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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998

aus: /cl/fluechtlinge/allgemein
von: GEGENWIND_WEINHEIM@LINK-MA.cl.sub.de
vom: 28.07.98



KOSOVA - Gewaltorientierung entgegentreten!

Erklaerung des Komitees fuer Grundrechte und Demokratie

Waehrend des Bosnien-Krieges sind nicht wenige friedenspolitisch
engagierte Buergerinnen und Buerger in einen inneren Zwiespalt
geraten: sich einerseits gegen Krieg und Militaer zu wenden, aber
andererseits doch den Einsatz der Waffen der Grossmaechte zu
wuenschen, um Menschenleben zu retten und dem Krieg Einhalt zu
gebieten. Der aufbrechende Kosovo-Konflikt mag aehnliche Gefuehle
wieder aufkommen lassen. Deshalb wollen wir im Folgenden erklaeren,
wie wenig hilfreich, ja sogar die Bedrohung verschaerfend das
Waffenrasseln der NATO ist. Diese Politik der fortschreitenden
Militarisierung kann die Situation auf dem Balkan destabilisieren und
dann mehr, und nicht weniger Menschenopfer fordern. Wir treten deshalb
unbeirrt, gemeinsam mit vielen anderen in der Friedensbewegung, fuer
eine zivile Politik der Konfliktbewaeltigung ein.

I. Militaereinsatz als letztes Mittel - oder der Weg in die selbstgebaute "Falle"

Im Kosovo (serbische Bezeichnung) zerschiessen serbische
Sonderkommandos, Polizei und Militaer Doerfer. Sie vertreiben und
toeten kosova-albanische (albanische Bezeichnung) Dorfbewohner. Gegen
die langjaehrige serbische Unterdrueckung und Entrechtung der Kosova-
Albaner haben einige von ihnen zu den Waffen gegriffen und die
"Befreiungsarmee" UCK gebildet. Der bisherige beispielhaft gewaltfreie
Widerstand der albanischen Bevoelkerung gegen die serbische
Unterdrueckung droht unter dem Ansturm nationalistischer Militanz von
beiden Seiten zusammenzubrechen. Soll der Kampf um den Kosovo/a wie in
Bosnien militaerisch-zerstoererisch ausgetragen werden?

Der Westen hat die friedlichen Kosova-Albaner im Stich gelassen

Das Ausmass der Entrechtung der Albaner und die Brisanz der Situation
im Kosovo ist im Westen seit vielen Jahren bekannt. Nicht nur
friedensbewegte Gruppen mahnten immer wieder. Trotzdem wurde der
Kosovo-Konflikt im Dayton-Abkommen ausgeklammert. Ferner erfuhr die
gewaltfreie Politik der Kosova-Albaner vom Westen keine wirksame
Unterstuetzung im Sinne vorbeugender Konfliktbearbeitung. Die
westlichen Regierungen, die nicht muede werden, ihnen nicht genehmen
Terrorismus anzuprangern, versagten so denjenigen die Unterstuetzung,
die ueber viele Jahre friedlich um eine politische Kompromissloesung
rangen. Die NATO-Staaten setzten in ihrer Balkanpolitik vielmehr
darauf, dass der Kriegstreiber Milosevic und die ihn stuetzenden, zum
Teil offen faschistischen Kraefte die Ruhe auf dem Balkan nach Dayton
aufrechterhalten wuerden.
Seitdem dieses skrupellose geopolitische Konzept - wie vorhergesagt -
zu scheitern beginnt, drohen die NATO-Staaten jetzt mit
Militaerschlaegen und preisen ihre Bereitschaft zu angeblich
humanitaerer Militaerintervention. In Wirklichkeit haben sie diese
"Situation des Einsatzes des letzten Mittels" wesentlich selbst mit
verursacht - ein weiterer Schritt zur Militarisierung von
Aussenpolitik!

Militaerintervention koennte den Krieg ausweisen

Dabei rueckt eine Loesung der Kosovo-Problematik in weite Ferne. Das
Prinzip der Unverrueckbarkeit der Grenzen durch militaerische Gewalt
verbietet die Bildung eines eigenen Kosova-Staates, waehrend
mittlerweile ein grosser Teil der Kosova-Albaner eine Autonomie-
Loesung innerhalb Jugoslawiens ablehnt und einen eigenen Staat
fordert. Eine NATO-Intervention wuerde jedoch die Separatisten unter
den Kosova-Albanern staerken und den Konflikt auf Mazedonien mit
seiner grossen albanischen Minderheit und auf Albanien ausweiten. Dann
Wird ein Grossalbanien gefordert werden und der ganze
Balkan aus den Fugen geraten. Die angeblich friedenstiftende
Militaeraktion laeuft Gefahr, die jetzigen gewalttaetigen
Auseinandersetzungen zum Balkan-Krieg auszuweiten.

Zerstoererische Missachtung internationalen Rechts

Nun raecht sich, dass die NATO-Staaten den Aufbau einer
gesamteuropaeischen Friedensordnung, wie sie noch in der Pariser
Charta von 1990 versprochen wurde, zugunsten von NATO-Osterweiterung
und NATO-Interventionen sabotiert haben. Wie sehr dabei nur noch auf
die eigene Macht gebaut wird, zeigt sich in der Bereitschaft
fuehrender westlicher Politiker, einschliesslich des
Bundesverteidigungsministers, die NATO-Intervention auch ohne
Zustimmung des Weltsicherheitsrates unternehmen zu wollen. Die
geballte Militaermacht soll offensichtlich internationales Recht
ueberfluessig machen. Diese Vorgehensweise entwertet und zerstoert
letztlich diese wichtige internationale Institution.

II. Der Weg aus der Sack- gasse: Perspektive eroeffnen,
Dialog mit Gesellschaften, nicht nur mit den Politikern


Unter sozialer und wirtschaftlicher Not leidende Menschen, Eltern,
die um ihre Soehne bangen, BuergerInnen, die die verheerenden
Wirkungen des nationalistischen Kriegskurses durchschaut haben und das
sind zusammen nicht wenige ihnen allen und den noch Zoegernden muss
eine Perspektive fuer eine friedliche, kooperative Entwicklung auf dem
Balkan aufgezeigt werden. Die Menschen aller Gruppierungen und Voelker
koennen dadurch begreifen, dass sie gegeneinander nur verlieren
werden, aber im Miteinander ueber ethnische Grenzen hinweg alle
gewinnen koennen.
Die Perspektive besteht im Beginn einer Balkan-Kooperation, die als
langfristiges Ziel eine Verbindung mit der EU ermoeglicht. Daran
koennen sich alle Voelker beteiligen, die kooperationsbereit sind und
auf gewaltsamen Konfliktaustrag verzichten. Hierueber ist mit den
Gesellschaften, also den Buergerlnnen in Serbien, Montenegro, und
selbstverstaendlich in Kosovo/a ein offener und oeffentlicher Dialog
in den vielfaeltigsten Formen so zu entwickeln, dass er nicht von den
Herrschenden unterbunden werden kann. Das Gespraech mit den
taktierenden Milosevics, die nur ihren Machterhalt im Auge haben, ist
unzureichend. Die Menschen selbst muessen ihren Friedenswillen in
allen Bereichen entfalten. Das bedeutet gleichzeitig einen grossen
Schritt in Richtung Demokratisierung.

Eine "Konferenz fuer Sicherheit und Zusammenarbeit"?

Aus dem Ausland, aus den vielen Staaten Europas muss die Botschaft
von oben und unten kommen: Wir sind an Eurer Seite und fuer Euch, wenn
ihr Euren Geschwisterkampf beendet und Euch zur Kooperation
zusammenfindet. Westpolitiker werden nach den erforderlichen
Finanzmitteln fragen. Doch eine solche Politik ist viel billiger als
militaerische Interventionen. Sie ist fuer alle, einschliesslich der
EU-Staaten, viel zukunftstraechtiger. Das politische Instrument, um
eine solche Kooperation in Gang zu setzen, koennte eine
institutionalisierte Dauerkonferenz sein, wie sie im Ost-West-Konflikt
in der Form der "Konferenz fuer Sicherheit und Zusammenarbeit" (KSZE,
heute OSZE) recht erfolgreich praktiziert wurde.
Einen solchen Prozess der Ueberwindung von Krieg einzuleiten,
verspricht auch, die sich neu aufbauenden Mauern in Europa zwischen
Ost und West und vor allem gegenueber Russland abbauen zu koennen.
Selbstverstaendlich koennen sich alle europaeischen Staaten an diesem
Prozess beteiligen. In ihm geht es nicht mehr um den scheinbar
ethnischen Konflikt zwischen Kosova-Albanern und Serben, sondern
zwischen kooperationsbereiten Kraeften auf dem Balkan und nicht-
kooperationsbereiten, die Vorteile fuer sich mit Gewalt zu erreichen
suchen.

Druck durch Embargo ist nicht auszuschliessen

Milosevic und die Kraefte, die ihn stuetzen, sind anscheinend noch
immer bereit, fuer ihre Herrschaftsziele ganze Gesellschaften zu
terrorisieren und nationalistisch zu verhetzen. Gegen sie ist das
Instrument des Embargos einzusetzen und zwar so, dass die humanitaeren
Belange der Bevoelkerung beruecksichtigt werden. Durch den
grenzueberschreitenden oeffentlichen Dialog muss der Bevoelkerung
vermittelt werden, mit welchem Ziel, das letztlich auch ihnen nutzt,
das Embargo eingesetzt wird. Wir erinnern uns an das Votum der
schwarzen Bevoelkerung in Suedafrika fuer eine Fortsetzung des
Embargos gegen die Apartheid.

III. Sofort moegliche Schritte

Im gegenwaertigen Jugoslawien broeckelt vielerorts der
nationalistische Kitt: In Montenegro will man sich nach aussen
oeffnen, Polizisten verweigern den Kampfeinsatz im Kosovo, Muetter
fordern ihre Soehne aus der Armee zurueck. Das aufkommende
zivilgesellschaftliche Bewusstsein gilt es zu staerken. Die
Bereitschaft, ethnische Borniertheit zu ueberwinden, muss aus der
Gesellschaft selbst kommen.

  • Von allen Ebenen und Institutionen der Gesellschaften soll die
    Aufforderung an beide militante Seiten ausgehen, den gewaltsamen Kampf
    von sich aus und ohne Bedingungen einzustellen, weder Kosova-Albaner
    noch im Kosovo lebende Serben zu vertreiben, sondern ihre Rueckkehr zu
    foerdern.
  • Unterstuetzung aller Kraefte und Gruppierungen, die sich fuer eine
    friedliche Loesung einsetzen. Diese Unterstuetzung kann in
    vielfaeltiger Form erfolgen. Durch Bereitstellung finanzieller
    Mittel, durch Einladungen ins Ausland, um den Gruppen ein
    internationales Forum zu geben, durch Bereitschaft der Medien, die
    gewaltfreie Arbeit bekannt zu machen, durch die Ausrichtung von
    Regionalkonferenzen, auf denen sich Friedens- und Anti-Kriegs-Gruppen,
    Gruppen aus verschiedenen Staaten der Region besprechen und
    Zusammenarbeit vereinbaren koennen usw.
  • Humanitaere Hilfe und Solidaritaet werden erkennbar, wenn die
    bisherigen Kriegsopfer unterstuetzt werden, so dass zerstoerte Doerfer
    wieder aufgebaut werden koennen.
  • Einleitung und Unterstuetzung von Dialogen ueber internationale
    Beobachtergruppen, Arbeitsmoeglichkeiten fuer Fluechtlings-,
    Menschenrechts- und Friedensorganisationen
  • Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, soweit sie fliehen
    koennen, muessen aufgenommen werden, und Fluechtlinge sind aus den
    Aufnahmelaendern nicht zurueckzuschicken, solange die Gefahr besteht,
    dass sie in Serbien zum Kriegsdienst in den Kosovo geschickt werden
    und sie selbst eine sichere Rueckkehr nicht fuer moeglich halten.
  • Die Entfaltung einer Perspektive fuer zukuenftige Entwicklung und
    Vertrauensbildung gehoeren zusammen. Darum ist es wichtig, dass auf
    vielen Ebenen (Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbaenden,
    Wissenschaft, Medizinern, Wirtschaftsleuten usw.) Serien von
    Zusammenkuenften organisiert werden, in welchen Erwartungen und
    Moeglichkeiten der Entfaltung von Zusammenarbeit eroertert werden.
  • Von der EU sollten Konsultationsgespraeche ueber
    Balkanzusammenarbeit, erforderliche Vorbereitungsschritte und
    Verfahren eingeleitet werden.

Diese und viele andere Schritte der Deeskalation, sowie des Aufbaus
von Vertrauen und Kooperationsfaehigkeit werden durch einen Stopp des
Konfliktaustrages auf der militaerischen Ebene, einschliesslich der
militaerischen Interventionsdrohungen der NATO gefoerdert.

IV. Der Gewaltorientierung der NATO-Politiker entgegentreten!

Die Bearbeitung von Konflikten mit zivilen Mitteln ist dringlich. Es
gibt keinen Grund, der Gewaltpanik der NATO-Politiker zu folgen, die
absichtlich oder nur aus politischer Unfaehigkeit den Kosovo-Konflikt
an den Rand des Krieges haben treiben lassen. Aus deren Versagen
versuchen die Militaers eine Dauerlegitimation fuer staendige
Aufruestung zu schmieden. Man muesse ja, wie die verruchte Politik
Belgrads zeige, ueberlegenes Militaerpotential als "letztes Mittel"
zur Verfuegung haben. Eine humane, zukunftstraechtige Friedenspolitik
zu entwickeln, haben bisher die Bundesrepublik und alle anderen NATO-
Staaten, die dem Anschein nach so humanitaer-fuersorglich militaerisch
intervenieren wollen, fahrlaessig oder aus Interesse an weiterer
Aufruestung versaeumt.
Dagegen stellen wir die Forderung nach einer Politik, die Konflikten
vorbeugt, sie mit politischen und zivilen Mitteln deeskaliert und in
ihrer Nachbearbeitung Perspektiven fuer die sinnvolle und friedliche
Fortentwicklung und die Loesung neuer Probleme verankert. Das gilt
auch fuer unsere Haltung zum Kosovo/a.

Verantwortlich i.S.d.P.: Andreas Buro, Graevenwiesbach


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