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Die gesellige Läuterung des Kapitalismus
20 Thesen zur Freiwirtschaft

 

12/1998
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In den letzten Jahren macht in Deutschland eine politische Bewegung wieder vermehrt von sich Reden, die, nach ihrer Bluetezeit im ersten Drittel dieses Jahrhunderts und einer kurzen Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg, jahrzehntelang ein Dasein in der Versenkung gefuehrt hat: die freiwirtschaftliche Bewegung, im Folgenden auch kurz Freiwirtschaft genannt. Diese Bewegung versteht sich als kompromisslos antikapitalistisch und geriert sich dabei mitunter wesentlich radikaler als man es heute von gruenen Fundis, von der PDS oder von ALTVA(e)TERlichen PROKLAmatoren gewohnt ist. Die Anhaenger der Freiwirtschaft, die sich selbst Freiwirte nennen, warten mit einem erfrischenden Materialismus auf - was man von der heutigen Linken leider kaum mehr behaupten kann - und zeigen zu einem Gutteil eine rege Aufgeschlossenheit gegenueber der alternativ-oekonomischen Scene.

Dem Kapitalismus wollen die Freiwirte den Garaus machen, indem sie die Herrschaft des Geldkapitals, das Diktat des Zinses brechen wollen. Sowas in der Art hatten sich auch die Nazis schon mal auf die Fahnen geschrieben ("Brechung der Zinsknechtschaft"). Das blosse DEUTEN auf diese Gemeinsamkeit ist aber nicht, wie viele Linke irrtuemlich meinen, schon der BEWEIS fuer eine faschistische oder faschistoide Gesinnung der Freiwirte und enthebt einen auch nicht der Notwendigkeit einer KRITIK des freiwirtschaftlichen Ansinnens SELBST (um die sich moralinabgefuellte Antifa-Leutchen so gerne druecken, wenn sie sich mal mit der Freiwirtschaft "befassen"). Im Folgenden wollen wir diese Kritik leisten, indem wir uns die Kapitalismustheorie der Freiwirte vornehmen -und dabei wird sich zeigen, ob und inwiefern es zwischen freiwirtschaftlichem und faschistischem Antikapitalismus Affinitaeten gibt. Ebenso wird sich herausstellen, warum die meisten Linken zu einer wirklichen Kritik der Freiwirtschaftslehre nicht faehig sind: weil sie naemlich einige grundlegende Fehler mit den Freiwirten teilen.

Ausser der "Zinsknechtschaft" wollen die Freiwirte auch das Bodenmonopol brechen. Fuer eine praegnante, grundlegende Beurteilung ihrer Kapitalismuskritik ist das aber ohne Belang, so dass wir im Rahmen unseres vorliegenden Beitrages darauf verzichten, auf die Stellung der freiwirtschaftlichen Lehre zum Grundeigentum einzugehn. Hier nun unsere 20 Thesen zur Freiwirtschaft: 

1. Die freiwirtschaftliche Bewegung - begruendet durch den deutsch-argentinischen Kaufmann Silvio GESELL (1862 - 1930) - treibt ein paradoxes Ansinnen um: Angetreten, den Kapitalismus aus der Welt zu schaffen, will sie doch nicht an seinen Grundlagen ruetteln. Stattdessen reisst sie den inneren Zusammenhang kapitalistischer Marktwirtschaft auseinander und betreibt ihre Gegnerschaft zum Kapitalismus grade im Namen der Marktwirtschaft. 

2. Das Geschaeft, die Marktwirtschaft von ihren "kapitalistischen Verzerrungen" zu befreien, verwechselt konsequent Oekonomie mit Moral: Freiwirtschaftler sehen im Kapitalismus den Missbrauch einer an sich guten Sache am Werk, deren Gutheit sie auch gleich schon fuer so unwidersprechlich halten, dass sie der vom kapitalistischen Zugriff befreiten Marktwirtschaft glatt das Praedikat "natuerlich" zusprechen: "Natuerliche Wirtschaftsordnung" (NWO) hat Gesell sein Konzept einer freiwirtschaftlich kastrierten Marktwirtschaft genannt - und dabei ueberhaupt nicht gemerkt, wie paradox es ist, eine Ordnung als "natuerlich" zu bezeichnen, die man doch erst SCHAFFEN will. 

3. Entsprechend ihrem praktischen Zweck, mit der marktwirtschaftlichen Form der kapitalistischen Oekonomie gegen deren Inhalt zu Felde zu ziehen, betaetigen sich Freiwirte in ihrer Theorie als schlechtes Gewissen der buergerlichen Volkswirtschaftslehre (VWL), deren ideologischen Boden sie in keinem Moment verlassen: Wie die VWL behaupten sie oekonomische Bestimmungen des in der buergerlichen Gesellschaft hervorgebrachten Reichtums wie Ware, Geld und Kapital als seine natuerlichen Eigenschaften und den im Privateigentum per staatlicher Gewalt hergestellten Ausschluss andrer vom gesellschaftlichen Reichtum als der "menschlichen Natur" gemaess. (Seltsam, dass die menschliche Natur bzw. das ihr Gemaesse immer erst der staatlichen Gewalt bedarf, um Gueltigkeit zu erhalten ...) 

4. An Ware, Geld und Kapital selbst wollen die Freiwirte den Kapitalismus nie und nimmer entdecken (- eine Blindheit uebrigens, mit der heutzutage auch der groesste Teil der Linken geschlagen ist). Ganz ehrlich von der Schlechtigkeit des Kapitalismus ueberzeugt, koennen sie dessen Gruende und Zwecke wie auch seine Struktur unmoeglich in denjenigen Verhaeltnissen auffinden, die sie ja grad' als natuerliche und der Menschennatur gemaesse behauptet haben. So kann das Kapitalistische nur noch von aussen in die Welt der Marktwirtschaft gelangt sein. Die Freiwirte entdecken es dort, wo auf dem Markt Transaktionen stattfinden, die ganz offenkundig dem Grundsatz des Aequivalententausches (an dem selbst sie ja nichts auszusetzen finden) zu widersprechen scheinen: Am zinstragenden Kapital (Geldkapital/Kredit) bemerken sie das Paradoxon, dass Geld, d.h. der MASSSTAB aller Preise, hier selbst einen Preis HAT - den ZINS eben: Geliehenes Geld ist nicht etwa damit bezahlt, dass man es einfach wieder zurueckzahlt, sondern man muss immer mehr zurueckzahlen, als man sich ausgeliehen hat. Das finden Freiwirte hoechst ungerecht. 

5. Im zinstragenden Kapital, in dem direkten, scheinbar durch keine Zwischenglieder mehr vermittelten Austausch von Geld gegen mehr Geld, wird eine fundamentale Wahrheit offenbar: Kapital ist eine leistungslose Aneignung von Reichtum, den andre schaffen. Freiwirte haben diese Wahrheit durchaus erkannt, wollen sie jedoch nur fuer das zinstragende, das Finanzkapital gelten lassen; das produktive (und weitgehend auch das kommerzielle) Kapital wie auch dessen Funktionaere, die Unternehmer (die fungierenden Kapitalisten), zaehlen sie in ihrer Kapitalismustheorie mit zu den OPFERN des Kapitalismus.

6. Auf diese Weise geraet den Freiwirten der Gegensatz zwischen zwei FUNKTIONSBESTIMMUNGEN des Kapitals: einerseits fungierendes, andrerseits zinstragendes Kapital zu sein - zu einem MORALISCHEN Gegensatz: Bei ihnen steht "gutes", weil produktives, fungierendes, also direkt in die Wirtschaft investiertes Kapital gegen "schlechtes", weil zinstragendes, also bloss akkumulierendes Kapital. Der kapitalistische Grundantagonismus zwischen (Lohn-)Arbeit und Kapital verwandelt sich bei den Freiwirten so in einen Gegensatz zwischen schaffendem" und "raffendem" Kapital (auch wenn sie diese Ausdrucksweise zumeist nicht verwenden) - und Lohnarbeiter und Unternehmer finden sich ploetzlich sozusagen auf derselben Seite der Barrikaden wieder. 

7. So schaffen es Freiwirte, eine Kapitalismuskritik zu verfertigen, ohne das Kapital selbst zu kritisieren. Die kapitalistische Ausbeutung besteht fuer sie darin, dass eine Horde Schmarotzer (Geldkapitalisten, Banken sowie Unternehmer, die ihrer wirtschaftlichen "Investitionspflicht" nicht nachkommen und einen Teil ihres Kapitals als Geldkapital anlegen) die marktwirtschaftliche Ordnung dazu missbrauchen wuerde, aus ihr Geld rauszuziehen, es zu horten und das gehortete Geld dann, bei groesser werdender Kapitalknappheit auf seiten der "produktiven" Unternehmer, gegen Zins dosiert wieder in die Wirtschaft zurueckfliessen zu lassen. Indem diese verantwortungslosen Raffgeier "kuenstlich" Kapitalknappheit erzeugen und auf dieser Basis dann das produktive Kapital dazu erpressen, ihnen von seinem sauer verdienten Profit permanent was abgeben zu muessen, bringen sie die ganze schoene Marktwirtschaft durcheinnder und aus ihrem Gleichgewicht: Ein immer groesser werdender Anteil der wirtschaftlichen Leistungen muss fuer die Zinszahlung aufgebracht werden, waehrend auf seiten des Geldkapitals ein staendig wachsender Anspruch auf Reichtum akkumuliert. Die Folgen: verschaerfte Konkurrenz, Arbeitslosigkeit, Verarmung breiter Bevoelkerungskreise, wachsende Staatsverschuldung, unsichere Renten, Krisen usw., ja sogar gewalttaetige Unruhen und Kriege. 

8. Der Befund, zu dem die Freiwirte hinsichtlich der real existierenden Marktwirtschaft kommen, ist schon seltsam: Eine Wirtschaftsordnung, die an und fuer sich natuerlich und menschengemaess ist, hat bislang noch nie anders als der Missbrauch, den man mit ihr anstellt, existiert. Statt bei der Konstatierung eines solchen Sachverhaltes den Schluss zu ziehen, dass mit dieser Wirtschaftsordnung dann vielleicht doch etwas nicht so ganz stimmt, dass also Marktwirtschaft vielleicht doch nicht so das Ideale ist, halten sie unbeirrt an ihrem Dogma fest, dass die Marktwirtschaft an sich edel, huelfreich und gut waere, und beteuern, dass, wenn man die Moeglichkeit der Geldhortung konsequent unterbinden wuerde, die guten und natuerlichen Potenzen der Marktwirtschaft sich endlich frei entfalten koennten und so endlich eine wirklich "Natuerliche Wirtschaftsordnung" entstuende.

9. Bei jenem Personenkreis, der sein Einkommen leistungslos ueber Zinseinkuenfte bezieht, muss es sich, der freiwirtschaftlichen Logik zufolge, um eine BESONDRE SORTE MENSCH handeln; eine Sorte, die sich bestaendig gegen das eigentlich Menschengemaesse, gegen die Menschennatur verhaelt. (Natuerlich meinen Freiwirte damit nicht die Kleinsparer, kleinen Rentner usw., sondern diejenigen, die das Zinsscheffeln im grossen Massstab und professionell betreiben: eben die Geldkapitalisten, die Banken, Unternehmer, die Teile ihres Kapitals lieber gegen attraktive Zinsen als Geldkapital anlegen, als es in die Wirtschaft zu investieren usw.). Freiwirte vermoegen also der logischen Struktur kapitalistischer Marktwirtschaft nicht mehr die Gruende dafuer zu entnehmen, dass ein Teil des durch sie hervorgebrachten Reichtums NOTWENDIGERWEISE die Form des zinstragenden Kapitals bzw. des Zinses annimmt; vielmehr erklaeren sie umgekehrt die kapitalistische Formbestimmtheit der Marktwirtschaft aus der Raffgier irgendwelcher Geldsaecke, Profitgeier und Muessiggaenger. (Von Linken kennt man solche Verkehrungen ebenfalls zur Genuege: Statt den Profit und das Profitinteresse aus dem Kapitalverhaeltnis herzuleiten, betrachten sie letzteres vielmehr als Ausfluss einer ProfitGIER der Kapitalisten.)

10. Die freiwirtschaftliche Erklaerung des Kapitalismus entpuppt sich damit als eine Erklaerung nur der FORM nach; vom eigentlichen Gehalt her besteht sie hingegen vielmehr im Waelzen der SCHULDFRAGE: Wer sind die Saeu', die die schoene Marktwirtschaft so schaendlich zu ausbeuterischen Zwecken missbrauchen, und wie machen die das? Wie schon bei der falschen Entgegensetzung, die die Freiwirte zwischen produktivem und zinstragendem Kapital machen, sehn wir also auch hier MORAL anstelle des Bemuehens um rationelle Theorie am Werke. Klar: Wer auf die Marktwirtschaft nichts kommen lassen will, muss kapitalistische Ausbeutung entweder leugnen oder sie, wie die Freiwirte es tun, in dem VERHAELTNIS verorten, das irgendwelche Gierschluende aufgrund ihres UEBLEN, AUSBEUTERISCHEN CHARAKTERS oekonomisch ZUR Marktwirtschaft einnehmen. 

11. Latent enthaelt eine solche Versubjektivierung des Kapitalismus einen STRUKTURELLEN RASSISMUS: Der freiwirtschaftliche Befund: System (Marktwirtschaft) an sich gut und natuerlich, aber gewisse Kreise (Geldkapital) missbrauchen es unnatuerlicherweise zu ausbeuterischen Zwecken - will von objektiven Gruenden und Zwecken des Kapitalismus nichts wissen und betrachtet ihn als Ausfluss der Ausbeutermentalitaet, der Raffgier eines besondren Menschenschlages. Von hier aus ist es dann zwar kein zwangslaeufiger, aber auch kein sonderlich weiter Schritt, um die moralische Entgegensetzung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital  nun endlich VOLLENDS von irgendwelchen Erinnerungen an oekonomische Formbestimmungen des Kapitals abzukoppeln und sich diesbezueglich auf den Standpunkt jener Ideologie zu stellen, die jene moralische Entgegensetzung erst so richtig publik und populaer gemacht hat: auf den Standpunkt des Faschismus. 

12. Die faschistische Kritik am Kapitalismus - sozusagen der "Antikapitalismus des dummen Kerls" (Juergen Elsaesser - frei nach Engels) - macht aus dem in der freiwirtschaftlichen Theorie vorhandenen strukturellen Rassismus das, wozu dieser Rassismus als Rassismus einzig taugt: eine NATIONALISTISCHE Kritik am "raffenden" Kapital. Die moralische Entgegensetzung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital schreitet so zur Entgegensetzung von "gutem", weil deutschem und damit "schaffendem" Kapital einerseits und "schlechtem", weil internationalem, also volksfremdem und mithin bloss "raffendem" Kapital andrerseits. 

13. Statt "international" kann man im letzten Satz auch "juedisch- international" einsetzen: Zum einen wurden die Juden im Mittelalter von der christlichen Kirche in die Sphaere der Geldgeschaefterei gedraengt, zum andern hatten die Juden zur Zeit der Entstehung und Reifung der ideologischen Entgegensetzung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital keinen "eigenen" Staat, sondern lebten in vieler Herren Laender. Diese zwei Umstaende in Tateinheit miteinander "MUSSTEN" ja jeden aufrechten deutschen Volksgenossen gegen die Juden einnehmen.

14. Da die Freiwirte bislang keine rationelle Kritik am Nationalismus zustande bekommen haben, vielmehr meist selbst Anhaenger des gewoehnlichen buergerlichen Nationalismus sind, ist klar, dass freiwirtschaftliche Sympathien fuer den Nationalsozialismus, die in den 30er Jahren durchaus keine Seltenheit waren, absolut keinen "Ausrutscher" darstellen: Wenn auch von den meisten Vertretern der Freiwirtschaft nicht vollzogen, ist der Uebergang zu einer faschistischen Kritik am Kapitalismus doch durchaus eine LOGISCHE Konsequenz aus Silvio Gesells falscher, weil moralischer Entgegensetzung zwischen produktivem und zinstragendem Kapital. 

15. Ist die Losloesung des Gegensatzes von produktivem und zinstragendem Kapital von jedweder oekonomischen Bestimmung erstmal so weit fortgeschritten, dass sich jeder Antisemit darin heimisch fuehlen kann, lassen sich auch schnell weitere Schmarotzer am oekonomischen Volkskoerper ausmachen: die Asylanten, die Auslaender, die Sozialhilfeempfaenger, irgendwelche Gewerkschafts-"Bonzen" etc. 

16. Die Verabsolutierung des Gegensatzes zwischen produktivem und zinstragendem Kapital KANN zu faschistischen Ejakulationen des freiwirtschaftlichen Geistes fuehren, MUSS es aber keineswegs. So gibt es unter den Freiwirten auch eine ganze Reihe Leute, die den (im Original latent vorhandenen) strukturellen Rassismus der Gesellschen Lehre nicht mitmachen (aber auch nicht wahrhaben) wollen. Diese Leut' haben sich wenigstens eine Erinnerung daran bewahrt, dass der Begriff 'Kapitalismus' keine moralische Kategorie darstellt, sondern ein objektiv-reales System kennzeichnet, das entsprechend struktural- logisch erklaert gehoert. Zum Kreis solcher kritischen Vertreter der Freiwirtschaft - die wir hier mal als linken Fluegel der freiwirtschaftlichen Bewegung oder kurz als freiwirtschaftliche Linke zusammenfassen wollen - zaehlen beispielsweise Leute wie Wilhelm Schmuelling und Bernd Hercksen (beides Redakteure der "ueberkonfessionellen" Freiwirte-Zeitung "Der dritte Weg"), Johannes Heinrichs (Autor des Buches "Der Sprung aus dem Teufelskreis"; versucht, eine Bruecke zwischen Freiwirtschaft und Sozialismus zu schlagen), Klaus Schmitt (Anarcho-Freiwirt; Herausgeber und Hauptautor des Buches "Silvio Gesell - 'Marx' der Anarchisten?"; hat vor kurzem das alte Anarchoblatt "883" wieder zum Leben erweckt) und Bernd Senf (der eigentlich kein richtiger Freiwirt ist, der Gesellschen Lehre aber viel Sympathie entgegenbringt; Autor des Buches "Der Nebel um das Geld"). Das linksgesellianische Spektrum reicht bis tief in die libertaere Scene hinein und sollte daher in den innerlibertaeren Diskussionsprozess mit einbezogen werden. 

17. Den Kapitalismus kann man auch durch noch so viel Herumdoktern an Geldkapital und Grundeigentum nicht ueberwinden - ihn treffen koennte man damit aber moeglicherweise schon: Wuerde der Zins, wie die Freiwirte eswollen, gegen Null gehn, waere zum einen die Macht des Geldkapitals stark eingeschraenkt oder sogar gebrochen, zum andern waere u.a. eine nicht unbetraechtliche Reallohnerhoehung die Folge. Daher wuerden wir jeden Erfolg der freiwirtschaftlichen Linken in dieser Richtung begruessen - allerdings ohne uns davon in irgendeiner Weise abhaengig zu machen; denn die ganzen von den Freiwirten ersonnenen "antikapitalistischen" Massnahmen sind durch die Bank weg solche, die vom STAAT und seinen Institutionen umgesetzt werden muessen (- das ist bei Marktwirtschaftfans auch nicht anders zu erwarten -), und ebendieser Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Oekonomie und verliert diese Bestimmung nicht schon dadurch, dass er freiwirtschaftliche Reformen durchzieht (die ja grade NICHT auf die Ueberwindung des KAPITALISMUS SELBST, sondern guenstigstenfalls auf die Einschraenkung oder Brechung der Macht des GELDkapitals hinauslaufen wuerden). 

18. Ausgerechnet den STAAT zum Subjekt eines antikapitalistischen Prozesses machen zu wollen, ist ein paradoxes Unterfangen, und zwar eines, das sich die Freiwirte sowohl mit sozialbewegten Faschisten wie auch mit der klassischen Linken und der traditionellen Arbeiterbewegung teilen. Fuer die Befreiung der Individuen vom Kapitalismus auf eine Macht zu setzen, die nicht ihre eigene ist, kann zu allem moeglichen fuehren, nur eben zu jener Befreiung nicht; im guenstigsten Falle resultiert aus dem Setzen auf die Staatsmacht ein voruebergehend gemaessigter Kapitalismus (freiwirtschaftliche Ordnung) oder ein "Kapitalismus ohne Kapital" (Staatskapitalismus bzw. Staatssozialismus), im unguenstigsten Fall faschistische Barbarei. 

19. Sofern die freiwirtschaftlichen Massnahmen zur Einfuehrung der "Natuerlichen Wirtschaftsordnung" ueberhaupt irgendeine Chance auf Verwirklichung haben - was wir, ehrlich gesagt, zu bestreiten wagen - , koennen sie, wie schon erwaehnt, allenfalls zur Einschraenkung oder Brechung der Macht von Geldkapital und Grundeigentum fuehren. Fuer die Arbeiter wuerde das zwar eine betraechtliche Reallohnerhoehung mit sich bringen, aber weder Kapital noch Lohnarbeit haetten zu existieren aufgehoert. Die Konkurrenz der Kapitale wuerde sich zunaechst mal auf deutlich reduzierter Stufenleiter bewegen, der eine oder andre Unternehmer wuerde seinen durch die deutliche Minderung oder gar Abschaffung des Zinses gestiegenen Gewinn womoeglich sogar zur Schaffung neuer Arbeitsplaetze nutzen. Aber es widerspraeche sowohl dem Begriff der Konkurrenz wie auch dem des Kapitals, einen bestimmten Status einfach beizubehalten. "Die Konkurrenz schlaeft nicht", weiss noch jeder Unternehmer zu berichten, und das ist nichts andres als die alltagssprachliche Uebersetzung der im Begriff des Kapitals gegebenen quantitativen Masslosigkeit desselben. Weder im Begriff des Kapitals noch in dem der Konkurrenz findet sich irgendein Anhaltspunkt fuer ein im Endlichen liegendes Ziel. Die Einfuehrung der NWO wuerde also nur zu einer voruebergehenden sozialen Abmilderung des Kapitalismus fuehren; nach einiger Zeit waer' alles wieder so wie vorher: die Realloehne waeren wieder auf den alten Stand gesunken, die Arbeitslosenzahlen haetten sich wieder auf's Ansteigen verlegt, die Renten waeren womoeglich noch unsicherer und mickriger geworden, als sie vorher schon gewesen waren, etc. etc. Das waere dann der PRAKTISCHE Beweis dafuer, dass es eben NICHT die Zinsherrschaft ist, was das Wesen des Kapitalismus ausmacht ... 

20. Zum Schluss ein dringender Rat an alle Linksgesellianer: Ihr muesst Euch schon entscheiden: Entweder Ihr wollt nicht von dem paradoxen Unterfangen Eures Meisters lassen, den Kapitalismus abschaffen zu wollen, ohne das Kapital selbst anzugreifen - dann solltet Ihr aber so konsequent sein und Eurem Ansinnen ehrlicherweise den Titel "Befreiung des Kapitalismus von der Zinsknechtschaft" geben; oder aber Ihr nehmt es mit der Kritik des Kapitalismus ernst - dann nehmt aber auch den Kapitalismus als SYSTEM ernst und hoert damit auf, ihn letztlich doch immer nur als Verzerrung oder Entartung eines Systems zu betrachten, dem Ihr lauter unwidersprechlich gute Zwecke unterstellt! Wir jedenfalls halten auch eine GESELLige Marktwirtschaft fuer eine ganz und gar nicht gesellige, sondern ausgesprochen ungemuetliche Angelegenheit.

Dieser Text stammt aus "Der Netzwerker" v. 4.12.1998, einer eMail-Zeitung fuer alternative Oekonomie und libertaeren Sozialismus, herausgegeben und zu beziehen vom  projekt isis aus Marburg, eMail: isis.com@t-online

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