trend onlinezeitung für die alltägliche wut Nr. 7-8/1998 | ||
Die Letzten auf der Titanic?
Dies ist die Einladung zur Fortsetzung unserer Volksuniveranstaltung vom 30. 05. 98 zu den Perspektiven autonomer Bewegung. Es waren etwa 50 Leute da. Im dort gehaltenen Referat haben wir zum einen die Potentiale der autonomen Bewegung und deren potentiellen Beitrag zum Erstarken der Linken herausgestrichen und gleichzeitig angedeutet, wie diese unserer Meinung nach verfehlt werden. Zum anderen haben wir zwei Thesen zur Kritik der autonomen Bewegung vorgestellt: Wir haben auf die Blindheit gegenüber der sozialen Frage und auf die Identitätsvorstellungen in der Szene hingewiesen. Die beiden letzteren Teile unseres Referats veröffentlichen wir hier zusammen mit einer kurzen Darstellung der intensiven und langen Diskussion, die sich danach ergab. Dieser Text soll als Grundlage für die hier angekündigte Diskussion dienen. Zu Beginn der Veranstaltung werden wir noch einmal kurz unsere Thesen vorstellen, um dann sofort in die Diskussion einzusteigen.
1. Identitätsorientierte Politikformen
Unter "Soziale Frage" verstehen wir Politikfelder, bei denen es um Arbeit, gesellschaftlichen Reichtum, seine Produktion und Verteilung, um Klassenverhältnisse und die Reproduktion von Arbeitskraft geht. Die "Soziale Frage" ist so immer durchdrungen von anderen gesellschaftlichen Widersprüchen, wie Sexismus/Patriarchat und Rassismus. Vorweg: Es gibt durchaus Autonome die sich mit der 'sozialen Frage' beschäftigen und auf diesem Feld Politik machen. Sie tun das aber in der Regel nicht als Autonome, sondern in ihrem politischen Zweitleben. D.h. eben nicht in autonomen Zusammenhängen oder Gruppen. 2.1 Wo begegnen Autonome der Sozialen Frage? Klar sind alle Autonomen gegen Kapitalismus, zumindest gegen Kapitalisten, gegen Banken (daher die vielen kaputten Schaufensterscheiben bei Banken) und gegen Multis (wie z.B. in der Kampagne "Shell to hell!"). Autonome sind vor allem dann gegen Kapitalismus, wenn woanders überausgebeutet wird. Autonome begegnen der Sozialen Frage aber nur im Vorübergehen, wenn es sich 'eigentlich' um andere Kämpfe handelt: anti-rassistische, anti-sexistische oder anti-imperialistische. Beispiele dafür sind die Kampagnen und Angriffe gegen Sorat, Adler und VW-Seat. In den 80ern gab es noch JobberInneninitiativen, die sich gegen Ausbeutung in ihrer prekarisierten Form organisierten. Es gibt/gab ein paar 'zuständige' Gruppen, die 'autonomen-nah' sind, wie z.B. "wildcat", "basta" (tot), und die untote "Autonome Erwerbslosen Gruppe Kreuzberg (AEG)". 2.2 Wie Autonome kneifen, wenn's um Soziale Frage geht Die Alltäglichkeit von Ausbeutung, die Details, Verästelungen des Themas und vor allem seine Widersprüche interessieren die Szene nicht. Bestes Beispiel sind wir selbst bzw. die Diskussionen im Frühjahr '97, als wir in einem Zusammenhang die Idee einer Veranstaltungsreihe zum Thema Sozialpolitik diskutierten. Wir hatten keine Ahnung, keine Kontakte und vor allem keine Traute, uns mit einem Thema mit so vielen Fallstricken zu beschäftigen. Uns bedrängten viele Fragen, an denen die Veranstaltungsreihe bereits in der ersten Erörterungsphase scheiterte. Diese Fragen waren ja nicht einfach doof: Organisierte sich bei den Demos des Sozialbündnisses vielleicht der Deutsche Mob? War denen nur ihr Arbeitslosengeld wichtig, die Flüchtlinge aber egal? Warum waren Frauenforderungen dort so wenig präsent und wie könnten wir sie bei unserer Veranstaltung repräsentieren? Vollziehen wir nicht die vorgegebenen Spaltungen nach, wenn wir je eine Veranstaltung zu 'Frauen', 'Behinderten' 'MigrantInnen', 'Erwerbslosen' etc. machen? Mit wem könnten wir zusammenarbeiten? etc. etc. Veranstaltungen zum Radikalverfahren, dem Abschiebeknast in Grünau oder auch "Punks in Mexiko City" sind dagegen im selben Zusammenhang gänzlich unproblematisch und werden im Zweifelsfall auch ohne Vorbereitung durchgeführt Zwar wendet sich der in autonomen Kreisen am weitesten akzeptierte "Triple Opression" -Ansatz explizit gegen eine Hierarchisierung der drei bis vier großen Unterdrückungsverhältnisse. Trotzdem sind viele soziale Kämpfe bei 'den' Autonomen kein Thema: Egal, ob von Gewerkschaftsapparaten organisierte Lohnkämpfe, gegen Gewerkschaftsapparate durchgesetzte Streiks wegen der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bundesweite Demonstration gegen das Lohnabstandsgesetz im BSHG, ethnische Säuberung beim Bosch-Siemens Hausgerätewerk, atmende Fabrik bei VW, Modulsystem bei der Abrechnung von Pflegeleistungen, monatliche Demos der Erwerbslosenbewegung und so weiter und so fort: Die Autonomen glänzen durch Abwesenheit. These: Wir denken, die Abstinenz der Autonomen zum Thema 'Soziale Frage' und die vorher erwähnte Auseinandersetzungsfähigkeit bedingen sich gegenseitig. 2.3 Von der Auseinandersetzungsunfähigkeit zum blinden Fleck 'Soziale Frage' Wer unter Auseinandersetzungsunfähigkeit leidet, wird zum Thema
'soziale Frage' besonders politikunfähig sein, denn hier treffen die
erstaunlichsten Widersprüche aufeinander. Vor 1½ Jahren bildete
sich ein Diskussionskreis mit Namen LEGO, der anfänglich eine repräsentative
Zahl autonomer Gruppen versammelte. LEGO begann mit einer Debatte um die
Soziale Frage, bei der mehrfach RednerInnen bemerkten, daß der
streikende Siemensarbeiter möglicherweise ein Nationalist ist und die
Kassiererin bei Aldi in Hohenschönhausen sich womöglich im
Patriarchat nur einrichtet. Daran ist 1. falsch: Zum 1. Punkt (der Vorstellung ganz anders zu sein, als die anderen) brauchen wir hier hoffentlich nicht viel zu sagen. Ideologien existieren in gesellschaftlichen Praxen und Diskursen, von denen man sich gerade so wenig mal eben frei machen kann, wie von 'harten' Lebensbedingungen wie Arbeit und Wohnumfeld. Zum 2. Punkt (der Identitätskonstruktion 'des' nationalistischen Siemensarbeiters bzw. 'der' aufgedonnerten Aldikassiererin, kurz: 'die Prols'): Diese Identitätskonstruktion ist politisch fatal, weil sie die (ideologiekritischen) Fragen verhindert, deren Bearbeitung und Beantwortung Voraussetzung für strategisches Eingreifen und gesellschaftliche Veränderung sind: Warum ist der/die/das so? Wie funktionieren solche Vorstellungen? Was gewinnen die Leute damit? Welche Nöte und Wünsche drücken sich darin aus und deshalb last not least: Welche gemeinsame Perspektive könnten selbst so verschiedene Gruppen in einem Prozeß von Befreiung haben? Welche gemeinsamen Veränderungsprozesse sind möglich? Wer Identitäten, auf welche Weise auch immer, verewigt, verhindert praktisch die Frage nach Veränderung. Dann bleiben eben nur noch schwarz/weiß -Weltbilder übrig. Konsequenterweise müßten wir an dieser Stelle eben solchen
ideologiekritischen Fragen nachgehen, um herauszukriegen, warum
sich Autonome bei der LEGO-Diskussion zuerst mal von 'dem' Siemensarbeiter
und 'der' Aldikassiererin distanzieren mußten, was die Autonomen
mit solchen Diskussionen gewinnen, welche Bedingungen und Wünsche sich
darin ausdrücken, und all das, wie gerade aufgeführt.
Soviel erst mal dazu, inwiefern Auseinandersetzungsunfähigkeit zur Abstinenz vom Politikfeld 'Soziale Frage' führt.. 2.4 Vom blinden Fleck... zur Auseinandersetzungsunfähigkeit Umgekehrt wird, wer das Thema "soziale Frage" meidet, politisch ganz sicher auseinandersetzungsunfähig werden und in Zeiten rapide sich verschärfender sozialer Gegensätze zunehmend mehr. Eine Bewegung, die dazu nichts zu sagen hat und bei den entsprechenden Kämpfen immer außen vor bleibt, wird zunehmend bedeutungsloser. Es wird dann auch immer weniger Bewegungen geben, die sich auf die autonome noch auseinandersetzend beziehen wollen. Wer auf der einen Seite seine Ideale von Befreiung und Kampf den trikontinentalen Guerilleros entlehnt, aber andererseits ein Verhältnis zur umgebenden Bevölkerung hat, das ein "Schwimmen wie der Fisch im Wasser" völlig unmöglich macht, macht sich politisch lächerlich. Von heute aus betrachtet, stellt sich die Dethematisierung der Sozialen Frage in der radikalen Linken, speziell bei den Autonomen, als fataler Fehler dar, weil Widerstand auf diesem Gebiet nun überspitzt formuliert bei Null anfangen muß, statt sich auf Erfahrungen und Auseinandersetzungen beziehen zu können. These: Was unseres Erachtens perspektivisch für die gesamte Linke Not tut, ist eine Rethematisierung der Sozialen Frage, die andere Widersprüche (Sexismus/Patriarchat, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Ökologiefrage...) nicht wieder unter den Tisch fallen läßt. 2.5 Die Autonomen könnten ihr Scherflein zum Widererstarken der Linken beitragen, wenn... Das bedeutet insbesondere, nicht in die Falle der alten Identitätskonstruktionen des Arbeiterbewegungsmarxismus zu gehen und Klasse als Subjekt zu denken, mit geradezu 'angeborenen' Eigenschaften, wie etwa fleißig. ehrlich, widerständig und sogar unschuldig, weil im Zweifelsfall immer nur von der Führung verraten. Das bedeutet weiter, Unterschiede und Gegensätze innerhalb dessen, was der Arbeiterbewegungsmarxismus als 'die Klasse' bezeichnet, wahrzunehmen, auszutragen und dabei Partei zu ergreifen. Die Autonomen könnten zu einer so verstandenen Rethematisierung
der Sozialen Frage etwas beitragen, wenn sie ihre autistische
Auseinandersetzungsunfähigkeit und ihre damit verbundene Identitätstümelei
zu überwinden in der Lage sind. 2.6 Die Auseinandersetzung läuft bereits So versuchte z.B. die Gruppe "Autonome KleingärtnerInnen" in
die vorhin erwähnte Diskussion um Soziale Frage beim LEGO-Treffen mit
einem Papier zu intervenieren, in dem sie die Forderung nach
bedarfsorientierter Grundsicherung stark machten. Soweit zur Sozialen Frage und wo wir die Autonomen dabei verorten. 3. Darstellung der Diskussion vom 30. 05. 98 3.1 Positionen Die erste, sehr berechtigte Frage war, was denn nun eigentlich an unserer Kritik und Szeneschelte so neu sei, ob wir denn in der Lage seien, Wege aus der Misere zu weisen. Sicher ist es so, daß Teile unserer Kritik schon seit Jahren immer wieder aufs Tapet gebracht werden. Das macht die Kritik dann zwar nicht neu, nimmt ihr aber auch nichts von ihrer Aktualität und Gültigkeit, solange sich die autonomen Verhältnisse nicht geändert haben. Zudem betonten wir, daß unser Identitätsbegriff durchaus andere Dimensionen hat, als der bisheriger KritikerInnen aus autonomen Kreisen; daß er sich nämlich nicht nur kritisch auf die folkloristische, subkulturelle Aura bezieht, mit der sich die Autonomen so gern umgeben, sondern auch nach deren kritischem Bezug auf die Gesellschaft fragt, und wieso die Vorstellung so verbreitet ist, ihre Kritik enthebe sie der Notwendigkeit der Selbstreflektion - diese Kritik ist nämlich auch Fortsetzung und Auswirkung der "Normalität", von der sie sich so gern absetzen. Trotzdem bleibt festzuhalten: Wir haben keinen Weg aus der Misere zu bieten, zumindest keinen organisatorischen. An diesem Punkt wird auch der Unterschied unseres Ansatzes zu Fridolins Kritik in der Broschüre "Wo ist Behle?" klar: Wir fragen nach den sozialen Gegebenheiten, und fragen uns, wie wir in ihnen etwas verändern können, während Fridolin in seinem Text zwar dem Allgemeinplatz zustimmt, daß sich die soziale Frage verschärft, dabei aber trotzdem aufgrund der nicht zu hintergehenden Unvereinbarkeit zwischen autonomen "Denk- und Wertefiltern" (Fridolin) und denen der "Normalbevölkerung" keinerlei Handlungsansätze sieht, die diese mit einbezögen. Auf Fridolins Text wurde in der Diskussion mehrfach positiv Bezug genommen; hauptsächlich als gute Begründung dafür, warum sich Autonome schwer tun, bei der Auseinandersetzung mit der sozialen Frage. Es wurden wiederholt antinational motivierte Fragen nach den Fallstricken der Beschäftigung mit der sozialen Frage in Deutschland gestellt. Dabei wurde argumentiert, aufgrund der historischen Kontinuitäten sei eine Zusammenarbeit mit der "Deutschen Normalbevölkerung" nicht möglich. Mit denen verbinde uns eben wirklich nichts. Die Arbeiterbewegung habe schon mehrfach national versagt, die soziale Frage könne schließlich auch von rechts gelöst werden. Also dürfen wir nicht in die gleiche Falle laufen, indem wir versuchen, uns mit der Masse gemein zu machen. Unsere Antwort darauf ist, daß es nur eine fatale Fehleinschätzung sein kann, den rechten Kräften, die sich in der Tat intensiv mit der sozialen Frage befassen, das Feld zu überlassen. So etwas kann sich nur leisten, wer sowieso nicht von der Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ausgeht und nur noch als MahnerIn in der Wüste die schlimmsten Auswüchse zu verhindern sucht. Uns wurde entgegengehalten, wir verschreiben uns mit unserer "Volksnähe" einem volkstümelnden, arbeiterverherrlichenden Marxismus, bzw. dem Maoismus. Diese Position wurde nun gerade auf dieser Veranstaltung von gar niemandem vertreten, in unserem Referat tauchte sie nur als Hauptwiderspruchsdenken auf, von dem es sich abzugrenzen gilt. Wir fragen uns, was für eine Funktion das Aufbauen eines solchen Pappkameraden eigentlich erfüllen sollte...Wir hoffen, daß sich KritikerInnen, die bei uns solche Positionen zu erkennen glauben, mit diesem Text auf die Diskussion vorbereiten! Die arrogante Überheblichkeit vieler antisozialer Äußerungen auf dieser Veranstaltung blieb keinesfalls unwidersprochen. Im Gegenzug wurde von anderen darauf hingewiesen, daß die als ach so nationalistisch beschriebene ArbeiterInnenschaft doch oft genug gar nicht "deutsch" sei, daß die Voraussetzung für die Behauptung eines solchen Antagonismus klar antisoziale Positionen seien. Ob sich nicht in den Berührungsängsten der Autonomen hauptsächlich ihr eigener nicht eingestandener Mittelstands- bzw. BildungsbürgerInnenhintergrund verberge, der ihnen liberale Werte wie Toleranz als selbstverständlich erscheinen lasse, etwas, das man entweder hat oder nicht (Kritik, der wir unbedingt zustimmen). Schließlich "profitierten" die meisten Autonomen von den Verhältnissen. Fast alle hätten so etwas wie einen Immobilienhintergrund, mit dem es sich ganz gut antisozial argumentieren lasse. Ein Genosse bekannte sich dazu, daß sich seine Haltung den Autonomen gegenüber zunehmend dahin entwickelt habe, diese Art von "autonomen Loyalitäten" zu bekämpfen. Wir hatten eigentlich erwartet, daß auch am Thema Patriarchat diskutiert würde und versuchten mehrfach, Abgrenzungskonstruktionen a la "ich kann doch nicht einfach behaupten, daß irgendwer besonders widerständig ist, nur weil er unterdrückt wird"(in diesem Falle die Normalbevölkerung), auf die Unterdrückungsmechanismen im Patriarchat zu beziehen. Wohlgemerkt, wir sind ganz und gar nicht der Ansicht, daß Frauen deshalb per se widerständig sind , weil sie im Patriarchat den Kürzeren ziehen. Wir würden aber auf jeden Fall vertreten, daß Frauen diejenigen sind, die diese Unterdrückungsmechanismen am deutlichsten zu spüren bekommen, und dadurch potentielle Interessentinnen daran, daß sich etwas ändert. Damit wurde sich aber nicht weiter auseinandergesetzt, was nicht schlimm gewesen wäre, hätten nicht einige Männer immer wieder betont, daß man mit der "Deutschen Normalbevölkerung" ja auch aufgrund ihrer sexistischen Vorstellungen nicht zusammenarbeiten könne; ein schönes Beispiel für den Versuch sich seine gute autonome Männeridentität zurecht zu basteln, die sich grundsätzlich von der "normaler" Männer abhebt! 3.2. Zum Schluß: Wir haben uns durch diese Diskussion in einigen unserer Thesen zu autonomer Identitätstümelei und antisozialer Grundhaltung aufs schönste bestätigt gefunden. Nicht nur, daß es Gleich- oder Ähnlichgesinnte gibt sondern auch, daß sich an den autonomen Zuständen und selbstherrlichen autonomen Vorstellungen, wie sie auch von einigen MitdiskutantInnen vertreten wurden, nicht so viel geändert hat, daß nicht weitere Auseinandersetzungen nötig wären. Kommt am 11. 07. in die Liebigstraße 34. Wir versprechen uns von Eurer Kritik an den Autonomen und auch an uns eine Vertiefung und Erweiterung dieser Diskussion. Die Unglücklichen |
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