aus
*UZ* unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 30
Parteien auf dem Prüfstand
Bündnisgrüne: Zittern um die fünf Prozent
Was ist an den Grünen noch grün? Mancher, der in
der
Vergangenheit die damalige
"Bürgerschreck"-Partei
sympathisch fand, überlegt sich, ob er diese Partei
heute
noch unterstützen kann. Bundestagsfraktionschef
Fischer, der
weithin als prägende Leitfigur der Bündnisgrünen
gilt, hat
der Ökopartei eine Anpassungskur verordnet, die
ihrem Anhang
immer größere Schwierigkeiten bereitet, sich in
Politik und
Praxis der Bonner Promis wiederzufinden.
Ein Beispiel: Der Wahlparteitag in Magdeburg hatte
einen
Antrag abgelehnt, der die Verlängerung der
Beteiligung der
Bundeswehr an der Besetzung Bosniens durch die Nato
billigen
sollte. Ein Teil der grünen Bundestagsfraktion
stimmte
dennoch für die von CDU-Minister Rühe für sein
Bundeswehr-Kontingent gewünschte Verlängerung des
Bosnienabenteuers.
Aus der Mitte derer, die sich über den eigenen
Parteitag
hinwegsetzten, kam dann auch prompt der ultimative
Ruf nach
Rücktritt des Vorstandsprechers Jürgen Trittin
wegen eines
angeblich falschen antimilitaristischen
Zungenschlags.
Trittin hatte nicht mehr getan als anläßlich des
Spektakels
einer öffentlichen Vereidigung von
Bundeswehrrekruten in
Berlin daran zu erinnern, daß die Zeiten, in denen
dergleichen in Deutschland erfunden und allgemein
praktiziert wurde, nicht demokratische waren. Mit
Müh' und
Not und nur im Interesse einer höheren Parteiräson
konnte
der sich entwickelnde Eklat dann zunächst noch
verhindert
werden.
Das eigentliche Thema der Bündnisgrünen - die
Ökologie -
läßt ebenfalls Abrücken von früher einmal als
selbstverständlich angesehenen Positionen erkennen.
Da
erinnert sich plötzlich jemand, daß im grünen
Wahlprogramm
etwas von einem "Tempolimit hundert" auf
Autobahnen und von
"dreißig" in geschlossenen Ortschaften
steht, da bekommen
maßgebliche Fraktionsgrößen in Bonn schon wieder
Fracksausen. SPD-Spitzenmann Schröder geht auf
Distanz. Die
Regierungsparteien - freie Fahrt für freie Bürger -
schreien
Alarm. Einige Grüne bejammern die angeblich falsche
Weichenstellung.
Tempolimit ist nun zweifelsfrei nicht die zentrale
Frage des
Bundestagswahlkampfes, der vom Thema der
Massenarbeitslosigkeit beherrrscht wird. Aber die
Grundorientierung darauf bleibt dennoch allemal
richtig,
wenn zur Lösung von Problemen wie Waldsterben und
Ozonloch
beigetragen und die Unfallhäufigkeit wesentlich
vermindert
werden soll. Erst spät reagierten Sonnenblumenpromis
in Bonn
mit dem Hinweis, daß dies doch so verkehrt nicht
sein könne.
Was bleibt ist der fatale Eindruck, daß man
inzwischen die
grüne Partei mit urgrünen Themen ins Bockshorn
jagen kann.
Das Festhalten an einer Zehnjahresfrist für den
Ausstieg aus
der Atomenergie, das von der SPD als anvisiertem
künftigen
Bonner Koalitionspartner bereits zurückgewiesen
wurde,
relativiert diesen Eindruck wenig.
Und was bieten Fischer und Co. zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit an? Eckpunkt ihrer Forderungen ist
eine
ökologische Steuerreform, die höhere Belastungen
beim
Energie-, vor allem beim Mineralölverbrauch
vorsieht, um
finanzielle Manövriermasse für die Verbilligung von
Lohnnebenkosten zu erhalten. Ursprünglich gipfelte
dieses
Konzept in dem Wunsch, innerhalb von zehn Jahren den
Benzinpreis auf 5 DM pro Liter anzuheben. Der
Aufruhr, den
dieses das Autofahren zum Privileg von Betuchten
machende
Wunschbild auslöste, brachte die für den
sektiererischen
Unfug Verantwortlichen dazu, eigens eine abgemilderte
"Kurzversion" des Wahlprogramms in Umlauf
zu bringen, in dem
zu diesem Punkt im wesentlichen nur das gleiche
steht, was
auch SPD und CDU über eine Ökosteuer sagen.
Der entscheidende Haken liegt darin, daß solche
Konzepte die
als falsch erwiesene These stützen, die
Arbeitslosigkeit
könne durch "Verbilligung" der Arbeit
bekämpft werden statt
zum Beispiel durch ökologische Innovation vor allem
in der
Industrie oder durch einen öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor. Sie kehren auch nicht die von
der
Kohl-Regierung betriebene Umverteilung von unten nach
oben
endlich um. Sie offerieren nur neue Varianten von
Massenbelastungen. In einem Wahlkampf, der die
prinzipielle
Änderung des Bonner Pleitekurses auf die
Tagesordnung
gesetzt hat, propagieren diese Orientierungen nur
dessen
Fortsetzung mit leicht gewandelten Mitteln. Nicht an
die
Milliardäre, an die industriellen Großverschmutzer
und
-belaster von Natur und Umwelt möchte man sich
staatstragenderweise halten, sondern lieber wie
gehabt beim
sogenannten kleinen Mann abkassieren. Daran ändert
auch
nicht viel der Vorschlag, eine Sonderabgabe auf
große
Vermögen zu erheben. Wer ein Privatvermögen von
mehr als
zwei Millionen hat, soll einmalig 2,5 Prozent an den
Fiskus
abführen. Realogrößen wie der finanzpolitische
Fraktionsprecher Metzger oder die Ministerkandidatin
Sager
schwätzten den Grünen zum Ausgleich dafür die
Forderung nach
einer substantiellen Absenkung des
Spitzensteuersatzes auf.
Im Grunde unterscheidet sich die Ökopartei - wie
auch die
SPD - nur graduell, aber keineswegs prinzipiell von
dem
durch und durch asozialen Steuerprogramm der
schwarzgelben
Koalition.
Was bleibt unter solchem Vorzeichen noch positiv
an der
grünen Wahlposition? Außer Absagen an den
Abschottungs- und
Abschiebekurs der Regierung gegen Asylsuchende und
andere
unerwünschte Ausländer bleibt nicht allzuviel. Im
Gegensatz
zur SPD, die alle reaktionären Machenschaften der
Regierung
in der Rechts- und Sicherheitspolitik mittrug und
-trägt,
haben die Grünen wenigstens in diesen Bereichen sich
an der
Aushöhlung des Grundgesetzes nicht beteiligt.
Ihr Problem ist, daß sie sich dennoch in
wesentlichen
Punkten derartig den Regierenden und Etablierten
angepaßt
haben, daß sich ihr traditioneller Anhang kaum noch
in der
offiziellen grünen Politik wiedererkennt. In das
Wahljahr
1998 stieg diese Partei mit einem Burgfrieden
zwischen den
verfeindeten Flügeln "Realos" und
"Fundis" ein. Pate dabei
stand die "strategische" Idee, daß Joschka
Fischer und
Anhang in der bürgerlichen Mitte, besonders in der
frustrierten FDP-Klientel, ein zusätzliches
Potential
erschließen sollten. Jürgen Trittin mit seinen
Freunden fiel
arbeitsteilig die Aufgabe zu, die mehr linksgestimmte
Wählerschaft der Grünen bei der Stange zu halten.
Nach diesem Rezept hätte sich die Ökopartei in
diesem Herbst
unangefochten als drittstärkste Kraft hinter SPD und
Union
im Bundestag etablieren und erstmals - als Partner
der SPD -
auf Bundesebene Regierungsbeteiligung erreichen
sollen.
Heute, wenige Wochen vor dem Wahltermin, wird klar,
daß dies
eher eine Milchmädchenrechnung war.
Die Bündnisgrünen wären froh, wenn sie das alte
Bundestagswahlergebnis halten könnten. Sie zittern
im Moment
wegen der Möglichkeit, an der Fünfprozentklausel zu
scheitern. Die Anpassung an rechts hat sich nicht
ausgezahlt.
Ob die Ökopartei sich noch bis zum Wahltag zu
notwendigen
Korrekturen durchringt? Bislang gibt es nur zu gute
Gründe,
für die Grünen schwarz zu sehen.
Günter Labudda |