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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998


Anti-Tabak-Gesetze
KOLLEKTIVE HALLUZINATIONEN

von Franz Schandl


Nun ist es also ausgesprochen, das Werbeverbot fuer Tabakwaren in der
Europaeischen Union. Doch wird das viel aendern?

Und nicht nur ob der Luecken. Es ist durchwegs zu befuerchten und
anzunehmen, dass die Wirtschaft in aller Schlaeue diese Einschraenkungen
umgeht. Der Phantasie der Werbefachleute sind hier keine Grenzen gesetzt.
Je laenger man darueber sinniert, desto eher erscheint das Ganze als eine
Alibiaktion der Politik zur Beruhigung der Gemueter.

Wenn der buergerlichen Gesetzlichkeit nichts mehr einfaellt, dann greift
sie zur Bestrafung. Die offizielle Kritik der Drogen entpuppt sich in der
Praxis nicht selten als schlichte Preiserhoehung. Gesundheitsgefaehrdung
wird nicht reduziert, sondern lediglich teurer. Die hehren Motive und die
krude Realitaet, die passen nicht so recht zusammen.

Rauchen ist gefaehrlich und laestig, keine Frage. Die Freiheit, es fast
ueberall tun zu duerfen, ist identisch mit der Unfreiheit der
Beraeucherten. Diese Selbstverstaendlichkeit ist unakzeptabel. Und doch
haben Verbote so ihre Tuecken. Auch wenn sie Gutes wollen, bewirken sie
es nicht immer. So erhoeht jedes Verbot geradezu den Reiz des Verbotenen,
verhilft dem Qualm gar noch zum Geruch des Widerstaendigen.

Auch ist die Nikotinsucht wie jede Sucht primaer kein Problem der
Werbung, sondern eines des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Reklame ist
ein untergeordneter Faktor, Verstaerker, nicht Ursache. Und um es ganz
offen zu sagen, ein Leben so ganz ohne Rauch und Rausch ist eigentlich
eine Zumutung. Es geht nicht um Enthaltsamkeit oder Verbot, es geht
vielmehr darum, Verhaeltnisse anzustreben, die einen selbstbestimmten
Bezug ermoeglichen. Um einen Umgang, der Drogen nicht umgeht, sondern mit
ihnen adaequat verfaehrt. Schlechtes Gewissen hilft da nicht weiter, die
Verlogenheit der Debatten ist zu durchbrechen. Menschen sollen das Glas
Wodka, die Flasche Bier, die Zigarre oder Zigarette ruhig haben koennen,
ohne sie allerdings wollen zu muessen. Und manchmal wird es auch mehr
sein duerfen. Dies alles soll den Leuten nicht vorenthalten, aber auch
nicht aufgenoetigt werden.

Eine emanzipatorische Kraft muss gegen den Alkoholismus und gegen die
Niktotinsucht kaempfen, nicht aber gegen Alkohol und Niktotin an sich und
schon gar nicht gegen die abhaengigen wie nichtabhaengigen Konsumenten.
Die Linke ist kein Arbeiterabstinentenbund. Ziel muss sein: Diese Dinge
stehen uns zur Verfuegung, nicht wir ihnen. Damit aber offenbart sich
sofort ein eklatanter Widerspruch zwischen Genuss und Absatz. Denn um
letzteres muss es bei Strafe des wirtschaftlichen Untergangs den
Herstellern und Vermarktern jedwedes Produktes gehen, egal ob Tabak oder
Schnaps, Pudding oder Waffen.

Kritik muesste sich nicht gegen eine bestimmte Werbung richten, sondern
die allumfassende, bis in die letzten privaten Refugien vorgedrungene
Reklame selbst zum Gegenstand der Eroerterung machen. Denn Werbung
bedeutet stets so etwas wie eine zugelassene Unwahrheit. Sie kann von
ihrer inneren Struktur her gar nicht serioes sein, sie gefaellt sich in
der masslosen Propaganda ihrer Ware. Werbung ist eine aeusserst
beschraenkte Darstellungsform, sie reduziert einen Gegenstand oder ein
Verhaeltnis auf ihre marktschreierischer Sequenz. Sie kennt nur ein
undifferenziertes und aufdringliches Pro.

Werbung ist nicht Information, sondern Formatierung. Sie ist Taeuschung
vor dem Tausch. Der kapitalistische Treibsatz der Distribution. Sie macht
uns gierig auf Produkte, die nach uns gieren. Was wir wollen, das hat uns
schon, egal ob wir es dann kriegen oder nicht. Sie fragt bei den
Beduerfnissen nicht nach der Qualitaet, sondern orientiert sich am
absetzbaren Quantum.

Werbung ist das Gegenteil von Kritik. Sie will blindes Begehren, nicht
reflektiertes Aufbegehren. Der verselbstaendigte Markenfetischismus hat
die Form endgueltig ueber den Inhalt gehoben. Die Fiktion ist wichtiger
als der Stoff. Von Bedeutung ist nicht mehr, was das ist, sondern was da
draufsteht, wie es eingepackt ist, wie es rueberkommt, ob es chic oder in
oder up to date erscheint. Das erklaert unter anderem auch den Boom der
kulturindustriellen Simulationsbranchen.

Die Zeiten, wo man Hosen, Jacken und Schuhe trug, sind vorbei. Heute
kleidet man sich in Levis, Benetton, Joop, Adidas oder Nike. Die Artikel
sichern Auffaelligkeit und Konformitaet zugleich. Die tatsaechliche
Zugehoerigkeit ist nur erreichbar durch die vorangegangene Hoerigkeit.
Fan nennt sich das. Der Anhaenger ist freilich nur ein Anhaengsel. Der
Mensch degradiert zum Knecht seiner gesellschaftlichen Erzeugnisse.

Die Anstrengung, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu vermarkten, ist
inzwischen um vieles groesser als dieselben herzustellen. Was aber
gelinde gesagt, eine Perversion sondergleichen ist, nur den buergerlichen
Individuen in ihrer Identifizierung von Welt und Werbewelt nicht
auffaellt. Da geht es jedenfalls um Marktfaehigkeit: Anbieten, Anpreisen,
Anmachen, lauten die Imperative kulturindustrieller Verwertung.

Ueber die wirklich bestimmenden Drogen der Gegenwart, Marktsucht und
Marktbesoffenheit, redet man jedoch nicht. Das wuerde die schoene
Idologie kaputtmachen. Der Markt, das ist der Altar, an dem wir opfern
und geopfert werden. Nichts hat das Denken so vernebelt wie der
allmaechtige Glaube an ihn und seine goettliche Kraft. Derweil ist die
monetaere Religion nichts anderes als eine kollektive Halluzination.


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Nr.7-8/1998