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Kriegsgeschrei Im
Kosovo verteidigen die NATO-Staaten ihre Interessen, nicht die
Menschenrechte Waehrend die Diplomaten
verhandeln, bereiten die Militaers im Kosovo den Krieg vor. Die
Weichen sind gestellt, die einzig umstrittene Frage ist, ob die NATO nur
mit, oder auch ohne UN-Mandat losschlagen darf -- d.h. auch dann, wenn der
Westen mit Russland darueber keine Einigkeit erzielt. Beim gegenwaertigen
Stand wuerde Russland im UNO-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine
NATO-Intervention einlegen. Die Bedeutung des
Streits liegt nicht nur darin, ob eine "neue Weltordnung"
mit oder gegen Russland gebaut wird. "Rest-Jugoslawien" ist
UN-Mitglied. Die Provinz Kosovo ist nach voelkerrechtlichen Massstaeben
Teil seines Territoriums, das wird von keiner Regierung bestritten, nicht
einmal von der albanischen. Jede fremde Armee, die dort auftritt, kann sich
nicht, wie z.B. im Konflikt zwischen Serbien und Kroatien, auf eine
Schiedsrichterrolle der "Voelkergemeinschaft"
zurueckziehen, sondern ist kriegfuehrende Partei. Wenn die
NATO militaerische Einsaetze gegen serbische "Saeuberungsmassnahmen"
im Kosovo fliegt, erklaert sie Serbien den Krieg. Zum erstenmal seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs gaebe es auf dem Balkan wieder einen
imperialistischen Krieg, und Deutschland waere erneut dabei.
Diesmal sind auch die Gruenen auf dem besten Weg, sich ihren "4.August
1914" zu schaffen. Damals hatte die SPD die deutschen
Kriegskredite zum Ersten Weltkrieg gebilligt. Noch sind die Gruenen
gespalten, aber das Wahlkampfgeschrei der alteingesessenen Parteien
schaukelt schon jetzt und aus durchsichtigen Gruenden das Ja zur
NATO-Intervention zur Testfrage fuer ihre Regierungsfaehigkeit hoch.
Der ueberwiegende Teil der Presse ist kriegstreiberisch, und
natuerlich wird ein NATO-Einsatz ausschliesslich mit "humanitaeren
Motiven" begruendet (250 Tote und Zehntausende Fluechtlinge seit Anfang
des Jahres). Tatsaechlich geht es den NATO-Staaten ueberhaupt
nicht darum, in erster Linie Menschen in Not zu helfen. Waere es so,
stuende die NATO schon seit Jahren in Kurdistan bereit, um die tuerkische
Regierung an ihrem Gemetzel zu hindern, das um ein Vielfaches blutiger ist,
als die serbischen Repressalien im Kosovo. Dann wuerden albanische
Fluechtlinge hier aufgenommen, statt abgeschoben zu werden.
Aber Innenminister Kanther hat sogar eine Aussetzung der laufenden
Abschiebungen abgelehnt, mit der Begruendung, nicht ueberall im Kosovo
herrsche Krieg! Die NATO-Laender wissen, dass eine
Kriegserklaerung an Serbien dessen Bevoelkerung in die Arme des
Ultranationalisten und Rechtsextremisten Vojislav Seselj treiben wuerde,
und dass die Operation unvorhersehbare Folgen fuer Makedonien und Bosnien und
den gesamten Balkan haette. Trotzdem blaest man hier zum Kampf.
Warum? Was macht die Provinz Kosovo fuer die NATO-Staaten so wichtig?
Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es auf diese Frage zwei
Antworten:
1. Der Balkan ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Zone
geworden, durch die kuenftig zentrale Verkehrsadern aus Zentralasien nach
Europa fuehren sollen.
Le Monde Diplomatique (Juni 1998, franz.Ausgabe) hat Plaene der
Europaeischen Union veroeffentlicht, die von den USA unterstuetzt werden,
solche Verkehrsadern unter Umgehung Russlands und des Iran zu bauen und
durch die GUS-Republiken zu fuehren, die sich selbstaendig gemacht haben.
Es handelt sich um Autobahnen, Eisenbahnen, Oelpipelines und
Flugkorridore, die die natuerlichen Reichtuemer aus Innerasien, dem
Kaspischen Meer und dem Nordmeer nach Europa schaffen sollen. Neben dem Aspekt
der wirtschaftlichen Ausbeutung liegen den Plaenen auch geopolitische
Absichten zugrunde: Die neuen, unabhaengigen Republiken, die vielfach
von ethnischen Kaempfen erschuettert sind, sollen auf diese Weise eng
an den Westen gebunden werden. Die Stellung der Tuerkei wird
aufgewertet, weil sie ein zentrales Durchgangsland bildet. Das erklaert,
warum die NATO Voelkermord in Kurdistan zulaesst, eine
Destabilisierung im Kosovo jedoch mit einer Kriegserklaerung beantworten will.
Eine solche muss um jeden Preis verhindert werden, weil sie die eigenen
Plaene stoert. Die "Stabilisierungspolitik" des Westens
verfolgt nicht das Ziel, diktatorische Regime zu ersetzen, solange sie
berechenbar sind und mit dem Westen zusammenarbeiten. Die
jugoslawische Regierung hat den Fehler begangen, dass sie dem Draengen
der Seselj-Partei nach einer forcierten ethnischen Saeuberungspolitik nun
auch im Kosovo nachgegeben hat; eine Serbisierung oder eine ethnische
Teilung des Kosovo aber haette sofort Rueckwirkungen auf den Status von
Minderheiten auch in anderen Republiken.
2. Die Europaeische Union, besonders Deutschland, will keine
Fluechtlinge.
Das ist ein zentrales Argument, das besonders von Aussenminister Kinkel
immer wiederholt wird. Das bedeutet: Kriege werden heutzutage nicht
mehr nur um Rohstoffe oder um die Kontrolle wichtiger Verkehrslinien
und Einflusszonen gefuehrt, sondern auch um die Kontrolle und Eindaemmung
von Wanderungsbewegungen. Das ist neu und gibt der durch das Schengener
Abkommen geschaffenen "Festung Europa" einen ausdruecklich
militaerischen Gehalt. Eine Position, die heute kompromisslos gegen jede
militaerische Intervention argumentiert, setzt sich vordergruendig dem Verdacht
aus, serbische Aggressionspolitik zu dulden. Aber nur vordergruendig. Denn
eine solche Intervention mindert die Chancen, dass sich auf dem Balkan trotz
diktatorischer und nationalistischer Regime eine multiethnische Opposition
herausbildet, die nach dem Zusammenbruch der sog. Planwirtschaft eine neue
gemeinsame gesellschaftspolitische Alternative formuliert. In die Zange
genommen zwischen imperialistischer Militaerintervention, serbischer
Aggression und albanischem Nationalismus koennen Linke dennoch etwas tun:
naemlich aktiv Verbindungen zu solchen Kraeften vor Ort aufzubauen, die
einen multiethnischen und solidarischen Ansatz haben.
Dieser Artikel erscheint in SoZ Nr.13 vom 25.6.98. Die "SoZ
-- Sozialistische Zeitung" erscheint 14-taegig und wird
herausgegeben von der Vereinigung fuer Sozialistische Politik (VSP).
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