Repression & Widerstand unter Hartz IV

Was so geschah...
Hartz IV im Juni 2011

von Anne Seeck

7-8/11

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Anhörung und kleine Anfrage zu Hartz IV- Sanktionen 

In einer öffentlichen Anhörung auf Antrag der Linken und Bündnis 90/ Grünen zu Leistungskürzungen und Sanktionen bei Hartz IV wurde eine breite Kritik an Hartz IV-Sanktionen geübt. Der Sachverständige Prof. Stephan Lessenich sprach von einem “paternalistischen Erziehungsstaat” mit “Arbeitshaus-Tradition”. Der “aktivierende Sozialstaat” würde seine Bürger nicht ernst nehmen, sie seien erziehungsbedürftig, faul, passiv etc.

Auf dieser Seite befindet sichr das Statement von Lessenich als Video

Interessant ist auch eine kleine Anfrage von Katja Kipping: 

Die Erfolgsquote von Widersprüchen und Klagen gegen Bescheide vom Amt ist hoch. So betrug die Erfolgsquote beim ALG I im vergangenen Jahr fast 40 Prozent. Im Klartext heißt das: Beinahe die Hälfte aller Bescheide war fehlerhaft! Auch fast ein Drittel aller Hartz-IV-Bescheide erwiesen sich nach eingelegtem Widerspruch als nicht korrekt. Und wer als Arbeitsloser gegen die Behörde vor Gericht zog, hatte gute Chancen, sich durchzusetzen: Im Jahr 2010 waren jeweils mehr als 30 Prozent der arbeitslosen Kläger in ALG I und Hartz IV vor Gericht erfolgreich.

Brisant auch: Sperrzeiten und Sanktionen nehmen zu, obwohl die Anzahl der Leistungsberechtigten abgenommen hat. So musste jeder sechste erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher Sanktionen hinnehmen. Sanktionen sind Leistungskürzungen. Im Extremfall werden die Betroffenen auf Null-Diät gesetzt. Dann zahlt das Jobcenter keinen Cent mehr. Oftmals zu Unrecht, wie sich dann in den Gerichtsverfahren erweist. Von den rund 7000 erledigten Klagen gegen diese Strafmaßnahmen waren 60 Prozent erfolgreich. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im vergangenen Jahr mehr als 765 000 Sperrzeiten verhängt. Somit wurden bis zu drei Viertel aller Arbeitslosen im SGB III für angebliches Fehlverhalten mit Leistungsentzug bestraft. Wer nun glaubt, hier würden vor allem faule Arbeitslose sanktioniert, der irrt. Weit weniger als zehn Prozent aller Sperrzeiten wurden wegen »Arbeitsablehnung« oder »Abbruch der Eingliederungsmaßnahmen« verhängt. Dafür gab es mehr als 500 000 Sperren wegen »verspäteter Arbeitssuchendmeldung« oder einfach wegen eines »Meldeversäumnisses«.
aus: http://www.neues-deutschland.de/artikel/199127.html  (ND 4.6.2011)

Die kleine Anfrage von Katja Kipping: http://www.katja-kipping.de/serveDocument.php?id=135&file=3/f/1a77.pdf

Streichung bei der Arbeitsförderung 

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will sparen. In den kommenden Jahren will die Ressortleiterin bei den Fördermaßnahmen von Arbeitslosen acht Milliarden Euro weniger ausgeben.

Das Bundeskabinett hat am 25. Mai 2011 das »Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente« beschlossen. Dieses soll im November 2011 in Kraft treten. Bis zum Jahr 2015 sollen demnach ca. 7,5 Mrd. € in der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingespart werden.

Besonders bei Selbständigen wird der Rotstift angesetzt, so beim Gründungszuschuss. Unter anderem sollen die Zuschüsse für arbeitslose Existenzgründer von einer teilweisen Pflicht- in eine vollständige Ermessensleistung umgewandelt werden. Zudem möchte die Ministerin die Ein-Euro-Jobs für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose deutlich einschränken. Nach Angaben ihres Ministeriums wurden im vergangenen Jahr bis zu 300 000 Ein-Euro-Jobs gefördert. Kostenpunkt: etwa eine Milliarde Euro. Hiervon ging nur ein Drittel direkt an die Arbeitslosen, aber zwei Drittel an die Träger der Maßnahmen, heißt es dazu aus dem Arbeitsressort. Demnächst sollen die Ein-Euro-Jobs nur noch in bestimmten Ausnahmefällen genehmigt werden.

Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband meinte, dass etwa 400 000 Langzeitarbeitslose so gut wie nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. »Sollte der Bundestag tatsächlich dem Kabinett folgen, würden diese Menschen künftig arbeitsmarktpolitisch auf der Strecke bleiben«, so Schneider. (aus ND 26.5.2011)  

Die Diakonie beklagt, dass vom Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktförderung 550 000 Menschen – und deren Familien betroffen sind. PS: Und natürlich auch die Wohlfahrtsverbände, die sonst die Regiekosten bekämen...Auch Träger der Suchthilfe beklagen, dass eine intensive Betreuung der Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshemnissen z.B. im Suchtbereich aufgrund der Grundpauschale in Höhe von 30 € und einer Zusatzpauschale für nachweislich betreuungsintensive Fälle in Höhe von bis zu 120 € pro nicht mehr möglich sei. Der Fachverbund Sucht schreibt: “Angesichts der deutlichen Budgetkürzungen bei der Bundesagentur für Arbeit von 1,49 Mrd. € im Jahr 2012, 1,95 Mrd. € im Jahr 2013, 1,98 Mrd. € im Jahr 2014 und 2,01 Mrd. € im Jahr 2015 ist mit einer deutlichen Verschlechterung gerade hinsichtlich der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben und der Gesellschaft von Langzeitarbeitslosen und Menschen mit besonderen Eingliederungsproblemen und Unterstützungsbedarf zu rechnen.” (aus Wege im Rausch, 8.6.2011) 

Joboffensive: Vermittler begleiten Hartz-IV-Empfänger zu den Firmen

“Seit Anfang Juni 2011 läuft die Joboffensive gegen den künftigen Fachkräftemangel in Berlin. Jobcenter wollen die “marktnahen”, gut vermittelbaren Arbeitslosen in eine Beschäftigung bringen....Als Ziel haben sich Senat und Regionaldirektion gesetzt, in den beiden kommenden Jahren jeweils 10.000 zusätzliche Arbeitslose zu vermitteln.

65.000 Menschen, also ein Drittel der von den zwölf Berliner Jobcentern betreuten Arbeitslosen, sollen künftig besonders eng und gut betreut werden. Dafür wurden rund 350 neue Arbeitsvermittler eingestellt, die gemeinsam mit 300 bisherigen Vermittlern in Projektteams arbeiten werden. Sie sollen die Unterlagen der Arbeitslosen direkt zu den Unternehmen bringen oder diese, falls nötig, “an die Hand und direkt dorthin begleiten”, sagte Haupt-Koopmann....

Wie der Jobcenter-Chef von Friedrichshain-Kreuzberg, Stephan Felisiak, sagte, sollen in seinem Bezirk jetzt innerhalb der nächsten vier Wochen alle betroffenen Arbeitslosen zu intensiven Gesprächen ins Jobcenter eingeladen werden. Jetzt habe man die dafür notwendigen Kapazitäten. Bei der Joboffensive kommen auf einen Vermittler 100 Arbeitslose...Die Berliner Joboffensive gilt für die Bundesagentur als Modellprojekt und ist auf zwei Jahre befristet. Die Kosten von 46,3 Millionen Euro kommen vom Bund, 7,2 Millionen Euro zahlt das Land. Für Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) ist dieses Geld gut angelegt, da sie von Spareffekten für das Land ausgeht, wenn vermehrt derzeitige Hartz-IV-Bezieher arbeiten. Dann braucht Berlin nicht mehr für deren Mietkosten aufzukommen.

Die Kürzungen für Projekte auf dem zweiten Arbeitsmarkt machen sich schon seit Monaten bemerkbar. Waren im Mai 2010 noch rund 32.000 Menschen in Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs beschäftigt, sind es nur noch 19.000. Arbeitssenatorin Bluhm konnte sich allerdings im April mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit darauf einigen, dass über das Förderprogramm des Landes, den öffentlichen Beschäftigungssektor, 5.000 Stellen für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose finanziert werden.” (aus Tagesspiegel, 7.6.2011)  

Im Jobcenter erschossen: Initiative für Christy Schwundeck 

Am 18. Juni fand in Frankfurt / Main eine Demonstration statt. Es wurde um die Deutsch-Nigerianerin getrauert, die im JobCenter Frankfurt-Gallus von der Polizei erschossen wurde. Die Initiative Christy-Schwundeck fordert Aufklärung, Gerechtigkeit, Entschädigung. In Frankfurt/Main haben sich Arbeitslosen-AktivistInnen und Organisationen afrikanischer Einwanderer zusammen geschlossen. Die afrikanischen Communities in Deutschland sind voller Sorge und Empörung über diesen Todesfall. Die Initiative: http://initiative-christy-schwundeck.blogspot.com/

Hartz IV Studie: Eine Wissenschaftsstudie zeigt, dass überhöhte Anforderungen der Jobcenter die Erwerbslosigkeit verlängern

Laut einer wissenschaftlichen Studie von Dresdener und Leipziger Forschern sind die gestellten Anforderungen der Jobcenter an Hartz IV Bezieher oftmals unrealistisch und zuweilen sogar gesundheitsgefährdend. Erwerbslose werden vielmals dazu angehalten viele Bewerbungen schreiben, über eine hohe Arbeitsorientierung zu verfügen, eine starke Konzessionsbereitschaft an den Tag legen und zudem auch noch Optimismus zeigen. Wer die vorgegebenen Bemühungen nicht einhält, wird sanktioniert. Dadurch könne eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden. Wenn die Bewerbungschancen gering sind und man viele Negativerlebnisse hat, dann wird das Selbstwertgefühl massiv geschädigt. Das setze einen Teufelskreis in Gang. Durch die emotionalen Demütigungen werden die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit quasi ruiniert. Zudem sind Betroffene, die zu hohen Zugeständnissen (z.B.Niedriglohn) bereitet sind, oft nach einem Jahr wieder erwerbslos. Demnach ist eine hohe Konzessionsbereitschaft und Arbeitsorientierung ein hoher Risikofaktor für das Wiedererlangen eines Jobs.
(aus gegen-hartz.de, 21.6.2011)

Hartz IV trotz Selbständigkeit

Seit 2007 ist die Zahl der Selbständigen mit aufstockenden ALG II Leistungen um mehr als das Doppelte angestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) stieg die Zahl der Selbständigen im Hartz IV Bezug von 50.000 im Jahre 2007 auf 125.000 (2010) im Jahresdurchschnitt. Im Februar diesen Jahres waren laut BA-Angaben rund 118.000 Hartz IV Aufstocker trotz Selbständigkeit. Die überwiegende Mehrheit verfügte über ein Einkommen von weniger als 400 Euro im Monat (rund 85.000). 25.000 Aufstocker hätten bis zu 800 Euro verdient und der Rest etwas mehr. (aus gegen-hartz.de, 14.6.2011)  

Ungerechte Bezahlung macht krank

Viele Menschen in Deutschland erleben die Entlohnung für ihren Job als unfair und ungerecht, so z.B. Leiharbeiter und Ein-Euro-Jobber. Laut einer Studie versetzt ein ungerechter Lohn Menschen in chronischen Stress. Chronischer Stress verursacht Langzeitschäden wie Depressionen oder Herzerkrankungen.
Für die Studie teilten die Bonner Wissenschaftler 80 Studenten in zwölf gleich große Teams auf. In den Teams wurden die Studienteilnehmer jeweils in Arbeiter und Chefs aufgeteilt, die ihre jeweiligen Aufgaben bekamen.
Die Daten wurden nun im Anschluss mit den Auswertungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) verglichen. Auffällig ist, dass das Einkommen einen bedeutenden Einfluss auf die körpereigene Gesundheit hat. Wer sich schlecht bezahlt fühlt, der leidet im Verhältnis zu anderen signifikant häufiger an Herz-Kreislauf-Krankheiten oder psychischen Erkrankungen wie Depressionen. “Ungerechte Löhne sind demnach schlecht für das Herz”, so das Resümee der Forschergruppe. Laut einer internen Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) nehmen die krankheitsbedingten Ausfalltage von Arbeitslosengeld I Bezieher seit der Einführung von Hartz-IV kontinuierlich zu. Die Angst vor dem sozialen Abstieg lässt viele Menschen regelrecht krank werden. So stieg die Krankheitsrate seit 2006 um 28 Prozent. Vor allem im Bereich der seelischen Erkrankungen ist ein Anstieg von 44 Prozent zu beobachten. (aus gegen-hartz.de, 12.6.2011) 

Unsichere Jobs

Die Flucht aus Hartz IV gelingt immer weniger Menschen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB der Bundesagentur für Arbeit, halten in der Mehrheit die vermittelten Arbeitsverhältnisse kaum mehr als ein Jahr. Die meisten Jobs sind derart schlecht bezahlt, so dass viele aufstockende Hartz IV Leistungen beantragen müssen. Laut der IAB werden ein Fünftel der Menschen in die Zeitarbeit vermittelt.
Die IAB stellte in ihrer Studie fest, dass die meisten Hartz IV Betroffenen sich überaus engagiert um eine Arbeitsstelle bemühen. Im Jahr 2008 haben demnach mehr als 1,1 Millionen Betroffene einmal oder mehrmals eine sozialversicherungspflichtige Stelle angenommen. In rund 70 Prozent der angenommenen Tätigkeiten lag eine Vollzeitbeschäftigung vor. Allerdings reichte das erzielte Einkommen in vielen Fällen nicht aus, um das Existenzminimum zu wahren. Nur 50 Prozent der Leistungsbezieher konnten von ihrem Lohn ohne Sozialleistungen leben. Während zwei Drittel der Alleinstehenden von ihren Lohn ohne Hartz IV Leistungen leben konnten, mussten zwei Drittel der Alleinerziehenden und Elternpaare mit Kindern trotz Arbeit zusätzliche ALG II Leistungen beantragen. (aus gegen-hartz.de, 16.6.2011)
 

URTEILE IM “RECHTSSTAAT”

Haftstrafe schließt Bezug des Arbeitslosengeld II aus

Laut eines Urteils des Bundessozialgerichts in Kassel haben Hartz IV Bezieher auch während einer kurzen Haftstrafe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II Leistungen. Zu mindestens für die Zeit der Haft wird der Leistungsbezug gestrichen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn es sich bei der Haft um eine Ersatzfreiheitsstrafe handelt.
Im konkreten Fall musste ein Mann für drei Monate ins Gefängnis, weil er eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlte. Während dieser Zeit kürzte das zuständige Jobcenter den Hartz IV Bezug auf Null. Auch die Wohnungskosten wurden nicht mehr bezahlt. Daraufhin klagte sich der Betroffene durch alle Instanzen.
Doch die obersten Bundessozialrichter sehen die Sperrung als “berechtigt an”. Der Kläger habe die Inhaftierung selbst verschuldet. Schließlich hätte er auch eine Ratenzahlung vereinbaren können, um von einer Haft verschont zu bleiben. Da er dies nicht tat, hat er die Haft selbst verursacht. Somit besteht auch kein Anspruch auf das Arbeitslosengeld II während der Haftzeit, so die Richter. Aktenzeichen: B 4 AS 128/10 R.
(aus gegen-hartz.de, 23.6.2011)  

Observation rechtens zur Verwertung 

Laut eines Urteils des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist die Verwendung von Ermittlungsergebnissen aus einem Prüfungs- und Außendienstprotokoll zur Prüfung der Bedürftigkeit und Nutzung zur Wohnung zulässig. Erkenntnisse der Sozialschnüffler sind also zu Beweiszwecken zulässig. In einem Fall war der “Angeklagte” wochenlang ununterbrochen beim Betreten und Verlassen seines Grundstückes mit einer Videokamera observiert worden. Das Skandalurteil hier: Aktenzeichen L12 AS 201/11 B ER  (aus gegen-hartz.de, 24.6.2011)  

Treberhilfe zahlt keine Mieten für Klienten 

Während die Bereicherung des Geschäftsführers der Treberhilfe durch die “Masarati-Affäre” aufflog, müssen Klienten der Treberhilfe um ihre Unterkunft bangen.

“Mitte Juni wurde schließlich bekannt, dass ausgerechnet die ehemals obdachlosen Klienten der Treberhilfe zum Teil um ihren Wohnsitz bangen müssen. Die Treberhilfe unterhält einen Pool von mehr als 600 Wohnungen. Es ist üblich, dass die Jobcenter Unterkunftskosten direkt an soziale Träger statt an deren Klienten überweisen, damit die Miete immer pünktlich gezahlt wird. Ausgerechnet diese Absicherung hat bei der Treberhilfe zuletzt nicht geklappt. Mitte Juni sprach die Sozialverwaltung von 13 Fällen, in denen die Treberhilfe die Mieten nicht den Vermietern weitergeleitet habe. In 11 Fällen seien bereits Räumungsklagen zugestellt worden.”

Vermieter wollen inzwischen keine Wohnungen mehr an die Treberhilfe vermieten... (aus taz, 27.6.2011)  

Türkische Einwanderer in Berlin-Kreuzberg befürchten Verdrängung 

“Die Betroffenen sind in erster Linie Mieter der ehemals landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW, die im Jahre 2004 von der »rot-roten« Koalition mit 65000 Wohneinheiten zum Schnäppchenpreis an den Finanzinvestor Cerberus und den Whitehall-Fonds von Goldman Sachs verscherbelt worden ist. »Die Mietkosten sind mittlerweile so hoch, daß ich die Heizung im Winter nur noch einschalte, wenn die Kälte überhaupt nicht mehr zu ertragen ist«, berichtete eine Rentnerin. Zuletzt flatterten Mieterhöhungen im Umfang von 15 Prozent ins Haus. »Es kann doch wohl nicht sein, daß meine Elterngeneration nur in bestimmte Bezirke ziehen durfte und man nun aus eben diesen Bezirken, nachdem man sie attraktiv gemacht hat, wieder vertrieben wird«, empörte sich Tahir C. ... Die Mietpreisentwicklung der letzten Jahre trifft Migranten, die im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg überproportional von Erwerbslosigkeit betroffen sind, besonders hart. ... Gleichzeitig ist Friedrichshain-Kreuzberg laut Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) auf dem Weg, zu einem der teuersten Bezirke der Stadt zu werden. Danach wurden in den vergangenen zwei Jahren bei Neuvermietungen nur noch sieben Prozent der Wohnungen zu Preisen unter fünf Euro je Quadratmeter Wohnfläche nettokalt angeboten. Im Berliner Durchschnitt sind es dagegen 20 Prozent (Stand: 2010).” (aus Junge Welt, 28.6.2011)

Richter laufen Sturm: Schwarzfahren in Berlin 

“Berliner Jugendrichter kommen mit ihrer Arbeit kaum hinterher – weil sie sich um angeklagte Schwarzfahrer kümmern müssen. Nach Schätzungen der Neuköllner Jugendrichterin Dietlind Biesterfeld beziehen sich etwa 25 bis 30 Prozent aller Gerichtsverfahren gegen Erwachsene auf Leistungserschleichung, im Jugendrecht seien es 15 bis 20 Prozent. “Das ist ein unglaublicher Personalaufwand. Die Bürger fassen sich doch an den Kopf, womit sich Richter beschäftigen müssen”, sagte die langjährige Richterin auf einer Veranstaltung mit Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD). An manchen Tagen habe sie “sieben oder acht Fälle hintereinander”. Damit die Justiz nicht weiter von den Schwarzfahrer-Fällen blockiert wird, fordert sie “eine politische Lösung”...

Im vergangenen Jahr hat die Polizei insgesamt 12.000 Strafanzeigen wegen “Erschlei­chens von Leistungen” registriert – das sind 35 Prozent weniger als 2009. Dieser Rück­gang um 6.500 Anzeigen beruhte allerdings auf einer technischen Panne bei der BVG. Wie berichtet, konnte die BVG von Januar bis August 2010 die bei Kontrollen erfassten Daten nicht ins System übernehmen und deshalb keine Anzeigen erstatten, heißt es in der aktuellen Kriminalstatistik der Polizei. In den Vorjahren waren es etwa 18.000 Anzeigen, 12.000 kamen von der BVG, 6.000 von der S-Bahn.(Quelle: Tsp. vom 8.4.11)

Die BVG betonte gestern, dass “nur chronische Schwarzfahrer” angezeigt werden – in der Regel, wer dreimal erwischt wird und nicht zahlt. Aufgrund von Hochrechnungen nach Kontrollen geht die BVG pro Jahr von rund 30 Millionen Schwarzfahrern aus, die Schwarzfahrerquote beträgt demnach 3,5 Prozent....

Schwarzfahrer füllen auch Gefängnisse. Wer seine Strafe nicht bezahlen kann oder will, wird zu einer “Ersatzfreiheitsstrafe” verurteilt. In der JVA Plötzensee sind unter den knapp 500 Gefangenen bis zu einem Drittel Schwarzfahrer. Das kostet den Steuerzahler etwa 80 Euro pro Tag und Gefangenen. 2008 waren 8.511 Menschen in Berlin verurteilt worden wegen Beförderungserschleichung. Der Großteil – nämlich 7.700 – kam mit einer Geldstrafe davon. Es wurden aber auch 480 Haftstrafen verhängt. Im ersten Quartal 2011 waren es 3.309 Verfahren.” (aus Tagesspiegel, 7.6.2011) 

Gerichtsvollzieher sollen auf Kinder achten 

“Armut und Verschuldung gelten als besondere Risikofaktoren für die seelische und körperliche Verwahrlosung von Kindern. "Häufig war im Falle einer Kindesmisshandlung schon einmal ein Gerichtsvollzieher im Haus"...Die in Berlin erfassten Fälle von Misshandlungen schutzbefohlener Kinder steigen seit Jahren. 2010 wurden laut Kriminalstatistik 613 Fälle gemeldet, 67 mehr als im Vorjahr.””

Jetzt sollen die Gerichtsvollzieher besser geschult werden und eng mit der Jugendverwaltung zusammenarbeiten. Nicht die Ursachen wie Armut und Verschuldung werden bekämpft, sondern wieder mal an den Folgen, den Symptomen herumgedocktert. Wenn es bereits zu spät ist...Die armen Kinder, die unter der Armutssituation der Eltern und Verwahrlosung leiden. (aus taz, 29.6.2011)   

Ratgeber: Krankenkassen müssen Ein-Euro-Jobs prüfen 

“Wenn die Betroffenen an ihre Krankenkasse einen Hinweis geben, aus dem ersichtlich ist, daß bei der jeweils durchgeführten Tätigkeit gegen das Gebot der Zusätzlichkeit verstoßen wurde, müssen diese den Sachverhalt prüfen. Sie sind auch verpflichtet zu kontrollieren, ob die Tätigkeit womöglich versicherungspflichtig war (Paragraph 28h des Sozialgesetzbuches IV), hieß es in der Information weiter. »Somit können auch Krankenkassen gegen illegale Ein-Euro-Jobs vorgehen.« ...Darauf wies der eng mit dem Selbsthilfeverein Tacheles Wuppertal zusammenarbeitende Arbeitslosen- und Sozialrechtsexperte Harald Thomé am Montag in einer Pressemitteilung hin.” (aus Junge Welt, 29.6.2011)

Editorische Hinweise

Seit der Ausgabe 3/2011 erstellt Anne Seeck regelmäßig einen Monatsrückblick.