Presseerklärung zu einer Entschädigungsinitiative der Zweiten Generation der Naziverfolgten

5/6-2014

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onlinezeitung

Vorbemerkung: Mit dieser Presseerklärung wird Bezug genommen auf die Resolution der Zweiten Generation der Naziverfolgten, die in der letzten Ausgabe veröffentlicht wurde.
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Im Frühjahr 2015 wird der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte in Berlin eine Konferenz zur Zweiten Generation der Naziverfolgten durchführen. Wir, zwei Angehörige von Opfern des Faschismus, die noch innerhalb des Verfolgungszeitraumes zwischen 1933 und 1945 in den Fluchtländern ihrer von den Nazideutschen gejagten Eltern das Licht der Welt erblicken durften, haben im Vorfeld dieser Konferenz eine „Resolution der Zweiten Generation der Naziverfolgten“ ausgearbeitet, die wir in der Internetzeitung www.trend.infopartisan.net veröffentlicht haben.

Anders als in anderen europäischen Ländern, beispielsweise in den Niederlanden, wird hierzulande diese Gruppe von Opfern des Faschismus seit Jahrzehnten aus dem gesellschaftlichen Entschädigungsdiskurs unverzeihlicher Weise ausgegrenzt. Der Bundespräsident Joachim Gauck führte während einer Gedenkstunde zu Ehren der Opfer des Faschismus vom 4. März 2014 in Berlin zu den Ursachen für dieses heillose Versagen aus:

„Deutschland ist der Konfrontation mit den Opfern nationalsozialistischer Vernichtungspolitik in der Nachkriegsära weitgehend ausgewichen. Westdeutschland wollte vergessen, Schuld verdrängen, die Vergangenheit unter den Aufbauleistungen des Wirtschaftswunders begraben. Viele, die im NS-Regime Verantwortung getragen hatten, gingen straffrei aus, die meisten Widerstandskämpfer hingegen galten als Vaterlandsverräter. Und für die Opfer der deutschen Grausamkeiten fehlte damals das Mitgefühl.“

Dabei sind die Beschädigungen, die diese mittelbaren Opfer des Faschismus zu tragen haben, von unvorstellbarem Ausmaß, die schwerwiegenden Behinderungen im deutschen Nachkrieg eingeschlossen. Das Bundesland Nordrhein-Westphalen sowie die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ haben diesen gesellschaftlichen Tatbestand inzwischen vollgültig anerkannt. Uns geht es jetzt darum, dass den Angehörigen dieser Opfergruppe endlich tätiges Verständnis und umfassende Unterstützung, wozu auch materielle Hilfen gehören, zuteil werden.

Die Notwendigkeit einer rechtlichen Anerkennung und wirksamen Entschädigung haben wir in dieser Resolution in sechs konkreten Ansprüchen an die deutsche Gesellschaft begründet dargelegt. Die Entschädigungsinitiative steht und fällt mit dem Begriff der Behinderung. Die rechtliche Anerkennung von Angehörigen der Zweiten Generation – und dies betrifft zu allererst die im Verfolgungszeitraum zwischen 1933 und 1945 geborenen – muss etabliert werden über den noch zu installierenden Status als Menschen mit Behinderungen im Sinne sowohl der nationalen Behindertengesetzgebung als auch der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Es handelt sich um psychische, soziale, soziokulturelle und politische Behinderungen als spezifische Folgen und Spätfolgen der NS-Terrorherrschaft, die sozialwissenschaftlich und psychologisch exakt feststellbar sind.

Wir möchten anregen, dass in dieser Legislaturperiode des Bundestages, die im Zeichen des Gedenkens an den 75. Jahrestag der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Nazideutschland steht, die Debatte über diesen gesellschaftlichen Entschädigungsauftrag zielbewusst aufgenommen wird und schließlich in eine parteienübergreifende Gesetzesinitiative einmündet, die dann dem Plenum der obersten Volksvertretung zur Lesung und Beschlussfassung vorgelegt werden kann.

Die Rechtsnormen, die unserer Entschädigungsinitiative zugrunde liegen, liegen klar auf der Hand. Die Entschädigungsinitiative ist völkerrechtsbasiert. Sie fußt zum einen auf dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 und zum anderen auf Artikel 139 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, dem Befreiungsgesetz. Konkret verweisen wir, die Initiatoren dieser Entschädigungsinitiative, auf die völkerrechtlich bindende Erklärung des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, die er anlässlich der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12. September 1990 in Moskau abgegeben hat:

„Am 3. Oktober 1990 werden wir, die Deutschen, wieder in einem demokratischen Staat leben – zum ersten Mal nach 57 Jahren. Am 30. Januar 1933 brach die Nacht des Faschismus über Deutschland herein. Wir verloren zuerst unsere Freiheit, dann unseren Frieden und dann unsere staatliche Einheit. Der von Hitler begonnene Krieg setzte ganz Europa in Flammen. In seiner Rede vom 8. Mai 1985 hat sich Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu unserer Verantwortung bekannt. Wir gedenken in dieser Stunde aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir gedenken des unendlichen Leids der Völker, nicht nur derjenigen, deren Vertreter um diesen Tisch versammelt sind. Unsere Gedanken gelten dabei in besonderer Weise dem jüdischen Volk. Wir wollen, dass sich dies niemals wiederholen wird.“ Die Erklärung schließt mit dem feierlichen Gelöbnis: „Wir werden uns unserer Verantwortung stellen, und wir werden ihr gerecht werden.“

Berlin, am 28. April 2014

Alice M. Schloesser, geboren in Roubaix / Lille, Département Nord, République francaise
Antonín Dick, geboren in Royal Leamington Spa, County Warwickshire, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland

Editorische Hinweise

Wir erhielten diese Presseerklärung von den VerfasserInnen.