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Peter Handke und der NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Der sanfte Volksfreund
von Rayk Wieland

7/8-99
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Ihr Medien entwirklicht oder, besser, verformt jedes Mitgefühl, indem ihr zuerst mitbombt und dann die Stories der Gebombten verkauft, so wie eure Staaten, deren Spießgesellen ihr seid, zuerst Zerstörer waren und dann Friedensrichter spielen.
Peter Handke

Wenn dereinst im Rückblick auf den nunmehr, so scheint's, vorläufig beendeten Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien von den paar vernehmlichen Stimmen die Rede sein wird, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit unmißverständlich jede Legitimation der Nato-Killer und Humanitäts-Hyänen bestritten und zurückgewiesen haben; wenn unsere Enkel, wie jetzt immer wieder prophetisch-hypothetisch veranschlagt wird, eines fernen und kaum seligeren Tages fragen, ob da nicht vielleicht Einer die Demagogie und Barbarei dieses Menschenrechts-Interventionismus kenntlich gemacht hätte; wenn also, neben anderen, vor allen der Name von Peter Handke fällt und Partien seiner Notizen, offenen Briefe und Interviews herumgereicht werden, bestürzende Dokumente seines, unseres, wie nur wenige bornierten Zeitalters, wird man sich dann eventuell auch nach den Umständen erkundigen mögen, die aus nahezu allen seiner Kollegen, Berichterstattern, Kommentatoren, Handke nennt sie »Lohnjournalisten« und »Zeitungsratten«, radikalkonformistische Kriegserklärungslieferanten machten? Unwahrscheinlich ist es nicht, und für Klaus Theweleit, der genau dies schon durch die Inspektion etwa der Biographien von Gottfried Benn und Knut Hamsun rekonstruieren wollte, wäre hier ein weiteres, noch nicht abzusehendes Betätigungsfeld zu sichten, vorausgesetzt, Faktoten wie Peter Schneider oder Wolf Biermann verlohnten ein anderes denn polemisches Interesse, was getrost bezweifelt werden darf.

Oder Günter Grass, dessen SPD-Patriotismus allerdings nicht wirklich überrascht hat. Seit Jahrzehnten macht er den Duftwasserträger der Partei, für die seit ca. 1914 fast - so viel Blattdisziplin und Loyalität muß sein - kein Ernstzunehmender mehr einen Beitragsgroschen gegeben hat. Grass freilich schafft sein ganzes Vermögen dorthin. Als Kriegsbefürworter bekennt er sich immerhin zwar »mitschuldig an der Bombardierung von Zielen, die absolut nicht militärisch« seien, doch auch die Kriegsgegner »beladen sich mit Schuld«. Dergleichen Sonntagsredensarten sind seit den ersten Kriegstagen zu hören, doch Grass übererfüllt noch das staatsbürgerliche Soll und rührt seine Blechtrommel für das rotgrüne Kriegskabinett. Jämmerlich findet er, der offenbar ein deutsches Paralleluniversum mit einer kritikversessenen Parallelöffentlichkeit bewohnt, wie die deutschen Medien die Leistung der Bundesregierung während des »Kosovokonflikts« würdigen, »wie die Presse insgesamt mit so einem hervorragenden Außenminister wie Fischer und so einem hervorragenden Verteidigungsminister wie Scharping umgeht«. Auch der Bundeskanzler agiere »anerkennenswert«: »Ich ziehe da meinen Hut, ich habe jeden Respekt vor Fischer, Scharping und Schröder.«

Es war einmal ein Schriftsteller, ist man versucht mit Handke zu sagen, der mit dieser Wendung renommierte westeuropäische Zeitungen wie »El pais«, »Le Monde«, »Die Zeit« wg. Kriegspropaganda disqualifizierte. Doch war er, Grass, wirklich einmal einer? Taugte sein Werk jemals zu mehr als, sagen wir, ambitionierter Heimatdichtung? Müssen wir jetzt noch einmal Grassens dickleibiges Œuvre zu Rate ziehen, um auch hier literarisch verbrämte Macht- und Gewaltphantasien des Autors dingfest zu machen? Finden sich in der Schilderung des Treffens in Telgte womöglich Passagen, die nicht nur die Tagungen der Gruppe 47 nachbereiten, sondern auch den Ausgang des Treffens der G 8 in Petersberg bei Bonn vorwegnehmen? Mag sein. Mag im Butt und in der Rättin nachlesen, wem der noch jeden Verfassungspatriotismus unter sich lassende politische Klartext nicht genügt. Sachdienliche Hinweise, die zur Überführung des Schreibtischkriegers führen, nimmt das nächstgelegene PEN-Zentrum aber bestimmt nicht entgegen.

Zu befürchten ist allerdings, daß die dafür benötigten literaturkritischen Ressourcen momentan nicht zur Verfügung stehen. Seit Wochen sind die zuständigen Stellen damit beschäftigt, die Texte eines anderen Autors auszuweiden - Peter Handkes. Man muß, und dies ist wahrhaft zu degoutieren, weder dessen Werk noch die zahlreichen Kritiken kennen, um vorherzuwissen, was hier stattfindet: Hetze. In Zeiten der nationalen Mobilmachung ist Literaturkritik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die »Berliner Zeitung« läßt einen Alfred Goubran antreten und über das Gesamtwerk des Delinquenten richten. Handke sei kein Schriftsteller, sondern Zerstörer: »Und man kann von ihm lernen, wie man Welt durch Sprache zerstört. ... Ich habe nie verstanden, warum die Serben sich Handke so bereitwillig als Wirtskörper überlassen haben.« Alles klar. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Internationale Gerichtshof in Den Haag Anklage erhebt.

Nicht daß Handkes antimoderner Spätexistenzialismus, sein Hang zu Idylle und Tagtraum, zu religiösem Pathos, Bedeutungshuberei und blödem Landsmannkitsch sowie seine unverhohlene Serbophilie verborgen geblieben wären (s. in diesem Heft den Beitrag von Gerhard Scheit, S. 46) - aber im deutschen Feuilletonscharmützel geht es nicht um Werk oder künstlerische Konfession. Hier wird auf den Literaten gezielt, um den Kriegsgegner zu treffen, und das ist nur ein weiterer jener kalkulierten und vollauf beabsichtigten Kollateralschäden dieses Krieges.

Als ausgewiesenes militärisches Ziel erwiesen sich Handkes in der »Süddeutschen Zeitung« auszugsweise veröffentlichten Notate seiner Reise durch das zerbombte Jugoslawien. Hier kommen Stil- und Genrekritik zum Einsatz, moniert wird, daß der Reiseschriftsteller es an Realismus fehlen lasse und, statt die Ansprüche seiner Kritiker zu bedienen, den eigenen folgt. »Handke ist, dies dürfte interessanter als alle politischen Mitteilungen sein, die man seinem Serbienbericht (!) entnehmen kann, auf seiner Zeitreise pünktlich zum Jahrhundertende bei der völkischen Literatur der Zeit um 1914 angekommen«, schreibt im Regiment der vielen einer, Gustav Seibt, in der »Berliner Zeitung«. »Der Schmelz von Hans Grimm (Volk ohne Raum), das Pathos des Literaturhistorikers Josef Nadler, der Geist und Geschichte landschaftlich verräumte, das Lob der Armut in den Heimatromanen von Rosegger und Waggerl, all das ist wieder da.« So kann man es sehen, doch sollte man dann nicht das Wiederauftauchen des Völkerbundes miterwähnen? Sowie den Umstand, daß Handke, anders als Seibt und seine Weltkriegs-I-Patrioten, den deutschen Invasoren die Stimme eben nicht leiht?

Bemerkenswert und auch bezeichnend ist, daß Handkes deutliche Absicht, nämlich die Propaganda der westeuropäischen Frontzeitungen gegen Jugoslawien und ihre technizistische resp. Diplomatensprache zu konterkarieren, durchweg verschwiegen wird. Am 19.4.99, dem 27. Kriegstag, notiert Handke die Reaktionen der Bombenpresse auf die Freiluftkonzerte in Belgrad: »Dazu in ›Le Monde‹ ein fernsehender Kritiker: auch die afrikanischen Stämme, bevor sie ihre Jungen in mörderische Kriege schicken, putschen sie auf mit Tänzen und Musik ähnlich dem ›Rock‹ in Belgrad. ›Le monde‹: es war einmal eine Zeitung. Weiter eine andere Schlammfeder dazu in ›Die Zeit‹: laut Völkerpsychologen X.Y. gebe es ein neuartiges Phänomen einer pathologischen kollektiven Todesbereitschaft und des Massenselbstmords - interessant, siehe das Volk von Belgrad. ›Die Zeit‹: es war einmal eine Zeitung.«

Es war einmal? Märchen, die so beginnen, gehen meist gut aus. Handke ist inzwischen zwar aus der katholischen Kirche ausgetreten, jedoch nicht, weil die zu viel Frömmigkeit gezeigt hätte, sondern zu wenig. Er ist, wer wollte das bestreiten, gewiß kein großer Autor. Im Moment ist er der größte.
 

Quelle: konkret Heft 7/99

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