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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998
 

aus *UZ* unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 30

Parteien auf dem Prüfstand
Bündnisgrüne: Zittern um die fünf Prozent

       Was ist an den Grünen noch grün? Mancher, der in der
       Vergangenheit die damalige "Bürgerschreck"-Partei
       sympathisch fand, überlegt sich, ob er diese Partei heute
       noch unterstützen kann. Bundestagsfraktionschef Fischer, der
       weithin als prägende Leitfigur der Bündnisgrünen gilt, hat
       der Ökopartei eine Anpassungskur verordnet, die ihrem Anhang
       immer größere Schwierigkeiten bereitet, sich in Politik und
       Praxis der Bonner Promis wiederzufinden.

       Ein Beispiel: Der Wahlparteitag in Magdeburg hatte einen
       Antrag abgelehnt, der die Verlängerung der Beteiligung der
       Bundeswehr an der Besetzung Bosniens durch die Nato billigen
       sollte. Ein Teil der grünen Bundestagsfraktion stimmte
       dennoch für die von CDU-Minister Rühe für sein
       Bundeswehr-Kontingent gewünschte Verlängerung des
       Bosnienabenteuers.

       Aus der Mitte derer, die sich über den eigenen Parteitag
       hinwegsetzten, kam dann auch prompt der ultimative Ruf nach
       Rücktritt des Vorstandsprechers Jürgen Trittin wegen eines
       angeblich falschen antimilitaristischen Zungenschlags.
       Trittin hatte nicht mehr getan als anläßlich des Spektakels
       einer öffentlichen Vereidigung von Bundeswehrrekruten in
       Berlin daran zu erinnern, daß die Zeiten, in denen
       dergleichen in Deutschland erfunden und allgemein
       praktiziert wurde, nicht demokratische waren. Mit Müh' und
       Not und nur im Interesse einer höheren Parteiräson konnte
       der sich entwickelnde Eklat dann zunächst noch verhindert
       werden.

       Das eigentliche Thema der Bündnisgrünen - die Ökologie -
       läßt ebenfalls Abrücken von früher einmal als
       selbstverständlich angesehenen Positionen erkennen. Da
       erinnert sich plötzlich jemand, daß im grünen Wahlprogramm
       etwas von einem "Tempolimit hundert" auf Autobahnen und von
       "dreißig" in geschlossenen Ortschaften steht, da bekommen
       maßgebliche Fraktionsgrößen in Bonn schon wieder
       Fracksausen. SPD-Spitzenmann Schröder geht auf Distanz. Die
       Regierungsparteien - freie Fahrt für freie Bürger - schreien
       Alarm. Einige Grüne bejammern die angeblich falsche
       Weichenstellung.

       Tempolimit ist nun zweifelsfrei nicht die zentrale Frage des
       Bundestagswahlkampfes, der vom Thema der
       Massenarbeitslosigkeit beherrrscht wird. Aber die
       Grundorientierung darauf bleibt dennoch allemal richtig,
       wenn zur Lösung von Problemen wie Waldsterben und Ozonloch
       beigetragen und die Unfallhäufigkeit wesentlich vermindert
       werden soll. Erst spät reagierten Sonnenblumenpromis in Bonn
       mit dem Hinweis, daß dies doch so verkehrt nicht sein könne.
       Was bleibt ist der fatale Eindruck, daß man inzwischen die
       grüne Partei mit urgrünen Themen ins Bockshorn jagen kann.
       Das Festhalten an einer Zehnjahresfrist für den Ausstieg aus
       der Atomenergie, das von der SPD als anvisiertem künftigen
       Bonner Koalitionspartner bereits zurückgewiesen wurde,
       relativiert diesen Eindruck wenig.

       Und was bieten Fischer und Co. zur Bekämpfung der
       Arbeitslosigkeit an? Eckpunkt ihrer Forderungen ist eine
       ökologische Steuerreform, die höhere Belastungen beim
       Energie-, vor allem beim Mineralölverbrauch vorsieht, um
       finanzielle Manövriermasse für die Verbilligung von
       Lohnnebenkosten zu erhalten. Ursprünglich gipfelte dieses
       Konzept in dem Wunsch, innerhalb von zehn Jahren den
       Benzinpreis auf 5 DM pro Liter anzuheben. Der Aufruhr, den
       dieses das Autofahren zum Privileg von Betuchten machende
       Wunschbild auslöste, brachte die für den sektiererischen
       Unfug Verantwortlichen dazu, eigens eine abgemilderte
       "Kurzversion" des Wahlprogramms in Umlauf zu bringen, in dem
       zu diesem Punkt im wesentlichen nur das gleiche steht, was
       auch SPD und CDU über eine Ökosteuer sagen.

       Der entscheidende Haken liegt darin, daß solche Konzepte die
       als falsch erwiesene These stützen, die Arbeitslosigkeit
       könne durch "Verbilligung" der Arbeit bekämpft werden statt
       zum Beispiel durch ökologische Innovation vor allem in der
       Industrie oder durch einen öffentlich geförderten
       Beschäftigungssektor. Sie kehren auch nicht die von der
       Kohl-Regierung betriebene Umverteilung von unten nach oben
       endlich um. Sie offerieren nur neue Varianten von
       Massenbelastungen. In einem Wahlkampf, der die prinzipielle
       Änderung des Bonner Pleitekurses auf die Tagesordnung
       gesetzt hat, propagieren diese Orientierungen nur dessen
       Fortsetzung mit leicht gewandelten Mitteln. Nicht an die
       Milliardäre, an die industriellen Großverschmutzer und
       -belaster von Natur und Umwelt möchte man sich
       staatstragenderweise halten, sondern lieber wie gehabt beim
       sogenannten kleinen Mann abkassieren. Daran ändert auch
       nicht viel der Vorschlag, eine Sonderabgabe auf große
       Vermögen zu erheben. Wer ein Privatvermögen von mehr als
       zwei Millionen hat, soll einmalig 2,5 Prozent an den Fiskus
       abführen. Realogrößen wie der finanzpolitische
       Fraktionsprecher Metzger oder die Ministerkandidatin Sager
       schwätzten den Grünen zum Ausgleich dafür die Forderung nach
       einer substantiellen Absenkung des Spitzensteuersatzes auf.
       Im Grunde unterscheidet sich die Ökopartei - wie auch die
       SPD - nur graduell, aber keineswegs prinzipiell von dem
       durch und durch asozialen Steuerprogramm der schwarzgelben
       Koalition.

       Was bleibt unter solchem Vorzeichen noch positiv an der
       grünen Wahlposition? Außer Absagen an den Abschottungs- und
       Abschiebekurs der Regierung gegen Asylsuchende und andere
       unerwünschte Ausländer bleibt nicht allzuviel. Im Gegensatz
       zur SPD, die alle reaktionären Machenschaften der Regierung
       in der Rechts- und Sicherheitspolitik mittrug und -trägt,
       haben die Grünen wenigstens in diesen Bereichen sich an der
       Aushöhlung des Grundgesetzes nicht beteiligt.

       Ihr Problem ist, daß sie sich dennoch in wesentlichen
       Punkten derartig den Regierenden und Etablierten angepaßt
       haben, daß sich ihr traditioneller Anhang kaum noch in der
       offiziellen grünen Politik wiedererkennt. In das Wahljahr
       1998 stieg diese Partei mit einem Burgfrieden zwischen den
       verfeindeten Flügeln "Realos" und "Fundis" ein. Pate dabei
       stand die "strategische" Idee, daß Joschka Fischer und
       Anhang in der bürgerlichen Mitte, besonders in der
       frustrierten FDP-Klientel, ein zusätzliches Potential
       erschließen sollten. Jürgen Trittin mit seinen Freunden fiel
       arbeitsteilig die Aufgabe zu, die mehr linksgestimmte
       Wählerschaft der Grünen bei der Stange zu halten.

       Nach diesem Rezept hätte sich die Ökopartei in diesem Herbst
       unangefochten als drittstärkste Kraft hinter SPD und Union
       im Bundestag etablieren und erstmals - als Partner der SPD -
       auf Bundesebene Regierungsbeteiligung erreichen sollen.
       Heute, wenige Wochen vor dem Wahltermin, wird klar, daß dies
       eher eine Milchmädchenrechnung war.

       Die Bündnisgrünen wären froh, wenn sie das alte
       Bundestagswahlergebnis halten könnten. Sie zittern im Moment
       wegen der Möglichkeit, an der Fünfprozentklausel zu
       scheitern. Die Anpassung an rechts hat sich nicht
       ausgezahlt.

       Ob die Ökopartei sich noch bis zum Wahltag zu notwendigen
       Korrekturen durchringt? Bislang gibt es nur zu gute Gründe,
       für die Grünen schwarz zu sehen.

                                                     Günter Labudda

 

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