TREND Teach-in Nr. 3
Rechtspopulismus und die Linke

12/11

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Selbstkritisches aus dem Antideutschen Spektrum

Die neueste Häutung der deutschen Ideologie
Georg Weerth-Gesellschaft Köln

Am 3. Oktober 1990 wurde die ehemalige DDR an die Bundesrepublik angegliedert, jener Tag seitdem als „Tag der deutschen Einheit“ gefeiert. Doch vom großen nationalen Taumel ist nichts übrig geblieben: Die Ossis machen in „Ostalgie“, die Wessis ärgern sich über den Soli und die Neonazis, und die Zeitschrift Titanic vermittelt, indem sie fordert, die Mauer wieder aufzubauen.

Aber es gibt noch eine weitere Fraktion, antideutsche Politiker nämlich. Sie betreiben sowohl beim Aufruf zur Demonstration gegen den Nationalfeiertag in Bonn als auch in den Ankündigungen zu ihrem Symposium „Deutsche Ideologie(n)“ kollektive Gewissenserforschung: „Anfang Oktober werden die Feierlichkeiten zur deutschen Einheit in Bonn stattfinden. Doch was wird dort eigentlich gefeiert? Worüber freut sich Deutschland im Jahre 2011?“ Treuere Staatsbürger kann sich der Souverän nicht wünschen; es ist verwunderlich genug, dass das „Symposium“ mit dem bananigen Titel „Deutsche Ideologie(n) – Wandlungen und Kontinuitäten“ nicht von der Bundesregierung gesponsert wird. Denn auch der Staat sieht Wandlungen und Kontinuitäten: Wir Deutschen seien keine Nazis mehr, sondern aufrechte Demokraten, die aber – soviel Kontinuität muss sein – in einer alten deutschen Tradition stünden. Die Nationalflagge, über die Antideutsche so gerne schimpfen, ist nicht nur die der nationalistischen „Befreiungskriege“, sondern auch die der Revolution von 1848, in die namentlich Karl Marx so große Hoffnungen setzte. Wenn nun die Teilnehmer des Symposiums allerlei Verbindungslinien „von Schlegel bis Schland“ auszumachen versuchen, beteiligen sie sich bereitwillig am deutschesten aller Gesellschaftsspiele, nämlich das Gute vom Schlechten zu trennen und damit die Frage, was deutsch sei, noch souveräner zu beantworten als Wolfgang Thierse oder Claudia Roth.

Gemeinsam hängt man der These vom deutschen Sonderweg an, doch während die einen behaupten, Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Weg in den Westen eingeschwenkt, versteifen sich die das Symposium veranstaltenden Antideutschen darauf, dass alles beim Alten geblieben sei. Mit der Mehrheit der Deutschen sind sie sich einig über die Verabscheuungswürdigkeit der Deutschtümelei. Niemand will hierzulande Nationalist sein, schließlich weiß man von des Landes größtem Dichter, Günter Grass, dass Deutschland denken Auschwitz denken bedeutet. Sind die Deutschen stolz auf sich, dann vor allem darauf, dass sie so wenig nationalistisch sind. Doch es gibt eine unterschiedliche Einschätzung über den jetzigen Zustand: Die Antideutschen bestreiten, dass sich die Mentalität ihrer Landsleute seit den eisernen Jahren des Preußentums verändert haben könnte, während jeder aufrichtige Bürger heute beflissen kritische Sorgenfalten anlegt, wenn er die Stichwörter „Autorität“, „Gehorsam“ und „Unterordnung“ hört. Auch des Militarismus will niemand verdächtigt werden, weshalb Umfragen zufolge immerhin drei Viertel der Bevölkerung den Afghanistankrieg ablehnt. Als das Staatsbürgerrecht 1998 von der rot-grünen Regierung modernisiert wurde, wusste diese die Mehrheit der Bevölkerung bereits hinter sich. Die vermeintlich ins Vierte Reich führende Wende mit ihren völkisch-rassistischen Fieberschüben erwies sich in Wirklichkeit als eine demokratische Häutung der Deutschen Ideologie. Mittels kurzfristiger Aushärtung der veralteten, unflexiblen und für die Führungsmacht Europas inadäquaten Schuppen gelang schließlich ihre Ausstoßung, deren leere Überbleibsel mahnend in Vorpommern und der sächsischen Schweiz liegengeblieben sind. Ein neues, glattes und bewegliches Deutschland mit frischeren Mustern wand sich heraus, das namentlich in den jährlichen Passionsspielen zu Dresden die alte Nazihaut durch die Gassen trägt, um sich seiner Wiedergeburt zu versichern. Selbstredend bewerben sich zu diesem Anlass die Antideutschen als Kopf der neuen deutschen Leidenschaft.

Das Bild, das die Antideutschen von den Deutschen der Gegenwart zeichnen, ist verzerrt, weil sie auch die Vergangenheit aus der Perspektive des antifaschistischen Deutschland des Jahres 2011 interpretieren. Die Nazis waren aber keine Nationalisten, sondern eine pangermanische Bewegung für ein europäisches Reich; sie waren keine die staatlichen Autoritäten vergottenden Untertanen, sondern eine aufständische Masse revoltierender Wutbürger, von denen jeder Einzelne den ganzen Unstaat in sich trug. Diese Gestalt des Nationalsozialismus war immer da, auch wenn sie erst der jüngsten Wandlungen und Kontinuitäten bedurfte, um uns in der Gegenwart als drohendes Menetekel vor Augen zu stehen. Der völkische Rassismus hat sich heute zum Antirassismus, der irre Hass zur ebenso irren Liebe gemausert. Das Bild des hässlichen Deutschen, das die Antideutschen zeichnen, stellt das Negativ zum eigenen Selbstbild dar. Sie wehren ihre Erfahrungen mit den gewandelten Deutschen als Trug und Augenwischerei ab, damit sie die Lüge über sich selbst aufrecht erhalten können, sie seien die gewissenhaftesten Kämpfer gegen das Wiederaufleben des Faschismus.

An diesen Antideutschen bewahrheitet sich, was in dem Wort „antideutsch“ stets schon enthalten war: die unter negativem Vorzeichen vollzogene Affirmation Deutschlands. Die Behauptung, die Deutschen seien besonders autoritätshörig und aufklärungsfeindlich, lässt sich leicht als Schutzbehauptung durchschauen, damit sich die Symposianten weiterhin über ihre konformistische Revolte täuschen können. Sie selbst sind es, die einer Aufklärung über die Deutschen im Wege stehen, weil sie, statt die aus der neuesten Häutung hervorgegangene deutsche Ideologie zu kritisieren, dogmatisch an der leeren Hülle des hässlichen Deutschen festhalten, um sich als die besseren Deutschen anzudienen. Ihr Aufruf ist ein Appell an die deutsche Linke, doch endlich so schlau wie sie zu werden, die Kollektivschuld der Deutschen anzuerkennen, um derart Auschwitz zu bewältigen. Mit diesem Bekenntnis glauben sie, Deutschland entkommen zu sein, weshalb es umso deutscher aus ihnen heraussprudelt. Folgerichtig bringen sie ihre „Lehre aus der Geschichte“ auf die Quintessenz der postnazistischen Ideologie, „dass eine radikale Kritik an nationaler Vergemeinschaftung auf rassistischer Grundlage und an der Relativierung von Auschwitz nötig war“.

Dies ist nichts als der aktuellste Zungenschlag antizionistischer Hetze, die die falschen Freunde Israels nicht einmal wahrnehmen, weil sie sich als Bürger Europas, in welches sich die deutsche Ideologie verallgemeinert hat, schon in einer postnationalen Welt eingerichtet haben. Ihr Ruf „Wehret den Anfängen“ fügt der ideologischen Symphonie gegen den jüdischen Nationalstaat aparte Tremolos hinzu, die die neuen Deutschen als selbstkritische Reflexion zu vermarkten wissen werden.

Als antideutsche, fortschrittliche Europäer glauben sie ihre zurückgebliebenen Landsleute darüber unterrichten zu müssen, wie man dem „Konstrukt der deutschen Kultur“ entkommt: Sie müssten lediglich der Arbeit, das heißt auch dem Wunsch, ökonomisch unabhängig zu sein, abschwören und wie die Franzosen direkt vom Staat mehr Geld fordern. Als überwiegend subalterne Existenzen können sie sich offensichtlich besser mit der französischen Bohême identifizieren und haben für die Arbeiter und deren Wunsch nach einem etwas besseren Leben nur noch Verachtung übrig. Fordern diese Arbeit, um sich einen Lohn und damit den geringsten Luxus zu verdienen, denunzieren die Antideutschen dies sogleich als Trug, weil es ja eigentlich nur um die Auspressung von Mehrwert gehe. Sie engagieren sich als empörte Wutbürger mit französischen noms de guerre allein um der Sache willen. Das Geld soll vom Staat kommen, dem sie ja schließlich ideell dienen. Sie sind die besseren Deutschen, die als ehrenamtliche, antideutsche Antifa in der Freizeit unentgeltlich diejenigen betreuen und kritisch begleiten, die noch nicht ganz mitgekommen sind. Vor diesem Hintergrund wird folgender Satz zwar nicht richtiger, doch lässt sich sein Sinn erahnen: „Der deutsche Nationalismus hat sich immer wieder gegen die ökonomische Vernunft gestellt, der ihm inhärente Antisemitismus kann nicht berechnet werden.“
Wer hier und heute noch bei Vernunft ist, kann diese nur gegen Antideutsche behaupten, die zum modernsten Ausdruck der Deutschen Ideologie verkommen sind.

Die hier verwendeten Zitate beziehen sich sowohl auf das Programm des Symposiums, als auch auf den Aufruf „Imagine there´s no Deutschland“ zu den Einheitsfeierlichkeiten am 3.Oktober in Bonn, denn beide Veranstaltungen wurden vom gleichen Spektrum organisiert.

Editorische Hinweise

Wir wurden seitens unserer LeserInnenschaft um Spiegelung des Artikels gebeten

Er wurde am 15.11. 2011 auf der GWG-Website veröffentlicht.