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Offener Brief
des Forum für Frieden und Demokratie in Kurdistan und der Türkei
an BundesaußenministerJoseph Fischer
7/8-99 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: kamue@partisan.net ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Forum für Frieden und Demokratie in Kurdistan und der Türkei
Kontakt: Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V., Herner Str. 299, 44809 Bochum, Tel/Fax: 0234-9041380 und Informationsdienst zur aktuellen Lage in der Türkei und Kurdistan c/o Reinhold Kühnrich & Isgard Lechleitner, Am Festungsgraben 10, 26135 Oldenburg Telefon: 0441/ 1 56 62, Fax: 0441/ 1 56 62, email: isgard@aol.com

Herrn
Bundesaußenminister
Joseph Fischer
per Fax


Oldenburg, 13.7.1999

Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister,

wie uns bekannt wurde, werden Sie gemeinsam mit einigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Kürze die Türkei besuchen. Daher wenden wir uns im Namen des "Forums für Frieden und Demokratie in Kurdistan und der Türkei" an Sie, mit der Bitte, den geplanten Staatsbesuch zu nutzen, um sich für einen Demokratisierungsprozeß einzusetzen.

Das "Forum für Frieden und Demokratie in Kurdistan und der Türkei" ist ein breites Netzwerk aus Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die sich seit Jahren mit der Situation in der Türkei und in Kurdistan beschäftigen. Ebenfalls seit Jahren fordern wir daher die europäischen Regierungen und damit auch die Bundesrepublik Deutschland auf, ihren Einfluß auf die Regierung, das Parlament und den Sicherheitsrat der Türkei geltend zu machen, um die längst überfällige tiefgreifende Demokratisierung des Landes einzuleiten, eine friedliche Lösung an die Stelle des Krieges gegen die kurdische Bevölkerung zu setzen und die internationalen Menschenrechtsstandards in die Alltagspraxis zu überführen.

Aus der Kommentierung Ihres bevorstehenden Besuches in den türkischen Medien läßt sich die klare Erwartungshaltung herauslesen, daß mit diesem Ereignis der Weg der Türkei in die Liste der Beitrittskandidaten für die Europäische Union ein gutes Stück vorangebracht werden soll. Die Türkei bemüht sich derzeit den Eindruck zu erwecken, mit Hilfe einiger kosmetischer Veränderungen, wie z.B. dem Austausch der Militärrichter an den Staatssicherheitsgerichten, demokratische Vorleistungen zu erbringen, die bisher aber bei näherem Hinsehen lediglich an der Oberfläche verbleiben. Statt dessen zeigt die lange Liste politischer Gewissensgefangener, in die sich erst jüngst der Vorsitzende des Menschenrechtsvereines, Akin Birdal, einreihen mußte, daß an eine wirkliche Demokratisierung bislang nicht zu denken ist.

Auch und vor allem das Todesurteil gegen den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan markiert die nicht vorhandenen Spielräume einer ideologisch aufgeladenen gesellschaftlichen Situation sowie einer politisch unflexiblen und rechtlich auf Sondergesetze fixierten Staatskonstruktion, die derzeit jeden Schritt auf eine friedliche, politische Verhandlungslösung ungangbar erscheinen läßt. Dennoch ist mit dem Prozeß gegen Öcalan die Frage einer politischen Konfliktlösung erneut aufgeworfen. Auch die Gespräche um eine Aufnahme in die Liste der EU-Kandidaten rücken das Demokratisierungsproblem heute ins Zentrum der innenpolitischen Debatte der Türkei.

Daher wird es wesentlich sein, mit welchen Forderungen Sie, als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Ihren Besuch in der Türkei und etwaige Gespräche über ein stärkeres Heranrücken an die EU verknüpfen.

Aus unserer Sicht sind die nachfolgend aufgeführten Forderungen dabei unverzichtbar:

  • die Abschaffung der Todesstrafe
  • die Garantierung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung in der Alltagspraxis
  • die Gewährleistung unbedingter Pressefreiheit
  • die Aufhebung jener Sondergesetze, die als Anti-Terror-Gesetze jede offene Debatte um eine politische Lösung ersticken
  • die Aufhebung der auf der Basis dieser Gesetze erfolgten Gerichtsurteile
  • die Erlassung einer Amnestie für alle politischen Gefangenen
  • die sofortige Beendigung des Ausnahmezustandes
  • die Auflösung paramilitärischer Strukturen und Verbände (z.B. sogenannte "Dorfschützer")
  • die Aufklärung des Schicksals der sog. "Verschwundenen"
  • die Aufklärung und rechtsstaatliche Verfolgung der Verbindungen zwischen Staats- und Verwaltungsorganen mit dem organisierten Verbrechen
  • freie und ungehinderte politische Betätigung der Parteien, also auch der HADEP
  • die Realisierung des speziellen staatlichen Schutzes für MenschenrechtsaktivistInnen
  • die Einsetzung einer Ombudsperson für Menschenrechte bei der Türkischen Regierung
  • die Herbeiführung von Waffenstillstandsgesprächen und nachfolgenden Friedensverhandlungen zwi-schen den Kriegsparteien
  • Gleichstellung aller Sprach-, Kultur- und Religionsgruppen, auch und speziell der kurdischen Bevölkerung

Die Regierungen der Europäischen Union haben die friedenspolitischen Chancen versäumt, die sich mit dem einseitigen Waffenstillstand der PKK und dem Versuch Öcalans die europäischen Staaten in eine Friedenslösung einzubeziehen, boten.

Zaudern und Zögern hat nicht nur diesen einen Menschen nun der möglichen Hinrichtung preisgegeben, sondern im Ergebnis zum Erstarken des türkischen Nationalismus geführt. Die Kämpfe in Kurdistan kosten täglich weitere Leben. Und ebenfalls täglich werden Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert oder von sogenannten "unbekannten Tätern" ermordet. Die Bundesregierung trägt - auch und gerade in der Rechtsnachfolge der Regierung Kohl - daran eine erhebliche Mitverantwortung.

Es ist daher längst überfällig, eine eindeutige menschenrechtsorientierte Politik gegenüber dem NATO-Partnerland Türkei zu realisieren.

Wir bitten Sie daher, sich im Rahmen Ihrer Reise für die Umsetzung der o.g. Forderungen stark zu machen.

Mit freundlichen Grüßen

R. H. Kühnrich
I.Lechleitner

Im Rahmen des Forums für Frieden und Demokratie in Kurdistan und der Türkei arbeiten u.a. die nachfolgend aufgeführten Personen und Gruppen zusammen: Inge von Alvensleben (Heyva Sor a Kurdistane), Cemile Argak, Müjgan Aslan, Nadide Batin, Birsen Celebi, und Dorothee Zimmer-Gecici (Solidaritätsforum für kurdische und türkische Frauen), Mehmet Bayval (Kurdisch-deutsche Friedensinitiative), Hans Branscheidt (medico international; Appell von Hannover), Rudolf Bürgel, Rüdiger Lötzer und Maurice Merlin (Kurdistan Rundbrief), Mustafa Calikoglu und Knut Rauchfuss (Medizinische Flüchtlingshilfe), Dr. Hisham Hammad (Bündnis 90 / Die Grünen; SOS-Rassismus), Markus Gross (Netzwerk "Kein Mensch ist illegal"), Osaren Igbinoba (The Voice of Africa Forum), Informationsstelle Kurdistan, Büro MdB Ulla Jelpke, Matthias Jochheim (IPPNW: ÄrztInnen gegen den Atomkrieg - ÄrztInnen in sozialer Verantwortung), Oliver Kontny (Internationaler Menschenrechtsverein Bremen; Karawane), Jürgen Korell (BAG Kritische PolizistInnen), Heike Krause (Rechtsanwältin), Birgit Landgraf (Kurdistan Solidarität Bochum), Reinhold Kühnrich und Isgard Lechleitner (Informationsdienst zur aktuellen Lage in der Türkei und Kurdistan), Ulla Lötzer (MdB-PDS), Hans Werner Maczkiewitz (Aachener Friedenspreis), Jürgen Neitzert (Kampagne gegen Rüstungsexporte), Thomas Pillich (Rote Hilfe Bundesvorstand), Rechtshilfeverein Azadi, Beate Rudolph und Brigitte Schubert (Initiative Freiheit für Leyla Zana), Mehmet Sahin, Charlotte Schmitz (Initiative zur Solidarität mit kurdischen und türkischen Gewerkschaften), Reinhardt Schwandt (HBV), Maria Seipel-Eberhardt (Hessischer Flüchtlingsrat; Bündnis 90 / Die Grünen), Uwe Vorberg (PDS-Landesgeschäftsstelle NRW), Ute Weiß (Bündnis 90 / Die Grünen; GEW), Britta Wente (Komitee zur Unterstützung der kurdischen politischen Gefangenen), u.v.a.

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