainstream schon lange abgehakt zu haben glaubte. Das groesste Festival seiner Art in Europa, das vor einer Dekade mit 300 Gaesten startete, koennte im Jahr 2000 noch groesser werden und die Grossen von Gestern koennten unverhofft auch morgen nochmal gross rauskommen im grossen Hippie-Revival zur Jahrtausendwende ins Zeitalter des Aquarius.

R@lf G. Landmesser fuer LPA
(Kommerzielle Medien wenden sich bei Abdruckinteresse bitte per e-mail an den Autor. Es gibt auch Fotos <Dias> zum Artikel.)

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