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Immer noch aktuell
"Initiative sozialistisches Forum" November 1985
WEGE AUS KRISE UND MASSENARBEITSLOSIGKEIT:
RECHT AUF ARBEIT? RECHT AUF FAULHEIT
Es jammert in den Boulevardblättern und Gewerkschaftsgazetten;
es stöhnt auf den Soziologentagen und in den evangelischen
Bildungswerken; es verschafft Parlamentskommissionen und
alternativen Realpolltikern Arbeit: Das jüngste Kind der
Sinnkrise, die 'Krise der Arbeitsgesellschaft', verspricht ein
voller Erfolg zu werden.
Was bleibt, wenn der Gesellschaft 'die Arbeit' ausgeht? Was
sollen die Überflüssigen mit sich anfangen, wenn sie nicht
einmal mehr zur Produktion von Schund benötigt werden? Worin
soll der Sinn des Lebens noch liegen, wenn nicht in Lohntüte und
Stechuhr? Was soll geschehen, wenn die Menschen selber als die
Wegwerfprodukte behandelt werden, die sie bislang bloß
herstellten? Worin soll der Wert des Lebens bestehen, wenn
nicht in der Verwertung des Lebens? Worin sein Sinn, wenn nicht
im baren Unsinn der produzierten Waren?
Die Arbeitslosenstatistik ist das Russisch-Roulette der
arbeitenden Klassen. Das Nürnberger Orakel bezeichnet den
genauen Index der Überproduktion von Leben wie die Frankfurter
Börse den der Überproduktion von Butter, Steinkohle und
Volkswagen. Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe,
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und andere Beschäftigungstherapien
sind der Versuch, das produktiv ausbeutbare Leben auf die hohe
Kante zu legen: Spare in der Zeit - so hast du in der Not? Die
Gesellschaft hortet ihr Humankapital. Doch: Jeder weiß
insgeheim, daß es dem überflüssigen Leben ergehen wird, wie den
Agrarüberschüssen der EG, wie den Tomaten und Äpfeln.
Weil jeder weiß, daß er nach dem Stand der Technik überflüssig
wäre, solange um der Produktion willen und des Profits wegen
produziert wird, empfindet jeder seinen Erwerb als verkappte
Arbeitslosenunterstützung, als etwas vom gesellschaftlichen
Gesamtprodukt zur Erhaltung der Verhältnisse zuliebe willkürlich
und auf Widerruf abgezweigtes. Dahinter steht die Wahrheit, daß
seit Auschwitz das moderne Leben im Spannungsverhältnis von
aktiver Sterbehilfe und finalem Rettungsschuß pendelt. Das der
Arbeit geschuldete Leben ist von der Vernichtung durch Arbeit,
von der produktiven Verschrottung des Lebens kaum noch
unterscheidbar.
Diese Ununterscheidbarkeit von Vernichtung und Produktion
enthüllt die Rede von der 'Arbeitsgesellschaft' als den
Zynismus, die Opfer hätten sich ihr Schicksal selber
zuzuschreiben: Als sei es 'die Arbeit', die der Gesellschaft das
Gesetz gebe. Hinter der freundlichen Aufforderung, der Arbeit
um jeden Preis neuen Sinn zu verleihen, steckt, kaum verkappt,
die Drohung der Arbeitslager. Sinn, wo er denn sein muß, wird
notfalls dekretiert.
Daß die Opfer sich den Schuh anziehen und selber noch das Recht
auf Arbeit einfordern, das gibt der Sache den letzten Schliff
und macht den Zynismus, die Menschen seien die Autoren ihrer
Vergesellschaftung, zur negativen Wahrheit. In der Forderung
des Rechts auf Arbeit setzen die Abhängigen sich selber als das
Kapital, das doch ihre Existenz unter das Gesetz des
Verschwindens setzt. Die Gewerkschaften und linken
Sozialdemokraten geben mit dieser Forderung zu erkennen, daß sie
mit der Ware Arbeitskraft ihren Handel treiben wie andere
Kartelle und Konzerne mit Kühlschränken und Schuhwichse. 'Die
Arbeit' ist die lebendige Form des Kapitals.
Die Arbeiterbewegung betreibt die Opposition gegen die
Verwertung als die Bedingung des reibungslosen Fortgangs der
Verwertung. 'Recht auf Arbeit', gar als Kampf um 'Befreiung der
Arbeit', ist der Versuch der Verewigung des Kapitals mit
proletarischen Mitteln, ist das Bestreben der gewerkschaftlich
organisierten Facharbeiterklasse, dem Privatkapital die,
Interessen des Humankapitals aufzuzwingen, um es darüber zu
Staatskapital zu reformieren. Im Recht auf Arbeit steckt die
Pflicht zur Arbeit, das System des allgemeinen Arbeitszwanges,
der, im nur unwesentlichen Unterschied zur bürgerlichen
Liberalität des Marktes, durch die staatliche Autorität und
Kommando vollstreckt wird. Indem die Arbeiterbewegung an den
Staat appelliert, gar die Verstaatlichung fordert, radikalisiert
sie sich nicht, sondern spielt den Teufel gegen den Beelzebub
aus.
Es kommt nicht auf die Befreiung der Arbeit an, sondern auf die
Abschaffung der Arbeit. Es geht nicht um das Recht auf Arbeit,
sondern um das allgemeine Verbot der Arbeit. Die Kritik der
Arbeit ist die Bedingung eines emanzipativen Auswegs aus Krise
und Massenarbeitslosigkeit. Es geht deshalb nicht darum, "die
famosen 'Menschenrechte' zu verlangen, die nur die Rechte der
kapitalistischen Ausbeutung sind, nicht darum, das 'Recht auf
Arbeit' zu proklamieren, das nur das Recht auf Elend ist,
sondern darum, ein ehernes Gesetz zu schmieden, das jedermann
verbietet, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten."(Paul
Lafargue, 1883)
Im Gerede über die 'Krise der Arbeitsgesellschaft' bahnt sich
die Wiedergeburt der Deutschen Arbeitsfront an. 'Gemeinnutz
geht vor Eigennutz' - unter dieser urdeutschen Parole sammeln
sich die Offiziellen und ihre 'Alternativen' zur großen
Sinngebung. Die Arbeit, im System von 'High tech' und 'Fast
food' langsam ans Ende gebracht, soll für die großen
'Gemeinschaftsaufgaben' staatlich allmentiert werden. Die
Zwangsverpflichtung der Sozialhilfeempfänger korrespondiert aufs
glücklichste mit den alternativen Strebungen, noch die Liebe zur
'Beziehungsarbeit', daher zur gesellschaftlich nützlichen Arbeit
zu erklären und mit einem 'garantierten Mindesteinkommen' oder
einem 'Soziallohn' zu bezahlen. |