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80 Jahre KPD
Der Aufruhr
braucht eine Partei!
  • Unter diesem Titel veröffentlichte 1988 anläßlich des 70zigsten Jahrestages der KPD-Gründung die Redaktion des "westberliner info" das folgende Material. In der trend-Redaktion arbeiten heute einige mit, die damals an der Zusammenstellung dieser Texte beteiligt waren.

12/1998
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1987/88 waren in Westberlin mehr als 50.000 Menschen aus Betrieben, Werkstätten, Büros und Läden an Aktionen wie Arbeitsniederlegungen, Streiks und Demos beteiligt Organisator war fast ausschließlich der DGB. Unter seiner Vorherrschaft wurden Abwehrkämpfe gegen wirtschaftliche Verschlechterungen als Ausdruck der ökonomischen Krise geführt. Der DGB gab die Parolen und er begrenzte die Kämpfe auf der Linie der Sozialpartnerschaft. In all diesen Kämpfen wurden keine Loslösungen von Reformismus und Gewerkschaftslegalismus sichtbar. Antikapitalistische Aktionen, die tagtäglich in kleinen Auseinandersetzungen in Betrieben aufscheinen, haben noch keine Öffentlichkeit. Und wenn sie an die Schwelle der Öffentlichkeit mit eigenen Aktionen treten, wie im Bosch-Siemens-Hausgeräte, dann gibt es Druck von der Gewerkschaft und sogenannten Linken, die versuchen, sie auf den Gewerkschaftslegalismus zurückzuzerren.

Am l. Mai 1988 gab es nach vielen Jahren wieder eine 1.Mai-Demo, die sich zum Klassenkampf und zum Sozialismus bekannte. Über 5.000 Menschen folgten ihr. Dennoch kam das Potential fast nur aus dem Kiez, dem Kiez, wo man seit Jahren vermittelt über Kampagnen in militante Auseinandersetzungen verwickelt war.

Nach der IWF-Kampagne, in die mehr als 100.000 Menschen einbezogen waren, beginnt sowohl im Kiez, wie auch in Betrieben ein behutsames Herantasten an die Frage der dauerhaften Organisierung des Aufruhrs. Auch in den von Zehntausenden westberliner Studentinnen vorgetragenen Protestaktionen scheint diese Frage bei wenigen punktuell auf. Und wie alle Bewegungen, die sich an über Kampagnen sammeln, treibt diese Suche die Organisationsfrage mit all ihren Fazetten hervor, die bereits in der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung eine Rolle spielten: Syndikate, Räte, RGO, Partei usw. und so fort. Deswegen ist die Beschäftigung mit der Gründungsgeschichte der KPD von hoher Brisanz.

Denn die real abgelaufene KPD-Geschichte ist in ihrer Verarbeitung, sei es durch die K-Gruppen der 70er Jahre oder auch die SEW/DKP, immer als Begründungssteinbruch und Legitimationskiste für aktuelle Tagespolitik benutzt worden. Für die Kräfte, die heute die Organisationsfrage aufwerfen, gibt es in diesem Sinne nichts zu legitimieren und Traditionspflege sollte nicht das Anliegen sein. Vielmehr gilt es, nüchtern die real abgelaufene Geschichte zu durchleuchten und Lehren, sofern sie etwas mit der gegenwärtigen Realität zu tun haben, schöpferisch in die Debatte aufzunehmen.

GEBROCHENE GESCHICHTE

Doch eins sollte dabei klar sein: Einen roten Faden, der sich geradlinig von 1918 bis heute durch die Geschichte der Klassenkämpfe zieht, gibt es nicht. Dazu wurde diese Geschichte nicht nur durch die Herrschenden , sondern auch durch die Akteure selber mehrfach gebrochen und unterbrochen. Wir drucken in folgendem einen Auszug aus Karl RADEK's Tagebuch ab, der den Zeitraum Mitte Dezember 1918 bis zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Gegenstand hat. Radek war nicht nur Zeitzeuge, sondern auch Akteur. Er hatte, 1885 in Lemberg/Polen geboren, von 1908-1914 in Bremen gelebt und war dort Mitglied der SPD, bis er 1912 ausgeschlossen wurde. Kurz vor der Oktoberrevolution kehrte er mit Lenin nach Rußland zurück und gehörte zur Führung der Bolschewiki. Als es im November 1918 in Deutschland revolutionär zu gären begann, wurde er zusammen mit Bucharin und anderen Genossen nach Deutschland geschickt, um die deutschen Genossen zu unterstützen. Er allein erreichte Berlin im Dezember 1918. Sein Tagebuch ist trotz aller subjektiven Einfärbungen ein wichtiges Zeitdokument, weil es in aller Deutlichkeit die Unerfahrenheit, die Konfusion und die tiefen Differenzen innerhalb der sich gründenden KPD anspricht. Und es zeigt überdeutlich: Die KPD war nicht der führende Teil in den Klassenauseinandersetzungen und schon gar die Partei, die "als eherne Kohorte" immer Recht und 1000 Augen hatte.

REVOLUTIONÄRE SAMMLUNGSBEWEGUNG

Die am 30.12.1918 - 1.1.1919 gegründete KPD dokumentierte nicht den Abschluß eines Entwicklungsprozesses der politisch-ideologisch klaren Scheidung der revolutionären Kräfte von den opportunistischen und klassenversöhnlerischen Kräfte, wie sie sich in der SPD und USPD formierten. Es war eher der Druck der Verhältnisse, die ungeschminkt deutlich werden ließen, wie ein Teil der Arbeiterbewegung durch die SPD- und USPD-Führung in das kapitalistische System reintegriert wurde. Alle Hoffnungen, die Geschichte werde die Massen aus einem Selbstlauf heraus zum Sozialismus treiben, schienen spätestens durch den l. Reichsrätekongreß (16.12-21.12.1918) zerstört. Dieser Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte - von der sozialen Zusammensetzung eher eine Gewcrkschaftsbeamtenversammlung - rief zur Nationalversammlung, d.h. zur Bildung des bürgerlichen Staates auf und bestätigte die rechten SPD-Führer als Regierung. Nun war es eindeutig: die revolutionären Kräfte mußten sich organisatorisch selbständig formieren.

Die Frage der eigenständigen Organisierung der revolutionären Kräfte außerhalb des Organisationszusammenhangs der SPD wurde nach dem Verrat der SPD 1914 nur von den linksradikalen Kräften um den Bremer Johann Kniet vertreten. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verstanden dagegen ihre Spartakusgruppe als einen Propagandaverein innerhalb der Sozialdemokratie. Als sich 1917 die USPD von der SPD abspaltete, verblieb Spartakus als Fraktion innerhalb der USPD. Abgesehen von zahlreichen taktischen Differenzen herrschte zwischen Rosa und Karl Konsens, eine revolutionäre Organisation nur über die USPD aufbauen zu können. Die Gründung des Spartakusbundes am 11.11.1918 schuf zwar einen eigenen Organisationszusammenhang bildete aber noch keineswegs die klare Trennung zur USPD.

Unter dem Druck der Ereignisse im Dezember änderten die Bremer Linksradikalen ihre Ansichten, die sich als Internationale Kommunisten Deutschland im gesamten Reichsgebiet eigenständig organisiert hatten und dadurch den vollzogenen Bruch mit der Sozialdemokratie bereits dokumentierten. Unter dem Einfluß von Radek kamen sie auf ihrer zentralen Konferenz am 24.12.1918 zu der Überzeugung mit dem Spartakusbund eine Partei zu bilden. Doch die inhaltlichen Differenzen blieben: Zentralisierte Partei oder Föderation? Parlament (Nationalversammlung) oder Räte? Proletarische Einheitsorganisation oder Partei und Gewerkschaft?

ERST EINHEIT DANN KLARHEIT

Die gemeinsame Entscheidung von Spartakus und IKD eine Partei zu bilden, hatte eine Sogwirkung für alle linksradikalen Kräfte, die mit der Sozialdemokratie unbedingt brechen und die Revolution fortsetzen wollten. Der Gründungsparteitag der KPD fand folglich unter schwerwiegenden Differenzen statt. In der Präge der Beteiligung an der Nationalversammlung setzten sich die IKD, gestützt auf die anarchosyndikalistischen Kräfte, durch. Die Beteiligung wurde abgelehnt. Auf das Parteiaufbaukonzept konnte man sich auch nicht einigen und die Statutfrage wurde einer Kommission überwiesen. Die Partei rekrutierte dann auch in den folgenden Monaten ihre Mitgliedschaft durch deren subjektiven Willen. Entweder wurden ganze Ortsverbände der USPD durch Abstimmung Mitlieder der KPD, oder IKD-Ortverbände traten der KPD bei, oder Einzelpersonen, die nicht nur IKD- oder Spartakusbund-Mitglied waren, sahen sich nun als KPD-Mitglieder. Die Gewerkschaftsfrage blieb auf dem Gründungspartei ebenfalls ungelöst und wurde der Kommission überwiesen. Da nun diese drei Grundfragen kommunistischer Strategie und Taktik offenblieben, nahm der Parteitag folglich auch nicht den Programmvorschlag des Spartakusbundes (von Rosa Luxemburg verfaßt) als Programm an.

Das eigentliche Programm der jungen KPD hieß Revolution. Es war aus der unterschiedlichen subjektiven Verarbeitung der aktuellen Klassenkämpfe durch die verschiedenen Strömungen abgeleitet. Nur die Geschichte nahm nicht den erhofften Verlauf und mit dem Abebben der revolutionären Flut brachen die Differenzen zwischen den Strömungen wieder auf. Der 2. Parteitag der KPD im Oktober 1919 war ein Parteitag der Spaltung. Alle Kräfte, deren Konzeption schlagwortartig als "anarcho-syndikalistisch" einzustufen war, verließen die Partei und schufen sich eigene Organisationen. Zu einem Programm sollte die KPD wahrend ihrer gesamten "Weimarer Zeit" nicht kommen. Die Lücken wurden durch "Aktionsprogramme" geschlossen, die jeweils auch nur die Einschätzungen der aktuell in der KPD dominierenden Strömung ausdrückten.

Aus Karl Radeks Tagebuch

  • Radeks Tagebuch wurde 1926 das erste Mal in der UdSSR in der Zeitschrift "Krasnoja Nov" mit dem Titel "November" veröffentlicht. Die vorliegenden Auszüge entstammen der ersten deutschen Übersetzung, die sich im Bd.II des Archivs für Sozialgeschichte, Hannover 1962 S.119-166, befindet.

".....Schmutzig und zerdrückt, griff ich fieberhaft nach der "Roten Fahne" . Fuhr ins Hotel und sah noch im Auto in die Zeitung. Mir wurde angst. Der Ton der "Roten Fahne" war wie vor der letzten Schlacht. Sie konnten die Lautstärke kaum noch steigern. Wenn sie es nur nicht überspannten! Ich suchte die Adresse. Da war sie. Ich ging in die Redaktion. Fanny Jezierskaja öffnete. Liebknecht war da, auch Rosa Luxemburg, Thalheimer und Paul Levi. Ein erstes kurzes Gespräch. Liebknecht drückte mich immerzu an sich. Er war erregt. Der erste Rätekongreß hatte die Einberufung einer Nationalversammlung erlaubt. Jetzt wurde er beendet. Es war nutzlos, dorthin zu gehen! "Wieviel Leute hatten wir da?" Es war überhaupt keine Fraktion der der Spartakisten auf dem Rätekongreß. Laufenberg nahm mit seiner Hamburger Gruppe eine Zwischenstellung ein. Rosa sprach mit großen Mißtrauen von ihm. Und wie stand es im Berliner Arbeiter- und Soldatenrat? Auch dort hatten wir keine organisierte Gruppe. In der Provinz war es hier und dort besser. In Bremen hatten wir unter Leitung von Knief einen bedeutenden Teil des Arbeiter- und Soldatenrates in unsere Hand bekommen. Im Chemnitz war Brandler am Werk. "Und wieviel Organisierte haben wir in Berlin?" fragte ich. "Wir sammeln gerade erst die Kräfte. Als die Revolution begann, hatten wir in Berlin nicht mehr als fünfzig Leute....."

".....Wir gingen mit Liebknecht spazieren. In der Friedrichstraße und Unter den Linden bewegten sich große Menschenmengen. Keine Spaziergänger oder Bummler wie gewöhnlich, sondern Menschenmengen, die über Politik diskutierten, auf den Gesichtern stand große Freude. Der Krieg war zu Ende. Wir kauften an einem Stand Schokolade. Sie enthielt Sacharin, war irgendwie leer und sättigte nicht. Aber die Leute waren anscheinend sehr zufrieden mit ihr. Überall wurden die Löhne erhöht, man konnte sie sich kaufen. Wir gingen durch die Passage. "Diese Menge fühlt gar nicht, daß das Schwert der Entente über ihr hängt", sagte ich zu Liebknecht. "Ja", erwiderte Liebknecht, "gegen die Entente kann man nur propagandistisch reden. Wer versuchen würde, von der Verteidigung der Revolution gegen die Entente zu sprechen, den würde die Masse verschlingen." Wir kamen in die Nähe des Brandenburger Tores in eine Kutscherkneipe. Kutscher und Chauffeure tranken hier. Wir hatten schon vergessen, daß wir Grütze gegessen hatten, bestellten Eisbein mit Sauerkraut und Erbsen, das Lieblingsessen der Berliner Kutscher. Es gab das noch in den Kutscherkneipen - trotz des Kartensystems. Die Wirtsleute hatten kein Personal, sie kannten ihre Gäste und kauften alles mögliche schwarz. Ein Gespräch mit den Kutschern begann. "Wilson (damaliger US-Präsident -d.Red.) ist ein anständiger Kerl. Er hat diesen Lumpen von Kaiser gezwungen, abzuhauen. Jetzt versorgt er Deutschland mit Brot. Er wird uns einen guten Frieden geben."

Ich fuhr mit Paul Levi zu einer Metallarbeiterversammlung, weit am Ende der Chausseestraße. Wir fuhren durch den Tiergarten. Dort fand eine große Demonstration statt. Es wurde gegen die Regierung demonstriert. Erstaunt fragte ich Levi, ob das unsere Demonstration sei. "Nein, das ist eine Demonstration der Unabhängigen."-"Wieso, die Unabhängigen sind doch in der Regierung?"-"Ja, aber die Berliner Organisation ist in den Händen der linken Unabhängigen. Sie haben eine Organisation der sogenannten revolutionären Betriebsobleute, die an der Vorbereitung des Umsturzes teilnahmen. Sie sind gegen den Block mit Scheidemann und Ebert." Mir fielen die Zweifel von Tyszka (Leo Jogiches - d.V.) ein: wäre es nicht besser, mit der Abspaltung von der unabhängigen Sozialdemokratie zu warten, bis diese Massen vor die Frage der Spaltung gestellt würden? Wir kamen zu einer großen Arbeiterversammlung. Levi war irgendwo verschwunden, und mich zwangen die kommunistischen Arbeiter, aufzutreten. Ich sprach zu ihnen nicht nur über die großen Siege des russischen Proletariats, sondern auch über seine Leiden, über den Bürgerkrieg und den Hunger, über den Weg zum Sieg. Plötzlich rief jemand: "Wieviel haben sie Dir bezahlt, damit Du Sowjetrußland verleumdest?" Irgendein Arbeiter, der erst nach Beginn meiner Rede gekommen war, hatte den Teil, in dem ich von den Schwierigkeiten des Kampfes sprach, auf diese Weise verstanden. Sie stellten sich nicht vor, was eine Revolution in Wirklichkeit ist.

Die Vorbereitung des Parteitages begann. Rosa hatte einen Entwurf des Parteiprogramms geschrieben. Er wurde m den führenden Kreisen diskutiert und rief keinerlei Streit hervor. Streit erzeugte nur das Verhältnis zur Nationalversammlung. Liebknecht sagte, daß er, wenn er morgens aufwache, gegen die Teilnahme an den Wahlen zu ihr sei, und am Abend sei er dafür. Es war eine sehr verführerische Idee, der Losung der Nationalversammlung die Parole der Räte entgegenzusetzen. Aber der Rätekongreß war ja selbst für die Nationalversammlung. Diese Stufe war kaum zu überspringen. Das gaben Rosa und Liebknecht zu, darauf bestand Tyszka. Aber die Parteijugend war entschieden dagegen. "Wir jagen sie mit Maschinengewehren auseinander."

 Ich rief meinen Freund Johann Knief, den Führer der Bremer Organisation, telegrafisch aus Bremen herbei. Die Bremer standen den Bolschewiken am nächsten. Johann war gegen eine Vereinigung mit den Spartakisten. Er führte alle strittigen Fragen einschließlich der Akkumulationstheorie von Rosa Luxemburg an. Er zeigte folgende Perspektive: Nach dem Block Ebert und Haase kommt der Block Ledebour-Liebknecht-Luxemburg. Und erst nach ihnen kämen wir. Er forderte die Gründung einer bolschewistischen Partei unabhängig von Rosa Luxemburg, sprach von der Gefahr einer Diktatur Tyszkas, der unter konspirativen Bedingungen aufgewachsen sei und die Partei mit seinem Zentralismus ersticken werde. Die deutsche Revolution könne nur als breite Massenbewegung siegen. Die Partei dürfte nicht so zentralisiert sein, wie Tyszka es wolle. Ich wies ihn darauf hin, daß seine Auffassungen nichts mit dem Bolschewismus gemein hätten. Die Gewerkschaften und die Räte, das wären die Organisationsformen der breiten Massen. Die Partei - die Organisation der Führenden - müßte streng zentralisiert sein. Er blieb mit hanseatischer Hartnäckigkeit bei seiner Meinung. Ich drohte ihm, daß ich mit aller Entschiedenheit gegen ihn auftreten werde. Das zwang ihn, sich zu fügen. Er werde der Vereinigung der Bremer, Hamburger und Hannoveraner, wo unser Einfluß am stärksten war, mit den Spartakisten nicht entgegenwirken. Aber ich hatte ihn nicht überzeugt. Er kam nicht zum Parteitag, wartete ab.

Der erste Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands im Preußischen Landtag. Rund hundert Delegierte. Viele Bekannte. Pieck, Ernst Meyer, Duncker und andere, aber die Jugend, die vor dem Krieg nicht kannte, überwog. Darunter zwei Russen: Leviné, mit einem ersten nachdenklichen Gesicht, ein ehemaliger Sozialrevolutionär, der in Deutschland erzogen war, und der junge fixe Max Levin, der Sohn des ehemaligen deutschen Generalkonsuls in Moskau, der in Moskau ins Gymnasium ging und sich für einen Russen hielt, in Uniform. Die Partei-tagsjugcnd war bereit, den Himmel zu stürmen. Sie meinte, Rosa und Karl bremsten, der Sieg sei sehr nahe. Am meisten trat der ehemalige Abgeordnete Rühle in Erscheinung. Ich erhielt das Wort zur Begrüßung im Namen des russischen ZK. Große Sensation bei den Vertretern der bürgerlichen Presse. Sie stürzten zur Tür, um mit ihren Redaktionen zu telefonieren. Aber der erfahrene Pieck hatte schon Anweisung gegeben, die Türen zu schließen und niemanden herauszulassen. Der Parteitag hörte gespannt zu. Die Einheit mit der russischen Kommunistischen Partei und der russischen Revolution war die Grundtendenz der Stimmungen des Kongresses. Der Parteitag demonstrierte grell die Jugend und die Unerfahrenheit der Partei. Die Verbindung mit den Massen war äußerst schwach. Zu den Verhandlungen mit den linken Unabhängigen verhielt sich der Parteitag ironisch. Ich fühlte nicht, daß hier schon eine Partei vor mir war.

Zu Neujahr verbrachte ich den Abend und die Nacht mit Liebknecht. Er war trotz seiner Müdigkeit lustig wie ein Kind. "Macht nichts, wir werden schon fertig. Die Sozialdemokraten sind stärker als wir, aber sie sind alt. Mit uns geht die Jugend. Sie ist beweglich, leidenschaftlich. Die Unabhängigen sind schon gezwungen, aus der Regierung herauszugehen. Das bringt sie zur Opposition. Die Dinge werden sich schneller entwickeln."

"....Am 4. Januar 1919 entfernte die Polizei den linken Unabhängigen Eichhorn vom Posten des Polizeipräsidenten. Er bewaffnete die Arbeiter, die Unabhängigen und die Kommunisten. Ebert wußte, daß die Arbeiter diese Absetzung nicht ruhig hinnehmen würden. Er wollte einen Zusammenstoß, um die Arbeiter zu entwaffnen...."

"....Am Tage nach der Absetzung Eichhorns kam M.Philips Price, der Korrespondent des "Daily Herald", der 1918 in Rußland Kommunist geworden war, zu mir und erzählte, daß der auf den Posten berufene Ernst, nach den Perspektiven des Konflikts befragt, gesagt habe, er würde die Eichhorn-Leute, wenn sie die Waffen nicht abliefern, entwaffnen. Eine Sitzung des ZK fand statt, in der beschlossen wurde, den Generalstreik zu verkünden und die Arbeiter auf die Straße zu rufen. Ich fragte Rosa Luxemburg, welche Aufgaben wir uns stellten. Rosa erwiderte, der Streik sei ein Proteststreik. Wir wollten sehen, was Ebert wagte, wie die Arbeiter in der Provinz auf die Ereignisse in Berlin reagierten; dann würden wir sehen. Liebknecht aber sagte mir in einer privaten Unterhaltung: "Wenn auch unsere Regierung noch unmöglich ist, so ist doch eine Regierung Ledebour möglich, die sich auf die revolutionären Betriebsobleute stützt."

Die Teilnahme der Massen an den Demonstrationen war so groß, daß es in diesen durchaus Tagen möglich war, die Macht in Berlin zu ergreifen. Nur eine unbewaffnete Menge sozialdemokratischer Arbeiter schützte die Regierung in der Wilhelmstraße...."

"....Aber niemand wies den Massen auf den Straßen ein Kampfziel. Rosa war der Meinung, daß die Übernahme der Macht in den Straßen sinnlos sei, wenn die Provinz keinen Aufstand mache.

 Die Massen besetzten Gebäude, die keine strategische Bedeutung hatten, wie zum Beispiel das Gebäude des "Vorwärts". In Berlin gab es eine Gruppe russischer Kriegsgefangener, die Kommunisten waren. Ich organisierte aus ihnen einen Nachrichtendienst, schickte sie an bestimmte Punkte der Eisenbahnlinie bei Berlin und in die Umgebung. Von ihnen erhielt ich die Nachricht, daß sich in Dahlem ein Militärstab befinde. Automobile und Radfahrer fuhren dorthin und kehrten von dort zurück. Mittwoch früh erhielt ich die Nachricht, daß sich Noske dort befand. Es war klar, daß die Regierung Militär gegen Berlin zusammenzog. Auf Verlangen des ZK verließ ich meine Wohnung nicht, denn Liebknecht meinte, meine Verhaftung würde die Lage sehr erschweren. Man würde sagen, die Bewegung sei von den Russen inszeniert. Durch das ZK-Mitglied Duncker schickte ich einen Brief an das ZK, in dem ich von den militärischen Vorbereitungen Noskes berichtete und darauf hinwies, daß es keinen militärischen Sinn hätte, bewaffnete Zusammenstöße zu riskieren, die mit der Entwaffnung der unorganisierten Arbeiter enden würden, wenn wir nicht die Absicht hätten, die Macht zu übernehmen...."

"...Die Verbindung Liebknechts sowohl mit mir wie mit dem ZK brach ab. Er war in der Bewegung untergetaucht und saß irgendwo in der Bötzow-Brauerei mit den Vertretern der unabhängigen Arbeitern zusammen. Donnerstag nacht kam Levi zur mir. Wir waren der Meinung, daß wir angesichts der völligen Desorganisierung des Zentralkomitees die Initiative in die Hand nehmen müßten. Freitag früh sollte eine große Arbeiterversammlung im Friedrichshain stattfinden. Wir beschlossen, dorthin zu gehen und die Demonstrationen zu den von den Arbeitern besetzten Gebäuden - vor allem dem "Vorwärts" - zu führen und sie zu entsetzen, um so einen hoffnungslosen Zusammenstoß mit den Regierungstruppen zu verhindern.

Wir erhielten die Nachricht, daß ein Teil der Truppen schon in der Stadt war; wir beschlossen daher, Uniformen anzuziehen. Genossen aus Rixdorf brachten mir eine derart abgetragene Uniform, daß wir, als ich am nächsten Tag mit Levi auf die Straße trat, allgemeines Aufsehen erregten. Ich mußte nach Hause zurück. Ehe ich wieder ein menschliches Aussehen erlangt hatte, kam die Nachricht, daß das Gebäude des "Vorwärts" von Truppen umstellt sei und gestürmt würde. Die kleinen Aufstände, die in Kiel und Bremen stattfanden, waren schon unterdrückt worden. Rosa saß ganz ruhig in der Redaktion der "Roten Fahne", und es kostete Levi die größte Anstrengung, sie zu überreden, das Gebäude zu verlassen, auf das man am ehesten einen Überfall erwarten konnte. Gelaufe begann, um für Rosa und Karl eine konspirative Wohnung zu finden. Karl bestand darauf, für Dienstag eine öffentliche Versammlung einzuberufen, in der er und Rosa auftreten sollten. Aber plötzlich kam ein "Vorwärts" mit dem Faksimile eines von Liebknecht und Ledebour unterzeichneten Dokumentes heraus, das den Sturz der Ebert-Regierung und die Bildung einer Regierung Ledebour-Liebknecht verkündete. Dieses Dokument war am 6., am Mittwoch, ohne Wissen des ZK unterzeichnet worden.

Nach dem Tod von Rosa und Karl hat Levi mir von dem Eindruck erzählt, den dieses Dokument auf Rosa machte. Sie saß mit Liebknecht nach der Niederlage in der illegalen Wohnung, als die Zeitung gebracht wurde. Als sie das unglückliche Faksimile sah, fragte sie Liebknecht, was das zu bedeuten habe. Er antwortete verlegen, er hätte das Gebäude des Kriegsministeriums besetzen wollen; und als man von unseren Leuten ein Schriftstück über den Sturz der alten Regierung gefordert hätte, habe er dieses Dokument diktiert und unterschrieben. Das sei eine Kriegslist gewesen. Rosa sagte den ganzen Abend nichts mehr. Es war klar, daß Liebknecht sich von der Idee einer Übergangsregierung der linken Unabhängigen hatte hinreißen lassen und diesen Schritt ohne Wissen des ZK unternommen hatte.

In der Stadt wurde geschossen. Überall wurden die Arbeiter entwaffnet. Am 16. früh erfuhren wir, daß Liebknecht und Rosa in der Nacht verhaftet worden waren. Wir beriefen für sechs Uhr abends eine Sitzung des ZK ein und stellten den Genossen die Aufgabe, sofort die Umstände der Verhaftung und den Aufenthaltsort der Verhafteten zu klären. Auf dem Wege zur Sitzung kaufte ich die Zeitung und erfuhr aus ihr, daß sie nicht mehr am Leben waren........"

AUSGEWÄHLTE BIOGRAFISCHE ANMERKUNGEN
(in der Reihenfolge der Nennung im Text)

Thalheimer, August; Dr.phil. (1884-1948) 1904 Mitglied der SPD, 1914 Gruppe Internationale, auf dem Gründungsparteitag der KPD ins "ZK" gewählt, dort in der Führung bis 1923, ab 1924-1927 in der UdSSR und in China tätig, ab 1928 wieder in Deutschland, im Januar 1929 aus der KPD wegen "Rechtsabweichung" ausgeschlossen, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Opposition (KPO), nach 1933 über Frankreich (bis 1941) nach Kuba, von dort unterstützt er bis zu seinem Tode die "Gruppe Arbeiterpolitik".

Levi, Paul; Rechtsanwalt (1883-1930) bereits als Gymnasiast SPD-Mitglied, Prozeßverteidiger von R. Luxemburg, Gründungsmitglied der KPD, nach der Vereinigung mit der USPD einer der Vorsitzenden, 1921 aus der KPD ausgeschlossen, ab 1922 SPD-Mitglied, Reichstagsabgeordneter, im Fieberwahn aus dem Fenster gestürzt.

Laufenberg, Heinrich, Dr.phil. (1872-1932) kam 1904 von der Zentrumspartei zur SPD, 1907 von Mehring mit der Erstellung einer Geschichte der Hamburger Arbeiterbewegung beauftragt, 1912 Parteiausschluß, dauernder Kontakt zu den Bremer Linksradikalen, 11.11.1918 Vorsitzender des Hamburger Arbeiterrats, Gründungsmitglied der KPD, seit dem 2-Partcitag ausgeschieden, April 1920 Mitgründer der KAPD, im August 1920 ausgeschlossen, danach Gründung einer nationalbolschewistischen Vereinigung.

Knief, Johann, Lehrer, (1880-1919) verließ 1905 den Schuldienst und wurde Redakteur der "Bremer Bürgerzeitung"(SPD), schied Ende 1914 aus der Zeitung aus und propagierte im Spektrum der Bremer Arbeiterbewegung die Gründung einer revolutionären Organisation, die sowohl Partei als auch Gewerkschaft sein sollte, nahm während des Krieges an internationalen Konferenzen teil, nach der Gründung der internationalen Sozialisten Deutschlands (ISD), Vorläufer der IKD, ab 1916 Herausgeber der Zeitung "Arbeiterpolitik", 1916/17 nach Holland emigriert, dort Zusammenarbeit mit den Rätekommunisten, Rückkehr im November 1918, zunächst Gegner der KPD-Gründung, verstarb im April 1919 an den Folgen einer Blinddarmoperation.

Brandler, Heinrich, Maurer (1881-1967) ab l90l Mitglied der SPD, Mitglied der Spartakusgruppe, im Oktober 1918 aus Deutschland ausgewiesen, dann Rückkehr nach Chemnitz, auf dem II.Parteitag der KPD ins "ZK" gewählt, ab Februar 1921 einer Vorsitzenden der KPD, im April 1921 zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, kann im November 1921 in die UdSSR fliehen, 1922 amnestiert, Rückkehr nach Deutschland, Führer der KPD, im Januar 1924 abgesetzt, zur Komintern in die UdSSR beordert, 1928 Rückkehr nach Deutschland, ab 1929 zusammen mit Thalheimer Gründer der KPO, 1933 Emigration nach Frankreich, 1941 nach Kuba, 1949 Rückkehr in die BRD, führend in der "Gruppe Arbeiterpolitik", verstarb in Hamburg.

Jogiches, Leo, (1867 in Wilna/Litauen - 10.3.1919) 1886 Aufenthalt in der Schweiz und dort Kontakt mit Plechanow, Hinwendung zur Arbeiterbewegung, ab 1901 Herausgabe der (illegalen) polnischen "Sozialdemokratischen Rundschau* zusammen mit Rosa Luxemburg, deren Lebensgefährte er wird, Teilnahme an der russ. Revolution 1905, 1906 Inhaftierung und Flucht nach Berlin, 1912 in London ins ZK der russischen Bolschewik! gewählt, von da an sowohl in Rußland als auch bei den deutschen Linksradikalen (Spartakus-Gruppe) als deren Org.-Chef tätig. Gründungsmitglied der KPD und in das I.ZK gewählt, im März 1919 verhaftet und im Moabitcr Kriminalgefängnis ermordet.

Ledebour, Georg, Journalist, (1850-1947) 1890 SPD-Mitglied, ab 1900 Reichstagsmitglied, ab 1917 Mitglied des "ZK" der USPD, in der Novemberrevolution "linker Unabhängiger", 1920 gegen Vereinigung von USPD und KPD, 1924 Gründer des Sozialistischen Bundes, ab 1931 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), 1933 Emigration in die Schweiz, wo er 1947 verstirbt.

Pieck, Wilhelm, Tischler, (1876-1960) ab 1895 SPD-Mitglied, ab 1906 hauptamtlicher Funktionär, ab 1914 Mitglieder der Gruppe Internationale, dann Spartakusbund, auf dem Gründungsparteitag der KPD ins "ZK" gewählt, zusammen mit R. Luxemburg und K-Liebknecht am 15.1.1919 verhaftet, überlebt Verhaftung, gehörte immer der KPD-Führung (außer 1919) an, 1933 Emigration nach Paris, 1938 nach Moskau, 1945 Vorsitzender der KPD, 1946 Vorsitzender der SED, 1949 bis zum Tod Präsident der DDR

Meyer, Ernst, Dr. phil.(1887-1930) ab 1908 SPD-Mitglied, 1913 Redakteur des "Vorwärts", 1915/16 inhaftiert, 1918 Mitarbeiter des sowj. Nachrichtendienstes, auf dem Gründungparteitag der KPD ins "ZK" gewählt, 1919 vorübergehend verhaftet, 1921 Parteivorsitzender der KPD, 1923 abgelöst, 1926 wieder in der Führung, 1929 als "Versöhnler" abgelöst, verstarb an Lungenentzündung.

Duncker, Hermann, Dr. phil. (1874-1960) ab 1893 SPD, 1903 hauptamtlicher Funktionär, ab 1914 Mitglied der Gruppe Internationale, dann Spartakusbund, auf dem Gründungsparteitag der KPD ins "ZK" gewählt, auf dem II.Parteitag nicht mehr gewählt, ab 1923 Leiter der Zentralen Schulung bis 1933, im Zusammenhang mit dem Reichtagsbrand 1933 verhaftet, KZ Brandenburg, 1936 Flucht nach Dänemark, England, Prankreich, Marokko, 1941 USA, 1947 Rückkehr in die SBZ, SED-Mitglied, bis zu seinem Tod Leiter der zentralen FDGB-Schule.

Rühle, Otto, Pädagoge (1874-1943) bis 1915 Mitglied der SPD, dann Mitglied der "Bremer Linksradikalen', auf dem Gründungsparteitag der KPD Sprecher der Anarchosyndikalisten, 1920 Mitbegründer der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) und der allgemeinen Arbcitcrunion (AAU), ab 1923 Rückkehr in die SPD, 1933 von der SA in Dresden schwer mißhandelt, Bucht nach Prag, dann nach Mexiko, bis zu seinem Tode dort Mitarbeiter im Erzichungsministerium.

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