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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998



Lecker Mail!! reinhold.abele@student.uni-tuebingen.de  

Die Tübinger Üblichen Verdächtigen (TÜV)
und der Brandanschlag auf das RP im letzten Jahr.

Der folgende Flugblattext aus Tübingen dürfte auch für linke und   antirassistische Zusammenhänge aus anderen Städten interessant sein, vor   allem für diejenigen, die in den vergangenen Jahren mit verdeckten   Ermittlern und anderen Repressalien konfrontiert waren. Ein Hinweis noch  vor dem Flugblattext: In der Ermittlungsakte gegen die 18 TübingerInnen  konstruiert das BKA einen direkten Zusammenhang zwischen der Gründung des  bundesweiten Treffens antirassistischer Gruppen im Herbst 92 und dem  ersten Anschlag auf das Tübinger RP am 1.März 93 sowie anderer Anschläge  und militanter Aktionen in anderen Städten (Berlin, Göttingen, Bonn...)  aus dieser Zeit. Die TeilnehmerInnen dieses Treffens hätten "unter Führung  des Antirassismus-Büro Bremen" diese "Anschlagserie" gemeinsam geplant.

Der Tübinger Anschlag sei der bundesweite Auftakt der "Anschlagserie" und   der damaligen "Anti-Lager_Kampagne" gewesen. Diese skandalöse Verknüpfung  zwischen öffentlicher Organisierung gegen den staatlichen Rassismus und  militanten Aktionen ist hier in Tübingen eine Grundlage für die   Konstruktion der Verdächtigung von allen Mitgliedern verschiedener in der   Öffentlichkeit arbeitender Gruppen.

Staatsschutz - Ermittlungen in Tübingen. Die X-te Episode

Was ist passiert?
Am 14.7.97 wurde ein Brandanschlag auf Fahrzeuge des Tübinger
Regierungspräsidiums verübt. Bei der Landespolizeidirektion Tübingen wurde daraufhin eine Sonderkomission eingerichtet. Etwa 14 Tage später gab es in  diesem Zusammenhang eine Hausdurchsuchung bei X, einem 35-jährigen Tübinger.  Gefunden wurde nichts, das Verfahren wurde einige Zeit später eingestellt.  Auf beharrliches Drängen seines Anwalts wurde die Akte zum  Ermittlungsverfahren gegen X widerwillig ausgehändigt.

Aus den Akten ergibt sich, daß die Sonderkomission zunächst gegen 280  Personen ermittelte, die sie wohl alle dem linken Spektrum in  Tübingen/Reutlingen zuordnet. Aus diesen 280 Personen wurden mittels eines  Rasters 18 Personen herausgefiltert, von denen die Sonderkommision behauptet  "... Bei der verbliebenen Zielgruppe muß es sich um die Tätergruppe handeln." ( vgl. Schwäbisches vom 2.5.98). Der einzige aus den Akten hervorgehende Anhaltspunkt für die Erstellung des Rasters war das Bekennerinnenschreiben: Aus der politischen Argumentationsweise und aus der verwendeten Sprache wurden "Täter- und Täterinnen"-Merkmale abgeleitet, so z.B., daß die "Täter bzw. Täterinnen" in den 50er,bzw. 60er Jahre geboren sein müssen. Die Spurenauswertung war noch nicht abgeschlossen, als die
Sonderkomission wenige Tage nach dem Anschlag eine Hausdurchsuchung bei den 18 Personen aus Tübingen und Reutlingen durchführen wollte. Unter den 18 Personen befinden sich auch die Anwälte Franz Spindler und Axel Oswald. Axel ist der Anwalt von X. Begründet wurden die Ermittlungen gegen die Rechtsanwälte unter anderem damit, daß sie sich im Asylrecht engagieren. Zu den Vorwürfen gegen die Anwälte gibt es bereits einen Artikel in der Südwestpresse (siehe Innenseite).

Bei ihren eigenen Vorgesetzten bei der Staatsanwaltschaft erhielten die Sonderermittler eine Abfuhr. Oberstaatsanwalt Weller weigerte sich, beim Amtsgericht eine Hausdurchsuchung bei den 18 Personen zu beantragen. Offensichtlich war selbst ihm das polizeiliche Verdachtskonstrukt zu diffus und unhaltbar.

Die angebliche "Täter/innengruppe"
Zu den als tatverdächtig eingestuften 18 Personen gibt es jeweils 1 bis 1,5-seitige Kurzdossiers. In ihnen sind fast ausschließlich öffentliche Veranstaltungsbesuche und Demo-Beteiligungen sowie in einzelnen Fällen geringfügige "Straftaten" aufgelistet, die zum Teil 10 und mehr Jahre zurückliegen. Weiter wird in der Akte ein Zusammenhang zwischen der "Tat" und der Mitarbeit in bestimmten öffentlich arbeitenden politischen Gruppen nahegelegt, nämlich dem "Komitee gegen die Bezirksstelle"(KGB), dem "Projekt Zuflucht", der "Initiative für die Freiheit der politischen Gefangenen" und dem "Bündnis gegen Abschiebehaft". Alternativ zur angeblichen oder tatsächlichen  Mitarbeit in einer der genannten Gruppen wird auf ziemlich beliebige Weise  das Engagement in den "szenetypischen" Politikfeldern als Verdachtsmoment  genannt: Hausbesetzer/innenbewegung, Anti-Atom-Bewegung, Antifa,  Kurdistansolidarität, Wagenburg und Kontakt zu politischen Gefangenen.  Höchst interessant fanden wir auch die Behauptung, die 18 Personen bildeten  ihrerseits eine feste Gruppe und hätten den Anschlag gemeinsam vorbereitet  und durchgeführt. Zitat: "Bei der verbliebenen Zielgruppe muß es sich um die  Tätergruppe handeln, der Tatbeitrag der einzelnen Personen ist beim jetzigen  Stand der Ermittlungen nicht einzuschätzen." Macht nichts, denn "es dürfte  sich jedoch um eine gemeinsam geplante und von allen subjektiv getragene Tat  gehandelt haben". Nachdem die obengenannten Kurzdossiers bereits verfaßt  waren, holte die Tübinger Sonderkomission vom Verfassungsschutz sowie vom  Bundeskriminalamt (BKA) bewertende Stellungnahmen ein.

Der Verfassungsschutz kam dabei zu der "Erkenntnis", daß der
"Täter/innenkreis" zumindest teilweise in der "Initiative für die Freiheit  der politischen Gefangenen" zu suchen sei. Zur Begründung wird angeführt,  daß ein Abschnitt im Bekennerschreiben, der eingeleitet wird mit "Ein paar  Anmerkungen zum Schluß" und sich inhaltlich auf RAF, bewaffneter Kampf und  militante Linke bezieht, mehr als die Hälfte des Textes ausmache. So einfach  ist das. Das BKA stellt in seinem Gutachten demgegenüber die These auf, daß  Mitglieder des Komitee gegen die Bezirksstelle für den Anschlag   verantwortlich seien. Aufgrund der Tatsache, daß sich das "KGB" seit 1992 in  einem bundesweiten Zusammenschluß antirassistischer Gruppen organisiert,   schlußfolgert das BKA messerscharf eine Tatbeteiligung von KGB-Mitgliedern   am ersten Anschlag auf Dienstfahrzeuge des RP Tübingen vom 1.März 1993 und   somit auch eine Beteiligung im Juli 1997. So einfach ist das.

In den Akten werden weiter das Cafe Nepomuk, die Schellingstraße/Infocafe und der Provenceweg/Verein für gemeinschaftliche Wohn- und Lebensformen als   Szenetreffpunkte erwähnt. Über die Schellingstraße gibt es einen   detaillierten Plan in den Akten über die Zu- und Abfahrtswege und die Räumlichkeiten im Haus.

(Ein paar Kostproben aus der Staatsschutzkartei:

  • "- 28.10.1983: Teilnahme an einer Protestkundgebung und Demonstration gegen die US-Invasion auf Grenada.
  • 1987 wurde PKW von Frau X. bei Veranstaltungsreihe "Profan" ("für eine Gesellschaft ohne Knäste") im Raum Tübingen/Reutlingen festgestellt.
  • 14.4.89: Beendigung der Stiftskirchenbesetzung in Tübingen am Holzmarkt mit anschl. Kundgebung zum Thema "Hungerstreik". Unter den Teilnehmern dieser   Veranstaltung war auch X.
  • 9.3.90: Teilnehmer einer Demonstration "Freiheit für Günther Sonnenberg und   andere haftunfähige Gefangene.
  • 19.5.90: X. war Teilnehmer der Demonstration gegen das neue
    Ausländergesetz.
  • 1995: X. nahm mehrfach an Demonstrationen und Aktionen der autonomen Szene vor der "NPD-Villa" in Eningen teil.
  • 15.7.95: Teilnahme an der Demonstration "Bundesweite Aktionswoche gegen die Abschiebemaschinerie - Schließung des Abschiebeknastes" in Rottenburg.
  • 1996/97: Leserzuschriften zur Asyl- und Abschiebepraxis "Projekt Zuflucht"
  • 25.2.97: Fahrzeug der Mutter von X. wird im Zusammenhang mit Aktionen gegen Castortransport festgestellt.
  • 15.7.97: (einen Tag nach der Tat) Abmeldung nach Stuttgart
    - X. wohnt in unmittelbarer Tatortnähe."

das waren einzelne Ausschnitte aus den "Kurzdossiers" über die 18 Personen.)

Wir, die 18 sogenannten "Tatverdächtigen", stellen zu diesen Vorgängen fest:

Tatsächlich sind wir alle geboren, und ein Teil sogar in den 50er bzw. 60er Jahren. Die Mehrheit von uns arbeitet seit mehr als 10 Jahren kontinuierlich in verschiedenen politischen Gruppen in Tübingen und/oder Reutlingen. Einige auch in den Gruppen, die in den Akten erwähnt sind. Andere wiederum stehen mit diesen Gruppen in keinem Zusammenhang, oder sind schon seit Jahren nicht mehr aktiv. Manche sind später dazugekommen. Manche von uns kennen sich nicht einmal persönlich! So stimmt die Zusammensetzung der "Gruppe von Hauptverdächtigen" noch nicht einmal mit den von der Sonderkomission selbst aufgestellten Rasterkriterien überein, dennoch gehen wir nicht von Zufälligkeiten bei ihrer Zusammenstellung aus. Aus der Geschichte politischer Ermittlungsverfahren gegen Linke ist bekannt, wie Verfolgungsbehörden Gruppen, sprich "kriminelle Vereinigungen",
konstruieren. Der Konstruktion einer solchen Gruppe liegen so gut wie nie juristische Beweise oder Indizien, sondern in den meisten Fällen politische Überlegungen zugrunde. Ziel dabei ist es, linke Politikansätze, Zusammenhänge oder Strukturen zu bekämpfen, zu schwächen, zu lähmen. Je größer das Spektrum derer, die mit Kriminalisierung bedroht und in einen nichtexistierenden Gruppenzusammenhang gepreßt werden, desto genereller die Abschreckung einerseits und desto schwieriger, so das zugrundeliegende Kalkül, die gemeinsame Gegenwehr andererseits. Mit der Wirklichkeit haben diese Gruppenkonstruktionen nichts zu tun. Dies gilt auch für unseren Fall.

Auch wenn es sich in unserem Fall erstmal "nur" um eine beantragte Hausdurchsuchung geht: Die Drohung, die mit diesem Ermittlungsverfahren ausgesprochen wird, ist eindeutig. Es passiert irgend etwas irgendwo in  Tübingen und alle oder Teile der 18 Personen sind "dran". Und mit ihnen  sollen die Gruppen, in denen sie arbeiten, unter Druck gesetzt und ein Klima  der Einschüchterung produziert werden. Die Gruppenarbeit soll durch den  Zwang, der Repression entgegenzutreten, gelähmt werden. Die politischen Basisarbeit könnte so zerstört werden, lokal in Tübingen/Reutlingen momentan  diejenige gegen den Abschiebeknast in Rottenburg, die staatliche  Flüchtlingspolitik, die Castortransporte,...- um nur einige Beispiele zu  nennen.

Als weiteres Motiv für das Ermittlungsverfahren sehen wir den Erfolgsdruck der Fahndungsbehörden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind viele militante Aktionen in der Region gelaufen, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Immer gab es auch die Auseinandersetzung um verschiedenste Widerstandsformen und um bewaffnet/militant kämpfende Gruppen. Nicht zuletzt deshalb waren in Tübingen 1991/92 zwei verdeckte Ermittler eingesetzt worden. Der damalige Einsatz endete für die Verantwortlichen juristisch und politisch mit einem Schlag ins Wasser. Aber wie '92 bereits von den
Betroffenen vermutet, stellen die dabei völlig unkontrolliert angehäuften Datenberge für einige von uns, die damals schon Zielpersonen des Verdeckten-Ermittler-Einsatzes waren, heute eine neuerliche Bedrohung dar. Und darin liegt allgemein wohl das dritte Motiv der Staatsschützer: Sammeln,  sammeln, konstruieren, irgendwann wird's schon mal passen. Der völlig  unbewiesene Verdacht von heute wird so zum ersten Ermittlungsansatz Jahre  später.

Was tun?

Wir alle werden Antrag auf Akteneinsicht stellen. Außerdem werden wir an die Presse gehen und die Öffentlichkeit informieren. Diejenigen von uns, die politisch organisiert sind, werden ihre Politik weiterführen. Wir lassen uns weder bedrohen, noch lassen wir uns den Mund verbieten, noch hören wir auf, uns da zu engagieren wo wir es für notwendig halten.

Von euch, die das Flugblatt lesen, wünschen wir uns Solidarität, keine Tratschgeschichten und, daß ihr euch ebenfalls nicht einschüchtern laßt. Was vordergründig uns gilt, gilt in zweiter Linie allen zur Abschreckung.

Wir legen euch allen die Veröffentlichungen zum Thema Zeugen-/Zeuginnenaussagen bzw. -verweigerung ans Herz. Macht euch Gedanken darüber, wie ihr euch im Falle einer Hausdurchsuchung oder Zeugen-/Zeuginnenvorladung verhalten wollt. Wir wollen den Teufel nicht an  die Wand malen; aber es ist immer besser, sich grundsätzlich Gedanken über diese Fragen zu machen und nicht zu warten, bis der Staatsanwalt vor der Türe steht.

V.i.S.d.P.: TÜV (Tübinger Übliche Verdächtige), Im Datenspeicher 1, Konrad  Adenauerstr.32, 72072 Tübingen Erste Auflage: 280. Aber das sind noch nicht alle!


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