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Quelle: bln.politik,de.

Offener Brief
an Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping
Bleiben Sie glaubwürdig, Herr Minister!    

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Wer im Kosovo gegen Vertreibung interveniert, darf nicht Panzer zur Kurdenverfolgung liefern    

Göttingen, den 6. Juli 1999

Sehr geehrter Herr Minister,

Milosevic hat in den letzten Monaten versucht, das Kosovo-Problem durch Massenmord und Vertreibung eines ganzes Volkes zu lösen. Gemeinsam mit den anderen NATO-Staaten haben Sie dafür gesorgt, daß diese Rechnung nicht aufging. Zum ersten Mal haben Sie in Sachen Völkermord deutliche Worte gesprochen: "Genozid, Selektion, Deportation". Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat mit dem Report "Genozid im Kosovo" (Juni 1999) den Vorwurf des Völkermordes belegt, nachdem sie unter anderem Befragungsteams in drei Nachbarländer des Kosovo entsandt hatte. Verfolgung und Vertreibung von Minderheiten geschieht jedoch nicht nur auf dem Balkan. Im Südosten der Türkei wurden in den letzten 15 Jahren mindestens 2,5 Millionen kurdische Kinder, Frauen und Männer aus ihren Heimatorten vertrieben. Die türkische Armee hat 3.428 kurdische Dörfer und Weiler zerstört. Und sie hat furchtbare Verbrechen an der kurdischen Zivilbevölkerung begangen. Auch die terroristische Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat unzählige Kriegsverbrechen begangen, Dorfgemeinschaften ermordet, politische Gegner liquidiert und zahlreiche Dörfer verbrannt.

Die liberal-konservativen Bundesregierungen sind durch Waffenlieferungen in Milliardenhöhe mitschuldig geworden. Deutsche Stahlhelme, Kalaschnikows aus NVA-Beständen und Panzerfahrzeuge fanden im Krieg zwischen türkischer Armee und PKK-Guerilla täglich Verwendung.

Jetzt wollen Sie, sehr geehrter Herr Minister, diese furchtbare Tradition wiederaufnehmen. Sie treten für die Lieferung von 120 deutschen Schützenpanzern vom Typ "Fuchs" an die Türkei sowie für die Lizenzproduktion weiterer 1.800 deutscher Panzer ein. Mit diesen geplanten Waffenlieferungen werden Sie Ihre moralische Glaubwürdigkeit verlieren. Sie bestärken die Militärs der Türkei, weiterhin Krieg zu führen, anstatt das Kurden-Problem friedlich zu lösen. Sie werden mitverantwortlich sein für neue Kriegsverbrechen. Sie werden neue Flüchtlingsströme auslösen und die Türkei weiter destabilisieren. Und Sie werden ebenfalls dazu beitragen, daß die Bombenanschläge von Extremisten sowohl bei uns als auch in der Türkei zunehmen. Bitte schließen Sie sich den Empfehlungen von Außen-, Entwicklungs- und Umweltministerium an, die sich gegen neue deutsche Rüstungslieferungen an die Türkei ausgesprochen haben. Geben Sie jenen Kräften in der Türkei eine Chance, die jetzt die Kurdenfrage durch Zugeständnisse an die kurdische Minderheit lösen wollen. Setzen Sie sich dafür ein, daß die europäischen Partnerstaaten der Türkei ein Wiederaufbauprogramm für die zerstörten Ortschaften Südostanatoliens in die Wege leiten.

Wir hoffen sehr, daß es nicht naiv von uns war anzunehmen, daß Sie mit Ihren eindrucksvollen Darstellungen nicht nur die NATO-Intervention im Kosovo legitimieren wollten, sondern daß Sie auch empört und entsetzt waren über die dort verübten Kriegsverbrechen an Kindern, Frauen und Männern.

Mit freundlichem Gruß
Tilman Zülch
Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker  

Weitergeleitet von:
J. Behrendt, Berlin, Fax 030 895 039 31, Tel.: 0170 402 07 43, eMail: kronacher@gmx.net  

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