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GELSENKIRCHEN, 13. JULI 1999

HEIMSUCHUNG ODER ERLÖSUNG?
DER NAHE OSTEN UND DER IRAN IM ZEITRAFFER
von DIETMAR KESTEN

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Nach islamischen Glaubensvorstellungen gibt es für Zufall keinen Raum. Daher wird der neue israelische Premierminister, BARAK, der sich mit ARAFAT getroffen hat, dieses Treffen als ein Wink Allahs deuten. Das hat schon manchen in der Krisenregion aus akuter Todesangst herausgebracht. BARAK und ARAFAT sind seltsame Überlebenskünstler, die eigentlich immer, wenn sie an der Macht waren, und sie zu schwinden drohte, ihren Anhängern vor Augen führten, daß sie unentbehrliche Figuren sind.

Doch mit BARAK, der 1995 bereits Außenminister war, ist genausowenig im Nahen Osten Frieden zu machen, wie mit jenem ARAFAT, der sich in die Absurdität verstrickt, Israel würde von allein die Grenzen von 1967 anerkennen. BARAK; der von NETANJAHU darauf verpflichtet wurde, die territoriale Integrität Israels, den Umfang des (künftigen) Staates zu wahren, wird bei der Radikalisierung der israelischen Politik bleiben, die diesen Staat seit 1948 auszeichnet, und ARAFAT wird nichts anderes übrig bleiben, als die beachtliche Verfügungsmasse der Palästinenser einzubringen.

BARAK mag von einem 'Staat Palästina' sprechen, und ARAFAT fordern, den Siedlungsbau im Westjordanland und in Jerusalem einzustellen man weiß, aus der Vergangenheit, daß die jüdische Politik die Radikalisierung der Fundamentalisten auf beiden Seiten brachte. Und man weiß erst recht, das BARAK niemals zustimmen wird, im Abzug der Israelis bis zu den Grenzen von 1967 eine mögliche Gangart für seine Politik zu sehen. Diese Patt-Situation wird trotz der Verträge von Wye-Plantation jene radikalen Kräfte anspornen, die der Minimalpreis des 'nahöstlichen Friedensprozesses' hinterlassen hat, die extremnationale Rechte und die fanatischen religiösen Gruppierungen, die sich einen Dreck um Osloer-Vereinbarungen und Grenzbegradigungen, das Feilschen um die Golan-Höhen scheren werden. Die massive Vertreibung der Palästinenser wird weitergehen, und BARAK, ein Ziehkind RABINs, wird keine Sekunde daran denken, Frieden mit den Palästinensern zu schließen. Unter diesen Bedingungen ist an einen ernsthaften Dialog nicht zu denken. Der zionistische Staat weiß, daß wie 1988, eine Schiedsrichterrolle ausüben zu wollen, nur Unheil hervorbringt.

Die 'Orthodoxen', die mehr als ein Drittel der jüdischen Bevölkerung Jerusalems ausmachen, schrauben ihre militanten Forderungen immer höher, und dieser Teil der religiösen Eiferer, die auf die Erscheinung des Messias warten, werden sich nicht mit schönen Worten zufrieden geben. Hatte einst die 'Intifada' alle hochfliegenden Friedenspläne zerplatzen lassen, und mit Recht den Verkauf an den jüdischen Fundamentalismus angeprangert, so stehen die Reste dieser Bewegung jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die Spannungen im Westjordanland werden zweiffellos noch unerträglicher werden, als sie z. Zt. schon sind, wenn nämlich der Friedensprozeß tatsächlich auf der Strecke bleibt, und die USA sich mit der Tatsache konfrontiert sehen, das blutige Chaos nicht eindämmen zu können. Extremisten beider Seiten werden darauf hinarbeiten, daß am Ende dieser Auseinandersetzung ein neuer Krieg vom Zaun gebrochen wird, der den Nahen Osten überziehen könnte. Der jüdische Fundamentalismus, der mit BARAK so oder so über eine Schlüsselposition verfügt, wird jeden Kompromiß verwerfen.

Das dürfte automatisch in das Aufflammen des religiösen Fundamentalismus auch bei den muslimischen Einwohnern Palästinas führen. Unter den gegebenen Umständen ist ARAFAT auch kein Verhandlungspartner, der die Interessen des palästinensischen Volkes vertreten könnte. Was sollte er auch verhandeln können, etwa nur beim 'nahöstlichen Friedensprozeß' nicht draußen vor der Tür zu stehen? Einen Staat Palästina wird es nicht geben, vielleicht nur eine Garantierung festzusetzender Grenzen. Daß das zuwenig sein dürfte, wird man erst dann erfahren, wenn in den Lagern eine wie auch immer geartete Kooperation nicht akzeptiert wird. ARAFAT will sein Gesicht wahrenaber wobei? Auf Wunder können nur diejenigen hoffen, die an Jerusalems Klagemauern auf mirakulöse Ereignisse warten.

Auf solche Wunder zu warten, darauf haben schon die Kreuzritter vergeblich gehofft, die sich im Mittelalter etwa zweihundert Jahre lang im Orient gegen die Übermacht des Islams behauptet hatten. Je schmerzlicher diese Prozesse verlaufen, werden Hizbollah, schiitische Freischärler, jüdische Soldaten und militante Palästinenser versuchen, die anlaufen Verhandlungen zu torpedieren. Die wahren Kraftproben stehen also noch bevor, und im Nahen Osten wird es niemandem erlaubt, ohne Waffengewalt Ziele und Gebiete zu erreichen und abzustecken. Daß die Friedenseuphorie, die sich jetzt wieder in den Medien breit macht, gedämpft werden muß, das sollte die schreckliche Erfahrung aus der KriegsBerichterstattung des Jugoslawien-Krieges eigentlich lehren. Sie sollte auf die triste Realität reduziert werden. Der jüdische Staat wird sich mit Palästinensern/Arabern nicht abfinden. Und umgekehrt werden sie die 'zionistischen Zeloten' bis auf's Blut bekämpfen. Das könnte das Ende vom Ende jedweder staatlichen Selbstbehauptung sein. Nichts dürfte an diesem ernüchternden Tatbestand etwas ändern.

Indes war jede Religion, jeder Fundamentalismus und jede fundamentalistische Bestrebung schon immer 'Opium des Volkes', (MARX) und hatte im Laufe der Geschichte leider immer zu traurig-beachtlichen Resultaten geführt. Speziell die tödlichen Scharmützel an Galiläas-Grenzen, die allesamt immer religiös-verbrämt motiviert waren, etwa der Israelisch-Arabische Krieg von 1973, die schiitische Revolutionsmystik, die Militanz der religiösfundamentalen 'Hamas' oder der Hizbollah, der 'Partei Gottes' verweisen auf den permanenten Streit um besetzte Gebiete und immer wieder auch auf Todesfreiwillige, die es im übrigen bei den Kurden genauso gibt wie bei fanatischen Sekten der Endzeit. Diesen Urgrund, den Krieg als einen Aspekt der menschlichen Auseinandersetzung zu betrachten, will man heute verdecken.

Aber die menschliche Auseinandersetzung, das ist eben auch der Avatismus, der in uns lebt, ist nun mal eine Bewährungsprobe, eine Behauptung des Härteren und darauf basiert die bürgerliche Gesellschaft. Das klingt heute furchbar nach NIETZSCHE und ist allenthalben in sog. linken Kreisen verpönt. Krieg zu ächten, ist ehrenhaft, moralisch unbestritten und eine (an-)ständige Aufgabe im Leben der Menschen. Nur: Die Unabhängigkeitskämpfe für die jeweiligen fundamentalistischen Regime konnten immer nur geführt werden, wenn der eigene Tod eingefordert wurde. Und weil das so ist, weil selbst das tägliche Berufsleben voll von diesen kriegerischen Auseinandersetzungen ist, von den schrecklichen Formalismen und unsauberen Unterscheidungen zwischen reaktionär/ konservativ, links/fortschrittlich, linksradikal/rechtsradikal, bürgerlich/kleinbürgerlich, gibt es immer nur den Auftrag zur Glorifzierung des Großen. Moderne ist auch das Aufgehen in diese Urinstinkte, die in den Fundamentalisten genauso schlummern wie einst in den japanischen Kamikaze-Fliegern, die sich mit ihrer Flugzeugen bewußt in den Tod fliegend auf den Gegner stürzten. Die extrem religiösen Eiferer, die z. Zt. auch wieder durch Teheran ziehen, und die die TAZ vom 12. Juli mit den warmen Worten umschrieb: 'Irans Studenten proben die nächste Revolution', wissen wohl schon gar nicht mehr, welche scharfen nationalen Frontstellungen sie da vom Zaune brechen. Und alle Welt schaut wieder einmal rückblickend auf die Ereignisse vor 20 Jahren, als es einst KHOMEINI war, der einen 'revolutionären Kurs' steuerte. Doch die meisten vergaßen dabei, daß er strikt auf islamische Egalität bedacht war, und seine Gegner ebenso liquidieren ließ wie der mehr und mehr verhaßte Schah.

Die 'Revolutionswächter' oder 'Pasdaran' hatten den Koran ja strikt konservativ ausgelegt und eine innenpolitische Mäßigung war damit vom Tisch: Vieles deutete darauf hin, daß man die extremistischen Elemente nicht zurückdrängen konnte, die auch vor Terror und Geiselnahme nicht zurückschreckten. Damals wie heute soll der Schwung der 'Islamischen Revolution' erhalten bleiben, die von Teheran auf ein weites Umfeld überzugreifen droht.

Die TAZ sieht die 'Tage der Theokratie' (12. Juli 1999) bereits gezählt; 'Reformpräsident' CHATAMI soll der Mann der Stunde seinund das militante islamische Gedankengut wird wieder einmal verschwiegen, so wie es Linke, Halblinke oder Scheinlinke schon immer getan haben, wenn sie sich gegenseitig beweihräuchern wollten, oder um Demonstrationen zu veranstalten, auf denen die 'Internationale Solidarität' eingefordert wird. So leicht kann man sich das machen. Religiös motivierte brutale Repression gegenüber anderen Glaubensrichtungen sind auch Hinweise darauf, daß breite Ausdehnungen über das eigene Territorium hinaus, mehr als möglich erscheinen. Die übergreifende islamische-algerische 'Heilsfront' (FIS) ist der Beweis dafür, und sie wird sich ebenso nicht von Regularien, Gesetzen und Verordnungen, die gegen sie gerichtet sind, davon abbringen lassen, Mord, Schrecken und Tod zu verbreiten.

Die Botschaft der Mullahs, die den Islam in die fanatische oder konservative Geistlichkeit führen wollen, der sich im Gegensatz CHATAMI und CHAMENEI niederschlägt, bleibt bei allen fanatischen Fundamentalisten gleich: Wir sind bereit für unsere Religion zu sterben.

Offenbar wird genau das von der westlichen Presse in ein ebenso falsches Licht gestellt, wie von denen, die Auflagengeil eine Mär nach der anderen verbreiten. Als ob es im Iran um 'eine klare Absage an den religiösen Charakter' geht (TAZ ,12. Juli 1999)? BARAK ruft durch einen angeblich-gemäßigten Kurs neue Spannungen hervor, die die gesamten Verhältnisse gründlichst ändern dürften; die islamischen 'Reformer' suchen einen neuen Märtyrer, der die Traditionalisten in die Schranken weist; selbst Jugoslawiens-Demonstranten suchen einen neuen starken Mann, der MILOSEVIC ablöst. In Kenntnis dieser Dinge kann selbst der Opportunist DRAGOVIC scheinbar ungehindert erneut die Fronten wechseln. Die Welt der Moderne ist tatsächlich fanatisch-radikalexplosiv und hat für Redlichkeit und hohe moralische Prinzipien keinerlei Gespür.

Womöglich kommt der Mensch mit seiner eigenen Vergänglichkeit nicht mehr klar, und diese muß sich immer wieder in den katastrophischen Prozessen niederschlagen.

Die Botschaft der Moderne ist auf eine reine gewiefte Taktik-Philosophie geschrumpft, die überall auf der Welt zu beobachten ist. Schon die ältesten Kultstätten waren nach magischen Regeln ausgestaltete Gräber, die irgendeine Form des Überlebens im mysteriösen Jenseits garantieren sollten. Hinzu kommt bei den Fudamentalisten aller Schattierungen eine Todessehnsucht, die der Flucht in eine 'bessere Welt' zusätzliche Impulse verleiht. In allen Fällen steht eine fanatische Religiösität vor all diesen Dingen. Dazu gesellt sich beim Medienkonsumenten eine an Entsetzen grenzende Ratlosigkeit, wenn er auf dem Bildschirm miterlebt, wie Völker in kollektive Hysterie verfallen, wenn 'Wohltäter' der Menschheit zu Grabe getragen werden, oder 'Weise' vor Millionen sprechen.

Da spielt es keine Rolle mehr, ob das im NahenOsten, im Iran, im Irak oder anderswo passiert. Der Gipfel der Absurdität ist immer dann erreicht, wenn Tyrannen das propagieren, was sie von anderen übernommen haben. Die einstige verhaßte Programmatik ist auf einmal wie durch ein Wunder nun wieder hochaktuell.

Wenn sich messianisch gebärderte Persönlichkeiten an die Spitze von Gemeinschaften stellen, kam noch nie etwas positives für die Menschheit dabei heraus. In ihrer totalen Hingabe an die Glaubensartikel verunmöglichten sie es, die eigenen Entscheidungen kritisch zu hinterfragen.

Für die Moderne ist eine 'patriotische Gegenbewegung' schnell ein total mißglücktes Experiment, wenn sie in irgendwelchen Staaten die Volksvertreter dazu zwingen kann, eine extreme Form der Beliebigkeitshascherei zu erzielen, nicht selten um den Preis, die Randgebiete des eigenen Imperiums in den Nationalismus oder den extrem staatlichen Fundamentalismus zu zwingen.

Dieser radikal-islamische Fundamentalismus wird mitteloder langfristig die Macht in vielen Ländern übernehmen, oder ist bereits dabei, das Spiel des ideologischen Weltmarkts für sich zu entscheiden. Eine Welt, die krisenhaft ist, wird auch versuchen, die, die sowieso keinerlei Hoffnung mehr haben, in den blinden, religiösen Fanatismus zu führen. Bei weitgehender Verelendung und zunehmender gesellschaftlicher Katastrophen, wird der postkatastrophe Show Down sicherlich auch im islamischen Fundamentalismus enden; der sich aus gewissen doktrinären Umklammerungen befreien wird, um dann endgültig seine totalitäre Makse zu zeigen.

Irans Stundenten, die heute für 'Pressefreiheit' und ein 'mehr an Demokratie' auf die Straße gehen, die 'Rechte des Volkes' einfordern, sind ebenso in die dirigistischen islamischen Staatsdoktrin eingefügt, wie der Machtapparat selbst. Die Mullahs lassen da nichts anbrennen; die angebliche Rivalität zwischen den Kontrahenten ist im westlichen Sinne nur modernes Management mit Zielgruppen und Popularitätsfindung. Erstaunlich ist, das Krawalle und Ausschreitungen, die nichts mit den Ereignissen vor 20 Jahren zu tun haben, als Neustart in den Regenbogen begriffen werden.

Die Islamische Republik, als ungezüngelte Gang, ist dabei, nur den Extremismus zu unterteilen; nämlich in 'Gemäßigte' und 'Hardliner'. Dazwischen wird es nichts gebenund erst dann, wenn die Mullah-Fraktionen ihre verhängnisvollen Wege erkennen könnten, bestände die Möglichkeit, tatsächlich Demokratie im westlichen Verständnis zu errichten. Offen bliebe dann natürlich die Frage, ob sie selbst dann noch dazu in der Lage wäre, den rasanten Verteilungskampf auf diesem Planeten zu beenden. Doch auf diese radikale Umorientierung bei den tieffundamental-religiösen Bevölkerungsschichten zu insistieren, würde gleichbedeutend mit dem Abstieg von einem Berg ohne Sicherungsseil sein. Der Leerraum, der jetzt durch eine gewisse Nischenpolitik entsteht, wird sich schnell wieder mit der alten Bewußtseinsspaltung füllen, wenn gewisse Außenseiter durch die Hinwendung zu Blutfehden und Staatsterror mit harter Hand den Koran einfordern. Im übrigen zweifelt im Iran niemand den Koran an, auch in Zukunft nicht. Er ist seinem Wesen nach theokratisch ausgerichtet, und in seiner Reinheit unantastbar. Das dürfte m E. die eigentliche Grundlage des Fanatismus sein.

Die Lehre durchdringt alle gesellschaftlichen und persönlichen Lebensbereiche bis in die Sexualität hinein, beherrscht die Politik. Das 'Ungeschaffene Wort Allahs' zieht in seiner Verunglimpfung schreckliche Strafen bis zum Tode nach sich. Wieweit das geht, muß nicht nur der Schriftsteller RUSHDIE seit 1989 erfahren, der immer noch im Untergrund leben muß, weil ihm fanatische Islamisten den Tod angedroht haben, sondern auch der bedauernswerte Deutsche HOFER, dem man anlastete, eine 'verbotene sexuelle Beziehung' zu einer Studentin gehabt zu haben..

Die fanatischen Mullahs werden die zaghafte innenpolitische Öffnung und eine gewisse außenpolitische Liberalisierung kaum dulden, sie als schwere Sünde abstempeln. Der Nachfolgekampf um das 'wahre Erbe' des Koran hat schon längst begonnen, nur der Westen hat das wieder einmal nicht bemerkt.  

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