13. August - 50 Jahre Berliner Mauerbau

Der Mauerrummel
E
in neuer deutscher Opfergang

von Peter Nowak

7-8/11

trend
onlinezeitung

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren. 

Peter Hacks, Das Vaterland

Nun ist wohl das Schlimmste überstanden. Am 13.August  wurde der Höhepunkt des deutschen Mauerzirkus zelebriert und dann dürfte zumindest die nächsten fünf Jahre wieder etwas Ruhe eintreten. Dass allerdings zum Thema Mauer noch etwas Restvernunft eintritt, ist unwahrscheinlich. Denn zum 50ten Jubiläumstag ist der Mauerbau und  -fall endgültig Teil des deutschen Opfermythos geworden. So wie den Bombenopfern im zweiten Weltkrieg, der  Flüchtlingssaga  infolge des zweiten     Weltkrieges, so wird auch die Geschichte der Mauer eingereiht in dieses Lamento: Wie haben wir gelitten und wie tapfer haben wir widerstanden. Und am Ende haben wir gesiegt. Deshalb wollen wir auch gar nichts davon hören davon,  dass eine Vorgeschichte gab. Denn damals marschierte dieses „Wir“ als  deutsche Volksgemeinschaft mordend und brandschatzend durch Europa, trieb alle Juden, die sie finden konnte in die Vernichtungslager. Ja, ja, schlimm war das und das wird niemand vergessen, erklärten die  nationalen Geschichtserklärer.

Bisher zu diesem Thema bei TREND erschienen:

Aber daran wollen wir bitteschön nicht erinnert werden, wenn wir unsere Leiden zelebrieren. Deswegen galt  die Vorsitzende der Linken Gesine Lötzsch schon als Nestbeschmutzerin, als sie nur an die simple historische Tatsache erinnert, dass ohne den Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren  nie eine Mauer gebaut worden wäre. Sie hätte den Zusammenhang noch zuspitzen können. Hätte es in Deutschland genügend Menschen gegeben, die gegen die Nazis  gekämpft hätten, statt als Mordkollektiv mit ihnen die Vernichtungslager am Laufen gehalten zu haben, hätte es die Mauer nicht gegeben.  

Aber wenn nationale Mythen zelebriert werden,  haben simple Tatsachen keine Chancen auch nur angehört zu werden. So wird in diesen  Tagen auch selten erwähnt, dass auch die Westalliierten  den Mauerbau durchaus mit Erleichterung begegneten. Sie waren sich sicher, dass   die durchgeknalltesten deutschen Revisionisten jetzt an der deutschen Frage  keinen Krieg mehr entfachen konnten. So konnte man nach dem Mauerbau noch einmal so etwas wie eine informelle Anti-Hitlerkoalition am Werk sehen, die die selbsterklärten Nachfolgern des 3.Reiches in Bonn     in die Schranken gewiesen hat. Natürlich wird auch nicht mehr erwähnt, wie erleichtert diejenigen waren, die wirklich noch hofften, aus der  DDR nach der Schließung der Grenze „ein anderes Deutschland“ machen zu wollen. Dabei hatte Bert Brecht dazu schon 8 Jahre zuvor gesagt, dazu hätte sich die SED ein anderes Volk wählen müssen. Mit den NS-Tätern und Mitläufern, die es in allen Teilen Deutschlands kam, konnten auch die wenigen Antifaschisten an der Spitze keinen Sozialismus machen, selbst, ganz abgesehen davon, dass sie durch die stalinistische Konterrevolution geprägt, dazu kaum in der Lage gewesen wären, wenn die Bedingungen günstiger gewesen wären.     .  Einer, der damals die Mauer verteidigte und heute ein besonders lauter Lautsprecher des deutschen Opfermythos ist, hat sich auch noch einmal aus der Gruft gemeldet. Dabei vergisst Wolf Biermann nicht auf seine eigenen Verdienste zu verweisen, die er mit seinen Gedichten und Liedern zum  Fall der Mauer auch gegen seinen  damaligen Willen beigetragen hat. Dialektik hatte der   als Jungkommunist von Hamburg in die DDR migrierte Biermann schließlich  im roten Elternhaus gelernt. Doch was seine und seiner Freunde Kunst  betrifft, da hat Wiglaf Droste schon vor Jahrzehnten das nötige gesagt, als er als eines der größten Verbrechens des SED-Regimes benannte, dass die BRD mit soviel schlechten Gedichten und Gesang traktiert  worden ist. 

Ein anderer Blick – keine andere Sicht    

Niemand redet auch heute mehr davon, dass es DDR-Oppositionelle waren, die im November 1989 die überstürzte Grenzöffnung als letzte Rache der SED-Gerontologie  werteten. Ihnen war sofort klar, dass damit alle Vorstellungen, eines Sozialismus ohne Staat und Stasi umzusetzen, wie es die DDR-Oppositionellen zu dieser Zeit noch vorhatten, endgültig eine Fußnote der Geschichte bleiben würde. Das gerade mal 21 Jahre später davon niemand mehr was wissen will, zeigt wie wirkungsmächtig ein nationaler Opfermythos ist.  

Das konnte man gut in der Eröffnungsveranstaltung des Rahmenprogramms zur durchaus interessanten Ausstellung "Aus anderer Sicht – die frühere Berliner Mauer“ beobachteten. Die Exposition, die prominent  in einen extra zum Museum umgestalteten Gebäude Unter den Linden 40 noch bis zum 3.10. zu sehen sein wird, lädt gerade wegen ihrer unspektakulären Fotos, die die DDR-Grenzer machten, zum Nachdenken ein. Besonders die Texte aus den Meldungsbüchern der Grenzbeamten über Vorkommnisse rund um die Mauer vermitteln einen unaufgeregten Einblick. Da wird darüber berichtet, wie sich nun durch die Mauer getrennte Freunde und Verwandte zuwinken, wie den Grenzern auch mal Gesundheit oder ein Gruß entsandt wurde, von Tragödien wie im Grenzbereich ertrunkenen Kindern erfährt der Leser. Aber auch von vielen    braunen Provokationen wird nicht geschwiegen,  so dass die Mauer manchmal doch ganz in der SED-Propaganda als antifaschistischer  Schutzwall fungierte.  Aber natürlich wurde darüber auf der Veranstaltung unter dem Titel „Zur Ästhetik des banalen Bösen“ nicht geredet. Alle Diskussionsteilnehmer und   auch die Moderator_innen reihten sich nahtlos ein in den nationalen Opferdiskurs. Es wurde höchstens darüber gestritten, ob man diesen Zweck besser errecht,  wenn man die Mauer ein Stück weit wieder aufbaut oder ob die noch vorhandenen Relikte genügend Gruselfaktor mobilisieren können. Historische Fakten waren an dem zweistündigen Abend nicht gefragt. Dafür  hielt eine Mitarbeiterin der Ausstellung aus dem Publikum  mit Verweis auf die Besucherkommentare eine Eloge auf   den nationalen Zusammenhalt der Deutschen, den Mauer und Großmächte nicht zerstören konnten. Annett Gröschner, eine der Moderatorinnen und Kuratorinnen der Ausstellung, die  mal der linken DDR-Oppositionsbewegung und ihrer Vorstellung von einem dritten Weg jenseits von SED-Herrschaft und BRD  nahe stand, merkte man davon nichts mehr. 

Die linksalternative Mauersaga 

 Sie bedient die deutsche Mauersaga ebenso wie es schon Alternativkreise in  den 70er Jahren taten. Dass ist gut dokumentiert in einer Ausstellung im Berliner Kino Arsenal am Potsdamer Platz, die sich dem frühen Schaffen des später im Westberliner Schwulenmilieu bekannt gewordenen Filmemacher Wieland Speck widmete.     Dokumentiert ist dort unter Anderem die Aktion eines Westberliner Mannes aus dem Alternativemilieu, der sich auf die sich zum 14ten Jahrestag am 13.August 1978 mit einer Harfe auf die Mauer setzte. Zunächst erklärte er, mit seiner Aktion dazu beitragen zu wollen, dass die Mauer auf beiden Seiten abgebaut wird. Als nach Westberliner Polizisten energisch zur Ordnung riefen und erklärten, er solle doch seinen Protest am    Alexanderplatz ausdrücken, verfiel in die Parolen vom Kampf für Deutschland, für und das freie Berlin, die damals von einer ganz großen Koalition aus  CDU/FDP/SPD    bis zu diversen maoistischen Gruppen verbreitet wurde. Dieser Film macht deutlich, dass die heute gern gebrauchte Lüge, die Alternativen nicht für die Mauer interessiert ist, leider so nicht stimmt.  Die meisten waren genau so auf der nationalen Wacht wie die offiziellen Parteien und politischen Kräften. Die Zurückweisung der politischen Einflussnahme aus dem Westen  war nur die Position einer marginalen linken Strömung. Dass zeigte sich nach der Maueröffnung prägnant, damals hätte eine alternative Linke die linke DDR-Oppositionsbewegung aktiv unterstützen können, in dem alle Einflussversuche von Westparteien und –organisationen, die sich gegen den Willen des Rundes Tisches und aller maßgeblichen Oppositionsgruppen im Herbst 1989   auf dem Gebiet der DDR ausbreiteten aktiv bekämpft worden wären. Bekanntlich gab es dazu nur marginale Versuche in der Frühphase der damals sehr berechtigten antideutschen Bewegung. Hier lag die praktische Nichtunterstützung der DDR-Oppositionsbewegung, die heute nicht mehr thematisiert wird. Dafür kritisieren sich maßgebliche Ex-Linke heute selber, dass sie nicht schon vor 1989 lautstark die Ziele des westdeutschen Staates nach Einflussnahme in der DDR mitgetragen haben.  

 Da es eine ernstzunehmende antideutsche Bewegung, die diesen Namen verdient,  sich rund um den nationalen Mauertag nicht öffentlich artikuliert, muss jeder Mensch mit Restvernunft hoffen, dass der aktuelle Rummel zumindest bald vorbei ist und kann vielleicht Trost bei jenen gnadenlosen Realisten   Peter Hacks nehmen, dessen dem Artikel vorangestelltes Mauerlob übrigens von der Moderatorin  Annett Gröschner als Absonderlichkeit zu Beginn der Veranstaltung zitiert wurde. Dabei wurde in dieser Polemik mehr Gehaltvolles über die Mauer gesagt als in den Statements danach.   

  • Die Ausstellung „Aus anderer Sicht  - die frühe Berliner Mauer ist zu sehen vom  5. August - 3. Oktober 2011, Unter den Linden 40, 2. Etage, D-10117 Berlin, täglich von 10 bis 20 Uhr.
     

  • Die Wieland-Speck Retrospektive ist zu sehen im Berliner Kunsthaus Arsenal vom 3. – 22. August.
    Neben Filmen von Speck sind doch im Foyer auch weitere Installationen zum Thema Mauer zu sehen.
    5. August - 3. Oktober 2011, Unter den Linden 40, 2. Etage, D-10117 Berlin

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.