|
DIE GLÜCKLICHEN
ARBEITSLOSEN
"AUF DER SUCHE NACH UNKLAREN
RESSOURCEN"
Selbstdruck 1996,
Nachdruck in "SKLAVEN" 38/39, Juli 1997
als Broschüre erhältlich c/o Im Stall
Kastanienallee 84
10435 Berlin Prenzlauer Berg
...UND WAS MACHEN SIE SO IM LEBEN?
Was nun folgt, widerstößt gegen die bisher
geltenden Prinzipien der Glücklichen Arbeitslosen*, die ungern mit der
Theorie beginnen. Sie bevorzugen vielmehr Propaganda durch Tat, Untat und
vor allem Nicht-Tat. Zudem gibt es auf dem Gebiet der glücklichen
Arbeitslosigkeit noch keine entscheidenden
Forschungsergebnisse, die präsentierbar wären. Jedoch sind ein paar
Erklärungen nötig, denn die Gerüchte, die den Glücklichen
Arbeitslosen schon einen heimlichen Ruhm verschafft haben, sind nicht frei
von Mißverständnissen. Über ziemlich grundlegende Aspekte
sogar, nämlich das Glück, und die Arbeitslosigkeit außerdem).
Erstens, da vom Glück die Rede ist, wird die
Sache sofort verdächtig. Glück ist bürgerlich. Glück ist
unverantwortlich. Glück ist undeutsch. Und überhaupt, wie kann man
glücklich sein, angesichts der Armut, der Ge-walt und der Schrippen,
die nun 67 Pfennige kosten, obwohl nichts weiter als Luft drin ist.
Paul Watzlawick hat eine schlagende "Anleitung
zum Unglücklichsein" verfasst, in dem er eine solche Einstellung
schildert: "Was, wenn wir am ursprünglichen Ereignis unbeteiligt
sind? Wenn uns niemand der Mithilfe beschuldigen kann? Kein Zweifel, dann
sind wir reine Opfer, und es soll nur jemand versuchen, an unserem
Opfer-Status zu rütteln oder gar zu erwarten, daß wir etwas
dagegen unternehmen. Was uns Gott, Welt, Schicksal, Natur, Chromosome und
Hormone, Gesellschaft, Eltern, Verwandte,
Polizei, Lehrer, Ärzte, Chefs oder besonders Freunde antaten, wiegt so
schwer, daß die bloße Andeutung, vielleicht etwas dagegen tun zu
können, schon eine Beleidigung ist. Außerdem ist sie
unwissenschaftlich."
Um diese Frage zu behandeln, wäre es nötig,
in den Sumpf der Psychologie vorzudringen, wovor wir uns natürlich hüten
werden.
Gegen das Glücklichsein hält man aber auch
noch andere Argumente parat. Zum Beispiel wird behauptet, der Totalitarismus
bestehe darin, die Menschen gegen ihren Willen glücklich machen zu
wollen. Aber die unglücklichen Arbeiter und Arbeitssuchenden brauchen
sich keine zusätzliche Sorge zu machen: der Glückliche Arbeitslose
hat nicht die Absicht, sie gegen ihren Willen glücklich zu machen. Gewiß
ist Glück ein Stichwort für alle möglichen Quacksalber, die
ihre Wundermedizin anpreisen wollen. Aber der Glückliche Arbeitslose
hat keine Wundermedizin anzu-bieten. Programmatisch sieht das so aus wie bei
Lautréamont, der 1869 seine eigene Aufgabe formulierte: "Bis
jetzt wurde Unglück geschildert, um Furcht und Er barmen zu erzeugen.
Nun werde ich das Glück schildern, um ihr Gegenteil zu erzeugen."
Und jetzt zur Sache: Wir wissen alle, daß
Arbeitslosigkeit nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb
schlecht, dann wird entlassen, läuft er gut, dann wird in
Automatisation investiert und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden
Ar-beitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit
gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner weiß, wohin mit
ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller, besser und billiger.
Die Automatisation ist immer ein Traum der Menschheit
gewesen. Der Glückliche Arbeitslose Aristoteles vor 2300 Jahren: "Wenn
jedes Werkzeug seine eigene Funktion selbst erfüllen könnte, wenn
zum Beispiel das Weberschiffchen allein wirken könnte, dann würde
der Werkmeister keine Gehilfen brauchen, und der Herr keine Sklaven".
Nun hat sich dieser Traum verwirklicht, und alle
empfinden es als einen Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so
rasch wie die Technik gewandelt haben. Dieser Prozeß ist unumkehrbar,
denn Roboter und Automaten werden nicht wieder von Arbeitern abgelöst.
Außerdem wird die "menschliche" Arbeit, wo sie noch nötig
ist, in Billiglohnländer ausgelagert oder von unterbezahlten Immigranten
hier geleistet. Diese abwärts führende Spirale könnte nur mit
der Wiedereinführung der Sklaverei beendet werden.
Jeder weiß es, doch darf man es nicht
aussprechen. Offiziell herrscht der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit",
eigentlich ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden
Statistiken verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze beschafft und schikanöse
Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer unzureichend
sind, wird noch dazu herummoralisiert und behauptet, der Arbeitslose habe
seine Situation selbst verschuldet. Man macht aus den Arbeitslosen einfach "Arbeitssuchende",
allein um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen. Der
Glückliche Arbeitslose sagt laut, was jeder weiß.
"Arbeitslosigkeit" ist ein schlechtes Wort,
ein negativ besetzter Begriff, die Kehrseite der Medaille der Arbeit. Ein
Arbeitsloser ist bloß ein Arbeiter ohne Arbeit. Dabei wird über
den Menschen als Poet, als Reisender, als Suchender, als Atmer nichts
gesagt. In der Öffentlichkeit darf nur von Arbeitsmangel die Rede sein,
erst in privaten Sphären, abseits von Jour-nalisten, Soziologen und anderen
Schnüfflern, wagt man, aufrichtig zu sein. "Ich wurde entlassen,
geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Parties zu gehen, brauch nicht
mehr aus der Mikrowelle zu essen und kann ausgiebig vögeln."
Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher
Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige Moment,
die Arbeit zu kritisieren, es sei eine Provokation, die den Spießern
gerade recht käme.
Noch vor zwanzig Jahren konnten die Arbeiter ihre
Arbeit und auch die Arbeit an sich in Frage stellen. Heute müssen sie,
nur weil sie nicht arbeitslos sind, Zufriedenheit heucheln, und die
Arbeitslosen müssen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit
heucheln. Somit hat sich die Kritik der Arbeit in Wohlgefallen aufgelöst.
Der Glückliche Arbeitslose ist über diese infantile Erpressung
erhaben.
Wo die Arbeitsethik verloren gegangen ist, bleibt die
Angst vor der Arbeitslosigkeit die beste Peitsche zur Steigerung des
Kriechertums. Ein gewisser Schmilinsky, Management-Berater zur Ausrottung
der Blau-macher, sagt es ganz deutlich: "In einem Rennstall überlegen
Sie sich auch, welches Pferd noch das Gnadenbrot bekommt und welches nicht.
Unternehmen, die heute überleben wollen, müssen zuweilen auch
rabiat sein. Zuviel Güte kann einem Unternehmen den Hals brechen. Ich rate
meinen Kunden, mit der eisernen Hand im Samthandschuh durchzugreifen. Wir
leben in einer Zeit, in der Arbeiter rund um sich herum beobachten, wie
Stellen abgebaut werden. Niemand will unangenehm auffallen. Firmen neigen
zunehmend dazu, diese Unsicherheit zu nutzen, um die Fehlzeiten deutlich zu
senken." (der Spiegel, 32/1996)
Das Schaffen eines artgerechten Biotops für Glückliche
Arbeitslose würde auch die Lage der Arbeiterschaft verbessern: die
Angst, arbeitslos zu werden, würde abnehmen, und der Mut, sich zu
widersetzen, könnte leichter zum Ausdruck kommen. Vielleicht würde
sich eines Tages das Kräfteverhältnis wieder zu der Arbeitenden
neigen. "Was? Sie wollen kontrollieren, ob ich richtig krank bin oder
nicht? Dann geh ich lieber zu den Glücklichen Arbeitslosen".
Arbeit ist eine Überlebensfrage. Diese Meinung können
wir teilen. Bob Black schreibt dazu aus Nord-Amerika: "Arbeit ist
Massenmord oder Genozid. Arbeit wird jeden, der diese Worte liest, direkt
oder indirekt umbringen. Zwischen 14000 und 25000 Menschen kommen in diesem
Land jährlich bei der Arbeit um. Mehr als zwei Millionen werden dabei
zu Behinderten. 20 von 25 Mil-lionen werden verletzt. In dieser Zahl sind
noch nicht einmal die halbe Million Menschen mit Berufskrankheiten
einbezogen. Es wird nur die Oberfläche angekratzt. Was die Statistik nicht
aufzeigt, sind all die Menschen, deren Lebensdauer durch Arbeit verkürzt
wird - das ist doch eben Mord. Denken Sie an all die Ärzte, die sich
mit 50 zu Tode schuften. Denken Sie an all die Workaholics!
Und auch wenn Sie nicht getötet oder verkrüppelt
werden während Ihrer Arbeit, so könnten Sie es doch, während
Sie zur Arbeit gehen, von der Arbeit kommen, Arbeit suchen oder versuchen,
die Arbeit zu vergessen. Natürlich darf man auch nicht versäumen,
all die Opfer von Umweltverschmutzung, arbeitsbedingtem Alkoholismus' und
Drogenabhängigkeit zu zählen. Hier werden Leute gekillt in wenigstens
6stelliger Zahl, allein um den Überlebenden Big Macs und Cadillacs zu
verkaufen! "
Der Schuhmacher oder Tischler ehrte sein Handwerk.
Und Werftarbeiter konnten noch stolz darauf sein, das prächtige Schiff
vom Stapel laufen zu sehen, das sie selbst gebaut hatten. Dieses Gefühl
von Nützlichkeit gibt es in 95% aller Jobs nicht mehr. Der "Dienstleistungs"-sektor
beschäftigt nur Dienstboten und Computeranhängsel, die keinen
Grund haben, stolz zu sein.
Selbst ein Arzt fungiert nur noch als
Handelsvertreter der pharmazeutischen Konzerne. Wer kann von sich noch
behaupten, er mache sich nützlich?
Entscheidend ist nicht mehr, wozu etwas nützt,
sondern wieviel man damit verdienen kann. Alleiniges Ziel jeder einzelnen
Arbeit ist, den Gewinn des Unternehmens zu steigern, und ebenso ist auch die
alleinige Beziehung des Arbeiters zu seiner Arbeit sein Gehalt.
Gerade deshalb, weil Geld das Ziel ist und nicht
gesellschaftlicher Nut-zen, existiert Arbeitslosigkeit. Vollbeschäftigung
bedeutet ökonomische Krise, Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt.
Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er so und so viele
Arbeitsplätze vernichtet? Alle Börsenspekulanten loben seine
Sanierungstrategie, die Aktien steigen, und bald darauf wird die Bilanz die
entsprechenden Gewinne aufweisen. Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen
mehr Profit als ihre Ex-Kollegen.
Logischerweise müßte man also dem
Arbeitslosen dafür danken, daß er wie kein anderer das Wachstum fördert.
Stattdessen kriegt er nicht einen Furz des Gewinns ab, den er selber
schafft. Der Glückliche Arbeitslose ist der Meinung, daß er für
seine Nicht-Arbeit entlohnt werden muß.
Hier können wir uns auf Kasimir Malewitsch, den
Maler des "schwarzen Quadrat auf weißem Grund" beziehen.
1921 schrieb er in seinem Buch "Faulheit - eigentliche Wahrheit der
Menschen", das erst vor zwei jahren auf Russisch veröffentlicht
wurde: "Das Geld ist nichts als ein kleines Stück Faulheit. Je
mehr man davon hat, desto ausgiebiger wird man die Glückseligkeit der
Faulheit kennenlernen. (...) Im Kapitalismus ist die Arbeit auf eine Weise
organisiert, die den Zugang zur Faulheit nicht allen Menschen gleichermaßen
ermöglicht: Genießen kann die Faulheit nur, wer durch Kapital
abgesichert ist. So hat sich die Klasse der Kapitalisten von dieser Arbeit
befreit, von der sich die gesamte Menschheit befreien muß."
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt
das nicht daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein
Geld hat. Also sollten wir nicht mehr von "arbeitslos", sondern
von "geldlos", nicht mehr von "Arbeitssuchenden",sondern
von "Geldsuchenden" reden, um die Dinge klarer zu stellen. Wie wir
sehen werden, bietet der Glückliche Arbeitslose an, diesen Mangel durch
die Suche nach unklaren Ressourcen auszugleichen.
Man rechne einmal nach, wieviel Geld insgesamt von
den Steuerzahlern und Betrieben "für Arbeitslosigkeit"
offiziell ausgegeben wird, und dividiere durch die Zahl der Arbeitslosen:
Na, da sind eindeutig mehr Nullen dran, als wir auf unseren Konten finden,
nicht wahr? Ausgegeben wird nicht hauptsächlich für den Wohlstand
der Arbeitslosen, sondern für seine schikanöse Kontrolle, durch
zwecklose Termine, sogenannte "Um-, Aus-, Fortbildungsprogramme",
die nirgendwoher kommen und nirgendwohin führen, Scheinbeschäftigungen
für einen Scheinlohn - nur um die Statistiken künstlich
herunterzudrücken. Also nur, um ein wirtschaftliches Trugbild aufrecht
zu erhalten.
Unser erster konkreter Vorschlag ist sofort
umsetzbar: Die Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose,
Schließung sämtlicher Statistik- und Propagandabüros (das wäre
unser Beitrag zum Sparpaket) und automatische, unbefristete Zahlung der
Unterstützung inclusive der gesparten Summen.
Die jüngsten konservativen Auswüchse
lauten, die Arbeitslosen seien von Vater Staat abhängig, sie lägen
ihm auf der Tasche, seien dadurch unfähig, auf eigenen Füßen
zu stehen, und so weiter und so fort. Nun, soweit wir wissen, existiert der
Staat immer noch, und kassiert auch Steuern ein. Deshalb sehen wir keinen
Grund, weshalb wir auf seine Unterstützung verzichten sollten. Aber
staatsfixiert sind wir nicht. Unseretwegen mag das Einkommen der Glücklichen
Arbeitslosigkeit sehr wohl vom privaten Sektor finanziert werden, sei es
durch Sponsoring, Adoption, extra Kapitalertragssteuer oder Erpressung. Wir
sind nicht wählerisch.
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt
das auch daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt,
die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich, er hat keine
Kontakte mehr, da ja die Arbeit oft auch einzige Kontaktmöglichkeit
ist, das gleiche gilt übrigens auch für Rentner. Der Grund dieser
existentiellen Misere ist natürlich die Arbeit, und nicht die
Arbeitslosigkeit. Der Glückliche Arbeitslose weiht neue
gesellschaftliche Werte ein, auch wenn er nichts anderes schafft. Er
entwickelt die Kontakte mit einem Haufen sympathischer Menschen. Er ist
sogar bereit, Resozialisierungskurse für gekündigte Arbeitnehmer zu
geben.
Immerhin verfügen alle Arbeitslose über
eine preiswerte Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück
sein, die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles
Leben zu führen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung der Zeit
kennzeichnen. Dabei ist der Glückliche Arbeitslose ein aktiver Mensch.
Gerade deshalb hat er keine Zeit zu arbeiten.
Jaques Mesrine, einst "Staatsfeind Nr.1"
Frankreichs und Verfasser des Buches Der Todestrieb, hatte sich entschieden:
"Wenn ich 6 Uhr morgens Lust hatte zu vögeln, wollte ich mir Zeit
dafür nehmen, ohne auf die Uhr zu gucken. Ich wollte ohne Uhr leben,
denn mit der Zeitmessung kam der erste Zwang in das Leben der Menschen. Die
gängigen Sätze des täglichen Lebens klingelten mir im Kopf: "Keine
Zeit, um...", "Zur rechten Zeit kommen", "Zeit gewinnen",
"Seine Zeit verlieren". Ich aber wollte "die Zeit haben zu
leben" und die einzige Möglichkeit, das zu schaffen, ist, nicht Sklave
der Zeit zu sein. Ich wußte, wie irrationell meine Theorie war und daß
man mit ihr keine Gesellschaft bilden konnte. Aber was war das schon für
eine Gesellschaft mit ihren schönen Prinzipien und Gesetzen!"
Es wurde uns erwidert, der Glückliche
Arbeitslose sei nur arbeitslos im Sinne des heutzutage üblichen
Gebrauchs des Wortes "Arbeit", also "Lohnarbeit". Dazu müssen
wir ausdrücklich sagen, daß der Glückliche Arbeitslose zwar
keine Lohnarbeit sucht, doch sucht er auch keine Skla-venarbeit. Und es
gibt, soweit wir wissen, nur zwei Arten von Arbeit: Sklaven- und Lohnarbeit.
Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die
kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten,
sie leisteten eine wichtige "Arbeit". Sogar die sog. "Autonomen"
können kein antikapitalistisches "Seminar" organisieren, ohne
"produktive Debatten" in "Arbeitsgruppen" zu führen.
Armselige Worte für armselige Gedanken. Nicht nur im heutigen Sinne ist
"Arbeit" ein trauriges Wort. Sie ist es immer gewesen: "Arbeit
ist wahrscheinlich eine Bildung zu einem im germanischen Sprachbereich
untergegangenen Verb mit der Bedeutung "verwaist sein, ein zu schwerer
körperlicher Arbeit verdingtes Kind sein", das von
indogermanischen *orbhos, "Waise", abgeleitet ist. Bis in das
Neuhochdeutsche hinein, bedeutet Arbeit: "Mühsal, Plage, unwürdige
Tätigkeit".
In dem Sinne ist also "Glückliche
Arbeitslosigkeit" sogar ein Pleonasmus. In den romanischen Sprachen ist
die Sache noch eindeutiger, da "travail", "trabajo" usw.
von dem lateinischen "tripalium", ein dreispitziges
Folterinstrument, das gegen die Sklaven angewendet wurde, abgeleitet ist.
Den sittlichen Wert der Arbeit als Beruf des Menschen in der Welt hat Luther
ausgeprägt. Zitat: "Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel
zum Fliegen."
Man könnte sagen, die Frage der Wortwahl sei
ohne Bedeutung. Aber die Folgen blieben nicht aus, verwechselte man das Wort
"Getränk" mit "Coca Cola", das Wort "Kultur"
mit "Lutz Rathenow" oder gar "Tätigkeit" mit "Arbeit".
Sobald man von Arbeit oder Arbeitslosigkeit redet,
hat man es mit moralischen Kategorien zu tun. Diese Tendenz spitzt sich
gegenwärtig zu, man braucht nur eine Zeitung zu lesen, um sich darüber
klar zu werden. "Ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen hat
stattgefunden', so ein Sozialexperte in Washington. 'Statt Armut als
Konsequenz ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiert nun jene Denkschule,
die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht."
Wie damals auch, als die Priester ihr Seelenmonopol
bedroht sahen, ist die Moral nur dazu da, die sich ausweitenden Risse
zwischen Weltanschauung und Realität zu flicken. Wer zu einem
Arbeitslosen sagt: "Du hast gesündigt", erwartet, daß
dieser die Kategorie "Sünde" anerkennt und entweder "ja"
oder "nein" sagt. Weinerliche Versuche, das Mitleid dieser Welt zu
erregen, erregen höchstens Mitleid. Nur ein erhabenes Lachen kann Moral
ernsthaft außer Kraft setzen.
Es ist offensichtlich, daß Paul Lafargue, der
Autor von "Recht auf Faulheit", ein historisches Vorbild des Glücklichen
Arbeitslosen ist. "Die Nationalökonomen werden nicht müde,
den Arbeitern zuzurufen: Arbeitet, damit der Nationalreichtum wachse!
Und doch war es einer der ihrigen, Destutt de Tracy,
der da sagte: 'Die armen Nationen sind es, wo das Volk sich wohlbefindet,
bei den reichen Nationen ist es gewöhnlich arm'... Aber von ihrem
eigenen Gekrächz betäubt und idiotisiert, erwidern die Ökonomen:
'Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den National-reichtum und damit
euer persönliches Elend. Arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch
mehr Ursache zu ha-ben, zu arbeiten und elend zu sein.' Jedoch fordern wir nicht
ein Recht auf Faulheit. Faulheit ist nur die Kehrseite vom Fleiß. Wo
Arbeit nicht anerkannt wird, verliert auch Faulheit ihren Sinn. Kein Laster
ohne Tugend.
Seit Lafargues Zeiten ist klar geworden, daß
die dem Arbeiter zugestandene "Freizeit" meistens noch
langweiliger ist als die Arbeit selbst. Deshalb kann es nicht nur darum
gehen, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Freizeit zu verlängern.
In Spanien sollte vor kurzem die Siesta unter dem
Vorwand verboten werden, sie würde den europäischen Markt gefährden.
Wir solidarisieren uns 100%ig mit jenen spanischen Arbeitern, die daraufhin
meinten, die EG sollte lieber die "Euro-Siesta einführen".
Der Glückliche Arbeitslose, das sollte klar
sein, unterstützt nicht die Partisanen der Kurzzeit, die denken, alles
wäre zum Besten, wenn jeder seine Arbeit behielte, aber nur 5, 3 oder 2
Stunden täglich arbeiten würde. Was ist das für eine
Wurstelei? Gucke ich auf die Uhr, wenn ich für meine Freunde ein Essen
zubereite? Gucke ich, wieviel Zeit ich damit verbringe, diesen Scheißtext
zu schreiben? Zählt man mit, wenn man liebt?
Das heißt aber nicht, daß die glückliche
Arbeitslosigkeit eine neue Utopie ist. Utopie bedeutet "nicht
existierender Ort". Der Utopist entwirft die genauen Pläne einer
angeblich idealen Konstruktion und erwartet, daß die Welt sich in
diese Form gießt. Dagegen ist der Glückliche Arbeitslose eher ein
Topist: er bastelt mit Orten und Sachen, die schon vorhanden sind. Er
konstruiert kein System, sondern sucht nach allen Möglichkeiten, sein
Umfeld zu verbessern.
Ein ehrenwerter Korrespondent schreibt uns: "Geht
es dem Glücklichen Arbeitslosen um eine gesellschaftliche Anerkennung
mit daraus resultierender finanzieller Absicherung ohne Vorbedingungen, oder
geht es ihm um eine Revolutionierung des Systems mittels ungesetzlicher
Aktionen, wie Stromzähler abklemmen?
Die Verbindung beider Strategien erscheint zumindest
nicht gerade logisch : Ich kann doch schlecht gesellschaftliche Akzeptanz
fordern und gleichzeitig Gesetzesbrecher prämieren".
Nun, der Glückliche Arbeitslose ist kein
Fanatiker der Illegalität. In seinem Bestreben, Gutes zu tun, ist er
sogar bereit, zu legalen Mitteln zu greifen.
Außerdem: was heute ein Recht ist, war einst
ein Verbrechen, das Streikrecht zum Beispiel. Und es kann immer wieder ein
Verbrechen werden. Vor allem reden wir von gesellschaftlicher Anerkennung.
Wir wenden uns nicht an den Staat oder offizielle Stellen, sondern an Otto
Normalverbraucher.
Da hören wir schon den Chor der
Klassenkampftheoretiker: "Das alles ist ein bloßes Ventilsystem,
mit denen unbeschäftigte proletarische Sedimentierungen in einer
illusorischen Nische zur Umwandlung der noch verbliebenen Lebensfunktionen
angehalten werden, um die Widersprüche des Kapitalismus zu mildern. Die
Glücklichen Arbeitslosen amüsieren sich, und währenddessen kann
die Bourgeoisie unbekümmert ihre Gewinne vermehren. Verrat! Verrat!"
Jeder konkrete Schritt, ja jeder Atemzug kann als Anpassungsversuch
verleumdet werden. Und gerade um die Möglichkeit zu Atmen geht es eben.
Die klügste sozialkritische Theorie kann nur wenig helfen, solange ihr
praktischer Ausgang lautet: 'wait and see'.
Es ist uns bewußt, daß unser Versuch auf
verschiedene Weisen scheitern kann. Er kann zum Beispiel als bloßer
Witz enden, ein Schabernack ohne Folgen. Die originelle Idee kann aber auch
unter Tonnen von betoniertem Ernst ersticken. Es kann auch passieren, daß
ein Grüppchen von Arbeitslosen dermaßen erfolgreich wird, daß
sie sich zu Glücklichen Geschäftsmenschen verwandeln, ohne jede
Beziehung zu ihrem ursprüng-lichen Umfeld. Das sind Risiken, kein
Schicksal. Nun stoßen wir den Ball an. Ob er schließlich im Tor
landen wird oder nicht, hängt nicht nur von uns ab.
Es gibt im Moment mehrere Initiativen gegen
Sozialabbau, gegen Neo-Liberalismus usw. Die Frage ist aber auch, wofür
soll man sich erklären?
Bestimmt nicht für den Wohlfahrtsstaat und die
Vollbeschäftigung von einst, deren Wiedereinführung sowieso noch
unwahrscheinlicher ist als die der Dampflokomotive. Aber das Gegenbild könnte
noch schrecklicher werden: Es ist vorstellbar, daß es den Arbeitslosen
zugestanden würde, auf dem Brachland und den Mülldeponien der
Postmodernität ihr Gemüse anzubauen und soziale Beziehungen selbst zu
improvisieren, von High Tech Polizei fernüberwacht und von irgendeiner
Mafia roh ausgebeutet, während die wohlhabende Minderheit unbekümmert
weiter funktionieren würde. Die Glücklichen Arbeitslosen suchen
einen Ausweg aus dieser Alternative des Schreckens. Auf das Prinzip kommt es
an.
Ein Stichwort der herrschenden Propaganda heißt:
Die Arbeitslosen seien ausgeschlossen, und zahlreiche Gutmenschen plädieren
für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Was das eigentlich
heißt, erklärte ein Unesco-Humanist auf dem Kopenhagener "Sozialgipfel":
"Der erste Schritt zur sozialen Eingliederung ist, ausgebeutet zu
werden". Danke für die Einladung!
Vor dreihundert Jahren guckten die Bauern neidisch
das Schloß des Fürsten an. Mit Recht fühlten sie sich von
seinem Reichtum, seiner Edelmuße, seinen Hofkünstlern und
Kurtisanen ausgeschlossen. Nun, wer möchte gern wie ein gestreßter
Manager leben, wer will sich den Kopf mit seinen sinnlosen Ziffernreihen
vollstopfen, seine blondgefärbten Sekretärinnen ficken, seinen gefälschten
Bordeaux trinken und an seinem Herzinfarkt verrecken? Von der herrschenden
Abstraktion schließen wir uns freiwillig aus. Eine andere Art
Eingliederung wünschen wir uns .
In armen Ländern gibt es Millionen von Menschen,
die außerhalb des Kreislaufs der Marktwirtschaft leben müssen. Täglich
berichten die Zeitungen über die Plage der sogenannten Dritten Welt,
eine deprimierende Kette von Hungersnot, Diktatur, Krieg und Krankheiten.
Dabei darf man nicht übersehen, daß gleichzeitig mit diesem
(meist importierten) Elend auch eine andere Wirklichkeit stattfindet: ein von
vorkapitalistischen Tra-ditionen unterstütztes, intensives soziales Leben.
Im Vergleich dazu sieht die westliche Gesellschaft so gut wie tot aus. Dort
wird die Arbeit des weißen Mannes verachtet, weil sie kein Ende kennt
- im Gegensatz zum Beispiel zu jenen somalischen Handwerkern, deren Gewinne
in einem jährlichen Fest verjuxt werden. Je niedriger das
Bruttosozialprodukt, desto größer die Fähigkeit der Menschen zu
feiern.
Der Ethnologe Serge Latouche in Der Planet der
Schiffbrüchigen: "Die Armen sind viel reicher als man denkt und
als sie selber glauben. Die unglaubliche Lebensfreude, die viele Beobachter
in afrikanischen Vorstädten beeindruckt, täuscht weniger als die
deprimierenden objektiven Berechnungen statistischer Apparate, die lediglich
den verwestlichten Teil von Reichtum und Armut einschließen."
Für Europäer besteht natürlich die
Gefahr, Exotik zu betreiben. Aber die soziale Überlegenheit des armen Südens
wird auch von Südländern selbst bestätigt. Der Ägypter
Albert Cossery zum Beispiel in Bettler und Stolze: "In diesem Moment
spiegelte sein Gesicht sämtliche irdischen Kümmernisse wider. Doch
dieser Zustand drängte sich ihm von Zeit zu Zeit nur auf, damit er den
Glauben an seine Würde nicht verliere. Denn El Kordi dachte, Würde
sei lediglich eine Folgeerscheinung von Unglück und Verzweiflung. Es
war die Lektüre westlicher Bücher, die ihm den Geist derart verfälscht
hatte."
Die Glücklichen Arbeitslosen haben von Afrika
und anderen nichtwestlichen Kulturen viel zu lernen und zu verlernen. Natürlich
geht es nicht darum, uralte soziale Gebräuche nachzuahmen, aber wir können
uns inspirieren lassen. Auch Picasso und die Dadaisten fanden in der
afrikanischen Kunst eine erfrischende Quelle von Kreativität.
Es sei hier nur ein Beispiel erwähnt: Vor ein
paar Jahren untersuchten Soziologen das Leben der Bevölkerung eines
Elendsviertels von Dakar, in Senegal. Sie stellten fest, daß das
Einkommen einer durchschnittlichen zwölfköpfigen Familie das
Siebenfache ihres "offiziellen" Einkommens beträgt.
Nicht, daß die Leute das Wundermittel,
Banknoten zu versiebenfachen, erfunden haben; nur vermehren sie die
Wirksamkeit des knappen Geldes durch einen intensiven Umlauf. Es ist unmöglich,
in Afrika zu leben, ohne einer Gruppe, einer Sippe, einem Freundeskreis
anzugehören. Innerhalb jedes dieser Netze wird das Geld durch ein genau
festgesetztes System von Geschenken, Spenden, Anlagen, Darlehen und Rückzahlungen
in eine permanente Zirkulation gesetzt. Da die Möglichkeiten, eine größere
Summe zu erhalten, in der Familie angehäuft sind, kann sie je-derzeit über
eine Geldmenge verfügen, die ohne Vergleich mit ihren kar-gen
Ressourcen ist. Zudem ist dieser Geldverkehr nur ein Teil jener "Ökonomie
der Gegenseitigkeit", neben dem Austausch von Reparatur- Pflege- und
Installationsleistungen, selbstangefertigten Schuhen und Klamotten,
kollektiv gekochten Essen, Metall- und Tischlerarbeiten, Erziehung und
Krankenfürsorge, die Feten nicht zu vergessen, die die Gruppen
zusammenhalten. Geld spielt bei alldem keine Rolle. Deshalb ist es unmöglich,
irgendeinen "Lebensstandard" nach westlichem Muster zu messen.
Man stelle sich vor, dasselbe System wäre hier
wirksam. Sozialhilfeempfänger würden dann 3500 DM pro Monat zu
Verfügung haben, was nicht alle Probleme lösen würde, aber
immerhin den Kohl fetter machen würde. Und noch dazu würden sie
von Sachen profitieren, die Geld nicht kaufen kann. Die Frage: Wieviel Geld
brauche ich, um richtig leben zu können, ist unzureichend. Wer über
keine sozialen Verbindungen verfügt, wird nie genug Geld haben, um
seine existentielle Not zu mildern. Der hiesige Sozialhilfeempfänger
kennt zwar eine große Behinderung, da er sich auf keine Sippe und
keinen Brauch stützen kann, alles muß erfunden werden, aber immerhin
hat er einen Vorteil: seine Lebensbedigungen sind nicht so harsch wie in
Afrika .
Für die Glücklichen Arbeitslosen öffnet
sich da ein weites experimentelles Feld, das wir die "Suche nach
unklaren Ressourcen" nennen.
Wie Sie jetzt vielleicht verstanden haben, ist unsere
Muße sehr anspruchsvoll, theoretisch und praktisch, ernst und
spielerisch, lokal und international (allein in Europa gibt es schon 20
Millionen virtuelle Glückliche Arbeitslose). Eines Tages werden Sie mit
Stolz sagen können: Ich habe den Anfang miterlebt.
* Peter Paul Zahl veröffentlichte 1973
in West-Berlin eine Zeitschrift "Der glückliche Arbeitslose",
in der er das Motto "Berufsverbot für alle" propagierte (das
haben wir erst neulich erfahren; es handelt sich also nicht um einen
direkten Einfluß, sondern um einen glücklichen Zufall.
|