zurück

UND JEDER WEISS, WIE"S RICHTIG IST UND WIE MAN"S MACHEN SOLL!

DAS "BÜNDNIS FÜR ARBEIT" - EINE AUF DEM KOPF STEHENDE PYRAMIDE.

von  DIETMAR KESTEN, Teil I

12/1998
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online

Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

zum Teil II

1. EIN HISTORISCHER RÜCKBLICK.

Manche Theorien und radikale Theoretiker glauben ernsthaft daran, daß es Wege zu wirklicher politischer Veränderung gibt, vergleichbar etwa dem Falle eines Kleinkindes, dessen Verstand sich sperrt, irgend etwas zu sagen, bevor es nicht durch Lernen und Denken Assoziationsvorgänge erfaßt hat. Bekanntlich kann das Jahre dauern. Um einem unangenehmen Grippeanfall aus dem Wege zu gehen, täten sie wohl besser daran, die Segel zu streichen und sich auf andere Projekte zu besinnen. Mit ihren Konzepten einer "Gesamtgesellschaft", in die sich jede/r einbringen kann, sie zu definieren, oder sozusagen auf ontologische Grundlagen zu stellen, um einem politischen Stillstand zu begegnen, oder was auch immer, legen nun die Systemretter geistige Spasmen vor, die in die Nähe jener hoffnungslosen Kommunikationsversuche geraten, als sei es an der Zeit , jetzt endlich mit den "Bewohnern" des "Andromeda-Nebels" (1) Kontakt aufzunehmen. Die Schaffung einer neuen Version des klassischen Konzeptes, daß es innerhalb des Systems etwas gäbe, das sich in einer bestimmten Weise eignen könnte, seinem stürmischen Fall, DAS kreativ-politische entgegenzusetzen, ist eine verflossene Erinnerung, die als Anbiederungsversuch an die kapitalistischen Konstellationen mehr als peinlich wirkt. 

Auf diesem Weg, die Zukunft des deutschen Geldmarktes zu "retten", gräbt die SPD-Regierung im Schulterschluß mit den Gewerkschaften jenen "Sozialpartnerschaftsgedanken" wieder aus, der sich historisch nach der Währungsreform, und spätestens mit dem Gründungskongreß des DGB vom Oktober 1949 bereits selbst ad acta gelegt hatte. Die Zielsetzung, Konfliktsituationen, durch "soziale Kämpfe" begegnen zu wollen, reduzierte sich im damaligen "Münchener Programm" des DGB nur auf die reine "parteipolitische Neutralität" und auf ein "Reformprogramm", daß die "sozial- staatliche Ordnung" respektierte und letztlich auf die Gleichberechtigung von "Kapital und Arbeit" zielte. Mit der Bundestagswahl von 1953 "vergaßen" der ehemalige Vorsitzende des DGB, CHRISTIAN FETTE, der vom bisherigen 1. Vorsitzenden der IG Metall, WALTER FREITAG, auf dem 2. Ordentlichen Bundeskongreß des DGB (Oktober 1952) abgelöst wurde, schlicht den Wesensgehalt dieser programmatischen Äußerungen, und hoffte darauf, daß die Sozialdemokratie stärkste Partei würde, nicht zuletzt deswegen, weil die Führungsspitzen des DGB fast ausnahmslos mit der SPD verbunden waren.(2) Als die CDU/ CSU den Sieg errang, wurde das rückhaltlose Bekenntnis zu den Sozialreformisten bitter enttäuscht.  

Die damalige Parole "Wählt einen besseren Bundestag" erinnert sehr an die Bereitschaft der IG Metall unter KLAUS ZWICKEL, zur Jahreswende 1997 eine 8-Millonen Mark teure Kampagne "Für eine neue Politik" zu beschließen, und damit der SPD im Bundestagswahlkampf 1998 Schützenhilfe zukommen zu lassen. Damit war die "Allianz" zwischen DGB, SPD , dem warenproduzierenden System innerhalb des "Deutschen Modells" keineswegs an einen Endpunkt angelangt. Zwar zeigte die Auseinandersetzung um die "Remilitarisierung" , daß auf dem Felde der internationalen Politik die bürgerliche Demokratie in der Gänze verteidigt wurde, und die führenden Funktionäre die Spaltung Deutschlands akzeptiert hatten, den politisch/ideologischen Burgfrieden herstellten, (3) die Interessengemeinschaft, die verbindliche Zusage galt aber dem Sozialademokratismus, der mit dem "Dortmunder Aktionsprogramm" vom September 1952 - vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik - einen entscheidenden Schritt zur Anpassung an den Kapitalismus vollzogen hatte.

Das am 1. Mai 1955 verkündete "Aktionsprogramm" des DGB lag auf der gleichen Schiene: "Sozialstaatlichkeit" ,sozialpartnerschaftlicher Pragmatismus als Integrationsstrategie, das war der Zusammenhang für die künftige Zusammenarbeit mit der SPD auf gesellschaftspolitischer Ebene. Man setzte auf sie und der Präsenz in den Fragen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung; würde sie 1957 Regierungspartei, dann könnten jene Entwürfe zur "Sozialreform" abgesegnet werden, die helfen sollten, die "Marktwirtschaft" zu reformieren, die "Neuordnung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft" (4) mit der Propagierung ihres "wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts" in Einklang zu bringen. Die bewußte politische Unterstützung für eine staatstragende Partei, die zudem noch eine fundamentale Abkehr von der "Proletarisierung" vollzog, erwies sich als typische klassische, sozialdemokratische Offerte. Zwangsläufig führte diese Haltung zur politischen Lähmung, in die Defensive, in die Erstarrung, in die warenförmige Verblendung. Sie war ein Weg, der aus dem Zusammenhang von Lohnarbeit und Kapital herausführte. Damit war selbst der alte "Bewegungs-Emanzipations" Gedanke gestorben.  

Bereits an die Randzone der kapitalistischen Ordnung gedrängt, mache der DGB sich auf, Strategie um Strategie zu erarbeiten, die in die Nachhutgefechte des alten Klassenkampfgedankens endeten: Den Widerstand in die bürgerliche Ordnung hineinzupressen. Der " Fall Agartz" (5) war schon keine Standortbestimmung mehr, ebensowenig die Haltung zum "Adenauer BVG" oder der "Mitbestimmungs-Phraseologie". (6) Es ging um Integration und Konsensus, die staatlich-politischen Verhältnisse innerhalb des "Masenbewußtsein" zu verankern. Die Sozialdemokratie konnte sicherlich von dieser Haltung, den Zugeständnissen, dem Zwang, sich profilieren zu müssen, profitieren. Mit dem "Godesberger Programm" der SPD von 1959 und dem 5. DGB-Kon- greß, (7) verband sich die entschlossene Verteidigung der modernen Markt- wirtschaft, der "pluralistischen Gesellschaft", die Konsolidierung der Restau- ration, der sozialökonomische Reformismus. Der deutsche "Sozialstaat" konnte so mittels des Ordnungsfaktors DGB auf die speziellen Erfordernisse der Ware-Geld Beziehung angepaßt werden.  

Hier mag jener FERDINAND LASSALLE (8) Pate gestanden haben, der die Gründung von gewerkschaftlichen Organisationen nur als einen Umweg ansah, politische Macht zu erkämpfen, sich der Kontrolle des Staates zu unterwerfen, um damit einer Intransigenz zum Sieg zu verhelfen, die Macht des Kapitals in der Farbe seiner historischen Umgebung anzuerkennen. Den Horizont der bürgerlichen Gesellschat durch die "Idee des Arbeiterstandes" überwinden zu wollen, paßte zum "Trade-Unionismus" , zu den gesellschaftli- chen Prozessen, die sich später in der sog. Kraft eines "Dritten Weges" , den der DGB zeitweilig unterschwellig nach 1949 vertrat, niederschlugen. Der alte "Aktivismus" der politischen "Emanzipationsbewegungen" leistete ihm dabei gute Schützenhilfe, der auch den Neuordnungsprozeß in den entscheidenden Grundzügen mittrug: Die Warenform und ihre Verblendung mußte auf diese wie eine sog. "Anwendungsopposition" wirken, die immer dann zur Sprache kam, wenn die "lebendige Arbeit" gefragt war, dann "Bewußtsein" zu präsentieren hatte, wenn Parteien-Demokratie und Parlamentarismus, Staats- und Wirtschaftsordnung es velangten.  

Unter dem Zeichen der Formel von der "sozialen Marktwirtschaft" ging es dem Kapital darum, möglichst schnell die Wiedereingliederung der westdeutschen Wirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt zu verwirklichen. Dies gelang neben der Kapitalakkumulation und der Steuerpolitik, die zur Konservierung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse führte, auch über die "Transmissionsriemen" , (9) die die Passivität der Mehrheit der Menschen planend beeinflussen konnten, unterschiedliche politische und gewerkschaftliche Verbände für die moderne Arbeitsgesellschaft zurichteten. Da es um "Gesamtverantwortung" ging, die Strukturen des "bürgerlich-liberalen" Staates zu bewahren, um "konstruktive" Zusammenarbeit und "Mitarbeit" , die alle Gebiete der Politik und Wirtschaft einschloß, ging es auch den "Realpolitikern" von SPD/DGB und eben auch der IG Metall darum, trotz Spannungen und Auseinandersetzungen, (10) die immer auf "wundersame" Weise geklärt wurden, ihre "Systemfeindschaft" fast perfekt zu karikieren. Tatsächlich enthüllten sie nur ihr eigenes Mißverständnis, der Logik der Kapitalverhältnisse nicht entweichen zu können, und auch nicht zu wollen:

Mit dem Hannoveraner SPD Parteitag (1960) und der uneingeschränkten Unterstützung ERICH OLLENHAUERs , der KURT SCHUHMACHER ablöste, erreichte die Anbiederung an die Sozialdemokratie durch den DGB praktisch die Selbstauflösung jeder Gesellschaftskritik, und mit der Parole BRANDTs, der die künftige Politik von Sozialdemokraten und Gewerkschaften mit den Worten umschrieb "Wir sind alle eine große Familie", war der "Sozialpartnerschaftsgedanke" endgültig in den unabdingbaren Ordnungsfaktor hinübergewachsen. Das hatte auch der ein Jahr vorher stattfindete 5. DGB-Kongreß, der noch die "Erweiterung der Mitbestimmung" ins Auge faßte, erkennen müssen: In praktische-politische Entscheidungen, in Produktion und Konsumtion eingreifen zu wollen, ist ein absurder Gedanke. "Massenwirksame" politische Vermittlungen, wie sie vielleicht der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württembergs (WILLI BLEICHER) noch angesichts der Streiks 1963 für möglich hielt, entpuppten sich als kalkulierte Unternehmerstrategie, der IG Metall die Rolle einer "Lohnbewegungsmaschine" zu- zuschreiben, um sie als gesellschaftschiftlichen Schrittmacher von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich auf Plattformen zu beschränken, sich den kapitalistischen Verwertungsbedingungen zu unterwerfen, oder bestimmte Alltagserfahrungen ihrer Mitglieder einfach zu neutralisieren. 

Entsprechend dieser Idee zwangen die ökonomischen/politischen Machtverhältnisse die Gewerkschaften weiter dazu, sich an der kapitalistischen "Klassen-Gesellschaft" auszurichten. Dieser Gedanke wurde von GEORG LEBER (11) aufgenommen, der das Kooperationsdenken der Gewerkschaften mit den Worten umschrieb: "Während damals der Arbeiter nahezu rechtlos war, läßt unsere rechts- staatliche und demokratische Verfassung heute keinen Unterschied mehr zwischen den Arbeitnehmern und den Bürgern anderer gesellschaftlicher Gruppen zu...Die Gesellschaft ist insgesamt freier, wahrer, menschlicher und schöner geworden." (12) Damit blieben die Ziele gewerkschaftlicher Politik, Wirtschaftsdemokratie und Sozialstaat zu erhalten, unangetastet, und erhielten auf dem 6. DGB-Kongreß (Hannover, 1962) und auf dem "Programm-Kongreß" (Düsseldorf, 1963) einen weiteren systemstabilisierenden Faktor: Die "Verteidigung der Demokratie" .(13) Der Boden einer Antikapitalismuskritik war endgültig verlassen.  

Mit der Anpassung des neuen DGB-Programms an die stringenten Formulierungen des "Godesberger Parteiprogramms" der SPD, war die Zäsur erreicht. Die Sozialdemokratie war sich der relativen Ohnmacht der Gewerkschaftsführung bewußt; konnte den "ideologischen" Führungsanspruch behaupten, als "politisches Zentrum" agieren. LUDWIG ROSENBERG und HEINZ-OSKAR VETTER (14) taten sich besonders hervor, die an den BRANDT Terminus von 1960 "Für Ausgleich und Zusammenarbeit" anknüpften, und ihre Zielvorstellung, ein "stabiles demokratischen Staatswesens" , (15) daß nichts anderes sein konnte als die bürgerlich-parlamentarische Demokratie und deren Ökonomie, verteidigten. Die Bundestagswahlen 1961 brachten die Erkenntnis, daß die Sozialdemokratie "regierungsfähig" und die Gewerkschaften "koalitionsfähig" waren. Die "Konfrontation" zum System war die parlamentarische Repräsentanz, das Aufgehen in die allgemeinen Spielregeln des modernen Kapitalismus . 

1966 trat die SPD in die Regierung ein; fortan zeigte sich, wer "Herr im Hause" ist, wer wen mit welcher Generallinie vertraut machte, wer dem DGB und seinen Einzelgewerkschaften einen politischen Strategierahmen, "der alle Theorien einer Gegenmacht abwies" , (16) verpaßte. Das, was THEO PIRKER (17) die "Zähmung der Gewerkschaften" nannte, schrieb die gesellschaftspolitischen Vorstellungen jeweils in strikter Anlehnung und Verlautbarung der Wahlarithmetik der SPD und ihrer Forderungen nach Mitbestimmung, Vermögensumverteilung, Verkürzung der Arbeitszeit usw. fest. Als kurze Zeit später die "Konzertierte Aktion" ins Leben gerufen wurde, war die politische Unterordnung der Gewerkschaften unter die Vorherrschaft der Realökonomie, des Verwertungs- und Profitinteresses des Kapitals DIE "staatliche Verantwortung", die sich im heutigen "Bündnis für Arbeit" wiederfindet. Der "Reformismus" hatte den "Reformismus" aufgehebelt. Die Kapitalstrategien liefen darauf hinaus, die Wachstums - und Verteilungsspielräume zu verengen, die Kapitalakkumulation zu verschärfen. Die Krise 1966/67 brachte eine bemerkenswerte Änderung: Der Eingriff des kapitalistischen Staates in den Reproduktionsprozeß. Er schlug sich im "Gesetz zur Förderung und Stabilität des Wachstums der Wirtschaft" (18) nieder, was nichts anderes hieß, als Globalsteuerung der Ökonomie: Alle Konzepte, Programme, Gesetze, Gesetzentwürfe, Verordnungen, Maßnahmen, deren Zurücknahme unterlagen der Staatsökonomie und deren Strukturen .(19) 

Marktökonomisch gesehen, erzwang die kapitalistische Produktionsweise die "Befestigung" , den "Bund" , die Unterwerfung unter die restriktive Geld- und Kreditpolitik, (keynesianische Wirtschaftspolitik) ,die die Intervention des Staates verankerte, auch die Einbeziehung der Gewerkschaften unter den politisch-ideologischen Staatsapparat setzte. OTTO BRENNER (20) meinte zwar, daß die "Konzertierte Aktion" keine "Aufhebung der Tarifautonomie darstellt" und ebensowenig die "Aufhebung der Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit" bedeute, Fakt war jedoch, daß sie eine "Arbeitsgemeinschaft" war, die kompromißlos den Sozialpartnerschaftsgedanken verfochten hatte, und die strikte Loyalität der Gewerkschaften verlangte. KARL SCHILLER (21) war von diesem "Bündnis zwischen Arbeit und Kapital" dermaßen angetan, daß er sich gegen eine " einkommenspolitische Bevormundung der Gewerkschaften" verwahrte und von Gefährung der "sozialen Symmetrie" (22) sprach, was ihn nicht daran hinderte den "Stabilitätspakt" weiter zu schmieden.  

Die "September-Streiks 1969" hatten auf das Verbleiben der Gewerkschaften in der "Konzertierten Aktion" keinen wesentlichen Einfluß; die "Lohnbewegungen" zu Beginn der 70er Jahre zeigten ihre Innenansicht: Die Vererbungs- Mentalität, die Demütigung, die öffentliche Disziplinierung, der sie sich hingaben. Die Marktwirtschaftsprogramme erwiesen sich als der zu erwartende Kontrollmechanismus. Daran änderte der Wahlsieg der sozialliberalen Bundesregierung (1972) nichts. Sie legte nun ihrerseits die Gewerkschaften auf "stabilitätskonforme" Diskussionen fest, erreichte mit dem "Stabilitätsprogramm" von 1973 Machterhaltung- und Sicherung, und verschaffte sich praktische Einflußnahme durch ein verschachteltes System von Seilschaften und Parteigängern, die an "innerbetrieblichen Bündnissen" bastelten, um die Leistungsfähigkeit des "Sozialstaates" zu verbessern.

Ab 1973/74 übernahmen die Sozialdemokraten den von den Gewerkschaften eingebrachten "Sinneswandel". Die Schlagwörter von der "Verbesserung der Lebensqualität" und "Humanisierung der Arbeitswelt" geisterten nun fortan in den Köpfen der Gesundbeter. Daß das "sozialpolitische Programm" der SPD (23) darauf aufbaute, verdeutlicht nur, daß nun neue "Bündnisse" gefragt waren, die die Kurve der positiven Einschätzung des gegenwärtigen Systems der Zwangsstaatlichkeit, der ungebremsten Wachstumsmotoren, bestätigen sollte. Den Apologeten der kapitalistischen Produktionsweise gelang es in diesen Fragen, ohne größeren Widerstand in die eherne Kompromißbereitschaft mit den Kapitalverbänden einzutauchen, und ihre "Alternativideen" entpuppten sich bei näherer Betrachtung nicht als "Tendenzwende" . Sie mündete ein in die egalisierenden Reformen, die der Markt angab. Den Kapitalismus kann man nicht Stück für Stück zurückdrehen; grundlegende "Korrekturen" gibt es nicht; Krisenüberwindungsstrategien, bei denen nur die "Forderungen" akzeptiert werden, die der jeweilige Sachverständigen- rat in Übereinkunft mit den Kapitalverbänden verlauten läßt, müssen der "Staatlichkeit" entsprechen, sonst unterliegen sie der Revision. Daß damit immer die Warengesellschaft als Grundorientierung anzuerkennen war, konnten selbst vermeindliche "Linke" in den Gewerkschaften, wie etwa FRANZ STEINKÜHLER (24) nicht begreifen, sie mußten dem Tribut zollen. 

Was sich zu Beginn der 80er Jahre als "neue Beweglichkeit" in Form der Kampagne für die "35-Stunden Woche" herausschälte, war der entschlossene Übergang in den Vorhof des heutigen "Bündnis für Arbeit". Der performative Trick der IG Metall kam im Gewand einer Behauptung daher, als ließe sich die von Krisen durchgeschüttelte kapitalistische Produktionsweise überlisten: Man brauche nur die sozialen Rahmenbedingungen zu verändern und schon hat man entscheidend in die kapitalistische Ökonomie eingegriffen. Es ging nicht primär darum, den Leistungsideologien abzuschwören, oder der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit zu begegnen, auch nicht darum, die Vernutzung der menschlichen Arbeitskraft zu kritisieren, infrage zu stellen, mit Verve an der Lohnarbeit im Rahmen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses zu rütteln, sondern den Zwang der Rentabilitätslogik zu erhalten. So verwunderte es auch nicht, daß die anvisierte "Schaffung von Arbeitsplätzen" durch eine Arbeitszeitverkürzung bei "massenhaften Neueinstellungen" in einem Fiasko endete. 

Je weiter diese Diskussion voranschritt, entfaltete sich die unerbittliche Regel, daß weder eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, die in Form des vollen oder abgeminderten Lohnausgleiches aufgetreten war, noch die über sich hinauswachsende Produktivität der Warenproduktion zu entscheidenden Kostenminimierungen führten; mehr noch: Je mehr Rationalisierungen, Automation und neue Technologien( virtuelle Technik) auf den Plan traten, der uneingeschränkte Warenkonsum der Arbeitsplatzbesitzer keine Zeit zur "Flexibilisierung" ließ, konnte der Markt und seine Mechanismen ungehindert zur Normalität des Vernichtungs- und Verteilungskampfes übergehen, in die Prozesse der Entzivilisierung, des psychischen und sozialen Elends, der postmodernen Krisen. Der objektiv beobachtbare Zustand: Die moderne Ware ließ die Bezahlung der Arbeitskraft bei einer zeitlichen Verringerung nicht (mehr) zu, da sie allein auf Produktionszuwächse und maximaler Abschöpfung der Leistungen der Menschen baut. Sie ließ sich auch nicht subventionieren, an den zerbrechenden Staatsapparat heranführen, oder über die Kaufkraft instandsetzen.

Begriffen hatten das weder LODERER, ZWICKEL oder RIESTER. (25) Der "große Plan", den Kapitalisten und dem Staat zu begegnen, mußte ein Desaster nach sich ziehen: Der Sozialabbau folgte auf dem Fuße, nicht ihren epigonenhaften Thesen, sondern den Systemgesetzen. Alte Klassenkampfbedingungen neu definieren zu wollen, als gehe es um "Würde der Arbeit", Veränderung der Arbeitsbedingungen, Geldlohn oder "soziale Reformen", jene Relikte als Systemalternativen zu propagieren und zu erhalten, hatten in ihrer tradierten Gestalt keine Zukunft mehr. Das war das letzte Aufbegehren der deutschen Gewerkschaften. Der entscheidende Gnadenstoß sollte noch kommen! 

Anmerkungen:

 (1) ANDROMEDA -NEBEL: Ein im Sternbild "Andromeda" gelegener länglicher Nebelfleck. Eigentlich gelang es erst dem amerikanischen Astronomen HUBBLE ihn in einzelne Sterne aufzulösen; und seine Selbständigkeit nachzuweisen. Das Sternensystem hat eine Entfernung von ca. 2, 3 Mill. Lichtjahre. In ihm sind zahlreiche - für solche Systeme typische - galaktische Objekte bekannt, etwa "Offene Sternhaufen", "Kugelförmige Sternhaufen". Sein Durchmesser beträgt etwa 150.000 Lichtjahre; der "Kern im Kern" etwa 25 bis 30 Lichtjahre. 

(2) Zwei Vorsitzende des DGB (FREITAG und RICHTER) - wohl als Ausdruck der Verbundenheit gedacht- waren in den fünfziger Jahren Mitglieder der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. FREITAG war von 1952-1956, RICHTER von 1956-1962 DGB-Vorsitzender. 

(3) Zwischen 1949 und 1952 wurde der DGB u. a. zu einem Garant der ADENAUERschen Außenpolitik. Der DGB unter seinem damaligen Vorsitzenden HANS BÖCKLER (Vorsitzender :1949/51) unterstützten trotz Widerstandes aus den eigenen Reihen, stillschweigend die Außen- und Verteidigungspolitik und damit die wesentlichsten Inhalte des "Petersberger Abkommens" vom 24./25. November 1949. Auch CHRISTIAN FETTE, BÖCKLERs Nachfolger, sprach sich offen für die Remilitarisierung aus, in dem er erklärte, daß "die Frage der militärischen Sicherung und die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik eins seien." Zitiert nach: THEO PIRKER: "Die Blinde Macht", Erster Teil, München 1960, S. 234.  

(4) Leitsätze des "Münchener Programms" des DGB von 1949.

 (5) VIKTOR AGARTZ: Nationalökonom; war in der Nachkriegszeit DER entscheidende Wirtschaftstheoretiker der SPD; ab 1953 Leiter des "Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes" und Chefideologe des DGB. AGARTZ gehörte zu den Vordenkern der "sozialpartnerschaftlichen Mitbestimmung" und der Idee der "expansiven Lohnpolitik" (Lohnfragen sind Machtfragen); geriet 1955 unter heftigen Beschuß (u. a. vom geistigen Ziehvater der katholischen Soziallehre, NELL-BREUNING); war zu dieser Zeit politisch isoliert und kurze Zeit später kaltgestellt. AGARTZ wurde "beurlaubt", im März 1957 wegen "hochverräterischer Beziehungen" zum FDGB verhaftet und angeklagt. Der 3. Senat des Bundesgerichtshofes sprach ihn wegen Mangels an Beweisen am 13. Dezember 1957 frei. AGARTZ starb 1964. Rechtsanwälte in diesem Prozeß waren: GUSTAV HEINEMANN (späterer Bundespräsident -1969 ) und DIETER POSSER. Literatur: HANS-GEORG HERMANN: "Verraten und Verkauft", Fulda, o. J. Dokumente über die Formierung des DGB 1951 - 1961, Dortmund 1971. 

(6) Im Januar 1951 schloß der DGB mit der Bundesregierung unter KONRAD ADENAUER eine Vereinbarung ab, die den Kern des "Montan-Mitbestimungsgesetzes" bildete, daß einige Monate später in dritter Lesung als "Gesetz über die Regelung der Mitbestimmung in den Unternehmungen des Bergbaus sowie der Eisen- und Stahlerzeugenden Industrie" vom Bundestag verabschiedet wurde. Es betraf allerdings nicht die gesamte Wirtschaft, sondern nur einen Teilbereich (Berbau, Eisen- und Stahlindustrie). Auf eine wesentliche Forderung: "Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum" wurde von Anfang an verzichtet, um den "sozialen Frieden" nicht zu gefährden. Die Auseinandersetzungen um das "Betriebsverfassungs Gesetz" (BVG) begannen im Frühjahr 1950; ADENAUER gelang es, die Gewerkschaften durch zahlreiche Versprechungen auszumanövrieren, die darauf hofften, daß einige ihrer Forderungen erfüllt werden (Frage eines Arbeitsdirektors, Aufsichtsratsbeteiligung, betriebliche Mitbestimmung in den entscheidenden Fragen usw.). Das Taktieren ADENAUERs führte vor allem im Mai 1952 zur Einstellung aller außerparlamentarischer Aktionen von Seiten des DGB; der kapitulierte und seine ganze Hoffnung in die Kompromißbereitschaft der Bundesregierung und der Koalitionsparteien legte, letztlich davon ausging, daß sie nachgeben würden. Das BVG mit dem entscheidenden Passus (Verbot der parteipolitischen Betätigung für Betriebsräte) wurde am 19. Juli 1952 in 3. Lesung verabschiedet. 

(7) Der 5. DGB-Kongreß fand 1959 in Stuttgart statt.  

(8) FERDINAND LASSALLE: 11. April 1825 (Breslau) - 31. August 1864 (Genf); kann als kleinbürgerlich-sozialistischer Politiker bezeichnet werden; war Präsident des von ihm gegründeten 1. ALLGEMEINEN DEUTSCHEN ARBEITERVEREINS (ADAV - 1864); Teilnahme an der Revolution 1848/49. Daraus resultierte die Bekanntschaft mit MARX und ENGELS, die seine Positionen zur damaligen sozialistischen Geschichte als "idealistisch" kritisierten. LASSALLEs "Organisation der Arbeiter", die als Mythos in der Geschichte herumgeistert, und sein politisches Programm ("Ehernes Lohngesetz") waren Konzepte, die in die Konzession und der Paktiererei mit BISMARCK, seinem "spezifisches Preußentum" , mündeten. Um einen "Heeres- und Verfassungskonflikt" zu vermeiden, wich LASSALLE innen- und außenpolitisch zurück, und ließ sich ab dem Frühsommer 1863 auf Gespräche mit BISMARCK ein. 

(9) TRANSMISSIONSRIEMEN: Übertragung, Verteilung der Antriebskraft auf mehrere Maschinen. In diesem Sinne: Übertragung und Weitergabe von politischen/wirtschaftlichen Instruktionen auf Gruppen/Parteien/Verbände. 

(10) Vgl. etwa die Streikaktionen 1950-1955, die zwar eine "unmittelbare Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen" (Reproduktion) zum Inhalt hatten, aber doch nur den Konsumtionsprozeß verteidigten.  

(11) GEORG LEBER: Begann seine "Karriere" 1952 als führendes Mitglied im "Zentralkomitee der Katholiken"; war später 1. Vorsitzender der IG Bau-Steine-Erden; MdB; war von 1966-1969 Verkehrsminister im 8. Bundeskabinett unter KIESINGER; 1969-1972 MdB; löste ab Juli 1972 SCHMIDT als Verteidigungsminister ab; war im 10. Bundeskabinett (15.12. 1972 - 16.5.1974) Verteidigungsminister der SPD; ebenfalls im 11. Bundeskabinett (16.5. 1974 - 15. 12.1976); im 12. Bundeskabinett bis 16. 2. 1978 Verteidigungsminister. LEBER machte noch einmal 1984 auf sich aufmerksam, als er zusammen mit RIESTER u. a. am "Kompromiß" für die 38, 5 Stunden-Woche beteiligt war. Alle Daten: DATENBANK MAO (unveröffentlicht) JÜRGEN SCHRÖDER (Berlin), DIETMAR KESTEN (Gelsenkirchen), DIETER OSTERLOH (Berlin), 1985-1995. 

(12) Zitiert nach: DEPPE/FÜLBERTH/HARRER: Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Köln 1977, S. 399.

 (13) Die Kongresse übernahmen das bestehende "Gesellschaftsbild", die kapitalistische Gesellschaft , die sie zwar als "Überflußgesellschaft" charakterisierten, sie jedoch als "Organ der Klassemacht" ablehnten, der Kapitalismus sei eine "kollektive Daseinsversorgung". Das "Kooperationsdenken" war die "neue politische Funktion" , dem sich die Gewerkschaften "zu stellen hätten". Literatur: S. LANDSHUT: "Die Auflösung der Klassengeschaft", o.O., o. J.  

(14) LUDWIG ROSENBERG, Vorsitzender des DGB 1962/69. HEINZ-OSKAR VETTER, Vorsitzender des DGB 1969/82.  

(15) Vgl. THEO PIRKER: "Die blinde Macht", Zweiter Teil, München 1960, S. 240ff. BRANDT- Zitat: Parteitag der SPD in Hannover (21.-25. November 1960); zitiert nach THEO PIRKER: "Die SPD nach Hitler. Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands", Berlin 1977, S. 279ff. Und: DATENBANK MAO (unveröffentlicht) JÜRGEN SCHRÖDER (Berlin), DIETMAR KESTEN (Gelsenkirchen), DIETER OSTERLOH (Berlin), 1985- 1995; Datensatz 1970. 

(16) Vgl. DIETMAR KESTEN: "Deutsche und internationale Dämmerzustände 1997. Zum Schluß kommt der Trommelwirbel", Gelsenkirchen 1998, S. 77ff.  

(17) Vgl. THEO PIRKER: "Die blinde Macht", Erster Teil, München 1960, S. 237ff. 

(18) Das Gesetz tritt am 14. 6. 1967 in Kraft. Unter den zu fördernden Zielen des Gesetzes wird offiziell "das außenwirtschaftliche Gleichgewicht" genannt. Vgl. WOLFGANG BENZ (Hrsg.): Die "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", Band 2: Wirtschaft, Frankfurt/M. 1989, S. 207.

 (19) Das "Stabilitätsgesetz" mündete z. B. in die sog. verordneten "Lohnleitlinien" und in die "Konjunkturzuschläge" (bis zu 10%) zu Beginn der 70er Jahre. Diese Regelung wurde von der BRANDT-Regierung z. B. 1970 angewandt, um Teile der Lohnsteigerungen - bis 1972 - wegzusteuern. Während der "Lohnrunden" 1972/1973 drohte sie mit einer Erhebung nichtrückzahlbarer Konjunkturzuschläge für den Fall, daß die Lohnerhöhungen die "Orientierungsdaten" überschreiten sollten. Entscheidenden Anteil an der Durchsetzung dieser Globalökonomie hatte der "Super-Minister" für Wirtschaft und Finanzen, KARL SCHILLER, der am 13. 5. 1971 ALEX MÖLLER ablöste Die KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS/MARXISTEN-LENINISTEN (ROTE FAHNE/ZENTRALBÜRO) bezeichnete diese Maßnahmen der SPD-Regierung u. a. als "faschistische Verwaltung der Arbeiterklasse". Zitat aus: DATENBANK MAO (unveröffentlicht) JÜRGEN SCHRÖDER (Berlin), DIETMAR KESTEN (Gelsenkirchen), DIETER OSTERLOH (Berlin), 1985- 1995; Datensatz 1970 - März 1973. 

(20) OTTO BRENNER: Einstiger "legendäre" 1. Vorsitzender der IG Metall. 

(21) KARL SCHILLER: Volkswirtschaftler (24. 4. 1911 - 26. 12. 1994); SPD-Politiker; Keynesianer; Professor; 1966 - 1972 Bundeswirtschaftsminister; 1971- 1972 Finanzminister; war am schon erwähnten "Stabilitätsgesetz" 1967 maßgeblich beteiligt; 1972 Rücktritt. 

(22) Zitiert nach: JÖRG HUFSCHMID: "Die Politik des Kapitals",  

(23) Das "sozialpolitische" Programm der SPD schlug sich u. a. nieder in: "Neufassung" des BVG (1972), Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfall (1972), Rentenreform (1972), Arbeitssicherungsgesetz (1973), Verbesserungen der Leistungen im Krankheitsfall (1974), Arbeitsstättenverordnung (1975). Der "Radikalenerlaß" (1972) fällt allerdings aus diesem Rahmen deutlich heraus.

 (24) FRANZ STEINKÜHLER: Ehemaliger Stuttgarter Bezirksleiter und verantwortlich für den Tarifbezrik Nordwürttemberg-Nordbaden; 1. Vorsitzender der IG Metall; tritt am 25. 5. 1993 zurück, als bekannt wird, daß er sein Insiderwissen als Aufsichtsratsmitglied von Daimler-Benz für Aktienspekulationen ausgenutzt hatte. Dabei soll er einen Gewinn bis zu 160. 000,- DM gemacht haben. STEINKÜHLER war schon kurze Zeit vorher in Ungnade gefallen, als er die windigen Finanzgeschäfte seines 1. Hauptkassierers (WERNER SCHREIBER), als es um den Kauf eines Hochhauses für die IG Metall ging, deckte. 

(25) EUGEN LODERER war 11 Jahre (1972 - 1983) 1. Vorsitzender der IG Metall; FRANZ STEINKÜHLER wird sein Nachfolger. KLAUS ZWICKEL: Gehörte zur "linken" Ecke in Nordwürttemberg-Nordbaden; 1986: 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Stuttgart; im Oktober 1993 1. Vorsitzender der IG Metall. WALTER RIESTER: Einstiger "Kampfgefährte" von KLAUS ZWICKEL; im Oktober 1993 2. Vorsitzender der IG Metall; wird im September 1998 Arbeitsminister im Kabinett SCHRÖDER und löst NORBERT BLÜM ab.

nach oben