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Wir dokumentieren:

Macht Arbeit frei?
Brief eines Kollegen an den Bundesvorstand des DGB

From: noname noname <noname00@mail.com>
To: <
info@bundesvorstand.dgb.de>
Sent: July 22, 1999 5:13:30 PM GMT
Subject: Überstunden/contischicht?(*
)

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Anti-Quariat
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Liebe Kollegen!

Ich bin seit 1980 in der Gewerkschaft, zuerst IGM, später ÖTV + IGBCE. Ich habe in vielen Klein- und Mittelbetrieben gearbeitet, meißtens Betriebe die nicht Tarifgebunden und ohne Gewerkschaft waren, der Arbeitnehmer ist, das muß ich leider so sagen dort Manövriermasse - recht- und changsenlos. Auch in unserem Betrieb gibt es Verhältnisse die Sie mir nicht glauben werden.

Wir sind eine Tochtergesellschaft eines deutschen Großunternehmens, ein großer Aktienanteil liegt in Händen eines großen amerikanischen Konzerns. Kein armes Unternehmen! Jahrelang gab es keinen Betriebsrat, jetzt wird einer gebildet. Contischicht bei uns bedeutet Samstag,Sonntag je 12 Stunden Früh- bzw. Nachtschicht, anschließend 5 Tage (8 Std.) Spät- oder Nachtschicht, da sind 64 Stunden. Nach der Nachtschicht gibt es eine Woche frei (Überstundenabbau). Erst kommt Nachtschicht, dann Freiwoche, dann Frühschicht. An die Frühschicht schließt sich meistens ein freies Wochenende an, danach gibt es 5 Tage Spätschicht(8 Std). Wenn man Glück hat gibt es danach 4 Tage Tagschicht (8 Std) bevor man wieder in die Nachtschicht geht. Wir haben die dünnste Personalstärke die man sich vorstellen kann, wenn 2 Leute im Urlaub sind ist man alleine in der Hotline (technische Telefonberatung), dann kommt es vor, daß man in 8 Stunden 50 Kunden beraten darf. Die Beratungszeiten schwanken zwischen 3 und 30 Minuten, je nach Sachverhalt.

Seit Jahren ist die Fluktuation in der Abteilung sehr hoch. Gerade erst vom Team eingearbeitete Kollegen werden in andere Abteilungen abgezogen, sie kündigen oder schaffen die Probezeit nicht. Die Einarbeitung wird von uns im laufenden Betrieb übernommen.

Zur Zeit brennt es wieder. 2 Kollegen sind im Urlaub, einer wurde in eine andere Abteilung gezogen, da dort Personal fehlt. Das heißt 10 Tage Arbeit ohne freien Tag, das sind 88 Stunden!! Wir wurden natürlich gebeten, daß freiwillig zu machen, es wurde aber auch gesagt, daß das sonst angeordnet würde.

Oft sind wir wochenlang alleine in der Hotline wo eigentlich 3 Kollegen ständig arbeiten sollten. Es wird schon lange von Besserung gesprochen, auch jetzt wieder. Wir wollen daran glauben, aber es fällt schwer, weil es schon so oft erklärt wurde.

Gibt es denn keine Möglichkeit, daß alle Betriebe ähnlich wie die Gaststätten und Baubetriebe regelmäßig auf die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsbedingungen kontrolliert werden? - Bei den heutigen Arbeitslosenzahlen traut sich doch niemand im Betrieb, auch nicht der Betriebsrat in solchen Betrieben dagegenzuhalten. Sonst wird gleich mit Entlassungen, Schließung oder anderen Dingen gedroht. Bitte entschuldigen Sie, daß ich meinen Namen und den Betrieb nicht nenne, der Arbeitsvertrag verbietet mir dies. Vielleicht können Sie uns und damit meine ich nicht nur die Kollegen in unserem Betrieb helfen uns zu wehren. Das geht so auf die Gesundheit, daß dabei keiner alt wird ohne krank zu werden oder frühzeitig stirbt.

Glückauf
Ein Kollege

*) Den Betreff habe ich geändert, im Schreiben an den Hauptvorstand des DGB und die IGBCE war er Contischicht/Überstunden. Auch die folgende (rhethorische) Frage habe ich in dem Schreiben nicht gestellt: Ist die BRD ein pluralistisches demokratisches Mehrparteiensystem und auch eine Diktatur der Geldsäcke? Noch ein Lesetipp der im Rotbuchverlag Anfang der 80er Jahre erschienene futuristische Roman: Es geht voran von Peter Horx

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