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ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 428 / 08.07.1999

Vorwärts im Geiste des Blairismus!

Sozialdemokratische Modernisierer gehen ans Eingemachte

von
mb., Berlin

7/8-99 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: kamue@partisan.net ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Begeisterter Beifall der FDP, wohlwollende Aufnahme bei Teilen der Grünen, zynische Kommentare der SPD-Linken und besorgte Stimmen aus den Gewerkschaften: Die Reaktionen auf das Papier von Gerhard Schröder und Tony Blair zur Zukunft der europäischen Sozialdemokratie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Schröder gebärdet sich wieder als neoliberaler Einpeitscher.

"Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. Ein Vorschlag von Gerhard Schröder und Tony Blair" - so der ziemlich verunglückte Titel des Papiers, das der deutsche Bundeskanzler und der britische Premierminister wenige Tage vor der Europawahl der Öffentlichkeit vorstellten. (1) Aus Bonner Regierungskreisen war zu vernehmen, Blair habe die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt verlangt, denn eigentlich sollte das Papier erst kurz vor der Sommerpause veröffentlicht werden. Als Wahlkampf-Knüller hat sich das Papier nicht gerade erwiesen. Die Labour Party und die SPD mußten deutliche Verluste hinnehmen. Honoriert haben ganz im Gegenteil die WählerInnen in Europa jene sozialdemokratischen Parteien, die das Papier nicht unterschrieben haben.

Aber man sollte keine künstlichen Widersprüche aufbauen. Das Papier von Schröder und Blair spielte bei der Wahl im europäischen Rahmen natürlich so gut wie keine Rolle. Nur wenigen außerhalb Großbritanniens und Deutschlands war die Existenz des Papiers überhaupt bekannt. So erfuhr z.B. eine niederländische Gewerkschafterin, die im Deutschlandfunk zu den Thesen Stellung nehmen sollte, erst durch die Anfrage des Senders von dem Papier.

In der Substanz enthält es allerdings nicht viel Neues. Wer die Veröffentlichungen von Bodo Hombach in den letzten Jahren verfolgt hat, erkennt dessen Handschrift deutlich wieder. Und vieles, was Blair und Schröder hier zusammengetragen haben, gehört schon seit einigen Jahren zum programmatischen Repertoire der SPD, von dem der Labour Party ganz zu schweigen. Neu an dem Papier ist zweierlei: die Deutlichkeit, mit der alte sozialdemokratische Essentials kritisiert werden, und das Umfeld, in das hinein der Vorstoß vor allem in der BRD wirkt.

Praktisch akzeptieren Schröder und Blair alle Kernpunkte neoliberaler und zum Teil auch konservativer Kritik an bisheriger sozialdemokratischer Politik: "In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt" und es sei die "Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert" worden. Das sei eine "nachträgliche Delegitimierung der sozialdemokratischen Geschichte", kritisierte der Parteilinke Manfred Müller. In der Tat hauen die beiden großen Staatsmänner auch auf den Lieblingsbegriff der Sozialdemokratie ein, wenn sie schreiben, die Sozialdemokratie habe in der Vergangenheit "die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit statt mit Kreativität, Diversität und herausragender Leistung" verbunden. Zukünftig müsse - so Schröder und Blair - sozialdemokratische Politik deshalb "in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wissenschaftlichen Rahmen betrieben (werden), innerhalb dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert, sich aber nie als Ersatz für die Wirtschaft betrachtet".

"Bereitschaft zum Wandel der alten Mittel und traditionellen Instrumente" fordern die Smartboys. Und legen gleich noch eins drauf: Das Verständnis dessen, was "links" sei, dürfe "nicht ideologisch eingeengt" werden. Frank und frei erklären sie, wie ihrer Ansicht nach "links" zukünftig zu definieren sei: gute Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, durch "notwendige Kürzungen der staatlichen Ausgaben" den öffentlichen Sektor "radikal zu modernisieren", dabei aber "soziale Mindestnormen aufrechtzuerhalten".

Das Papier gipfelt in der Aufforderung, die "Linke" müsse "eine neue angebotsorientierte Agenda formulieren und umsetzen". In der Vergangenheit sei die europäische Sozialdemokratie mit hohen Steuern, insbesondere Unternehmenssteuern, identifiziert worden. Heute gilt: "Moderne Sozialdemokraten erkennen an, daß Steuerreformen und Steuersenkungen unter den richtigen Umständen wesentlich dazu beitragen können, ihre übergeordneten gesellschaftlichen Ziele zu verwirklichen." Deshalb müßte die Steuerbelastung von "harter Arbeit und Unternehmertum" reduziert, die Steuerbelastung insgesamt "neu ausbalanciert" werden.

Was natürlich auch nicht fehlen darf, ist die Kritik an den bestehenden sozialen Sicherungssystemen: "Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit, Arbeit zu finden, behindert, muß reformiert werden." Aus einem "Sicherheitsnetz aus Ansprüchen" soll ein "Sprungbrett in die Eigenverantwortung" werden. Also fordert man als erstes die Überprüfung aller Leistungsempfänger "auf ihre Fähigkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen".

"Welfare to work" ist das Schlagwort. Selbstverständlich plädieren Schröder und Blair für einen Niedriglohnsektor, "um gering Qualifizierten Arbeitsplätze verfügbar zu machen". Denn: "Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit." Drohend heißt es: "Wir erwarten ... auch, daß jeder die ihm gebotenen Chancen annimmt."

Der "Dritte Weg" zwischen Neoliberalismus und Wohlfahrtsstaat, dem Blair und Schröder hier das Wort reden, erschöpft sich in der verbalen Abgrenzung von einem "neoliberalen Laisser-faire". Statt dessen schwebt ihnen eine neue Art von Korporatismus vor, der die "Bereitschaft und Fähigkeit der Gesellschaft zum Dialog und zum Konsens" gewinnt und stärkt. Entscheidender Unterschied zur Politik der vergangenen Jahrzehnte ist dabei, daß den Gewerkschaften nur noch eine Rolle am Katzentisch zugedacht ist. Sie sollen nach Meinung von Schröder und Blair jeglichen gesamtgesellschaftlichen und allgemeinpolitischen Anspruch fallen lassen. "Wir wollen, daß (die Gewerkschaften) den einzelnen gegen Willkür schützen und in Kooperation mit den Arbeitgebern den Wandel gestalten und dauerhaften Wohlstand schaffen helfen." Der neue Juso-Vorsitzende Benjamin Mikfeld kennzeichnet das dahinterstehende Ansinnen so: "Es geht Schröder und Hombach nicht um politische Reformprojekte, sondern vor allem darum, eine neuen gesellschaftlichen Kompromiß zwischen der Kapitalseite und einer dubiosen ,Neuen Mitte` zu schmieden. Für den Rest bleibt der schöne neue Billiglohnsektor." (Freitag, 25.6.99)

Das Schröder-Blair-Papier läßt eine klare Richtung erkennen: Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, Steuersenkungen, Niedriglohnsektor, Zurücknahme der materiellen Staatsfunktionen, Privatisierung von Bildung und sozialer Sicherheit. Es liest sich in vielen Punkten wie eine allgemein gefaßte Vorwegnahme des Sparprogramms der Bundesregierung, das am 23. Juni vorgestellt wurde. Wie begründete Bodo Hombach den Text? Es gehe darum, eine "Spaltung" zwischen dem pragmatischen Vorgehen sozialdemokratisch geführter Regierungen und den sozialdemokratischen Parteien zu verhindern. Es gelte, ein "Theorie-Praxis-Loch" zu schließen. (Frankfurter Rundschau, 11.6.99)

Folgerichtig bedauerten die Kapitalistenverbände am heftigsten, daß Hombach aus dem Bundeskanzleramt weggelobt wurde. Hätten die deutschen Unternehmen dadurch doch eine "verläßliche Stütze" und den "Minister mit der höchsten Wirtschaftskompetenz" verloren. (Berliner Zeitung, 25.6.99)

Daß Hombachs Weggang mit einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der SPD zu tun hätte, ist nicht anzunehmen. Nach der Veröffentlichung des Papiers sahen führende Sozialdemokraten die Gefahr, daß es angesichts der Spar- und Steuerpläne der rotgrünen Bundesregierung als neue programmatische Grundlage der Bonner Tagespolitik verstanden werden kann. Dadurch sehen sie ihr Ansinnen konterkariert, die drastischen Einschnitte als notwendigen "Kraftakt" wegen der Schulden-Erblast der Kohl-Regierung hinzustellen. Indem Schröder den Buhmann der Parteilinken aus dem Regierungszentrum nimmt, schafft er sich mehr Spielraum, seine Vorstellungen auch gegen Teile der eigenen Partei durchzusetzen. Die kritischen Stimmen aus der SPD und den Gewerkschaften sind jedenfalls erst einmal verstummt, ihrer Kritik die Spitze genommen.

War der Rücktritt Lafontaines der erste Akt in diesem Stück, so ist das Schröder-Blair-Papier der zweite. Es geht darum, die SPD auf die "Neue Mitte" einzuschwören, die Traditionalisten (also die "Verteidiger" des klassischen Sozialstaats) zu marginalisieren, um so eine Modernisierungspolitik im Sinne Blairs durchzusetzen. Deren Hauptunterschied zum Neoliberalismus besteht darin, daß sie auf eine größere Massenbasis zurückgreifen kann und ehemalige KritikerInnen im "roten" und grünen Gewand eingebunden hat. Bislang ist das noch ein umkämpftes Projekt. Von der SPD-Linken ist dabei wenig Widerstand zu erwarten. Man solle das Papier nicht zu ernst nehmen, war die erste Reaktion eines führenden SPD-Linken. Auch beim ersten Praxistest, dem Spar- und Steuerpaket der Bundesregierung, fiel die Kritik aus der SPD verhalten aus.

Anmerkung:

1) Das Papier ist dokumentiert auf der Homepage der SPD (www.spd.de)

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