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aus: SZ (Süddeutsche Zeitung), v. 26./27. Juni 1999

Die "Operation Rückgabe" kann beginnen
Deutschland erhält vom amerikanischen Geheimdienst CIA erbeutete Unterlagen über DDR-Spionage in Kopie

von Hans Leyendecker

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Die ersten Formblätter und Statistikbögen sind von amerikanischen Spezialisten schon auf CD-ROM übertragen worden in Kürze kann die Operation Rückgabe beginnen. Der amerikanische Geheimdienst CIA wird deutschen Abwehrexperten große Teile der in den Wirren der DDR-Wende 1989 geraubten Akten der "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA) als Kopie aushändigen. Es handelt sich um das Wissen der HVA, der Stasi-Spionageabteilung, aus 40 Jahren. Schon vor Monaten hatte der im Kanzleramt für die Koordination der Geheimdienste zuständige Ernst Uhrlau auf Fachebene mit CIA-Chef George Tenet eine prinzipielle Verständigung erzielt. Auf dem Kölner Gipfel haben US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Gerhard Schröder den Handel abgesegnet vertraulich, wie es sich bei dem Thema gehört.

Es geht um einen der größten Raubzüge am Ende des Kalten Krieges. Amerikanische Spione hatten nach der Wende unter ungeklärten Umständen in einer Operation "Rosewood" (Rosenholz) das Herzstück des DDR Geheimdienstes gefipst. Dazu gehören die Personenkartei der Stasi, F 16 genannt, mit den Klarund Decknamen von mehreren tausend Spionen sowie die Vorgangskartei mit dem Titel F 22. Sie umfaßt die operativen Vorgänge der Späher des legendären HVA-Chefs Markus Wolf. Auch erbeuteten die Amerikaner aufschlußreiche Statistikbögen.

"Kellerkinder" blockten ab

Viele Jahre lang versuchte Bonn vergeblich, die in den CIA-Tresoren lagernden DDR-Unterlagen in deutschen Besitz zu bekommen; die USRegierung blockte immer ab. Washington genehmigte den Deutschen nur teilweise Einblick. Abwehrexperten des Bundesamtes für Verfassungsschutz durften seit 1993 lediglich Karteien mit den Namen der einst in Westdeutschland operierenden Ost-Agenten abschreiben, insgesamt 1900. Wahrscheinlich verschwieg die CIA aber die Namen der Spitzel und die vom Ausland aus operierenden Agenten; von Interesse wäre auch das Inlandsnetz der HVA.

Ende vergangenen Jahres hatte sich der Kanzleramtsminister Bodo Hombach erstmals um die Übergabe der Unterlagen bemüht. Offiziell lehnten die Amerikaner zwar zunächst, auch nach Gesprächen Hombachs in Washington, die Rückgabe der Akten ab. Die Alten der CIA, die von den Amerikanern "Kellerkinder" genannt werden, hatten Druck gegen das Projekt gemacht. Auch mißfiel der geheimnistuerischen CIA die öffentliche Diskussion über den Fall, und vermutlich hatten die Amerikaner etliche der enttarnten Spione umgedreht und für sich arbeiten lassen.

Nach Informationen der SZ bekommen die deutschen Abwehrexperten jetzt zunächst jene Unterlagen auf CD-ROM, die aus Sicht der Amerikaner für die Sicherheitslage Deutschlands von Interesse sind. Das wäre nicht sehr aufregend. Das Netz der HVA in der alten Bundesrepublik ist weitgehend enttarnt. Nach dem zwischen Bonn und Washington auf Fachebene ausgehandelten Kompromiß können die Deutschen auch Einsicht in Auslandsfälle der HVA erhalten, wenn diese für die deutschen Interessen von Bedeutung sein könnten. Amerikanische Sicherheitsbelange dürfen aber nicht berührt werden.

Im Gegenzug bekommen die Amerikaner, auf welchen Wegen auch immer, Einblick in die Schätze der Berliner Gauck-Behörde. Computertüftler des Gauck-Referates AR 7 haben Ende vergangenenen Jahres vier Magnetbänder der HVA mit der Bezeichnung "Sira" (System, Information, Recherche der Aufklärung) entschlüsselt. Auf den Bändern finden sich Kurzberichte darüber, was die Kundschafter der DDR-Auslandsspionage in den Jahren 1969 bis 1987 so taten insgesamt 180.000 Datensätze. Darunter sind knapp 10.000 Kurzbeschreibungen über Spionage in Nordamerika und die Ausforschung deutscher US-Einrichtungen.

Seit Monaten werten Spezialisten des Bundeskriminalamts und der Karlsruher Bundesanwaltschaft die Sira-Berichte aus. 4000 sogenannte Quellen werden überprüft. Ermittlungsverfahren können nur eingeleitet werden, wenn Staatsgeheimnisse verraten wurden, kein Urteil vorliegt und der Fall nicht verjährt ist. Einen Sira-Fall gibt es: Seit vier Monaten ermittelt die Karlsruher Bundesanwaltschaft wegen Verdachts des Landesverrats gegen einen früheren SPD-Funktionär, der bei den Sira-Auswertungen auffiel.

Wenn jetzt "Rosenholz" und "Sira" zusammengelegt werden, mag der eine oder andere neue Agentenfall darunter sein, aber große Überraschungen sind nicht zu erwarten. Die Geschichte der Republik muß nicht umgeschrieben werden. Auch ist den Spitzeljägern mittlerweile klar, daß die langgesuchten Jahresberichte der Stasi, von denen die Deutschen bislang nur zwei kennen, nicht bei den "Rosewood"-Unterlagen sind.

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