Spürt ihr das nicht?
Wissenschaft ohne Biß: Eine Berliner Tagung über den Arzt und Dichter, Juden und Kommunisten Friedrich Wolf

von
Antonín Dick

12-2013

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In der Berliner Akademie der Künste wurde am Freitag einer als Lauwarmsporn vorgestellt, der in Wirklichkeit ein Heißsporn war. Friedrich Wolf (1888–1953) wuchs mit Rousseau, Kropotkin, Nietzsche, Sokrates auf und veröffentlichte 1927 das medizinische Handbuch »Die Natur als Arzt und Helfer«, sein umfangreichstes Werk. Er war Wandervogel, Pazifist, Anarchosyndikalist, religiöser Dichter, Rätedemokrat, expressionistischer Dramatiker, Kommunist, Westemigrant, Sowjetemigrant, Mitbegründer der DEFA, dann erster Botschafter der DDR in Polen – Moment mal, wie das? Strafbeförderung? Nische? Ostflucht? Schweigen. Wie überhaupt auf der knapp 50köpfigen Insiderveranstaltung über Wolf viel geschwiegen wurde. Nur der, um den es ging, schwieg nicht. Sein Geist schwebte flüsternd über der Versammlung der miteinander verschworenen, bißscheuen Nachgeborenen: »1918, 2018 – ein Gespenst geht um in Europa, das der Revolution. Spürt ihr das nicht, die ihr mich zu lieben vorgebt?«

Der diesen Autor konstituierende Widerspruch zwischen Leben und Schreiben, der in ihm nie zur Ruhe kam – das dichterische Wort verbrannte ständig im Feuer der politischen Praxis –, wurde auf der wissenschaftlichen Tagung der Freien Universität Berlin leider nicht bearbeitet, lediglich phänomenologisch ausgebreitet. Ansätze? Ja. Beispielsweise der 1987 geborene Wissenschaftler Christoph Rosenthal (Berlin), der anhand der Produktion des Films »Rat der Götter« von 1949 demonstrierte, wie im Streit um den Schluß der schreibende Wolf die Rolle des Regisseurs, der Regisseur Kurz Maetzig die Rolle des Schreibenden übernahm, Wolf erfolgreich, Maetzig scheiternd. Anton Ackermann vom SED-Parteivorstand stand Pate.

Frank Stern (Wien) betonte die »dritte Sache«, worunter Wolf das Mann-Frau-Verhältnis verstand, und führte erläuternd Ausschnitte aus dem Protestfilm »Cyankali« von 1929 vor, der dem Abtreibungsparagraphen 218 StGB den Kampf ansagte. Das Frauenbild in »Cyankali« sei dem im Brecht-Film »Kuhle Wampe« von 1932 überlegen, lautete Sterns abwegige These. Den Beweis vermochte er mit all seinem männlichen Charme nicht anzutreten. Wäre es nicht interessanter gewesen, Wolfs revolutionäre Berufsauffassung als Arzt zu thematisieren und in Beziehung zu setzen zu seinem Schreiben am »Cyankali«-Text? Nebbich! Was grundsätzlich auffiel: Unter den sieben Rednern auf der Tagung war keine Frau.

Nur einmal kam Wolfs Grundwiderspruch in der Akademie voll zur Geltung: im brillant gehaltenen Vortrag von Sebastian Schirrmeister (Hamburg) über die Tragödie eines jüdischen Arztes zu Beginn der Nazizeit, veranschaulicht am meistgespielten Stück der deutschen Exilliteratur, »Professor Mamlock«. Schirrmeister demonstrierte anhand der unterschiedlichen Bühnenfassungen (Frankreich 1933, Warschau 1933, Tel Aviv und Zürich 1934, New York 1937, Berlin 1946 usw.) die Gewichtungen der weltanschaulichen Implikationen des Stücks zwischen Kommunismus und Zionismus. Die Inszenierungen verfuhren da sehr verschieden, bis hin zur Eliminierung des Kommunismus. Wolf selbst bestand stets auf der Gleichberechtigung der Interpretationen. Der Zuschauer soll entscheiden.

Das zeitlose Zeitstück »Professor Mamlock« verändert sich mit den politischen Realitäten, Wolfs politischer Auftrag und sein literarisches Vermächtnis bleiben aktuell. Nicht unwichtig hierzu der abschließende Hinweis von Schirrmeister: Der Kommunismus-Zionismus-Gegensatz war auch einer zwischen zwei Theaterkonzeptionen. Dem 1925 in Tel Aviv gegründeten, inzwischen wieder aufgelösten Arbeitertheater Ohel (Zelt) habe dort das Habima (Bühne) gegenübergestanden, das heute Israels Nationaltheater ist und bereits 1916 in Moskau gegründet worden war.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text zur Zweitveröffentlichung vom Autor. Erstveröffentlichung erfolgte am 03.12.2013  in der JUNGEN WELT.


Vom Autor erschien bei TREND:


TREND-Spezialedition
Rose des Exilgeborenen

Ein Essay von Antonín Dick