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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998


Kein "groszer Bahnhof"

von Waltraud Schwab

Vom Medienrummel ueberrascht wurden Roch Czartoryski,
Werkvertragsarbeiter aus Polen und Maria Brzeczyszczykiewicz,
Pendelmigrantin, die wochentags in Berlin putzt und am Wochenende zurueck zu ihren schulpflichtigen Kindern und ihrer Mutter in den Masuren faehrt, als sie am 30.6.98 am Bahnhof Lichtenberg ankamen. Als zig-Millionste  (und zig-Millionste + 1) auslaendische Arbeitskraefte naemlich wurden sie  vom Polnischen Sozialrat und Aktion Suehnezeichen feierlich begrueszt.

Herrn Czartoryski wurde als Geschenk ein gelber Tretroller ueberreicht,
Frau Brzeczyszczykiewicz erhielt als Dankeschoen fuer ihren
unermuedlichen Einsatz einen Warengeschenkkorb mit Aldi-Produkten. Wie  vor 34 Jahren, als der einmillionste "Gastarbeiter" - der Portugiese
Armando Sá Rodrigues - von der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeber auf dem Bahnhof Koeln-Deutz mit einem Moped und einer Urkunde empfangen wurde, waren auch die gerade aus Polen kommenden
Arbeitswilligen, durch Los als zig-Millionste bestimmt worden. Damit aber
enden bereits die Parallelen und aus dem Spiel wird Ernst. Denn wo
Bauarbeiter "gegen den voellig ungerregelten Zustrom auslaendischer
Billiglohnanbieter" demonstrieren, wie letzte Woche in Berlin geschehen,
tut Aufklaerung not, fanden die Initiatoren und Initiatorinnen dieser
Aktion.

Vor 35 Jahren wurde den einreisenden Arbeitnehmern der Hof gemacht. Heute werden sie gebraucht, aber nicht geschuetzt. Wie Auslaender und
Auslaenderinnen in Deutschland behandelt werden ist, so die
Einschaetzungen vom Polnischen Sozialrat, ist eine Frage der Politik und
der Berichterstattung. Bekannt ist, dasz die derzeitige Bauwut in Berlin
ohne billigste Arbeitskraefte aus ost- und westeuropaeischen Laendern -
nicht zu bewerkstelligen waere. Bauarbeit naemlich kann nicht ins Ausland
verlagert werden. Hartnaeckig haelt sich ohnehin dabei das Geruecht, dasz
es in Berlin keine einzige Baustelle gibt, auch nicht das
Bundespraesidentenschlosz Bellevue, auf der nicht illegale Arbeiter
beschaeftigt sind oder waren. Anders naemlich ist das Preisdumping in der
Branche gar nicht mehr zu leisten. Wo aber Bauarbeiter von ueberallher
ueber Subsubsubunternehmen, die vielfach selbst nicht mehr in Deutschland als Firmen eingetragen sind, angeworben werden, greift keine deutsche arbeitsrechtliche oder soziale Absicherung mehr. Zudem - so die Analyse des Polnischen Sozialrates - werde Einwanderung und Migration nicht als Folge der weltweiten oekonomischen Umstrukturierungen dargestellt, wo Bewohner und Bewohnerinnen ganzer Regionen gezwungen sind, ihre familiaere und soziale Sicherheit aufzugeben, um ueber Grenzen hinweg der Arbeit nachreisen. Stattdessen werde die Verursachung der Misere individualisiert. Jedem Nichtdeutsche, der in Deutschland arbeiten will, werden egoistische und moralisch verwerfliche Motive unterstellt.

"Der Glanz der Metropolen wird auf dem Ruecken von Migranten und
Migrantinnen hergestellt", sagt Hilde Hellbernd vom Zapola, dem Bereich
des Polnischen Sozialrats, der insbesondere Osteuropaeerinnen betreut. An Frauen werde besonders deutlich, dasz das Verursacherprinzip in
Deutschland keine Rolle spielt. Es gibt hier eine Nachfrage, sei es nach
Putzen, sei es nach Sex. Geschieht dies mit ungeschuetztem
Aufenthaltsstatus, sind die Frauen jeglicher Willkuer ausgesetzt.
Billigste Dienstleistungen im privaten Sektor sind mittlerweile ein
wirtschaftlicher Faktor, der Kuerzungen in der staatlichen
Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung wettmache. Werden die
Putzfrauen, Kindermaedchen, Bauarbeiter oder privaten Krankenpfleger
jedoch selbst krank oder beduerftig, werden sie in ihre Herkunftslaender
zurueckgeschoben.

Roch C. laechelt freundlich; sein Pasz lugt aus der Hemdentasche hervor;
er raucht. Maria B. sieht irritiert und uebermuedet aus. Sie versteht die
Empfangsreden nicht, verlangt nach einer UEbersetzung. Auf ihren
abgetretenen Turnschuhen steht nur ein einziges Wort: "Adventure".


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