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Über den
Soziologen Werner Hofmann
Wiederentdeckung eines
Grenzgängers
von Georg Fülberth
Intelligentere Studierende wissen es: die Volkswirtschaftslehre ist nur erträglich
durch die Opposition gegen sie. So entstand einst nicht nur der Marxismus,
sondern auch der Keynesianismus. Wer das betreibt, geht allerdings das
Risiko ein, in den akademischen Institutionen entweder gar nicht erst lehren
zu dürfen oder dort eine eher randständige Existenz zu führen
oder nur gegen tausend Widerstände ein eigenes Profil durchsetzen zu können,
das dann allerdings so stark von den Spuren der überstandenen Kämpfe
gezeichnet ist, daß spätere Generationen Vieles nicht mehr recht
verstehen. Hier sind Wiederentdeckungen sinnvoll und nötig.
Ein Beispiel ist der Soziologe Werner Hofmann, der 1922 geboren wurde und
bereits 1969, also mit 47 Jahren, starb.
Soziologe? Da fängt das Problem schon an. Es handelt sich um einen
Nationalökonomen, der in seinem Fach keine Chance hatte und seine
akademische Wirkung deshalb erst entfalten konnte, nachdem er in die
Soziologie übergewechselt war. In den ersten beiden Jahrzehnten der
Bundesrepublik hatte dieses Fach neben der Politikwissenschaft unter anderem die
Funktion, andere Disziplinen, die erstarrt oder noch vom Faschismus
verunstaltet waren, gleichsam zu entsorgen und kritische Inhalte
aufzunehnem, die dort nicht geduldet wurden. (Heute, nachdem sie professionalisiert",
das heißt sterilisiert worden sind, wird vielleicht für sie
selbst eine solche Kur nötig.)
Hofmann hatte vor 1945 nicht studieren können, da er als Halbjude"
galt. Er mußte stattdessen bei der faschistischen Organisation
Todt" Zwangsarbeit verrichten.
1948 ging er nach Leipzig, konnte dort aber weder beruflich noch
wissenschaftlich Fuß fassen und kehrte 1951 in die Bundesrepublik zurück.
1953 promovierte er in München über das Thema Die
volkswirtschaftliche Gesamtrechung" und verbrachte die nächsten
Jahre als Privatassistent - sprich: Kofferträger - eines Großordinarius.
1958 wurde er in Wilhelmshaven, wo es damals eine gewerkschaftsnahe, heute längst
aufgelöst Wirtschaftshochschule gab, mit seinem ersten Standardwerk
habilitiert: Die Arbeitsverfassung der Sowjetunion". 1962 erschien
das nächste: Ideengeschichte der sozialen Bewegung" - ein Buch,
das seitdem immer neu aufgelegt worden ist. Zwei Jahre später wurde er
außerplanmäßiger Professor in Göttingen.
Von 1964 bis 1966 publizierte Werner Hofmann seine drei Bände Sozialökonomische
Studientexte", die bis heute ein Grundlagenwerk geblieben sind. Aus
einem Beitrag zur Festschrift anläßlich des 80.Geburtstags von
Georg Lukács 1965 ging die Broschüre Was ist Stalinismus?"
hervor, die seitdem ein merkwürdiges Schicksal hatte. Sie beginnt mit
folgender Definition: Unter Stalinismus soll zunächst verstanden
werden eine exzessiv machtorientierte Ordnung der Innen- und Außenbeziehungen
einer Gesellschaft des erklärten Übergangs zum Sozialismus".
Danach wird diese Formel erweitert: als Stalinismus solle darüber
hinaus jener Exzeß der Macht verstanden werden, der nicht in den
Aufgaben einer ´Erziehungsdiktatur´ gründete, der nicht
objektiv ´notwendig´ war. Der Stalinismus resümiert sich in der
Entscheidung aller Fragen unter dem Gesichtspunkt der Macht, der
Durchsetzbarkeit des Gewollten. Stalinismus ist ein spezifischer
Opportunismus der Macht, auf der allgemeinen Grundlage einer proletarischen
Gesellschaft." Diese Definition ist nicht erschöpfend, aber sie
eignet sich gut als Folie, auf der alle Versuche, konsequent sozialistische,
aber nichtstalinistische Politik ebenfalls als stalinistisch" zu
denunzieren, schlecht aussehen. Deshalb wird sie von allerlei Gestalten, die
keinen klaren Stalinismus-Begriff gebrauchen können, immer wieder
systematisch vergessen". Aber zum Glück gibt es halt auch
Leute, die sie danach neu entdecken.
1966 wurde Werner Hofmann Ordinarius für Soziologie in Marburg. Sofort
gab er die politische Zurückhaltung auf, die er sich in seiner gedrückten
beruflichen Stellung vorher auferlegt hatte. Er wurde in der Bewegung gegen
die Notstandsgesetze führend aktiv, gründete den auch heute noch
recht vitalen Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler" und kandidierte für das Aktionsbündnis
Demokratischer Fortschritt" (ADF, dies war eine Art Volksfrontliste)
1969 zum Bundestag, dies allerdings ohne Erfolg.
Derlei Aktivitäten hätten natürlich vollauf gereicht, um ihn
nach seinem frühen Tod rasch zu vergessen. Drei Gründe haben dies
bisher verhindert:
-Erstens der hohe Gebrauchswert seiner Bücher, gerade auch für
Studierende
- Zweitens seine Stalinismus-Formel, die im einschlägigen Handgemenge
letztlich nicht unterzukriegen ist.
-Drittens gibt es eben immer wieder Studierende der Volkswirtschaftslehre
und der Gesellschaftswissenschaften, die Auswege aus der Tristesse ihrer Fächer
suchen und dabei dann eben auf Werner Hofmann stoßen. Nachdem ihre
Herren Professoren 1997 seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag
verschlafen haben, hat eine neugegründete Forschungsgruppe
Politische Ökonomie" in Marburg am 30. Januar 1998 eine Tagung mit
dem Titel Werner Hofmann - Gesellschaftslehre in praktischer Absicht"
veranstaltet, in der die vielfältigen Aspekte seines Werkes gewürdigt
wurden. Sie kann Ausgangspunkt einer Wiederentdeckung einer wichtigen
intellektuellen Figur der deutschen Nachkriegslinken werden.
aus: junge Welt
Nr. 27, 2. Februar 1998, S. 12. |