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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998
 

 

Aus: Zonen-Nachrichten 2/98

Tausche einen Karl Marx gegen einen Silvio Gesell?

Oder: Ist der Zins an allem Schuld? Über eine "Freiwirtschaftslehre", Tauschringe und ihre Verbindungen zur extremen Rechten und zu Neuheiden - Eine (fast) unendliche Geschichte

Im Sommer 1997 funkten einige sich alternativ fühlende Menschen aus dem kleinen norddeutschen Ort Hemmoor SOS. Eigentlich waren sie von den Vorzügen der um sich greifenden (gegenwärtig gibt es im Bundesgebiet ca. 300 davon) Tauschringe überzeugt gewesen. Man spart Geld, lernt Leute kennen, kann seine Talente sinnvoll einsetzen, auch wenn man nicht bezahlt beschäftigt ist, kann heute Leistungen in Anspruch nehmen und später "zahlen" ohne Zinsen aufbringen zu müssen, und, und, und... Trotz dieser unbestreitbaren Vorzüge gegenüber der üblichen Art des Wirtschaftens und der Dienstleistungen waren diese Mitglieder des TOSTA (das heisst: Tauschring Oste Talente) einigermassen verzweifelt.

Nach einem Jahr des Bestehens ihres Tauschringes wurde ihr Eindruck immer stärker, dass das Tauschen eigentlich nur ein Nebenprodukt im TOSTA war und für die Initiatoren scheinbar die Werbung für das Gedankengut der extremen Rechten mindestens ebenso wichtig war.

Alfred H. Beyer und seine Frau Sigrid, geschiedene Rothe, gaben entschieden die inhaltliche Richtung vor. Beide verstehen sich als entschiedene Anhänger der Wirtschaftstheorie von Silvio Gesell. Doch darüber waren die Verunsicherten nicht gestolpert, da sie über diese so gut wie nichts wussten - wie wohl die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger.

Aufgefallen waren ihnen zunächst andere Dinge an den beiden zentralen Personen des Tauschringes, die nach und nach ans Tageslicht kamen und zunächst entschieden abgestritten und dann - Stück für Stück - zugegeben wurden, nachdem die Faktenlage im dichter wurde: Alfred Beyer war und ist immer noch Regionalverantwortlicher der Deutschlandbewegung des völkischen Alfred Mechtersheimer, deren Propagandamaterial er auch an Tauschring- Aktivisten verteilte. Agitation gegen die Wehrmachtsausstellung folgte; seine Frau ergänzte dies durch geschichtsrevisionistische Äusserungen. In einem von Beyer als Tauschangebot eingebrachten Nietzsche-Arbeitskreis verteilte er ein Buch eines alten französischen Waffen-SS-Freiwilligen - herausgegeben von der beim Verfassungsschutz "wohlbekannten" heidnischen Tempelhof-Gesellschaft. Neuheidnische Neofaschisten hatten es ihm offenbar sowieso besonders angetan: er besuchte sowohl Treffen des Bund der Goden (Referent dort: der Naziterrorist Manfred Roeder) als auch die Hetendorfer Tagungswoche des NeonaziAnwalts Juergen Rieger, deren Trägerverein durch Niedersachsens Innenminister inzwischen endlich verboten worden ist. Wir könnten noch einige Zeit mit der Aufzählung der einschlägigen Aktivitäten Beyers fortfahren und auch durch die gleichgerichteten seiner Frau Sigrid ergänzen, aber wir wollen die geneigten Lesenden nicht ermüden...So weit, so schlecht.<D> Es stellen sich einige Fragen:

Ist das Gedankengut der extremen Rechten in Tauschringen eine Ausnahme?

Hat es irgendeine Wirkung auf die anderen Mitglieder gehabt? Steht das Gedankengut von Silvio Gesell, das in vielen Tauschringen die unausgesprochene Grundlage darstellt, in irgendeinem Zusammenhang mit rechtsextremen Denken? Und zuletzt: Ist die von Gesell propagierte "zinsfreie Wirtschaftsordnung" tatsächlich eine gangbare Alternative zum Kapitalismus?

In Hemmoor zumindest war einem grossen Teil der Tauschring-Mitglieder, die mehrheitlich aus dem grünalternativen Lager entstammten, ihre Kritikfähigkeit gegenüber der Rechten innerhalb nur eines Jahres weitgehend abhanden gekommen. Alfred Beyer, so die Leserbriefe zu seiner Verteidigung, sei ein "tiefsinniger, eigenwilliger Zeitgenosse", von Rechtsradikalität könne keine Rede sein, "nur weil man an eine bessere Welt glaubt ohne Umweltgifte, ohne Krieg, ohne Negativem". Beim ehemaligen Kreisvorsitzenden der Grünen ging die Identifizierung so weit, dass er die rechtsextremen Sprachvorgaben zur Kennzeichnung der auch in Erfurt gezeigten ,Wehrmachtsausstellung" übernahm. Mit den Kritikern wurde nicht diskutiert, sondern sie wurden mit überwältigender Mehrheit schlicht ausgeschlossen. Ungehindert Mitglied bleiben konnte dagegen die Witwe des Neonazis Edgar Geiss, die zur Tarnung in den Mitgliedslisten unter ihrem Mädchennamen geführt wurde.

Der dargestellte ,Tauschring Oste Talente" mag eine Ausnahme bei den Tauschringen für eine offenkundige versuchte Unterwanderung durch neofaschistische Kräfte sein (obwohl Hinweise auf weitere Fälle vorliegen). Er ist sicherlich keine Ausnahme in Hinsicht auf die Naivität einer grünalternativen Klientel, mit den Infiltrationsversuchen der Gesell- Anhänger umzugehen, bzw. auch auf die Naivität enttäuschter Linker nach dem Scheitern des realexistierenden Sozialismus und sogar anarchistischer Kräfte. So veröffentlichte der Berliner Karin Kramer Verlag vor einigen Jahren einen Sammelband über Gesell unter dem Titel "Der Marx der Anarchisten". Die wackeren Linksradikalen störte es dabei nicht, dass zu ihren Mitautoren mit Günter Bartsch ein langjährig bekannter Exponent der extremen Rechten gehörte. Der gleiche Autor hat auch die offiziöse Geschichte der Freiwirtschaftsbewegung in der Nachfolge Gesells verfasst in einem freiwirtschaftlichem Verlag, versteht sich.

Führende Mitglieder der Freiwirtschaftslehre wie Georg Otto (Eberholzen) oder Hans Kuehn (Osterode) sind noch immer Mitglieder bei Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben dort sogar ihren eigenen "Liberalsozialen Arbeitskreis". Sie wissen aber zugleich, dass ihr Tun in der Partei wegen der vielfältigen Verbindungen der Freiwirtschaftsbewegung zur extremen Rechten sehr misstrauisch beobachtet wird. Deshalb erfolgte wohl auch, trotz der offenen Bezugnahme auf Gesell auf den entsprechenden Internetseiten, bei einem Tauschringtreffen in Kassel die Anweisung, Gesells Ideologie zunächst nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen und eher die praktischen Aspekte der Arbeit zu betonen. Und in diesen praktischen Ansätzen sind ja durchaus positive Punkte einer Selbsthilfetätigkeit vorhanden, wenn auch die Tauschringen natürlich kein alternatives Wirtschaftsmodell für komplexe, hochtechnisierte und arbeitsteilige Volkswirtschaften darstellen Können. Nach einer Zeit, so die Strategie der Gesell-Jünger, werde man ohnehin erkennen, wer für die Ideologie ansprechbar ist und wer nicht. Die Struktur der Tauschringe selbst ist ein Garant dafür.

Handelt es sich um einen Zufall, dass führende Funktionäre der Freiwirtschaftsbewegung - so bezeichnen sich Gesells Anhänger - zugleich auf der extremen Rechten aktiv sind, oder sind solche Übergänge im Gedankengut des Meisters bereits angelegt? Horst Mikonauschke z.B. ist ehemaliger Landesvorsitzender der an Gesell orientierten Partei Freisoziale Union. Gleichzeitig gehört er dem Hauptvorstand der gelben "Gewerkschaft" Deutscher Arbeitnehmerverband an, die durch die neofaschistische NPD dominiert wird. Als Ende Juni der Arbeitskreis Wirtschaftspolitik der NPD seine konstituierende Sitzung in Leipzig durchführte, da gehörte er zu den Referenten. Als im November vergangenen Jahres die "neu"rechte Organisation Synergon ein Kolloquium auf der Sababurg durchführte, wo rechte Alternativen zum Liberalismus aufgezeigt werden sollten, da wollte dort auch die Gesell-Anhängerin Brigitte Cornelius das Gedankengut ihres Meisters zu Gehör bringen. Der Gründer der Gesell-Organisation Association Liberal Soziale Ordnung in Berlin ist ein früherer Aktivist der Republikaner. Kontaktanschrift für den Tauschring in Worms ist ein Publizist und heidnischer Aktivist, der in seiner früheren Zeitschrift "Mescalito" auch offene Neofaschisten schreiben liess. Alles nur Zufall?

Nein, eigentlich eher eine konsequente Nachfolge Gesells. Dieser war zumindest in seinen letzten Lebensjahren in der Weimarer Republik in einer völkischen Gemeinschaft in Berlin ein entschiedener Verfechter der Eugenik.

Gesells Wirtschaftslehre, die nach Meinung seiner Anhänger durch die Abschaffung des Zinses auch die Ausbeutung abschaffen soll, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine verquaste, modernisierte und ansprechender verpackte Variante des alten Manchester-Kapitalismus. Der funktionierende Markt wird als Allheilmittel für alle ökonomischen Krisensymptome betrachtet. Der Markt könne aber nicht funktionieren, so Gesell, da es den Zins in der Wirtschaft gebe, also Gewinn ohne Arbeit und ohne unternehmerische Initiative erzielt werden könne. Der Zins wirke deshalb investitionshemmend und verhindere ein optimales Wirtschaftswachstum. Die "Grenzen des Wachstums" kennt Gesell nicht und will sie nicht sehen. Wachstum ist das zentrale Kriterium in seinen Wirtschaftsvorstellungen. Denn nur dieses garantiere einen ausreichenden Absatz: "Absatz, Absatz, das ist es, was wir Unternehmer brauchen, regelmässigen gesicherten Absatz, Aufträge auf lange Zeit im voraus, denn auf Regelmässigkeit des Absatzes der Waren ist die Industrie angewiesen. Wir Können doch nicht jeden Augenblick unsere eingearbeiteten Leute entlassen, jedesmal, wenn der Absatz stockt, um kurze Zeit darauf neue, ungeschulte Leute einzustellen." So Gesell in seinem Hauptwerk "Die natürliche Wirtschaftsordnung". Natürlich ist es für ihn, dass Menschen entlassen werden, wenn der Absatz auch nur stockt! Natürlich spielen Organisationen wie Gewerkschaften in seinen Überlegungen höchstens eine Rolle als negativer Störfaktor. Von solidarischer Gesellschaft, derer Keim ja nach eigenem Anspruch die Tauschringe sein sollen, ist nirgends die Rede. Es herrscht der Ellenbogen. Es ist das Hohelied des "freien" Unternehmers, das Gesell singt. Frei soll er sein von allen staatlichen Beschränkungen und Sozialverpflichtungen. "Wirtschaft hat, wie jeder Betrieb, ihre Eigengesetzlichkeit.", schreibt Gesell. "Was immer wir tun, wir müssen diese Eigengesetzlichkeit sich frei entfalten lassen. Wirtschaft ist in sich frei. Freiwirtschaft."

Arbeitsschutz- oder Kündigungsschutzbestimmungen? Kokolores! Aus dem gleichen Grund, der angeblich notwendigen Zurückdrängung der Rolle des Staates, strich die ihren ökologischen Ansatz betonende Freisoziale Union auch die Forderung nach gesetzlichen Verpflichtungen zum Umweltschutz aus ihrem Parteiprogramm.

Kapitalismus wird bei Gesell ausschliesslich als ein Phänomen der Zirkulationssphäre begriffen, vollkommen unabhängig von den Produktionsverhältnissen, die er nicht anrühren will, die ihm sogar heilig sind. Kapitalismus, so Gesells ideologischer Nachfahr Hans Kuehn, existiere seit 5.000 Jahren, seit der Einführung des Zinses. Ebenso eigenwillig ist Gesells Definition der soziologischen Kategorie Arbeiter: "Als Arbeiter im Sinne dieser Abhandlung gilt jeder, der vom Ertrag seiner Arbeit lebt. Bauern, Handwerker, Geistliche, Offiziere, Könige sind Arbeiter in unserem Sinn."

Daneben äussert er sich auch demokratiefeindlich und tendenziell rassistisch. Sozialdarwinistisch verkündet er: "In Taelern und auf Inseln wohnende oder durch Mauern und Zölle abgeschlossene Völker verkümmern, sterben aus. Handelsvölker dagegen, die mit allen Erzeugnissen der Erde ihr Blut würzen, bleiben frisch, vermehren sich und erobern die Welt." Die Übernahme seiner Ideen ist für ihn ein Muss - bei Strafe des Untergangs für die Widerstrebenden. Das diktatorische Element in seiner angeblich so freien Lehre wird unübersehbar: "Die Völker, Staaten, Rassen, Sprachgemeinschaften, religiösen Verbände, die auch nur im geringsten den Freilandbegriff einzuengen suchen, werden geächtet, in Bann getan und für vogelfrei erklärt." Merke: wenn jemand vogelfrei ist, so die historische Definition, darf er von jedem ungestraft getötet werden! Wenn schon die Rechte von Menschengruppen bei ihm gering geachtet werden, dann haben die einzelnen Menschen erst recht nichts zu lachen: "Die Rechte der Massen Können niemals eng genug begrenzt werden." Man kann ihm zumindest nicht vorwerfen, dass er nicht deutlich wäre.

Da muss doch einfach jedem Rechtsextremen das Herz im Leibe lachen! Es ist also nur logisch, dass es vielfältige personelle Verbindungen zwischen den Anhängern Gesells und der extremen Rechten bestehen, da auch ideologische Übereinstimmungen gegeben sind. Da aber die Tauschringe getrost als freiwirtschaftliche Vorfeldorganisationen angesehen werden dürfen, sind auch hier solche Überschneidungen zu erwarten. Das Beispiel Hemmoor war also ebenfalls mehr als ein Zufall. Vorsicht ist geboten.

Damit ist nichts gegen Versuche der Selbsthilfe und der Solidarität in den unterschiedlichsten Formen gesagt. In diesen Zeiten zunehmenden Sozialabbaus und wachsender Verelendung sind sie notwendiger denn je. Tauschringe z.B. können allein schon deshalb einen positiven Effekt haben, da sie Nähe schaffen, Kommunikation in einer immer unpersönlicher werdenden Gesellschaft erleichtern. Sie können zwar Probleme nicht lösen, sie zumindest aber lindern. Grundsätzlich gilt natürlich auch hier: wer an den Herrschaftsverhältnissen nichts ändern will, der pfuscht lediglich an den Symptomen herum. Die zu bekämpfende Wurzel des Übels ist und bleibt die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Davon versuchen die Gesell- Anhänger in den alternativen Wirtschaftsprojekten abzulenken. Die Übergänge nach rechts dabei sind fliessend.

Volkmar Woelk

Mehr Infos über: http://www.dgb-bwt.com/

 

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