Nachlese zum TREND Teach-in
Rechtspopulismus und die Linke (17.12.11)

12/11

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung: Die "Anti"deutsche-Bloggerszene kommentiert zur Zeit ausufernd unsere Veranstaltung - vornehmlich gestützt auf Lügen und Verdrehungen. Ob dies absichtlich geschieht, oder ob dem ein Mangel an intellektuellen Fähigkeiten zugrunde liegt, oder gar nur Müdigkeit und schlechte Luft das "Hör-Verstehen" beeinträchtigten, ändert nichts am Resultat. Hiermit geben wir die Gelegenheit zum selbst nachprüfen, was der Gegenstand der theoretischen Erörterung war.
 

Anti?deutschland 2011
Veranstaltungsmanuskript
von
Gerhard Hanloser 

Welches Erkenntnis- und Kritikinteresse treibt uns an, wenn es um die sog. Antideutschen geht, die im folgenden nur noch Anti?deutschland genannt werden sollen?

Mein Kritikinteresse hat sich im Laufe der Jahre verkehrt. In den 90er Jahren resultierte meine Kritik an Anti?deutschland aus Nähe, nicht aus der Distanz: Schließlich schien die Anfangsparole „Nie wieder Deutschland!“ affektiv berechtigt angesichts der deutschen Wiedervereinigung, der Explosion eines Alltagsrassismus, der Pogrome von Rostock und Hoyerswerda, den antisemitischen Friedhofsschändungen, dem neuen Großmachtstreben. Auch grassierte in der Linken viel zu viel Unfug, beispielsweise der Befreiungsnationalismus, den es zu kritisieren galt. Spätestens seit 9/11 betrachte ich Anti?deutschland als politischen Gegner. Das hat mit dem Gegenstand selbst zu tun. Gegnerschaft bedeutet nicht Feindschaft. Feindschaft ist etwas, was gepflegt wird, daran können wir als Kritiker kein Interesse haben. Die Gegnerschaft resultiert aus der Theorie und Praxis, die Anti?deutschland der letzten Jahre entwickelt hat. Anti?deutschland hat sich aus der Linken verabschiedet und wirkt lähmend und hemmend für die linke Debattenkultur, die immer noch Anti?deutschland als Teil ihrer selbst erachtet.

Wir sind mit einer Welt des Umbruchs, der tiefen Krise des Kapitalismus, neuen Ansätzen von Klassenkampf, mit Revolten, ambivalenten und Kohärenz vermissen lassenden Suchbewegungen wie Occupy und anderem konfrontiert. Darum geht es und es müsste darum gehen, wie die bestehenden Ansätze aus ihren Sackgassen herauskommen können.

Deshalb ist es notwendig, sich von Anti?deutschland abzuwenden als einem obskuren linken Szene-Phänomen und es gilt, Anti?deutschland in einer breiteren gegnerischen Front zu verorten, die sich als historischer Block gegen die Revolte, gegen eine radikale Veränderung des Bestehenden positioniert. Dieser Block reagiert auf die Welt im Umbruch mit folgenden Reflexen:

- mit der Verächtlichmachung des Unbehagens am Kapitalismus

- mit der Ablehnung von Revolte, Aufbruch und konkreter, praktischer Negation des Bestehenden

- mit dem Einschwören auf den Kapitalismus als bürgerliche Gesellschaft der Freien und Gleichen, die es jedem ermöglichen würde, seine Individualität zu leben.

- mit ressentimenthafter Islamkritik als scheinbar aufklärerischer Variante der Religionskritik, die aber vielmehr Teil einer neuen neoliberalen Feindbestimmung darstellt.

Diese Feindbestimmung, die in zugespitztester Form von der Zeitschrift bahamas präsentiert wird, die eine Bürgerkriegsfront markiert, die früher oder später - und höchstwahrscheinlich auch entgegen dem Selbstbild des einen oder anderen Bahamas-Autoren, der sich gerne als großbürgerlicher Intellektueller imaginiert - handgreiflich umgesetzt zu werden droht: AntirassistInnen und VertreterInnen des Multikulturalismus bereiteten einem "Karneval der Kulturen" den Weg, an dessen Ende der multikulturelle Pogrom gegen die Juden zu erwarten sei. Vor dem Hintergrund einer rassistisch grundierten, neo-malthusianischen Überbevölkerungstheorie wird behauptet, dass in den muslimischen Ländern ein "Youth Bulge" (Babyboom) eine stetig anwachsende Masse von Israel und dem Westen angeblich feindselig gesonnenen Jugendlichen hervorbringt.

Hauptfeind, weil angeblich Schrittmacher dieser auch auf den Westen übergreifenden unaufhaltbaren historisch-gesellschaftlichen Tendenz, sind in Bahamas-Logik die Linken, die mit ihrem Antirassismus, ihrem Multikulturalismus und ihrem Wunsch nach einer "Völkerfamilie" eine neue Barbarei vorbereiten würden.  

Hier, auf dieser Höhe aggressiv-neoliberaler Ideologie, die teils an Verschwörungstheorien, teils an Spenglers „Untergangs-Szenarien“ erinnert, ist Anti?deutschland 2011 angekommen. 

Wie konnte es soweit kommen? Ich möchte jetzt nochmals drei frühe Stufen der Entwicklung Anti?deutschlands darstellen. Diese drei Stufen sind nicht unbedingt chronologisch gedacht, sondern als kumulative Steigerung der Entwicklung Anti?deutschlands zu einer jeglicher Veränderung des Bestehenden in Gegnerschaft stehenden Haltung. 

1. nie wieder Deutschland
2.
nie wieder Sonderweg
3.
nie wieder Antikapitalismus

1. nie wieder Deutschland

Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung, der Furcht vor einem Großdeutschland, ist Früh-Anti?deutschland als radikalisierter und gleichzeitig staatsfrommer Antifaschismus zu begreifen, der für die eigene Praxis als „Linke“ den Rückzug auf die reine Kritik des als übermächtig begriffenen gesellschaftlichen Verhängnisses propagierte:

Am Anfang war das Ende von linkem Fortschrittsglauben und Praxishypostasierung. Kritik, Kritik und nochmals Kritik wurde zum Erkennungsmerkmal des frühen Anti?deutschland. Mit der Hypostasierung von Kritik verhielt Anti?deutschland sich zur Hypostasierung der Praxis, wie es die Bewegungslinke immer betrieb, jedoch bloß komplementär. Die zuweilen haltlose Polemik gegen alles was sich in Praxis versuchte – die Autonomen, die Friedensbewegung, usw... - diese Polemik, die als Kritik verkauft wurde, war im Grunde eine leicht zu durchschauende Distanzierungstechnik, Zynismus als reiner Anspruch auf Selbstbehauptung des kritischen Bürgers, der sich in einer Zeit als kritisches Subjekt behaupten wollte, wo jegliche Form wirklich umwälzender Praxis versperrt zu sein schien. Das soziale Unten wurde als „Mob“ etikettiert. Und da eine Praxis der Subversion, der Revolte, der Organisierung und Revolutionierung der Verhältnisse also abgelehnt, als unmöglich ausgerufen wurde, fand man Zuflucht bei den Herrschenden. Könnte Thatcher nicht doch noch Nie wieder Deutschland bewirken, also sprich: die Wiedervereinigung verhindern? Bange staatsmännische Fragen in Anti?deutschland...  Dieser Antifaschismus als herrschaftliche Einhegung Deutschlands wurde so auch zu einem Antifaschismus der Herrschenden, nicht der Beherrschten. Und geschichtspolitisch war folgerichtig nicht Georg Elser Bezugspunkt des Früh-Anti?deutschland, sondern eben Bomber Harris, Morgenthau, die Potsdamer Konferenz.

Hier fand schon das erste Einüben in herrschaftliches Denken statt, und das Einüben in Bellizismus. 

In der Anfangszeit von Anti?deutschland sagten noch einige: Der zweite Weltkrieg sei der einzig gerechte Krieg gewesen. Dass in den folgenden Jahren immer wieder gerechte Kriege gefunden wurden – und am prominentesten 1991 anlässlich des Golfkriegs, dafür sorgte mitunter die zweite Parole: 

2. nie wieder Sonderweg

Mit der Nie-wieder-Sonderwegs-Doktrin knüpfte Anti?deutschland an die bürgerliche Erklärungen an, warum es in Deutschland, ausgerechnet in Deutschland, zum NS-Faschismus kam. Norbert Elias oder Helmut Plessner hatten in dem Fehlen eines entwickelten Bürgertums den Grund der Faschisierung Deutschlands erblickt. Diese Affirmation des ‚normalen’ Bürgerlichen in seiner westlichen Fassung als scheinbar faschismusverhindernd teilte in der Anfagszeit nicht ganz Anti?deutschland, dies Sichtweise sollte sich aber immer mehr praktisch durchsetzen.

Vollends dem bürgerlichen Sprachduktus verhaftet war Anti?deutschland, als es jegliche angebliche oder tatsächliche Weigerung der herrschenden Klasse der BRD, den westlichen, sogenannten atlantizistischen Weg in der Außenpolitik zu beschreiten, als deutschen Sonderweg markierte. Besonders der Irakkrieg 2003 wurde als Sonderweg begriffen. Tatsächlich kann man jedoch festhalten: vom Jugoslawienkrieg 1999 bis zum Irakkrieg gab es keinen Sonderweg. Deutschland war ständig militärisch, informell, logistisch und diplomatisch auf der Seite, an der Seite, teils sogar Avantgarde (wie im Kosovokrieg) der westlichen-imperialistischen Mächte. Und selbst beim jüngsten Libyenkrieg wurde der Anschluss an die kriegsführenden Mächte schnell gesucht und wieder gefunden. 

3. nie wieder Antikapitalismus

Antisemitismus und die Vernichtung der Juden ist für Anti?deutschland das Thema schlechthin. Für Anti?deutschland hat Auschwitz den systematischen Ort der Revolution eingenommen, wobei ihm gar nicht mehr auffällt, dass es mit propagierter Solidarität mit Israel und seinem ostentativen Philosemitismus vollständig die offizielle Staatsreligion und Staatsräson der Bundesrepublik übernommen hat. Anti?deutschland ist an diesem Punkt wie an keinem anderen so sehr nichts anderes als: Deutschland.

Während für die klassischen Linken die Revolution noch ein Zukunftsprogramm war, eine Vision, die mit der Vorgeschichte bricht, ist Auschwitz für Anti?deutschland bloß instrumentalisierte Vergangenheit. Zogen die der Revolution verpflichteten Linken ihren eigenen Lebenssinn aus der Zukunft und der Versprechung nach einem besseren, einem guten Leben, so bezieht Anti?deutschland den eigenen Lebenssinn auf den Tod anderer. Ilse Bindseil brachte das folgendermaßen auf den Punkt: "So wie der bürgerliche linke Theoretiker lange Zeit auf den Borg einer Revolution gelebt hat, die nicht seine sein und sich auch nicht nach seinen ... esoterisch aufgeladenen bürgerlichen Kategorien richten konnte, so lebt er jetzt, desillusioniert, auf den Pump einer Leidensgeschichte, die ihn nicht nur als Opfer verschmäht, sondern ihm als Bürger in der Genealogie der Täter einen definitiv konträren Platz zuweisen muss."

Ein Teil von Anti?deutschland will sich - obwohl deutsch und Bürger durch und durch - dezisionistisch als Kommunist behaupten. Nicht etwa, indem an der Seite der oder als Arbeiterklasse gekämpft wird oder zumindest auf die Proletarität (Karl Heinz Roth) und die „proletarische Existenzsituation“ (Karl Reitter) reflektiert wird, sondern getreu der Kritikhypostasierung – allein durch die papiererne Selbstproklamation von Identität. Der andere Teil von Anti?deutschland will sich zuweilen die ihm fremde jüdische Leidensgeschichte so sehr zu eigen machen, dass er sich selbst als jüdisch meint ausweisen zu können: wie gerne imaginiert er sich als IDF-Fighter, setzt gut antisemitisch-philosemitisch zionistisch mit jüdisch gleich oder übt sich – kein Scherz - in kulturalistischer Adaption des Jüdisch-Religiösen.

Im Gegensatz zum Antifaschismus klassischer linker Provenienz, der noch irgendwie an das Horkheimersche Diktum erinnern will, wonach vom Faschismus schweigen solle, wer vom Kapitalismus nicht reden will, erscheint Anti?deutschland der Kapitalismus selbst als vor dem Faschismus schützenswert. Auf einmal erscheint nicht mehr der Kapitalismus als verdammenswerte Veranstaltung, sondern als Bollwerk gegen die Gegen-Aufklärung. Nicht mehr soll im Bürger der potenzielle Nazi entdeckt werden, vielmehr rettet für Anti?deutschland nur gelungen Bürgerlichkeit vor Faschismus. Und dieser wird sogar als antikapitalistisch rezipiert. Den Antikapitalismus gilt es laut Anti?deutschland international zu schlagen. Fluggs werden irakisches Baath-Regime und Al Quida unter Antikapitalismus subsumiert. Aber auch hier ist es müßig eine Diskussion über die staatskapitalistische Entwicklungsdikatur des Baath-Regimes und über die Allianz von Broker-und Unternehmer-Geist mit nihilistischer Archaik, wie sie in Al Quida zum Ausdruck kommt, anzustrengen. Es geht ja nicht um die Wirklichkeit, es geht Anti?deutschland darum, die Verzweiflung an der ausgebliebenen Revolution dadurch auszuhalten, dass man aus der Resignation eine Tugend macht, aus der Revolution ein Schreckgespenst, gegen das sich der Kapitalismus westlicher, besonders US-amerikanischer Provenienz richtig beruhigend ausmacht.

Die Verlierer der „Globalisierung“ tendieren –so behauptet Anti?deutschland - in ihrer Kritik des Kapitalismus zum Völkischen und zum Antisemitismus. Diese Haltung, die über alle Bewegungen „from the bottom up“ einen antitotalitären Bannstrahl verhängt, verabschiedet sich auch von der alten Kritischen Theorie: „Fast scheint es so, als müsse das Diktum Horkheimers, vom Faschismus solle schweigen, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, erweitert werden: Vom Kapitalismus solle ebenso schweigen, wer vom Antikapitalismus nicht reden wolle“, formulieren die rechtsliberalen NGO-Lobbyisten und Autoren der jungle World Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken in einem Buch des ca ira Verlags, das sich neokonservativ für einen Krieg der USA gegen den Irak ausspricht. Was als spielerische Ergänzung daherkommt ist eine geschickte und interessierte Verdrehung der Intention des frühen Horkheimer: mit Verweis auf einen „barbarischen Antikapitalismus“ - ein geflügeltes Wort in Anti?deutschland - , soll der Kapitalismus als kleineres Übel präsentiert werden. Faschismus wird als genuin sozialistische bzw. antikapitalistische Bewegung begriffen, der tendenziell in einem antagonistischen Verhältnis zum Kapitalismus steht. Mit dieser Behauptung schließen sich aber die ehemals linken Autoren dem Liberalen Friedrich Hayek mit seiner interessegeleiteten Gleichsetzung von Faschismus und Antikapitalismus an.

Nach der Resignation über die ausgebliebene Revolution kommt die Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen, deren Herrschaft man umso mehr verteidigt, je deutlicher sie aus den Fugen zu geraten droht. In seinem oben benannten „Amerika“-Buch sagt es Anti?deutschland ganz offen: „An einem Scheitern der USA im Irak kann ernsthaft niemand ein Interesse haben, der nicht die Weltwirtschaft in Trümmern sehen will.“

Interessant ist das Kriterium, warum die USA nicht scheitern dürfen: Es geht also nicht mal mehr um die Befreiung der Menschen im Irak. Nicht einmal ein ominöser Demokratisierungsprozess wird hier beschworen, vor Instabilität des Landes gewarnt, nein, ganz offen wird bekundet, dass die Verfasser dieser Zeilen vom globalen Kapitalismus nicht mehr sprechen wollen, vorallem nicht mehr in kritischer Hinsicht.

Der bürgerliche Kritiker ist nun also da gelandet, wo er landen musste: bei der pro-kapitalistischen Affirmation „unserer Weltwirtschaft“, die er nicht in Trümmern sehen will.

Die Angst von Anti?deutschland ist eine Form von german angst. Anti?deutschland war schon immer sehr deutsch. Je weiter die Krise des kapitalistischen Weltsystems voranschreitet desto größer wird auch die anti?deutsche Angst im Kapitalismus werden, die sich natürlich nicht Rechenschaft über ihr eigentliches movens ablegen darf und kann. Die Angst Anti?deutschlands im Kapitalismus wird in einer Welt der failed states Fahnen hochhalten, sie wird sich weiterhin in Selbstbehauptungtechniken („Die Welt aushalten lernen“) einüben, sie wird sich aggressiv an die Herrschenden anlehnen und die Beherrschten ihre Verachtung spüren lassen. Damit sind sie Gegner einer emanzipatorischen oder gar zu Umwälzung tendierenden praktischen Kritik.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.