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VON DER ENTEIGNUNG ZUR ANEIGNUNG 

Eine Veranstaltung des "Instituts für neue Arbeit" mit Robert Kurz
(in Köln am 13 November 1998) 

von Werner Ruhoff

12/1998
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 Radikale Gesellschaftskritik auf den Begriff der Arbeit zuzuspitzen und diese Kritik konsequent durchzuhalten, ist für Robert Kurz ein Grundelement von revolutionärer Theorie, die an Marx anknüpft und über ihn hinausweist. Das zentrale Bezugssystem der sogenannten modernen Gesellschaft ist die Arbeit als materielle Grundlage der sozialen Existenz und als Grundstruktur der Lebenspläne. Die fundamentale Krise der heutigen Gesellschaft zerstört dieses Bezugssystem. Die dritte industrielle Revolution des Computerzeitalters macht die menschliche Arbeit in einem bisher unbekanntem Maße überflüssig. Somit ist gerade die Arbeiterbewegung unmittelbar und existentiell von deren Erosion betroffen. Lange waren die Kapitalismusgegner davon ausgegangen, daß in einer solch zugespitzten Situation der Ausweglosigkeit revolutionäre Situationen entständen. Stattdessen kommt nun mit dem Sterben der Arbeitsgesellschaft auch das Ende der traditionellen Arbeiterbewegung. Von ihr bleibt kaum mehr übrig als die Generalsterbekassen der Gewerkschaften . 

Robert Kurz machte in seinem Vortrag den theoretischen Versuch, wieder aus der Sackgasse herauszukommen, in die sich die Arbeiterbewegung seit ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert hineinmanövriert hat. Die protestantische, zugleich liberale Heiligsprechung der Arbeit wurde von der Arbeiterbewegung regelrecht verinnerlicht. Dagegen war die Zeit vor ihr - vom Beginn der Renaissance an bis zu den Schlesischen Weberaufständen - von widerständigen Bewegungen geprägt, die sich den Enteignungen von Produktionsmitteln und der Unterordnung unter das Regime rücksichtsloser Zwangsarbeit widersetzten. Sie wollten sich aus guten Gründen nicht zur Arbeitern machen lassen. Kurz ging es nicht darum, vorindustrielle Zeiten wieder aufstehen zu lassen. Dennoch bieten damalige Bewegungen wie die der Ludditen Anknüpfungspunkte für heutige Emanzipationsbestrebungen.  

Die Marktwirtschaft hat die menschliche Tätigkeit vom ursprünglichen Sinn  von direkter Reproduktion menschlichen Daseins losgelöst und in Arbeit verwandelt. Unter dem Zwang der Kapitalverhältnisse ist diese immer mehr zum Mittel eines sinnentleerten Selbstzweck geworden, dessen nackter Inhalt nur noch darin besteht, aus Geld mehr Geld zu machen.  

"Arbeit, Arbeit, Arbeit!" so lautet ein Wahlspruch der SPD. Diesen nahm Kurz als sinnbildhaften Ausdruck, daß es heute nicht mehr darum geht, zu welchem Sinn und Zweck überhaupt produziert wird. Es geht um abstrakte Arbeit, der Substanz und Quelle des Geldreichtums. Durch Rationalisierung wird aber immer mehr dieser betriebswirtschaftlichen Arbeit überflüssig. Eine ständig wachsende Zahl von Menschen wird ausgegrenzt. Zudem wirkt die Arbeit unter den Konkurrenzzwängen sozial und ökologisch zerstörerisch. Die enorme Produktivkraftentwicklung führt so zu mehr Hetze und Streß - anstatt zu mehr Muße.  

Perspektivisch braucht es wieder die Aneigung der Produktionspotenzen (Ressourcen, Grund und Boden, Maschinen und Werkzeuge, Know how, Kommunikation etc.) durch die Produzenten selbst. So würde den verschiedenen Formen ihrer Tätigkeiten ihre unmittelbar eigene Bedeutung zurückgäben. Die Rolle der Regulationsinstanz kann auch nicht in Form des Staates angestrebt werden, was das Scheitern des Realsozialismus belegt hat. Stattdessen sind Impulse der Selbstorganisation wichtig. Es geht um eine Reintegration von Produktion, Verteilung und Konsum in die alltäglichen Beziehungen der Menschen, um die Aufhebung heutiger getrennter Bereiche, der von Arbeit und Wohnen, Arbeit und Freizeit, Produktion und Ästhetik u.a..  

In der anschließenden Diskussion der 40 TeilnehmerInnen wurde kritisiert,  daß der Arbeitsbegriff auf die Erwerbsarbeit verkürzt wurde. Robert Kurz sieht aber in seinem Ansatz auch die nicht bezahlte Arbeit einbezogen, da auch sie direkt oder indirekt für den Verwertungsprozeß des Kapitals vernutzt werde. Am Beispiel der sogenannten Hausfrauenarbeit können denn durchaus zwei entgegengesetzte Schlüsse ziehen: einmal die Bezahlung der Haus(frauen)arbeit oder aber das Zwangssystem des Geldes radikal anzugreifen. Die erste Lösung legt den Maßstab an, den das Kapital selbst verkörpere, nämlich die geldmäßige Vernutzung von menschlicher Arbeit. Die zweite Lösung ist radikal im Wortsinne - von der Wurzel her - und zielt auf die Emanzipation von den kapitalistischen Zwängen. 

Was ist diesbezüglich überhaupt an sozialer Bewegung vorhanden, wurde gefragt. Inwieweit bieten Projekte wie die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim Ansätze, um beizutragen, eine Aneignungsbewegung zu initiieren? Besteht der richtige Weg in einer radikalen Verweigerung und einem eher militanten Widerstand? Sind gemeinwesenorientierte Projekte wie die SSM verlängerte Arme staatlicher Institutionen, die bei der Krisenverwaltung helfen? Oder sind solche Projekte eher Ansätze von Emanzipation, die teilweise aus der Not geboren doch Wege aufzeigen können, jenseits von der Alimentierung durch den Staat und der Betriebswirtschaft eigene Ideen in die Tat umzusetzen und Ausstrahlung zu entwickeln? Auf diesem Gebiet sind zwangsläufig Kompromisse zu schließen, weil solche Projekte nicht von politischen und marktökonomischen Bedingungen unberührt bleiben können.

Deswegen gilt es Kriterien zu entwickeln, die im Sinne von Emanzipation ausschlaggebend für die Einschätzung von Projekten sein können. 

Köln, den 16.11.1998

 

Robert Kurz ist Publizist und Mitherausgeber/Redakteur der Buchzeitschrift "Krisis" (Im Internet zu finden unter www.magnet.at/krisis )

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