zurück

Wir dokumentieren
Neoliberalismus weltweit
25 Jahre `Modell' Chile (1973-1998)
Internationaler Kongress in Münster,
19. - 21.11.1998

12/1998
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online

Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Pressebüro -
Ansprechpartnerin: Helen Schwenken
Tel.: 0251-4130 441
Fax: 0251-524788

Liebe internationalistisch Interessierte,
an dieser Stelle möchten wir euch die verabschiedeten Resolutionen, die Pressemitteilung über den letzten Tag des Kongresses sowie eine Kurzzusammenfassung der Arbeit in den Foren bzw. der Vorträge zukommen lassen. Warnung: die Darstellung ist garantiert unvollständig und  vielleicht auch `schief' oder ungleichgewichtig wiedergegeben. Diese Darstellung kann und soll eine ausführliche Diskussion, Berichte von anderen TeilnehmerInnen etc. nicht ersetzen, sondern lediglich einen Eindruck davon geben, was 300 Leute drei Tage lang in Münster
diskutiert haben...

Resolution:
Offener Brief an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland

Betrifft: Auslieferungsantrag des chilenischen Ex-Diktators Augusto
Pinochet Ugarte Das Plenum des Kongresses `Neoliberalismus weltweit -
25 Jahre Modell Chile', das zwischen dem 19.11. und 21.11.98 in
Münster stattfand, fordert die deutsche Regierung auf, einen Antrag
zur Auslieferung des chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet nach
Deutschland zu stellen.

Am Freitag,den 16. Oktober 1998, wurde Augusto Pinochet in London
verhaftet. Der chilenische Ex-Diktator ist der Hauptverantwortliche
für die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen während der
Militärdiktatur in Chile von 1973 bis 1990. Von den zivilen
Nachfolgern des Generals wurde die unter der Diktatur gesetzlich
verankerte Straffreiheit für Pinochet und seine Waffenbrüder fast
nicht angetastet.

Mit der Festnahme Pinochets folgten die britschen Behörden einem von
dem spanischen Richter Garzon erwirkten internationalen
Haftbefehl. Ermittelt wird gegen Pinochet wegen der von ihm begangenen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Völkermord, Staatsterrorismus und
Folter). In den 17 Jahren seiner Diktatur sind über 3200
Oppositionelle gefoltert und ermordet worden oder `verschwunden'.

Neben Spanien haben unterdessen auch Frankreich und die Schweiz
Auslieferungsanträge gestellt. In vielen weiteren Ländern, darunter
auch der Bundesrepublik wurden Strafanzeigen gegen Pinochet
eingereicht. In Chile hat die Nachricht von der Verhaftung Pinochets
zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Die Spaltung der
chilenischen Gesellschaft nach 8 Jahren formaler Demokratie zeigt, daß
ohne eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur eine
Versöhnung der chilenischen Gesellschaft und damit die Erlangung einer
beständigen Demokratie nicht möglich ist.

Es ist erschreckend, daß auch jetzt wieder chilenische
MenschenrechtlerInnen wie zu Zeiten der Diktatur um ihr Leben fürchten
müssen.

Daher fordern wir:

- daß die Bundesregierung den Fall Pinochet zur `Chefsache' erklärt
und dem Beispiel Frankreichs und der Schweiz folgend, eine schnelle
Bearbeitung der Strafanzeigen ermöglicht und umgehend die Auslieferung
an Deutschland beantragt wird.

- daß die neue Bundesregierung klar Stellung bezieht für Demokratie
und Menschenrechte.

Nach 25 Jahren Straffreiheit besteht jetzt die einmalige Gelegenheit
ein Stück Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Angehörigen zu
schaffen!

Resolution:
Für eine menschliche Behandlung der politischen Gefangenen in Chile

In Chile gibt es zur Zeit ca. 80 politische Gefangene. Es handelt sich
um ca. 70 Männer und 10 Frauen die nach dem 11. März 1990, d.h. seit
dem Übergang in die `Demokratie', eingesperrt wurden. Die meisten
wurden für bewaffnete politisch motivierte Taten von der Militärjustiz
zu unverhältnismäßig hohen Strafen verurteilt. Einige unter ihnen
bekamen zweimal lebenslänglich, fünf sind von der Todesstrafe bedroht.

Chile ist eines der wenigen Länder, in denen Zivilisten noch immer der
Militärgerichtsbarkeit unterstellt werden können.

Die Gefangenen wurden gewaltsam festgenommen und über mehrere Tage in
Untersuchungshaft gefoltert.

Ihnen wurde ein unparteischer, gerechter, objektiver Prozeß
verweigert. Sie wurden auf der Basis, der noch immer gültigen
repressiven Gesetze der Militärdiktatur, darunter das Gesetz für
Innere Sicherheit (Nr. 12.927), das Waffen- und Sprengstoffgesetz
(Nr. 17.798) und das Anti-Terrorismus-Gesetz (Nr. 18.314), angeklagt.

Als Zivilisten wurde ihnen vor Militärgerichten der Prozeß gemacht,
was den Normen des internationalen Rechtes völlig widerspricht.
Männer und Frauen werden getrennt in Hochsicherheitstrakten in
Gewahrsam gehalten. Die wenigen erlaubten Besuche von Verwandten sind
nur unter extrem eingeschränkten Bedingungen möglich. Die medizinische
Versorgung ist katastrophal, zwei schwerkranken Frauen wird die
ausreichende medizinische Betreuung vorenthalten.

Wir fordern:

- Wiederaufnahme der Prozesse vor Zivilgerichten

- Aufhebung der Isolationshaft und uneingeschränkte Besuchserlaubnis

- Angemessene medizinische Versorgung

- Anerkennung als Politische Gefangene

- Freilassung der haftunfähigen Insassinnen (Maria C. San Juan und
Marcela Rodriguez)

-Aufhebung der Todesstrafe

Münster, den 21.11.1998
Kontakt: Chile-Gruppe Berlin, c/o FDCL Gneisenau Str. 2a, 10961
Berlin, Fax 030/692 6590, email: berlinterror@hotmail.com


Pressemitteilung vom 21.11.1998, 20 Uhr:

Internationaler Kongress - zwischen Kontinuität und Neuanfang

"Wir haben viele Probleme - und wenig Zeit", faßte der chilenische
Sozialhistoriker Luis Vitale das ambitionierte Vorhaben des Kongresses
"Neoliberalismus weltweit - 25 Jahre `Modell' Chile (1973-1998)"
zusammen. Am heutigen Samstag abend ging der mit 300 Teilnehmenden
ausgezeichnet besuchte internationale Kongress in Münster mit dem
Vortrag "Die Linke zwischen den Welten" von Luis Vitale aus Chile zu
Ende. Die `Probleme', um die es ging, wurden in insgesamt sechs
hochrangig besetzten Foren und auch noch bis in die frühen
Morgenstunden analysiert und diskutiert. Durch den internationalen
Austausch galt es, Impulse für die weitere politische Arbeit in Chile,
Deutschland, Costa Rica, etc. zu geben.

Neben Aktiven aus der internationalistischen sowie christlichen
Chile-Solidaritätsbewegung der 70er und 80er Jahre, hatten viele junge
Leute den Weg nach Münster gefunden, die umweltpolitisch oder
feministisch engagiert sind. Das themen- und altersgemischte Publikum
spiegelte somit sowohl Kontinuität als auch einen Neuanfang
wider. Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik
begreift auf Seiten der OrganisatorInnen den Kongress ebenfalls als
Chance zur Weiterentwickung solidarischen Handelns: "Auf der einen
Seite versteht sich der Kongreß in Kontinuität zum großen
internationalen Chile-Kongress 1983, der ebenfalls in Münster
stattfand und sich direkt gegen die Diktatur richtete. Jetzt aber gilt
es, eine neue Phase der Solidaritätsarbeit einzuläuten, die sich
dadurch auszeichnet, dass man im gemeinsamen Gespräch nach neuen
Kooperationsformen sucht."

"Entgegen dem herrschenden Pragmatismus und der weit verbreteiteten
Hoffnunglosigkeit, sind hier Menschen zusammengekommen, die mit Lust
und Spaß darauf bestehen, gesellschaftliche Alternativen zu denken und
zu leben.", freute sich Ramminger über das inhaltlich produktive und
menschlich angenehme Klima der Veranstaltung. Dazu gehöre auch die
Einsicht, dass "dem Süden nur geholfen werden kann, wenn wir in
unserer Gesellschaft anfangen." So legte der abschließende Beitrag des
Befreiungstheologen Kuno Füssel einen deutlichen Akzent auf die Frage
nach sozialer Gerechtigkeit, nach Überwindung von Obdachlosigkeit,
Erwerbslosigkeit und Armut.

Die Festnahme des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet
in Grossbritannien und die Diskussion des weiteren Vorgehens bestimmte
viele Diskussionen zwischen den Chile-Aktiven. Angehörige von
Verschwundenen waren daran ebenso beteiligt wie die Juristin und
Vorsitzende der chilenischen Menschenrechtsorganisation CODEPU,
Fabiola Letelier. Der Kongress schuf die Möglichkeit, bestehende
Initiativen zu vernetzen und neue zu planen. Sammelklagen gegen
Pinochet wurden koordiniert, eine Kundgebung in der münsterschen
Innenstadt durchgeführt sowie ein offener Brief an die deutsche
Bundesregierung formuliert, in dem die Auslieferung des Diktators
gefordert wurde.

V.i.S.d.P.: Helen Schwenken


Kurzzusammenfassung über die inhaltliche Arbeit in den Foren

Vorbemerkung: Die hier niedergeschriebenen Stichworte basieren auf den
Berichten, die am Samstag nachmittag im Plenum von den ReferentInnen
gehalten wurden, eine ausführliche Dokumentation wird erscheinen
(Zeitpunkt und Form noch unklar).

Forum 1: Ökonomie mit Franz-Josef Hinkelammert (Costa Rica) und Rafael
Agacino (Chile)

Diskutiert wurde am Samstag, ob und wie die Analyse der Menschenrechte
in Bezug zu setzen ist mit dem Neoliberalismus, dabei wurde die These
von der Privatisierung der Menschenrechte vertreten. Referiert und
diskutiert wurde über strukturelle Veränderungen und wann diese in
Chile bzw. der BRD einsetzten. Am Samstag stand zur Debatte, wie
Veränderungen zu erreichen sind. Dabei hob Rafael Agacino drei
Prinzipien für Alterntiven hervor: 1. der Kampf muss auf
internationaler Ebene stattfinden; 2. Solidarität muss interdependet
werden, d.h. inhaltliche und solidarische Verbindungen zwischen
Gesellschaften und sozialen Bewegungen herstellen, wobei mensch sich
auch nicht auf NGOs verlassen sollte, da diese zunehmend sich
einbinden lassen und zu "Bewegungsunternehmen" werden; parallel zu
theoretischen Diskussionen müssen alternative Projekte
weiterentwickelt werden, die möglichs transnationale Aspekte
berücksichtigen, z.B. könnten deutsche und chilenische StudentInnen
zusammenarbeiten und über Parallelen im Bildungswesen diskutieren, es
könnten ArbeiterInnen aus transnationalen Konzernen sich zusammen
organisieren.

Forum 2: Politik und Herrschaft mit Johannes Agnoli (Berlin, Italien)
und Tomás Moulian (Chile)

Auch in Forum 2 stand die Kritik an althergebrachter
Interessenvertretung (Parteien, Gewerkschaften etc.) im Zentrum der
Diskussionen und wurde am Samstag verbunden mit der Annahme der
Herausforderung, neue Organisationsformen zu schaffen, die die Ideen
sozialer Bewegungen besser zum Ausdruck bringen und zur Durchsetzung
verhelfen können. Drei Vorschläge wurden dazu im Plenum vorgestellt:
1. einen gegenkulturellen Kampf aufnehmen, da neoliberale und
kapitalistische Zwänge (konsumieren müssen, arbeiten müssen) tief in
den Individuen verwurzelt sind; 2. das neoliberale System muss von
unten und von oben angegriffen werden, d.h. Engagement auf lokaler und
regionaler Ebene sollte von Linken verstärkt verfolgt werden; 3. durch
kollektive Beratungen sollen Alternativen zum "ExpertInnentum", auch
innerhalb sozialer Bewegungen, geschaffen werden. Zum Schluß warf
Moulian die Frage auf "was ist links" und beantwortete sie wie folgt:
"In Chile ist man nicht links, wenn man dem chilenischen
Regierungsbündnis angehört und, ich glaube in Deutschland nicht, wenn
man den Sozialdemokraten angehört".

Forum 3: Internationalistischer Feminismus mit Isabel Carcamo (Chile)
und Gisela Notz (BRD)

Am Freitag stand die Beschäftigung mit den Auswirkungen des
Neoliberalismus auf Frauen in der BRD im Vordergrund, am Samstag die
auf Frauen in Chile. Festgestellt wurde, dass die Durchsetzung
neoliberaler Beschäftigungsformen und gesellschaftlicher Ideologien
die Hierarchie zwischen Männern und Frauen noch verstärkt, da Frauen
aufgrund zunehmend prekärerer Beschäftigungsverhältnisse mit
geringerem Verdienst, weiterhin für die Hausarbeit zuständig sind und
patriarchale Rollen mit einem Familienernährer und der weiblichen
Zuverdienerin gestützt werden. Das System - hier wie in Chile -
braucht die Reproduktionsarbeit der Frauen. Auch in Chile bleibt die
seit langem formulierte und vehement vorgebrachte Forderung der
Frauenbewegung, dass Männer sich an der Hausarbeit beteiligen müssen,
immer noch weitgehend ungehört. Isabel Carcamo hob hervor, dass zwar
in der heutigen Zeit in Chile Arbeitsplätze entstehen, jedoch fast
ausschließlich in saisonalen oder anderen prekären Bereichen, in denen
verstärkt Frauen tätig sind, d.h. in der exportorientierten
Fruchtindustrie oder im Dienstleistungsbereich. Zur Sprache kam auch
die Schwäche der chilenischen Frauenbewegung, Isabel Carcamo geht
davon aus, dass die zunehmende Eigenverantwortlichkeit dazu führte,
dass auch Frauen weniger solidarisches Engagement zeigten und somit
faktisch die neoliberale Umstrukturierung die chilenische
Frauenbewegung zerstörte. Es sei jetzt zu überlegen, ob Frauen Kraft
in den Wiederaufbau zerstörter Strukturen investieren oder ob und
welche neuen Formen erfolgversprechender seien.

Forum 4: Ökologie mit Marcel Claude (Chile) und Maria Mies (BRD)

Am Freitag stand die Diskussion mit Marcel Claude im Mittelpunkt
(Bericht leider nicht vorhanden), am Samstag stellte Maria Mies acht
Thesen zum Verhältnis von Subsistenz und MAI auf. Mies hob hervor,
dass Subsistenz notwendig sei, das neoliberale System ein
Glaubenssystem sei, nachholende Entwicklung als Mythos begriffen
werden müsste, dass ich die Linke nach dem Ende des Realsozialismus
sowie des Keynesianismus in einem Vakuum befinde und dringend eine
neue Produktions- und Wirtschaftsordnung herstellen müsse, die
Subsistenzperspektive sei zudem möglich, politisch müssten neue Formen
entwickelt werden, die sich an der direkten Demokratie Gandhis
orientieren könnten, als aktuelle Beispiele in diese Richtung hob sie
die Bedeutung von MAI-freien Zonen und Städten hervor.

Forum 5: Kulturelle Identitäten mit José Bengoa (Chile) und Reinhart Kößler
(BRD)

Ausgangspunkt beider Referenten war die Konstruiertheit von
Identitäten, was jedoch nicht heißt, dass es diese nicht gäbe, sondern
sie vielmehr nicht beständig sind und somit auch veränderbar und
gestaltbar sind. José Bengoa beschrieb, warum z.B. für die Indígenas
in letzter Zeit die Frage der Identität so an Bedeutung zugenommen
hat. Ähnlich wie beispielsweise lateinamerikanische MigrantInnen in
den USA wurden die Indígenas in den Städten zunehmend gefragt "wer und
was bist du?", dies führte dazu, dass sie sich eine Identität
zusammenbauen mussten, also auch ein Stück weit erfinden. Die in den
letzten 5 Jahren in Chile entstandene Indígenaidentität steht in enger
Verbindung mit der Ökologiebewegung, diese Zusammensetzung gab es
vorher nicht. Die sich quer über Latein- und Mittelamerika
erstreckende Kommunikation (in der Kolonialsprache Spanisch, via
e-mail und Internet) von Indígenas sei ein gutes Beispiel für die
produktive Konstruktion von Identitäten, die über die engen Grenzen
von Nationalstaaten hinausweisen könnte. Anschliessend wurde ausgehend
von der Position, dass Identitäten immer der Einordnung und auch der
Abgrenzung von anderen dienen, ziemlich kontrovers diskutiert, ob
Identitäten überhaupt positiv gefüllt werden könnten oder ob nicht
eher die Dekonstruktion von Identitäten durchaus emanzipatorisch sei.

Forum 6: Befreiungstheologie mit Pablo Richard (Costa Rica) und Kuno
Füssel (BRD)

Die Funktion der Befreiungstheologie ist es immer noch, theologische
und ethische Kritik gegenüber dem (neoliberalen) System zu
entwickeln. In Lateinamerika hatte die Befreiungstheologie die
Funktion, Befreiungsbewegungen und andere soziale Bewegungen und
marginalisierte Bevölkerungsgruppen, also das Volk Gottes, zu
begleiten. Heute konzentriert sich die Theologie der Befreiung nicht
mehr auf die politische Machtübernahme, sondern auf den Aufbau einer
neuen Gegenmacht, einer Zivilgesellschaft. Selbst die elemantarsten
Lebensrechte müssen wieder aufgebaut werden.

Helen Schwenken

"Der symbolische Tod Pinochet" - Beitrag von Tomás Moulian zur
Inhaftierung von Augusto Pinochet

Tomás Moulian hob die Bedeutung hervor, die die Verhaftung Pinochets
im Oktober diesen Jahres hatte: "Wir können mit Bestimmtheit sagen,
dass die spanischen und britischen Richter einen Beitrag geleistet
haben zum symbolischen Tod Pinochets. [...] Er galt in Chile als
unsterblich, als Supermann. Und wenn Supermann aus dem Fenster stürzt,
das er selber zerschlagen hat, ja dann fällt er auf die Erde." [...]
"Ein festgenommener General ist nach chilenischer Auffassung ein
General, der seine Ehre verloren hat." Tomás Moulian berichtete auf
die Frage, warum es in Chile keine größeren Demonstrationen gegeben
hatte, von der Angst vieler Menschen, dass das Militär wiederkomme,
wenn sie auf die Strasse gehen würden. Moulian brachte seine
Einschätzung zum Ausdruck, dass sich die Festnahme Pinochets auf die
kommenden Präsidentschaftswahlen auswirken würde, die Sozialisten
würden zunehmend als `Vaterlandsverräter' dargestellt. `Wir müssen
versuchen, den symbolischen Tod Pinochets herbeizuführen und die
Gesetzgebung von 1980, die der Diktatur, abzuschaffen!" (H.S.)

Abschließender Vortrag:

Luis Vitale (Chile): Die Linke zwischen den Welten

Diesen Vortrag widmete er Rudi Dutschke und berichtete aus eigener
Erfahrung, wie wichtig internationale Solidarität sei. Er erinnerte
sich daran, wie deutsche FreundInnen mit einem ausgeklügelten Plan,
sein gesamtes Archiv gerettet haben und nach Spanien brachten. Er
dankte noch einmal allen, die ihn damals unterstützt hatten und
verkündete nicht ohne Stolz, dass er in ein paar Tagen nach Frankfurt
fahren würde, um an der dortigen J.W. Goethe-Universität sein
dreibändiges Werk der lateinamerikanischen Sozialgeschichte
vorzustellen. In der Zeit der Diktatur hatte u.a. die Frankfurter
Universität ihm Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt und im
Gegenzug hatte er mit der Universität das Projekt über die
Sozialgeschichte Lateinamerikas versprochen. Die Aufgabe Vitales
bestand zum einen darin, die sechs Foren zu besuchen und die dort
geführten Diskussionen zusammen zu fürhren. Er hob die hohe
Beteiligung von Frauen an diesem Kongress hervor und forderte
vehement, dass sich auch die Männer mit der Geschlechterfrage
auseinandersetzen müssten, das ginge nicht nur die Frauan an, so sei
in der Arbeitsgruppe zum internationalistischen Feminismus nur ein
Mann gewesen. Dem Diskussionsklima bescheinigte er, dass extrem gut
zugehört wurde und sogar aufeinander eingegangen wurde.

Vitale hob in seinen längeren Ausführungen (die dann in der
Dokumantation nach zu lesen sind) vor allem hervor, dass die
verschiedenen sozialen Bewegungen zusammen geführt werden
müssten. Dies machte er wiederum am Feminismus fest und dem
produktiven Einfluss feministischer Debatten und der
Frauenbewegung. Auch in sozialen Bewegungen müsste es
selbstverständlich sein, dass Frauen mindestens 50 Prozent aller
Funktionen einnehmen. Als Weg um gesamtgesellschaftlich das
Geschlechterverhältnis kritisch zur Diskussion zu stellen, schlug er
vor, zum antipatriarchalen Feminismus zurück zu kehren. Vitale stellte
zum Ende des Kongressen noch ein paar Begriffe gänzlich in Frage, mit
denen die ganze Zeit wie selbstverständlich gearbeitet wurde: anstelle
des Wortes `Neoliberalismus' ("was ist daran noch liberal?") würde er
eher `Neo-Konservatismus' gebrauchen, zudem würden die Begriffe
`Mundialisierung' (Internationalisierung des Kapitals) und
`Globalisierung' (Begriff in den Köpfen, u.a. durchgesetzt durch
Massenmedien) selten unterschieden.

Letztendlich ist sein Beitrag, der viele Anspekte anriß und zu
ausführlicheren Diskussionen provozierte, zusammen zu fassen mit
seinen Worten: "Wir haben viele Probleme - und wenig Zeit".

Den Schlußpunkt setzte er mit seiner Ankündigung, in den nächsten
Tagen nach Spanien zu fahren, um dort einen Bericht vorzustellen, den
er und andere politische Gefangene der chilenischen Diktatur 1975
verfassten, in dem die Zahl der Folteropfer, der Gefolterten, der
Ermordeten, der Verschleppten aus den Beobachtungen und Recherchen der
Inhaftierten heraus, niedergeschrieben sind - nicht erstaunlich ist,
dass die Zahl der Opfer weit über der des Berichtes der offiziellen
Wahrheitskommission liegt.

Keine Gewähr, die mit "..." gekennzeichneten Passagen sind nicht als
wörtliche Zitate von den ReferentInnen autorisiert, größtenteils
entstammen sie der Übersetzung. (H.S.)

nach oben