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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998

LF90@LINK-F.Rhein-Main.de   (Frankfurt_Info)

Gegen Feiertagsarbeit bei Banken und Börse

Frankfurt/Main. Geringfügig gekürzte Rede von Georg Stingl,
Vertreter des "Aktionskomitees gegen Feiertagsarbeit in
Europa" am 27.6.1998 vor der Zentrale der Deutschen Bank in
Frankfurt bei der Demonstration "Geld oder Leben",
anläßlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank.

Das Kapital hat Namen und Adresse. Einer dieser Namen ist
Rolf  E. Breuer. Er ist im Frühjahr 1997 Vorstandssprecher
der Deutschen Bank geworden und residiert in diesem
Gebäude.

Herr Breuer hat kurz vor seiner Berufung durch die
Aktionäre der Deutschen Bank, also durch die Herren von
Siemens und Allianz, am 20. Februar 1997 eine Rede vor dem
sog. "Kapitalmarktforum" gehalten. Das Thema dieser Rede
hieß: "Die Zukunft von Finanzzentren in globalen Märkten".

In dieser Rede fordert Breuer: "Der Finanzplatz
Frankfurt/Main muß im Rahmen der Triade USA, Japan, Europa
die Chance nutzen, der Finanzplatz im Euro-Raum zu werden."
Synonym für Finanzplatz Frankfurt sagt er auch:
"Finanzplatz Deutschland".

Letzteres macht Sinn, denn seine Fragestellung ist: Wie
soll Frankfurt, d.h. wie sollen die deutschen Großbanken
die Finanzherrschaft in Deutschland und Europa und später
in der ganzen Welt erringen? Freidemokratisch heiß das
"Standortsicherung", sozialdemokratisch
"Arbeitsplatzsicherung".

Für die Erreichung dieses Ziels schlägt er in seiner Rede
zwei parallel einzuschlagende Wege vor:

"Senkung der Transaktionskosten"
Zum einen soll ein Gutteil der Bankangestellten in
Deutschland - und zwar vor allem außerhalb Frankfurts -
sowie in den anderen europäischen Ländern auf die Straße
gesetzt werden. Breuer sagt: "Eine (ich ergänze: eine
einzige) Niederlassung im Euro-Raum wird den
Finanzdienstleistern aus Kostengründen genügen."

Also: Weg mit den Niederlassungen deutscher und
ausländischer Banken in Kiel, Hamburg, Hannover, Berlin,
Leipzig, Düsseldorf, Mainz, Saarbrücken, Stuttgart und
München. Nur noch Vertriebsstellen, mobile Kundenberater
mit Handy und Laptop sowie Selbstbedienungsautomaten. Das
alles kann man mit modernster Technik von Frankfurt am Main
aus steuern.

Nach Deutschland ist die "Senkung der Transaktionskosten",
wie man neudeutsch die Entlassung von Bankangestellten
nennt, in Rest-Europa angesagt. Breuer: "Die Vielzahl der
europäischen Börsen ist nicht aufrechtzuerhalten." Z.B.
würden von 20 Zinsterminbörsen in Europa nur 3 überleben:
London, Paris und Frankfurt am Main. Von 32 Aktienbörsen
würden 20 geschlossen.

Arbeiten rund um die Uhr, rund um die  Woche
"Nachholbedarf für den Finanzplatz Frankfurt" konstatiert
Breuer "bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen der
Arbeitszeit. Ein modernes Finanzzentrum muß einen
24-Stunden-Handel aufrechterhalten können. Das schließt
Samstags- und Sonntagsarbeit mit ein." Die Feiertage hat
Breuer damals gedanklich schon als erledigt betrachtet.

Also: Die zweite Hauptstrategie des deutschen Bankkapitals
zur Erringung der Vorherrschaft in Europa und dann in der
Welt heißt für die bis dato nicht wegrationalisierten
Bankangestellten: Arbeit rund um die Uhr, rund um die
Woche, Arbeiten bis zum Umfallen! ...

Soviel zur Rede von Rolf E. Breuer, dem Vorstandssprecher
der Deutschen Bank und zur Strategie des Bankkapitals.
Jetzt kommen wir zur Umsetzung dieser Strategie.

Die Lobbyisten gegen die Feiertagsruhe bei ihrem Gesellenstück
Frisch Gesellen, seid zur Hand! Breuers Geselle, Werner G.
Seifert, Vorstandsmitglied der Deutschen Börse AG, wo
Breuer den Aufsichtsratsvorsitz führt, macht sich mit
seinem neu gegründeten Verein "Finanzplatz e.V." an die
Arbeit. In diesem illustren Verein findet man neben Bank-
und Industrie"führern" auch Politiker wie Hans Eichel,
Ministerpräsident, Lothar Klemm, seines Zeichens
Wirtschaftsminister, aber auch - als weibliche
Repräsentantin und zur Sicherung der benötigten
Bankeninfrastruktur - Petra Roth, die Oberbürgermeisterin
aller Frankfurter und Frankfurterinnen.

Ein Brief des ZK der deutschen Bankenverbände - ZK heißt
übrigens Zentraler Kreditausschuß und nicht etwa
Zentralkomitee - mit einem Gesetzentwurf zur Abschaffung
der Feiertage im Bankgewerbe geht im Juli 97 an Norbert
Blüm. Der spurt. Doch die Sache darf nicht ruchbar werden.
Von den "Protestanten" und den Gewerkschaften geht in
dieser Hinsicht keine größere Gefahr aus, wie man beim
"Kampf" um die Abschaffung des Bußtages gesehen hatte. ...
Könnte aber sein, daß die Deutschen Bischöfe was dagegen
haben. Also führt man einen Überraschungscoup durch.

Eine Woche vor der Verabschiedung des
Euro-Einführungsgesetzes im Deutschen Bundestag wird im
Ausschuß für Arbeit und Soziales der Gesetzentwurf
eingebracht. CDU, CSU, FDP, aber auch SPD und BÜNDNIS
90/GRÜNE heben brav ihr Händchen für die Abschaffung der
Feiertagsruhe. Nur die PDS stimmt dagegen. Im Bundestag bei
der zweiten und dritten Lesung am 2. April 98 das gleiche
Bild.

Das ist die historische Pleite von SPD und GRÜNEN im
Bankbereich.

Kein schöner Land als Sonntagsarbeitsland
Zeitlich parallel zu den Aktivitäten für die Abschaffung
der Feiertagsarbeit zieht eine Lobbyisten-Karawane von
Bundesland zu Bundesland und läßt nach einem angemessenen
"Finanzplatz-Dinner" mit dem jeweiligen
Wirtschaftsminister, Arbeitsminister und
Ministerpräsidenten Land für Land die Sonntagsarbeit für
Call-Center von Banken, Computer- und Versandhandel
legalisieren - natürlich wieder unter Ausschluß der
Öffentlichkeit. Wie gesagt, die katholischen Bischöfe
könnten ...

Bereits am 3. April 1997 gelingt in Berlin der Durchbruch.
Der Regierende Bürgermeister Diepgen und die Senatorin für
Gesundheit und Soziales, Beate Hübner setzen ihre
Unterschrift unter ein Machwerk namens
"Bedürfnisgewerbeverordnung".

"Bedürfnis der Bevölkerung" gemäß § 13 Arbeitszeitgesetz
ist es nämlich, sonntags Spekulationsaufträge für die Börse
Tokio aufzugeben, ihr aus den Nähten platzendes Portfolio
umzuschichten oder einen Koffer nach Luxemburg verschicken
zu lassen. Man stelle sich vor, welcher Schaden sonst
entstehen könnte. Ihr Kapital wäre einen Tag arbeitslos,
das stellt doch die Leiden der Arbeitslosen völlig in den
Schatten. Nur: seit wann ist Sonntag Valutatag? Na, ja,
soviel Insiderkenntnisse kann man von einem
Minsterpräsidenten oder gar einem Wirtschaftsminister nicht
gerade verlangen. Für die nicht Rechtsgelehrten unter uns:
Der § 13 Arbeitszeitgesetz verlangt für eine derartige
Sonntagsausnahmeregelung, daß ein "erheblicher Schaden" von
der Bevölkerung abgewendet werde.

Von Berlin zieht die Karawane weiter nach Bayern,
tatsächlich unterschreibt Dr. Edmund Stoiber (allein!) am
29. Juli 1997 - hat HBV Bayern nichts gemerkt? Wie hieß
doch der Spruch: "Wer nicht kämpft, bla, bla, bla..." Okay,
was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Jetzt wird's kulinarisch interessant. Lafontaine ist dran.
Am 4. September 1997 unterschreibt Oskar nach einem guten
Essen in der "Ente von Lehel" die gleiche Verordnung. Die
Geschichte mit dem Essen ist natürlich frei erfunden, es
geht dem Genossen Oskar nur um den Standort Saarbrücken und
die Umschichtung von Bergwerkern in die Legehennenkästen
der Call-Center. So etwas nennt man moderne
Strukturpolitik.

Am 12. November 1997 ist Bremen dran, danach gerät die
Kampagne aus unerfindlichen Gründen ins Stocken - hat HBV
etwas spitz gekriegt oder waren die Lobbyisten zeitlich
überlastet? Jedenfalls, nach dem Erfolg im Bundestag -
Abschaffung der Feiertage ohne weitere Medien-Aufregung -
geht's wieder voran: Die Ministerin für Soziales und
Gesundheit, Ellenberger, unterschreibt in Thüringen am 8.
April 1998 die Verordnung und am 7. Mai 1998 kritisiert die
Landesbezirksleitung NRW der Gewerkschaft HBV in einer
kämpferischen Pressemitteilung, daß tags zuvor der
Ministerpräsident, der Innenminister und der Minister für
Arbeit, Gesundheit und Soziales von NRW ebenfalls die
Sonntagsarbeit für Call-Center legalisiert haben. "Der
Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales" ist übrigens
seit dem Kabinett Clement, na ratet mal, ... eine Frau, die
ehemalige stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Ilse
Brusis. Ein Schuft, der Böses dabei denkt!

Der historische Treppenwitz der
"Bedürfnisgewerbeverordnung": Freigegeben wird auch wieder
die Sonn- und Feiertagsarbeit in Brauereien, in der
Mineralwasser- und Speiseeisproduktion und dem
dazugehörigen Großhandel. ... Früher war es nämlich so, daß
aufgrund mangelnder Kühlmöglichkeiten - wir erinnern uns:
mit Stangeneis im Leiterwagen durch die Stadtteile - auch
sonn- und feiertags für die Kneipen produziert wurde.
Diesen Passus aus der der alten Gewerbeordnung hatte man
1994 doch glatt vergessen, ins Arbeitszeitgesetz
aufzunehmen. Wenn wir unsere Bankenlobby nicht hätten, wäre
da keiner mehr drauf gekommen. Na endlich können wir wieder
unser Bad Vilbeler Urquell frisch am Sonntag genießen,
sonst müßte man die Mineralquelle wie eine Ölquelle nutzlos
abfackeln.

In der kommenden Woche ist Hessen endlich wieder vorn. Im
Regierungskabinett liegt eine fast identische
"Bedürfnisgewerbeverordnung" vor.

Frau Stolterfoht, Herr Eichel, Herr Königs, Finger weg von
Sonn- und Feiertag - oder wollen Sie unbedingt noch mehr
Wahlwerbung für die PDS betreiben, die derzeit als einzige
Partei für den arbeitsfreien Sonn- und Feiertag und damit
für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
eintritt.

Herr Schröder, die Rücknahme des Feiertagsgesetzes muß in
Ihr 100-Tage-Programm!

Wer den Sonn- oder Feiertag angreift, legt sich mit den
Kirchen, den Vereinen, den Sportlern, den Familien und -
mit den Gewerkschaften an.

Wenn es keine gesellschaftlichen Rhythmen mehr gibt,
versinkt diese Gesellschaft in Isolation, Gewalt und
Kulturlosigkeit.
Ich warne die Herren Bankvorstände und ihre Politiker
hiermit öffentlich: Es sind nur noch 185 Tage bis zur
Einführung des Euro am 1. Januar 1999. Am 31.12.1998 läuft
der Banktarifvertrag aus. Wenn das Feiertagsgesetz nicht
zurückgenommen wird, werden die Bankangestellten sich das
nicht gefallen lassen.

Denken Sie an unseren erfolgreichen Kampf gegen die Kürzung
der Lohnfortzahlung für Kranke, eine vergleichbare Sauerei
der Wirtschaftsverbände. Auch wenn wir am 1.1.1999 wieder
wie damals nur mit 3000 Leuten auf der Straße und vor den
Betrieben stehen - wenn es die richtigen 3000 Leute und die
richtigen Betriebe sind, dann bricht am 4. Januar, dem
ersten Werktag im neuen Jahr am Finanzplatz das Chaos aus.
Wir wollen kein Chaos, wir wollen nur:

Sonn- und Feiertage bleiben arbeitsfrei!
Macht dem Breuer Feuer unter'm Hintern!* Es bleibt dabei,
Sonn- und Feiertag sind arbeitsfrei!

*) Anmerkung für die Staatsanwaltschaft: dies ist kein Aufruf zur Gewalt, sondern in übertragenem Sinne gemeint.
 


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