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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998


Die Letzten auf der Titanic?
Perspektiven autonomer Bewegung, 2. Teil
Veranstaltung zu Sozialer Frage und Identitätspolitik
Liebigstraße 34; 10247 Berlin
(Tram 20: Bersarinplatz; U5: Frankfurter Tor; S-Storkowerstraße)

Dies ist die Einladung zur Fortsetzung unserer Volksuniveranstaltung vom 30. 05. 98 zu den Perspektiven autonomer Bewegung. Es waren etwa 50 Leute da. Im dort gehaltenen Referat haben wir zum einen die Potentiale der autonomen Bewegung und deren potentiellen Beitrag zum Erstarken der Linken herausgestrichen und gleichzeitig angedeutet, wie diese unserer Meinung nach verfehlt werden. Zum anderen haben wir zwei Thesen zur Kritik der autonomen Bewegung vorgestellt: Wir haben auf die Blindheit gegenüber der sozialen Frage und auf die Identitätsvorstellungen in der Szene hingewiesen.

Die beiden letzteren Teile unseres Referats veröffentlichen wir hier zusammen mit einer kurzen Darstellung der intensiven und langen Diskussion, die sich danach ergab. Dieser Text soll als Grundlage für die hier angekündigte Diskussion dienen. Zu Beginn der Veranstaltung werden wir noch einmal kurz unsere Thesen vorstellen, um dann sofort in die Diskussion einzusteigen.

 

1. Identitätsorientierte Politikformen

  1. These:
    Wir behaupten, daß die autonome Theorie und Praxis ganz wesentlich mit Identitätskonzepten arbeitet und aufgrund dessen von Auseinandersetzungsunfähigkeit gekennzeichnet ist. Im folgenden wollen wir ausführen, warum das problematisch ist und in der Praxis demobilisierend und isolierend wirkt.
  2. Unsere Kritik an der Identitätspolitik richtet sich zum einen allgemein gegen die Verwechslung einer hergestellten Differenz zwischen Identitäten mit einer unwandelbaren Differenz. Weder bilden die bestehenden Geschlechter "Natur" ab, mensch kann sich also auch nie auf einen "guten natürlichen" Kern beziehen, noch können Geschlechtsidentitäten allein sozialisationstheoretisch begründet werden. Denn Sozialisation kann nicht aus dem patriarchalen Unterdrückungszusammenhang herausgelöst werden, in dem sie fortlaufend stattfindet, d.h. es ist ein Prozeß ohne Ende und Ziel und Identitäten sind also ein Ergebnis eines andauernden Sozialisationsprozesses.
    Weibliche und männliche Geschlechtsidentitäten werden in dieser Kritik als historisch-gesellschaftliche Geschlechtskrankheiten erkennbar, deren Herstellung bereits ein Herrschaftsprozeß ist.
    Zum anderen richtet sich unsere Kritik an der Identitätspolitik gegen das in der autonomen Szene sehr beliebte Beharren auf die zumeist für sich selbst und das politisches Umfeld in Anspruch genommene sogenannte "widerspenstige Identität".
    Nehmen wir ein Beispiel, um das zu veranschaulichen: Der klassische "Antifa als Streetfighter" wird sich selbst bestimmt als "widerständig" sehen und ein Teil seines Umfeldes wird ihn darin bestätigen. Diese Sichtweise übersieht jedoch, daß seine Identiät immer auch das Ergebnis jener komplexen Herrschaftsprozesse ist, gegen die er sich im Widerstand sieht. Nicht selten wird hier auf Körperbeherrschung verbunden mit Sportlichkeit und fittem jugendlichem Auftreten wert gelegt. Dies ist dann aber kein Zufall, sondern Ergebnis der Tatsache, daß auch die scheinbar widerständigste Identität sich unvermeidlich unter den strukturellen Vorgaben einer Gesellschaft bildet, die sich z.B. auf Jugendlichkeit bezieht und die damit verbundenen körperlichen Schönheitsideale. An dieser Überlegung sieht man, daß es problematisch ist, die "widerständigen Identitäten" bruchlos zum Ausgangspunkt emanzipatorischer Bemühungen zu machen.
  3. Wo aber sehen wir diese Identitätspolitik in der autonomen Szene? Wenn zum Beispiel AntifaschistInnen manche Ostberliner Stadtteile als "Feindesland" und "fremdes Territorium" bezeichnen, wenn in der Anti-Schönbohm-Kampagne ein scheinbar allmächtiger Ex-Militär zur Wurzel allen Übels in dieser Stadt stilisiert wird, oder wenn in Heroin-Dealer-Raus-Aktionen der autonome Kleingarten sauber gehalten werden soll, dann werden hier vereinfachende Weltbilder zu Identiäten zusammengeleimt. Im sicheren Gefühl um die eigene richtige Position und Identität wird hier abgrenzendens Schwarz-Weiß-Denken betrieben.
    In der Auseinandersetzung um den Rollback-Vorwurf gegen die Arranca begegnete uns häufig eine szene-typische Haltung, die wir als moralisierendes Standpunktdenken beschreiben. Für viele Beteiligte war es wichtig, noch vor der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand einen politisch einwandfreien Standpunkt einzunehmen, anstatt sich erst einmal auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen. Die Absicht einer solchen Haltung ist nicht eine Kontroverse um einen Gegenstand, sondern das Bemühen, die Angeklagten ihrer Schuld zu überführen: Sie sollen für das "Politikfeld", auf dem sie sich unrechtmäßig aufhalten, Zutrittsverbot erteilt bekommen.
    Dieses Standpunktdenken orientiert also nicht auf Auseinandersetzung, sondern auf das Festzurren nicht zu hinterfragender Positionen, von denen aus die Welt in "gut" und "böse" polarisiert wird. Es überrascht also nicht, daß in einer solchen Betrachtungsweise bereits das Interesse am Hinterfragen als "bedrohlich" erscheint, daß jede Kritik an scheinbaren "Klarheiten" als Reformismus oder gar als Rollback mißverstanden werden muß. Das geht dann soweit, daß über diese Zuschreibungen, die als "Nestbeschmutzer" identifizierten Szene-Teile ausgeschlossen werden sollen, um ein sauberes "wir", eine gute Identifikationsmöglichkeit zu erhalten.
  4. Der Bezug auf Identitätskonzepte ist in der autonomen Szene nicht nur weit verbreitet, sondern zementiert gleichzeitig deren Perspektivlosigkeit. Zwar hat die autonome Szene kurzfristig gerade über die vereinfachenden Identitätskonzepte einige Mobilisierungsfähigkeit und wirkt vor allem für jüngere Menschen immer noch anziehend.
    Wenn man sich jedoch einmal anschaut, wie schnell die Leute wieder aus der Szene rausfallen und wie wenige ältere Menschen sich ihr zugehörig fühlen (denn es geht ja nicht darum, eine Jugendbewegung zu sein), dann liegt die Vermutung nahe, daß diese Mobilisierungs- und Anziehungskraft nur kurzfristig trägt. Denn wer sich in den identitätsstiftenden Lagerbeschreibungen a la "die Schweine", "die Spießer", "die Bonzen", "die Macker" etc. nicht mehr wiederfindet, gehört schnell nicht mehr zur Familie. Repressive Codes für Kleidung und Auftreten, tabuisierende Sprachregelungen und die Produktion subkultureller Mythen, die den eigenen marginalsierten Lebensstil beschönigen, anstatt ihn zum kapitalistischen Kontext in Bezug zu setzen, haben auf Dauer wenig Integrationsfähigkeit.
    Darüber hinaus besitzen solche identitätsstiftenden Phrasen kaum analytische Qualitäten und schaffen damit bestenfalls zufällig die Basis für ein sinnvolles politisches Handeln.

Ein besonders eindrückliches Beispiel für ein solches Zutrittsverbot begegnete uns jüngst im Friedrichshainer "Größenwahn". Wir hatten beim Plenum nachgefragt, ob dort diese Veranstaltung zu sozialer Frage und autonomer Identitätspolitik stattfinden könnte. Ein Veto mit folgender Begründung führte zur Ablehnung: Das Thema sei natürlich wichtig und müsse diskutiert werden. Uns als Unglücklichen solle dort aber kein Forum geboten werden, ganz gleich, zu welchem Thema wir etwas zu sagen hätten. Ein allgemeines Auftrittsverbot also, das von unserer "Identität" als Unglückliche abhängig gemacht wurde. Denn zum Trost bekamen wir zu hören, die Referentinnen könnten durchaus als "Privatpersonen" diese Veranstaltung machen.

Wir fordern das "Größenwahn" auf, zu dieser Plenumsentscheidung öffentlich Stellung zu beziehen! Es kann nicht angehen, daß ein politisches Projekt nach seinen Privatvorlieben und ­abneigungen Veranstaltungen abweist, die zu wichtigen Themen in der radikalen Linken Stellung nehmen. Damit verliert es die Legitimation als Forum politischer Auseinandersetzung.

Nach diesem, unserem 1. Kritikpunkt, der Identitätspolitik,
kommen wir nun zu unserem 2. Kritikpunkt, der die soziale Frage betrifft...

2. Soziale Frage

Unter "Soziale Frage" verstehen wir Politikfelder, bei denen es um Arbeit, gesellschaftlichen Reichtum, seine Produktion und Verteilung, um Klassenverhältnisse und die Reproduktion von Arbeitskraft geht. Die "Soziale Frage" ist so immer durchdrungen von anderen gesellschaftlichen Widersprüchen, wie Sexismus/Patriarchat und Rassismus.

Vorweg: Es gibt durchaus Autonome die sich mit der 'sozialen Frage' beschäftigen und auf diesem Feld Politik machen. Sie tun das aber in der Regel nicht als Autonome, sondern in ihrem politischen Zweitleben. D.h. eben nicht in autonomen Zusammenhängen oder Gruppen.

2.1 Wo begegnen Autonome der Sozialen Frage?

Klar sind alle Autonomen gegen Kapitalismus, zumindest gegen Kapitalisten, gegen Banken (daher die vielen kaputten Schaufensterscheiben bei Banken) und gegen Multis (wie z.B. in der Kampagne "Shell to hell!"). Autonome sind vor allem dann gegen Kapitalismus, wenn woanders überausgebeutet wird. Autonome begegnen der Sozialen Frage aber nur im Vorübergehen, wenn es sich 'eigentlich' um andere Kämpfe handelt: anti-rassistische, anti-sexistische oder anti-imperialistische. Beispiele dafür sind die Kampagnen und Angriffe gegen Sorat, Adler und VW-Seat. In den 80ern gab es noch JobberInneninitiativen, die sich gegen Ausbeutung in ihrer prekarisierten Form organisierten.

Es gibt/gab ein paar 'zuständige' Gruppen, die 'autonomen-nah' sind, wie z.B. "wildcat", "basta" (tot), und die untote "Autonome Erwerbslosen Gruppe Kreuzberg (AEG)".

2.2 Wie Autonome kneifen, wenn's um Soziale Frage geht

Die Alltäglichkeit von Ausbeutung, die Details, Verästelungen des Themas und vor allem seine Widersprüche interessieren die Szene nicht. Bestes Beispiel sind wir selbst bzw. die Diskussionen im Frühjahr '97, als wir in einem Zusammenhang die Idee einer Veranstaltungsreihe zum Thema Sozialpolitik diskutierten. Wir hatten keine Ahnung, keine Kontakte und vor allem keine Traute, uns mit einem Thema mit so vielen Fallstricken zu beschäftigen. Uns bedrängten viele Fragen, an denen die Veranstaltungsreihe bereits in der ersten Erörterungsphase scheiterte.

Diese Fragen waren ja nicht einfach doof:  Organisierte sich bei den Demos des Sozialbündnisses vielleicht der Deutsche Mob?  War denen nur ihr Arbeitslosengeld wichtig, die Flüchtlinge aber egal?  Warum waren Frauenforderungen dort so wenig präsent und wie könnten wir sie bei unserer Veranstaltung repräsentieren?  Vollziehen wir nicht die vorgegebenen Spaltungen nach, wenn wir je eine Veranstaltung zu 'Frauen', 'Behinderten' 'MigrantInnen', 'Erwerbslosen' etc. machen?  Mit wem könnten wir zusammenarbeiten? etc. etc.

Veranstaltungen zum Radikalverfahren, dem Abschiebeknast in Grünau oder auch "Punks in Mexiko City" sind dagegen im selben Zusammenhang gänzlich unproblematisch und werden im Zweifelsfall auch ohne Vorbereitung durchgeführt

Zwar wendet sich der in autonomen Kreisen am weitesten akzeptierte "Triple Opression" -Ansatz explizit gegen eine Hierarchisierung der drei bis vier großen Unterdrückungsverhältnisse. Trotzdem sind viele soziale Kämpfe bei 'den' Autonomen kein Thema: Egal, ob  von Gewerkschaftsapparaten organisierte Lohnkämpfe,  gegen Gewerkschaftsapparate durchgesetzte Streiks wegen der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,  bundesweite Demonstration gegen das Lohnabstandsgesetz im BSHG,  ethnische Säuberung beim Bosch-Siemens Hausgerätewerk,  atmende Fabrik bei VW,  Modulsystem bei der Abrechnung von Pflegeleistungen,  monatliche Demos der Erwerbslosenbewegung und so weiter und so fort: Die Autonomen glänzen durch Abwesenheit.

These: Wir denken, die Abstinenz der Autonomen zum Thema 'Soziale Frage' und die vorher erwähnte Auseinandersetzungsfähigkeit bedingen sich gegenseitig.

2.3 Von der Auseinandersetzungsunfähigkeit zum blinden Fleck 'Soziale Frage'

Wer unter Auseinandersetzungsunfähigkeit leidet, wird zum Thema 'soziale Frage' besonders politikunfähig sein, denn hier treffen die erstaunlichsten Widersprüche aufeinander. Vor 1½ Jahren bildete sich ein Diskussionskreis mit Namen LEGO, der anfänglich eine repräsentative Zahl autonomer Gruppen versammelte. LEGO begann mit einer Debatte um die Soziale Frage, bei der mehrfach RednerInnen bemerkten, daß der streikende Siemensarbeiter möglicherweise ein Nationalist ist und die Kassiererin bei Aldi in Hohenschönhausen sich womöglich im Patriarchat nur einrichtet.
Mit 'denen' könne man sich dann nicht solidarisieren, weil man mit 'denen' wenig bis nichts gemein habe.

Daran ist 1. falsch:
Die Vermutung, daß man mit 'denen' wenig gemein hätte
und 2. politisch verheerend:
Die Vorstellung, 'der' Siemensarbeiter bzw. 'die' Hohenschönhausener Aldikassiererin verkörperten eine wesenhafte und unveränderliche Identität.

Zum 1. Punkt (der Vorstellung ganz anders zu sein, als die anderen) brauchen wir hier hoffentlich nicht viel zu sagen. Ideologien existieren in gesellschaftlichen Praxen und Diskursen, von denen man sich gerade so wenig mal eben frei machen kann, wie von 'harten' Lebensbedingungen wie Arbeit und Wohnumfeld.

Zum 2. Punkt (der Identitätskonstruktion 'des' nationalistischen Siemensarbeiters bzw. 'der' aufgedonnerten Aldikassiererin, kurz: 'die Prols'): Diese Identitätskonstruktion ist politisch fatal, weil sie die (ideologiekritischen) Fragen verhindert, deren Bearbeitung und Beantwortung Voraussetzung für strategisches Eingreifen und gesellschaftliche Veränderung sind:

 Warum ist der/die/das so?  Wie funktionieren solche Vorstellungen?  Was gewinnen die Leute damit?  Welche Nöte und Wünsche drücken sich darin aus und deshalb last not least:  Welche gemeinsame Perspektive könnten selbst so verschiedene Gruppen in einem Prozeß von Befreiung haben?  Welche gemeinsamen Veränderungsprozesse sind möglich?

Wer Identitäten, auf welche Weise auch immer, verewigt, verhindert praktisch die Frage nach Veränderung. Dann bleiben eben nur noch schwarz/weiß -Weltbilder übrig.

Konsequenterweise müßten wir an dieser Stelle eben solchen ideologiekritischen Fragen nachgehen, um herauszukriegen,  warum sich Autonome bei der LEGO-Diskussion zuerst mal von 'dem' Siemensarbeiter und 'der' Aldikassiererin distanzieren mußten,  was die Autonomen mit solchen Diskussionen gewinnen, welche Bedingungen und Wünsche sich darin ausdrücken,     und all das, wie gerade aufgeführt.
Wir werden die Autonomen hier nicht auf den ideologiekritischen Prüfstand stellen, sondern es statt dessen beim freundlichen Apell bewenden lassen:

  • sich auf Auseinandersetzungen einzulassen, ohne schon vor der Auseinandersetzung den moralisch bzw. politisch richtigen Standpunkt zu kennen,
  • Identitäten (auch die eigene) nicht zu verewigen, sondern sich statt dessen zu fragen, wie's dazu kommt, daß Menschen in (welchen?) Verhältnissen so oder so drauf sind.

Soviel erst mal dazu, inwiefern Auseinandersetzungsunfähigkeit zur Abstinenz vom Politikfeld 'Soziale Frage' führt..

2.4 Vom blinden Fleck... zur Auseinandersetzungsunfähigkeit

Umgekehrt wird, wer das Thema "soziale Frage" meidet, politisch ganz sicher auseinandersetzungsunfähig werden und in Zeiten rapide sich verschärfender sozialer Gegensätze zunehmend mehr.

Eine Bewegung, die dazu nichts zu sagen hat und bei den entsprechenden Kämpfen immer außen vor bleibt, wird zunehmend bedeutungsloser. Es wird dann auch immer weniger Bewegungen geben, die sich auf die autonome noch auseinandersetzend beziehen wollen. Wer auf der einen Seite seine Ideale von Befreiung und Kampf den trikontinentalen Guerilleros entlehnt, aber andererseits ein Verhältnis zur umgebenden Bevölkerung hat, das ein "Schwimmen wie der Fisch im Wasser" völlig unmöglich macht, macht sich politisch lächerlich.

Von heute aus betrachtet, stellt sich die Dethematisierung der Sozialen Frage in der radikalen Linken, speziell bei den Autonomen, als fataler Fehler dar, weil Widerstand auf diesem Gebiet nun ­­ überspitzt formuliert ­­ bei Null anfangen muß, statt sich auf Erfahrungen und Auseinandersetzungen beziehen zu können.

These: Was unseres Erachtens perspektivisch für die gesamte Linke Not tut, ist eine Rethematisierung der Sozialen Frage, die andere Widersprüche (Sexismus/Patriarchat, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Ökologiefrage...) nicht wieder unter den Tisch fallen läßt.

2.5 Die Autonomen könnten ihr Scherflein zum Widererstarken der Linken beitragen, wenn...

Das bedeutet insbesondere, nicht in die Falle der alten Identitätskonstruktionen des Arbeiterbewegungsmarxismus zu gehen und Klasse als Subjekt zu denken, mit geradezu 'angeborenen' Eigenschaften, wie etwa fleißig. ehrlich, widerständig und sogar unschuldig, weil im Zweifelsfall immer nur von der Führung verraten. Das bedeutet weiter, Unterschiede und Gegensätze innerhalb dessen, was der Arbeiterbewegungsmarxismus als 'die Klasse' bezeichnet, wahrzunehmen, auszutragen und dabei Partei zu ergreifen.

Die Autonomen könnten zu einer so verstandenen Rethematisierung der Sozialen Frage etwas beitragen, wenn sie ihre autistische Auseinandersetzungsunfähigkeit und ihre damit verbundene Identitätstümelei zu überwinden in der Lage sind.
Um das zu erreichen, sind politische Auseinandersetzungen innerhalb der Autonomen um die strategische Linie notwendig und werden auch (in noch zu geringem Umfang) geführt.

2.6 Die Auseinandersetzung läuft bereits

So versuchte z.B. die Gruppe "Autonome KleingärtnerInnen" in die vorhin erwähnte Diskussion um Soziale Frage beim LEGO-Treffen mit einem Papier zu intervenieren, in dem sie die Forderung nach bedarfsorientierter Grundsicherung stark machten.
Wir selbst haben vor kurzem einen kleinen Versuch in dieser Richtung gestartet, anläßlich eines Flugblatts zum 1. Mai, den Nazis und deren Thematisierung der sozialen Frage im Autonomenfachblatt "Interim". In diesem Flugblatt wurde die Forderung nach einer bedürfnisorientierten Grundsicherung als reformistisch und nicht weitreichend genug kritisiert. Wir vertreten in einer Antwort auf dieses Flugblatt, daß die Forderung nach einer bedarfsorientierten Grundsicherung von DM 1500.- plus Warmmiete besonders geeignet ist, Spaltungen zu überwinden und insofern auch eine anti-sexistische/anti-patriarchale und anti-rassistische Forderung ist [vgl. "Wer schon nicht arbeitet, soll wenigstens gut essen!", Interim Nr. 450, S. 16f].
Das aktuell diskutierte Strategiepapier "Wo ist Behle"  bezieht insofern implizit Stellung in dieser Auseinandersetzung, als sein Autor Fridolin seine Aktionsvorschläge ausgerechnet am Beispiel einer "Anti-Reichtumskampagne" illustriert; eine Idee, auf die man erst mal kommen muß! Seine Vorstellung politischen Erfolges als "wir werden wieder mehr" (Autonome) kann nur vor dem Hintergrund gedacht werden, 'die' Autonomen wären der Befreiung zumindest am nächsten und der Weg zur Befreiung führe mindestens über den Weg einer 'Verautonomung', wenn nicht zur 'Verautonomung' der Gesellschaft. Demgegenüber wollen wir betonen, daß gesellschaftliche Befreiung ein Projekt ganz anderer Größenordnung ist, in das sich die winzige autonome Bewegung einfinden müßte, um sich zusammen mit den anderen zu verändern.

Soweit zur Sozialen Frage und wo wir die Autonomen dabei verorten.

3. Darstellung der Diskussion vom 30. 05. 98

3.1 Positionen

Die erste, sehr berechtigte Frage war, was denn nun eigentlich an unserer Kritik und Szeneschelte so neu sei, ob wir denn in der Lage seien, Wege aus der Misere zu weisen. Sicher ist es so, daß Teile unserer Kritik schon seit Jahren immer wieder aufs Tapet gebracht werden. Das macht die Kritik dann zwar nicht neu, nimmt ihr aber auch nichts von ihrer Aktualität und Gültigkeit, solange sich die autonomen Verhältnisse nicht geändert haben. Zudem betonten wir, daß unser Identitätsbegriff durchaus andere Dimensionen hat, als der bisheriger KritikerInnen aus autonomen Kreisen; daß er sich nämlich nicht nur kritisch auf die folkloristische, subkulturelle Aura bezieht, mit der sich die Autonomen so gern umgeben, sondern auch nach deren kritischem Bezug auf die Gesellschaft fragt, und wieso die Vorstellung so verbreitet ist, ihre Kritik enthebe sie der Notwendigkeit der Selbstreflektion - diese Kritik ist nämlich auch Fortsetzung und Auswirkung der "Normalität", von der sie sich so gern absetzen. Trotzdem bleibt festzuhalten: Wir haben keinen Weg aus der Misere zu bieten, zumindest keinen organisatorischen.

An diesem Punkt wird auch der Unterschied unseres Ansatzes zu Fridolins Kritik in der Broschüre "Wo ist Behle?" klar: Wir fragen nach den sozialen Gegebenheiten, und fragen uns, wie wir in ihnen etwas verändern können, während Fridolin in seinem Text zwar dem Allgemeinplatz zustimmt, daß sich die soziale Frage verschärft, dabei aber trotzdem aufgrund der nicht zu hintergehenden Unvereinbarkeit zwischen autonomen "Denk- und Wertefiltern" (Fridolin) und denen der "Normalbevölkerung" keinerlei Handlungsansätze sieht, die diese mit einbezögen.

Auf Fridolins Text wurde in der Diskussion mehrfach positiv Bezug genommen; hauptsächlich als gute Begründung dafür, warum sich Autonome schwer tun, bei der Auseinandersetzung mit der sozialen Frage. Es wurden wiederholt antinational motivierte Fragen nach den Fallstricken der Beschäftigung mit der sozialen Frage in Deutschland gestellt. Dabei wurde argumentiert, aufgrund der historischen Kontinuitäten sei eine Zusammenarbeit mit der "Deutschen Normalbevölkerung" nicht möglich. Mit denen verbinde uns eben wirklich nichts. Die Arbeiterbewegung habe schon mehrfach national versagt, die soziale Frage könne schließlich auch von rechts gelöst werden. Also dürfen wir nicht in die gleiche Falle laufen, indem wir versuchen, uns mit der Masse gemein zu machen.

Unsere Antwort darauf ist, daß es nur eine fatale Fehleinschätzung sein kann, den rechten Kräften, die sich in der Tat intensiv mit der sozialen Frage befassen, das Feld zu überlassen. So etwas kann sich nur leisten, wer sowieso nicht von der Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ausgeht und nur noch als MahnerIn in der Wüste die schlimmsten Auswüchse zu verhindern sucht.

Uns wurde entgegengehalten, wir verschreiben uns mit unserer "Volksnähe" einem volkstümelnden, arbeiterverherrlichenden Marxismus, bzw. dem Maoismus. Diese Position wurde nun gerade auf dieser Veranstaltung von gar niemandem vertreten, in unserem Referat tauchte sie nur als Hauptwiderspruchsdenken auf, von dem es sich abzugrenzen gilt. Wir fragen uns, was für eine Funktion das Aufbauen eines solchen Pappkameraden eigentlich erfüllen sollte...Wir hoffen, daß sich KritikerInnen, die bei uns solche Positionen zu erkennen glauben, mit diesem Text auf die Diskussion vorbereiten!

Die arrogante Überheblichkeit vieler antisozialer Äußerungen auf dieser Veranstaltung blieb keinesfalls unwidersprochen. Im Gegenzug wurde von anderen darauf hingewiesen, daß die als ach so nationalistisch beschriebene ArbeiterInnenschaft doch oft genug gar nicht "deutsch" sei, daß die Voraussetzung für die Behauptung eines solchen Antagonismus klar antisoziale Positionen seien. Ob sich nicht in den Berührungsängsten der Autonomen hauptsächlich ihr eigener nicht eingestandener Mittelstands- bzw. BildungsbürgerInnenhintergrund verberge, der ihnen liberale Werte wie Toleranz als selbstverständlich erscheinen lasse, etwas, das man entweder hat oder nicht (Kritik, der wir unbedingt zustimmen). Schließlich "profitierten" die meisten Autonomen von den Verhältnissen. Fast alle hätten so etwas wie einen Immobilienhintergrund, mit dem es sich ganz gut antisozial argumentieren lasse. Ein Genosse bekannte sich dazu, daß sich seine Haltung den Autonomen gegenüber zunehmend dahin entwickelt habe, diese Art von "autonomen Loyalitäten" zu bekämpfen.

Wir hatten eigentlich erwartet, daß auch am Thema Patriarchat diskutiert würde und versuchten mehrfach, Abgrenzungskonstruktionen a la "ich kann doch nicht einfach behaupten, daß irgendwer besonders widerständig ist, nur weil er unterdrückt wird"(in diesem Falle die Normalbevölkerung), auf die Unterdrückungsmechanismen im Patriarchat zu beziehen. Wohlgemerkt, wir sind ganz und gar nicht der Ansicht, daß Frauen deshalb per se widerständig sind , weil sie im Patriarchat den Kürzeren ziehen. Wir würden aber auf jeden Fall vertreten, daß Frauen diejenigen sind, die diese Unterdrückungsmechanismen am deutlichsten zu spüren bekommen, und dadurch potentielle Interessentinnen daran, daß sich etwas ändert. Damit wurde sich aber nicht weiter auseinandergesetzt, was nicht schlimm gewesen wäre, hätten nicht einige Männer immer wieder betont, daß man mit der "Deutschen Normalbevölkerung" ja auch aufgrund ihrer sexistischen Vorstellungen nicht zusammenarbeiten könne; ein schönes Beispiel für den Versuch sich seine gute autonome Männeridentität zurecht zu basteln, die sich grundsätzlich von der "normaler" Männer abhebt!

3.2. Zum Schluß:

Wir haben uns durch diese Diskussion in einigen unserer Thesen zu autonomer Identitätstümelei und antisozialer Grundhaltung aufs schönste bestätigt gefunden. Nicht nur, daß es Gleich- oder Ähnlichgesinnte gibt sondern auch, daß sich an den autonomen Zuständen und selbstherrlichen autonomen Vorstellungen, wie sie auch von einigen MitdiskutantInnen vertreten wurden, nicht so viel geändert hat, daß nicht weitere Auseinandersetzungen nötig wären.

Kommt am 11. 07. in die Liebigstraße 34. Wir versprechen uns von Eurer Kritik an den Autonomen und auch an uns eine Vertiefung und Erweiterung dieser Diskussion.

Die Unglücklichen
c/o Infoladen Daneben
Liebigstraße 34
D-10247 Berlin
email: Daneben@omega.berlinet.de


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